Eine dokumentarische Serie von Dörthe Eickelberg
Deutschland 2017, 3 x 26 Minuten
Allgemeine Einleitung zu "Chicks on Boards"
(Detaillierte Informationen zu den Teilen: Indien, Südafrika und Palästina finden Sie weiter unten)
Surfen steht wie kaum ein anderer Sport für Freiheit, Toleranz und Naturverbundenheit. Für viele ist es nicht nur ein Wassersport. Surfen wird als Lebensstil, als Philosophie verstanden. Doch das von der Surfszene kultivierte „chillige“ Bild von weltoffenen SurferInnen, die im Wasser, am Strand und darüber hinaus den Aloha-Spirit pflegen und ein friedliches, harmonisches und respektvolles Miteinander leben, täuscht. Das Wellenreiten ist ein nach wie vor von weißen, heterosexuellen Männern dominierter Sport, der nicht überall gleichberechtigt praktiziert werden kann. Frauen, die surfen, werden oftmals nicht ernst genommen, fern ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit mehr als Model in kurzer Badebekleidung denn als Sportlerin betrachtet und sexualisiert. Auch außerhalb der Szene treffen Surferinnen auf Widerstände. Mit der Ausübung ihrer Sportart brechen sie in verschiedenen Ländern mit kulturellen Konventionen und traditionellen Rollenbildern. Frauen auf Surfbrettern sind in manchen Gesellschaften regelrecht eine Provokation. Einige von ihnen surfen trotzdem – oder gerade deshalb!
Anhand der persönlichen Geschichten von Frauen aus sechs verschiedenen Ländern der Welt nimmt die dokumentarische Serie „Chicks on Boards – Das Meer kennt keine Grenzen“ die Situation von Surferinnen unter die Lupe und fragt nach den Grenzen, an die sie in dem und mit dem sonst so grenzenlos anmutenden Sport stoßen. Filmemacherin und arte-Moderatorin Dörthe Eickelberg – selbst leidenschaftliche Surferin – hat sich dafür mit Wellenreiterinnen aus Asien, Afrika, Europa und Nordamerika getroffen: Auf Hawaii, in Indien, Gaza, Südafrika, in Großbritannien und Frankreich begleitet sie Mädchen und Frauen, die von den Widerständen und Benachteiligungen erzählen, denen sie als Surferinnen im Wasser und an Land gegenüberstehen. Verbindendes Element zwischen den Frauen ist der Kampf um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, den sie an gleich zwei Fronten kämpfen: Nach innen – in der Surfszene selbst – ringen sie als wenig beachtete Minderheit um einen legitimierten Platz, sind sie mit ungerechten, weil ungleichen Wettkampfbedingungen konfrontiert. Nach außen – in den Gesellschaften und Kulturen, in denen sie leben – sehen sie sich unterschiedlich motivierter Diskriminierung gegenüber, müssen sie sich die Frage stellen, wie sie als Frau, als Homosexuelle, als Schwarze oder als Muslimin ihren Sport ausüben können und welchen Einfluss das auf ihr Leben und die gesellschaftlichen Strukturen in ihrem Land hat.
Entstanden ist eine fünfteilige dokumentarische Serie, die anhand der individuellen Geschichten der Surferinnen die Auseinandersetzung mit geschlechterbezogener Gleichberechtigung im Sport sowie in der Gesellschaft im Allgemeinen aufgreift. Im Zentrum stehen dabei die Hinterfragung von Rollenbildern und die Funktion des Sports als Abbild gesellschaftlicher Strukturen und Motor für emanzipatorische Bestrebungen.
Mit dem Fokus auf den Geschichten der Surferinnen in den Ländern des globalen Südens vereint das vorliegende Paket drei der fünf Serien-Teile und widmet sich den spezifischen Kontexten und Themenschwerpunkten der Mädchen und Frauen aus Gaza, Indien und Südafrika.
Das medienpädagogische Begleitmaterial zur Arbeit mit den drei Folgen setzt sich aus dem Basismaterial (Kritische Würdigung, Hintergrundinformationen, allgemeine didaktische Anregungen) sowie den Arbeitshilfen zu den einzelnen Porträts zusammen. Diese Einzelmodule enthalten neben Informationen zum Inhalt und knappen Ausführungen zu spezifischen Schwerpunktthemen auch auf die verschiedenen Folgen zugeschnittene Impulsfragen zur vertiefenden Arbeit. Die einzelnen Serien-Teile können gemeinsam oder unabhängig voneinander bearbeitet werden.
Würdigung und Kritik
Die dokumentarische Serie „Chicks on Boards – Das Meer kennt keine Grenzen“ setzt sich aus fünf, jeweils knapp halbstündigen Teilen zusammen, die je eine oder mehrere Surferinnen in ihrem sozio-kulturellen und sportlichen Umfeld begleiten. Anknüpfend an die persönlichen Geschichten und Erfahrungen der Protagonistinnen stellt jede Folge dabei verschiedene Schwerpunktthemen in den Mittelpunkt. Diese beleuchten Grenzen, an die die Surferinnen qua ihres Geschlechts, aber auch aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Alters stoßen und die sie ihrem Bedürfnis nach Gleichberechtigung folgend mal mehr, mal weniger selbstbewusst und sportlich überschreiten. Mit einer überschaubaren Auswahl an signifikanten Beispielgeschichten gelingt es „Chicks on Boards“ damit, einerseits ein facettenreiches Bild der allgemeinen Problematik der fehlenden Geschlechtergerechtigkeit in der Sportwelt und im Surfsport im Speziellen aufzuzeigen, andererseits machen die Situationen der Surferinnen die Beständigkeit starrer und diskriminierend wirkender Verhaltensnormen in unseren Kulturen sichtbar und veranschaulichen, welche Kraft dem Sport im Kampf um Gleichberechtigung und Emanzipation, sowie im Bemühen um die Erweiterung fester Rollenbilder zukommt.
Um die Geschichten dieser Frauen zu erzählen und die Diversität der Gründe für die Diskriminierungen aufzuzeigen, die die Surferinnen als Frauen durch das Ausüben ihres Sports über Kontinente und Kulturen hinweg erleben, hat Dörthe Eickelberg ein Format gewählt, das als dokumentarische Serie mit Reportagen-Charakter bezeichnet werden kann. Das Spektrum an non-fiktionalen Serienformaten ist – analog zum Boom fiktionaler Serien – in jüngster Vergangenheit stetig gewachsen, eine klare Charakterisierung allerdings nicht immer eindeutig möglich: Dokumentarfilm, Dokumentation, Feature, Reportage oder Porträt – oft fließen charakteristische Elemente aus verschiedenen Formaten in einem zusammen. Auch "Chicks on Boards" weist Teile unterschiedlicher dokumentarischer Formen auf. Während im Vorspann der einzelnen Serienteile jeweils „ein Film von Dörthe Eickelberg“ präsentiert wird, spricht die Produktionsfirma selbst von einer „fünfteiligen Doku-Serie“. Andernorts wird „Chicks on Boards“ als „Dokumentarfilm-Reihe“, auf der offiziellen, englischsprachigen facebook-Seite gar nur als „Roadmovie“ angekündigt. Die Fülle der genannten Format- und Genrebezeichnungen sowie die unscharfe Verwendung der Begrifflichkeiten steht exemplarisch für das hybride Format, das „Chicks on Boards“ darstellt.
Den Rahmen bildet ein Serienformat, das Mädchen und Frauen porträtiert, die gegenwärtig in unterschiedlichen Ländern surfen. Die innere Ausgestaltung der einzelnen Episoden folgt in weiten Teilen den Merkmalen einer filmischen Reportage, die als eine der wenigen dokumentarischen Formate die Darstellung subjektiver Perspektiven zulässt und den individuellen Geschichten und Diskriminierungserfahrungen der einzelnen Surferinnen genauer nachgeht. Filmemacherin und Autorin Dörthe Eickelberg reist für die Aufnahmen selbst in die ausgewählten Länder, um dort ihre Protagonistinnen zu treffen und sich persönlich ein Bild von ihren Situationen zu machen. Als Filmemacherin und Reporterin berichtet sie von ihren gewonnenen Eindrücken und Erlebnissen und lässt die ZuschauerInnen unmittelbar daran teilhaben. Wenn sie mittels Off-Kommentar informiert und Sachverhalte erläutert, bringt sie eine objektiv-sachlich orientierte Perspektive auf das Geschehen mit ein. Sie teilt mit den ZuschauerInnen die Fragen, denen sie als Reporterin nachgeht, strukturiert die Sequenzen, indem sie kontextualisiert. Meist ist die Filmemacherin dabei im unmittelbaren Umfeld der Surferinnen unterwegs, lernt Familien und FreundInnen, Personen aus der Surfszene kennen. Gleichzeitig rückt sie jedoch immer wieder den persönlichen Eindruck, den sie sich nicht nur als Reporterin, sondern auch als Frau und Surferin vor Ort macht – und damit ihre subjektiv-wertende Perspektive – in den Mittelpunkt. Häufig ist sie dabei selbst im Bild zu sehen und nimmt die Rolle der Surf-Kollegin und Freundin ein. Klassisch distanzierte Interviewsituationen mit den Protagonistinnen werden kaum gewählt. Im Zentrum stehen persönliche Gespräche beim Essen, beim Spazierengehen oder beim Surfen selbst, die den Eindruck von Intimität und Beiläufigkeit erzeugen und eine objektivierende Distanz stellenweise gänzlich aufheben. Recherche wird zu Begegnung. Begegnung zu Beziehung: Dörthe Eickelberg wird damit ganz bewusst zur nahbaren Vertrauten, zur Freundin, zur Verbündeten – und kaum merklich beinahe selbst zur Protagonistin.
Die Grenzen zwischen ihrer Rolle als Filmemacherin und Reporterin einerseits und als Surferin und Freundin der Protagonistinnen andererseits verläuft damit fließend. Das Spiel ist gewollt und belebt die Serie zu großen Teilen. Die besondere Nähe, die sie über ihre Person zum Thema und zu den Protagonistinnen herstellt, hebt Zurückhaltung auf. Gleichzeitig ergeben sich durch diese enge persönliche Bindung jedoch auch potenzielle dramaturgische Stolperfallen: Das bestehende Risiko, dass die Filmemacherin im Verhältnis zu den Protagonistinnen und ihren Geschichten unausgewogen viel Raum einnehmen könnte, deutet sich in verschiedenen Szenen an. Ihre niedrigschwellige, neugierige Art, sich den Sachverhalten vor Ort zu nähern, lässt dabei auch plakativ-naive Züge durchblicken. Gleichermaßen wird klar, dass behutsam mit einem zu tiefen Eintauchen in eine Fachwelt umgegangen werden muss, damit das Format für ein breites Publikum relevant bleibt. Aufgefangen wird die Serie auf diesen Gratwanderungen nicht zuletzt durch eine visuell wie auditiv lockere Rhythmisierung und die positive Grundstimmung, die Dörthe Eickelberg mittels ihrer Person einbringt. Denn im Fokus der Erzählung stehen – trotz der klar aufgezeigten Problematiken und auch ausdrücklicher Kritik – die positiven Wirkungsweisen des Sports und der Mut der Frauen, mit dem sie sich ihr Recht auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung „ersurfen“. Atmosphärisch animierend eingesetzte Musik, Aufnahmen von an Surfbrettern befestigten Kameras oder Szenen, die in Zeitlupen aufgelöst sind, formen diesen Grundton maßgeblich mit.
Einer zu einseitigen Auseinandersetzung entgeht „Chicks on Boards“ auch mittels des seriellen Formats selbst. Durch das Porträtieren mehrerer Frauen erlangt die Thematisierung geschlechterbezogener Diskriminierung und emanzipatorischer Bemühungen einen allgemeinen Charakter: Auch wenn die Mädchen und Frauen verschiedene Erfahrungen machen und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten leben, gelingt es der Serie deutlich zu machen, dass sich benannte Konflikte und Herausforderungen nicht nur auf ein Land oder einen Kulturkreis beschränken. Die Benachteiligung von Frauen und das Problem fehlender diversifizierter Rollenbilder äußert sich länder-, kontinent- und kulturübergreifend. In diesem Sinne entfaltet die Erzählung ihre Stärke auch gerade durch ihre Mehrteiligkeit.
Die einzelnen Teile der Serie unterscheiden sich dabei durch die gesetzten Themenschwerpunkte sowie ihre Ausgestaltung. Während beispielsweise das Porträt aus Indien konkretere Kritik- und Denkanstöße zu gesellschaftlichen Missständen und Diskriminierungserfahrungen der Frauen liefert und einen expliziteren Einblick in die Zustände im Surfsport bietet, schenken die Folgen aus Gaza und Südafrika allgemeineren Situationen und Themen mehr Raum und bleiben hinsichtlich des Kernthemas etwas unbestimmter.
Vor dem Hintergrund anderer, ähnlich männerdominierter Sportarten hätten ebenfalls Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten aufgezeigt werden können. Am Ende sind die Beispiele aus der Surfszene jedoch auch so ergiebig, da der Widerspruch zwischen der scheinhaften Freiheit und Grenzenlosigkeit des Meeres wie der Harmonie des Aloha-Spirits einerseits und der realen Unfreiheit und tatsächlich existierenden Grenzen andererseits, die in der Surf-Kultur selbst wie in den verschiedenen Gesellschaften und Kulturen konventionell fortgetragen werden, besonders deutlich wird. Diese Diskrepanz aufgreifend, stellt „Chicks on Boards“ damit dem u.a. von den großen Surfmarken bewusst gepflegten und in medialen Darstellungen stetig reproduzierten Surfer-Image vielseitige und selbstbestimmte Bilder entgegen: Eindrücke aus einer wenig toleranten und offenen Surf-Gesellschaft; Porträts von willensstarken, kämpferischen und talentierten Surferinnen, die Surfbretter nicht nur unter dem Arm tragen und dabei das Schönheitsideal der Surfszene reproduzieren; Szenen, die zeigen, dass sich die Frauen nicht aufhalten lassen; Bilder, die Mut machen, die großen Schritte, die auf dem Weg zur Gleichberechtigung gegangen werden müssen, über Grenzen hinweg und mit dem Surfbrett als neutralem Begleiter.
„Doku-Serie“
Als Doku-Serie oder dokumentarische Serie wird meist ein dokumentarischer Mehrteiler bezeichnet, der häufig parallele Erzählstränge aufweist, das heißt, oftmals von Gruppen von ProtagonistInnen erzählt, deren Geschichten synchron über mehrere Teile hinweg oder in je einem einzelnen Teil der Serie vorgestellt werden.
„Reportage“
Die Reportage ist eine journalistische Darstellungsform, die aus subjektiver Perspektive heraus informiert. Anders als andere dokumentarische Formate oder Dokumentationen verfolgt die Reportage damit nicht ausschließlich den Anspruch der Objektivität. Ziel ist es nicht allein, die Wirklichkeit gänzlich objektiv und möglichst umfassend darzustellen. Vielmehr soll in der Reportage für die ZuschauerInnen eine Nähe zu einem Thema oder Sachverhalt aufgebaut werden, in dem die ReporterInnen ihre persönlichen Einschätzungen mit einfließen lassen. Der Reporter oder die Reporterin wechselt dabei immer wieder zwischen einer sachlichen, objektiven Perspektive und einer persönlichen, subjektiven Perspektive. Die Subjektivität in der Darstellungsform äußert sich einerseits darin, dass die ReporterInnen meist selbst am Ort des Geschehens mit dabei sind. Sie machen sich selbst ein Bild, interviewen Personen vor Ort oder kommentieren Situationen. Häufig sind sie dabei selbst im Bild zu sehen. Die Nähe zu einem Thema wird andererseits dadurch hergestellt, dass ein Geschehen oder ein Sachverhalt emotional nachvollziehbar gemacht wird. Die ZuschauerInnen sollen miterleben können. Eine Geschichte wird daher also oftmals anhand von konkreten Personen und aus Lebenssituationen heraus erzählt und mit den Erlebnissen und Erfahrungen des Reporters oder der Reporterin verknüpft, der oder die die Verbindung zwischen dem Geschehen vor Ort und den ZuschauerInnen schafft.
Hintergrundinformationen
Wellenreiten – von Polynesien in die Welt
Wellenreiten – oder Surfen – ist in vielen Ländern ein Trendsport. Nicht nur auf Hawaii und in Kalifornien wird gesurft. Gute Surfspots finden sich auf allen Kontinenten der Welt. Laut der International Surfing Association surfen weltweit heute rund 20 Millionen Menschen.
Der Ursprung des Surfsports ist in der polynesischen Kultur zu finden. Seefahrer breiteten das Wellenreiten zunächst innerhalb des Pazifiks aus. So kam das Surfen vermutlich im 4. Jahrhundert v. Chr. auch nach Hawaii, wo es zunächst nur den Häuptlingen eines Stammes erlaubt war. Später wurde es dann fester Bestandteil der hawaiianischen Kultur und fand nach und nach große Verbreitung: Männer, Frauen und Kinder – über Generationen und Klassen hinweg surften damals auf Holzbrettern durch die Wellen. Durch ihre tiefe Verbundenheit zum Wasser wurde das Wellenreiten mit spirituellen Praktiken verknüpft, eingebunden in Mythen und Rituale. Als Hawaii im 19. Jahrhundert zum Ziel calvinistischer Missionare aus den USA wurde, erlebte das Surfen dort vorerst eine Verdrängung. Erst mit der Angliederung Hawaiis als 51. Bundesstaat an die USA im Jahr 1900 wurde das Wellenreiten wieder stärker praktiziert und verbreitete sich von Hawaii aus in der Welt. Viele US-AmerikanerInnen besuchten im Urlaub die Insel, kamen dort durch hawaiianische Rettungsschwimmer in Berührung mit dem Sport und übten ihn später auch an den Küsten des US-amerikanischen Festlandes aus. Zur internationalen Verbreitung des Surfsports trug darüber hinaus auch der Hawaiianer Duke Paoa Kahanamoku bei. Als Schauspieler und mehrfacher Olympiasieger im Schwimmen machte er das Wellenreiten auf seinen Reisen durch die Welt bekannt. 1915 brachte er das Surfen u.a. auch in die heutige Surfnation Australien. Für viele gilt er als Vater des modernen Surfsports. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports und durch die Herstellung leichterer Boards aus Schaum und Fiberglas oder die Entwicklung des Neoprenanzugs entwickelte sich das Surfen in den 1950er Jahren zu einer vornehmlich maskulinen Mainstream-Sportart. Bis heute wird der Sport vornehmlich von jungen, weißen, heterosexuellen, reichen Männern dominiert.
Für viele ist Surfen nicht nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung, eine Philosophie, gar eine Religion – geprägt durch eine Verbundenheit zu Natur und Wasser, bestimmt durch den Aloha-Spirit Hawaiis, des Geburtsortes des modernen Surfens. Der hawaiianische Gruß „Aloha“ ist weit mehr als ein „Hallo“. Nach der Definition der hawaiianischen Dichterin und Philosophin Pilahi Paki steht „Aloha“ u.a. für Freundlichkeit, Harmonie, Umgänglichkeit, Bescheidenheit, Beharrlichkeit. Für die Surfkultur, die diesen Geist forttragen möchte, sind Werte wie Freiheit, Respekt und Verantwortung den Menschen und der Natur gegenüber zentral. Dem stehen jedoch starre, sexualisierende Rollenbilder und eine diskriminierende Exklusivität gegenüber, die den Surfsport ebenso charakterisieren und prägen.
In Deutschland kam der Surfsport in den 1950er Jahren an. Gesurft wurde zunächst an der Nord- später auch an der Ostsee. Der erste deutsche Surf Club wurde Mitte der 1960er Jahre auf Sylt gegründet. Fern der Küste wird in Deutschland auch auf dem Festland auf Flusswellen gesurft. Eine inzwischen weltweit bekannte Flusswelle ist die Eisbachwelle am Englischen Garten in München. Rund 4% der deutschsprachigen Bevölkerung Deutschlands surfen, 92% von ihnen praktizieren den Surfsport ausschließlich im Urlaub, lediglich 8% surfen regelmäßig in ihrer Freizeit im Alltag.
Beständigkeit heteronormativer Rollenbilder im Sport
Während in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur seit Jahren Forderungen nach Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen laut werden, Antidiskriminierungsstellen entstehen und Homophobie entgegengewirkt wird, scheint sich im Sport geschlechterbezogene Diskriminierung besonders beständig zu halten: Vorstandspositionen großer Vereine sind in der Regel weiterhin rein männlich besetzt, Sportreporterinnen sehen sich nach wie vor Beschimpfungen durch Männer ausgesetzt und Homosexualität ist an vielen Stellen noch immer ein Tabu. Heteronormative Rollenbilder und die damit verbundene Sexualisierung sind im Sport so undurchdringlich wie in kaum einem anderen Bereich.
Grund dafür ist, dass der Sport eine körperbasierte Praxis ist. Zwischen den Körpern von Männern und Frauen gibt es von Natur aus anatomische Unterschiede, z.B. hinsichtlich der Körpergröße, des Gewichts oder der Muskelmasse. Da sich diese genetisch bedingten Differenzen auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirken, wird Sport nach Geschlechtern getrennt praktiziert. In einigen Sportarten treten Frauen auch mit kleineren oder leichteren Sportgeräten an (z.B. Gewicht und Durchmesser des Diskus, Ballumfang bei Handball oder Basketball). Das Bild des hierarchisch höhergestellten männlichen Geschlechts und die Trennung in zwei eindeutig voneinander unterscheidbare Geschlechter prägen die Sportkultur und -praxis wesentlich. Und das, obwohl sie auf den ersten Blick überholt scheint – löst der Sport doch eigentlich die Grenzen zwischen „Weiblichem“ und „Männlichem“ auf: Im Sport können und müssen Frauen nämlich häufig „typisch männlich“ konnotierte Eigenschaften mitbringen, um sportliche Erfolge zu erzielen. In der Bewertung ihrer sportlichen Fähigkeiten kann eine Sportlerin für maskuline Züge Anerkennung erhalten; Sportlichkeit, Stärke, Risikobereitschaft oder Durchsetzungsvermögen kann Mädchen und Frauen Türen zur Männerwelt öffnen. Doch nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn je mehr die Grenzen zwischen den Bildern von stereotyp „Männlichem“ und stereotyp „Weiblichem“ verwischen, desto stärker sind die Bemühungen, sie wiederherzustellen, um in die gesellschaftlich anerkannte und vom Sport vorgegebene Ordnung zu passen: Einer durch ihren sportlichen Körper „zu männlich“ wirkenden Athletin werden schnell weibliche Eigenschaften aberkannt oder gar Homosexualität unterstellt. Sportlerinnen geben sich daher oftmals bewusst weiblich und heterosexuell. Gleiches gilt im Umkehrschluss für Männer. Dieser Mechanismus fördert die Reproduktion stereotyp heteronormativer Geschlechterbilder im Sport sowie die damit einhergehende Sexualisierung und Diskriminierung. Diese findet auf verschiedenen Ebenen statt: So wird zum Beispiel das Verhalten von Sportlerinnen öffentlich schnell hinsichtlich des geschlechtlichen, nicht aber des sportlichen Kontextes bewertet; Sportbekleidung von Frauen fällt oft bewusst körperbetonter aus; in den (Sport-)Medien werden Frauen – im Gegensatz zu den männlichen Kollegen – prozentual öfter in trivialen Haltungen am Spielfeldrand abgebildet als in sportlicher Aktion; und gerade in männerdominierten Sportarten wird erwartet, dass sich Sportlerinnen besonders weiblich zeigen – auch, um den Schönheitsidealen und Bedürfnissen der männlichen Sportmedienrezipienten zu entsprechen.
Die Sportberichterstattung trägt wesentlich zur Pflege und Reproduktion der sich hartnäckig haltenden Rollenbilder im Sport bei. Im Surfsport macht sich dies besonders stark bemerkbar: In der Sportmarkenwerbung, aber auch in Surffilmen, Surfmagazinen und anderen Medienformaten ist eine besonders eindeutige Sexualisierung und Erotifizierung des weiblichen Sportlerinnenkörpers zu sehen. So ist bspw. zu beobachten, dass selbst Profi-Surferinnen von ihren Sponsoren in Werbefilmen in einem von kurzen Bikinis bedeckten Körper präsentiert und auf ihr Äußeres reduziert werden. Ihre sportlichen Erfolge finden kaum eine Erwähnung.
Sportlerinnen in patriarchal geprägten Gesellschaften
Aneesha aus Indien wird vorgehalten, dass sie keinen Mann finden würde, mit blauen Flecken an den Beinen und sonnengebräunter Haut. In Gaza, der Heimat von Sabah, einem muslimisch geprägten Land, dürfen Frauen nicht mit Männern ins Wasser, und wenn eine erwachsene Frau auf ein Surfbrett steigt, begeht sie eine Sünde. Auch Suthu aus Südafrika bricht mit kulturellen Traditionen, nach denen Frauen ab einem bestimmten Alter eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen, einen Haushalt zu führen haben. In allen Ländern verstoßen die jungen Frauen aus unterschiedlichen Gründen gegen Konventionen. Dafür schlägt ihnen aus der Gesellschaft Unverständnis, Missachtung oder Häme entgehen. Manche müssen gar mit ernsthaften Anfeindungen, Sanktionen oder Verstößen aus der Familie rechnen. Grund dafür sind weniger naturgegebene Gesetzmäßigkeiten oder durch Religion legitimierte Verbote, als vielmehr die festen Rollenbilder der patriarchal geprägten Gesellschaftsordnungen, in denen sie leben. Die sportliche Betätigung von Mädchen und Frauen an sich ist dabei nicht per se ein Problem. Doch ist die Ausübung des Sports spätestens dann, wenn Mädchen zu Frauen werden, mit bestehenden Traditionen nicht mehr oder nur sehr schwer vereinbar. In patriarchal geprägten Gesellschaften haben sich Frauen unterzuordnen, dem Mann zu gehorchen, verfügbar zu sein. Aber Frauen, die zum Vergnügen surfen oder gar eine Karriere als Surf-Sportlerin anstreben, haben einen eigenen Willen, verfolgen ein eigenes Ziel; sie verlassen sehr wahrscheinlich das Haus alleine, sind gegebenenfalls auch darauf angewiesen zu reisen; sie gehen einer körperlichen Praxis nach, bei der körperbetonte Sportkleidung getragen wird; sie treffen auf andere Männer, die ihnen zusehen können; möglicherweise entscheiden sie sich vorerst für den Sport und gegen eine Familie und Kinder. In den Augen der Gesellschaft stellt dieses Verhalten – selbst wenn es der Vater oder der Ehemann erlaubt – eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung dar. Weil bestehende Rollenbilder nicht erfüllt werden, führt die Ausübung einer sportlichen Tätigkeit zu gesellschaftlichen Konflikten, wird Sport zur Rebellion.
Um Verhaltensnormen einer Gesellschaft, die sich seit Generationen entwickelt und gefestigt haben, zu erweitern, aufzubrechen oder zu verändern, bedarf es u.a. von der Norm abweichende Verhaltens- und Handlungsmuster, alternative Rollenbilder. Indem die Surferinnen über bestehende Verhaltensmuster hinweg ihren Sport ausüben, machen sie zunächst Ungleichgewichte und Diskriminierungen durch bestehende Rollenbilder sichtbar und stellen diese in Frage. Zugleich legen sie Grundsteine zur Generierung alternativer Rollenbilder. In diesem Sinne hat Sport die Möglichkeit, gesellschaftliche Strukturen mitzugestalten.
Sport – ein Motor für Emanzipation und gesellschaftliche Entwicklung?
In allen Kulturen waren Sport und Spiel als ein generationsübergreifend und zum Vergnügen ausgeübter Zeitvertreib bereits früh gesellschaftlich verankert. Ausgehend von Großbritannien entwickelte sich im 18. Jahrhundert der leistungsorientierte Sport, der zunehmend breitere Kreise der Bevölkerung erreichte und heute ein etabliertes Teilsystem unserer Gesellschaften ist.
In kaum einem anderen zivilgesellschaftlichen Bereich engagieren sich heute – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Einkommen – so viele Menschen wie im Sport. Sportvereine und -gruppen erreichen mit ihren Angeboten und Strukturen eine breite Masse der Bevölkerung. Sport ist fester Bestandteil des Angebots der Bildungseinrichtungen, vermag soziale Kompetenzen zu vermitteln, Teilhabe zu stärken. Mit der zunehmenden Verbreitung des organisierten Sports ist auch die soziale und gesellschaftspolitische Verantwortung der Sportvereine gewachsen: Verbände, Vereine und Stiftungen beziehen Stellung zu sozialen Fragen, gestalten Gesellschaft mit; sie positionieren sich aktiv gegen Gewalt und Rassismus und setzen sich mit Kampagnen und Angeboten für Integration und Antidiskriminierung ein. Sport trägt damit zur Förderung des Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Entwicklung bei. Eine integrative und verbindende, nicht zuletzt demokratische Kraft geht darüber hinaus auch von der Grundstruktur des leistungsorientierten Sports selbst aus: An einem Wettbewerb nehmen grundsätzlich alle SportlerInnen unter gleichen Ausgangsvoraussetzungen teil. Zu Beginn haben alle TeilnehmerInnen eine Chance zu gewinnen; gewinnen werden die besten Mannschaften mit den besten SportlerInnen – unabhängig ihrer ethnischen, sozialen oder kulturellen Herkunft. Auf dieser Grundlage bringt Sport Vorbilder hervor, die soziale Kategorien auflösen und die Akzeptanz für kulturelle Vielfalt einfordern. Dies führt bis dahin, dass rassistisch motiviertes und diskriminierendes Denken demontiert werden kann. Sportliche Erfolge von Menschen aus einer ethnisch oder sozial diskriminierten Gruppe und die damit einhergehende gesellschaftliche Anerkennung dieser Gruppe können die Akzeptanz und die Integration einer unterdrückten Minderheit in der Gesellschaft im Allgemeinen fördern. Doch die integrative und entwicklungsfördernde Kraft des Sports hat auch seine Grenzen. Sport, und besonders Wettbewerbssport, weist auch trennende Faktoren auf: Nach dem Konkurrenz- und Rekordprinzip kommen nur die besten weiter, kann jeweils nur eine Person oder ein Team gewinnen. Nur die besten werden gefördert. Ausschlusskriterien greifen auch auf anderen Ebenen: Nicht alle Menschen haben die nötigen finanziellen Mittel oder strukturellen Zugangsvoraussetzungen, um bestimmte Sportarten überhaupt oder erfolgreich ausüben zu können. Aber vor allem hinsichtlich geschlechterbezogener Aspekte kann Sport durch die starre Geschlechtertrennung und die Kultivierung heteronormativer Geschlechterbilder strukturell separierend, diskriminierend und hinsichtlich emanzipatorischer Entwicklungen auch hemmend wirken (siehe oben).
Am Beispiel der Doku-Serie „Chicks on Boards“ wird sowohl die verbindende wie die trennende Wirkung des Sports sichtbar. Deutlich wird auch, inwiefern sich beide Wirkungsmechanismen gegenseitig beeinflussen: Obwohl sich in der Gesellschaft vorhandene ethnisch, sozial oder geschlechterbezogene Diskriminierungsmuster im Sport fortsetzen oder sich hier besonders stark abbilden, ist es zugleich möglich, über das integrative Potenzial des Sports, starre Kategorien aufzulösen, bestehende Rollenbilder zu diversifizieren, Zusammenhalt zu stärken und damit gesellschaftliche Entwicklungen im Sport selbst sowie darüber hinaus anzustoßen. In diesem Sinne ist ein Kampf um mehr Gleichberechtigung im Sport zugleich ein Kampf um mehr Gleichberechtigung in der Gesellschaft im Allgemeinen.
Didaktische Anregungen
Die Arbeit mit der dokumentarischen Serie „Chicks on Boards“ eignet sich für die filmpädagogische und filmkulturelle Arbeit im schulischen wie außerschulischen Kontext. Primäre Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene ab der 7. Klasse (in allen Schularten). Ausgehend von den Geschichten der Surferinnen verbindet die Serie konkrete Beispiele unterschiedlich motivierter Diskriminierung mit Fragen nach sozialer Ungleichheit zwischen Männern und Frauen im (Surf-)Sport im Speziellen sowie in der Gesellschaft im Allgemeinen. Soziokulturelle und gesellschaftspolitische Perspektiven bilden dabei den Fokus der filmpädagogischen Arbeit. Zudem bietet das filmische Format die Möglichkeit, einen Blick auf dokumentarische (Serien-)Formate zu werfen und deren Merkmale und Gestaltungsformen zu untersuchen.
Zur Vorbereitung und Einstimmung auf die Sichtung der drei ausgewählten Serien-Teile empfiehlt es sich, zunächst die Vorstellungen, die die SchülerInnen vom Surfsport haben, in der Klasse zu sammeln, um das allgemein vorherrschende Bild der Lerngruppe und damit die Basis für die eigene Rezeptionshaltung greif- und sichtbar zu machen. Bereits bestehendes Wissen, Annahmen und Meinungen (Wo wird gesurft? Welche Menschen üben den Sport aus? Welche typischen Bilder stehen für den Sport?) können dabei ebenso mit einfließen wie konkrete eigene Erfahrungen. Darüber hinaus bietet es sich an, den Blick für trennend-diskriminierende sowie verbindend-inklusive Aspekte des Sports im Allgemeinen zu schärfen: Anknüpfend an die eigenen Wahrnehmungen aus dem Schul- oder Vereinssport können die SchülerInnen zunächst Erfahrungen mit gängigen Rollenbildern sowie Berührungspunkte mit geschlechterspezifischen Problemstellungen im Sportbereich benennen sowie Chancen hinsichtlich der emanzipatorischen Kraft des Sports gemeinsam erfassen. Die Thematisierung der Muster medialer Sportberichterstattung oder die Betrachtung des filmischen Genres des Sportfilms kann des Weiteren den Blick für generierte und gepflegte Imageprofile im Sport schärfen.
Ins Zentrum der nachbereitenden Filmarbeit stellt sich die Untersuchung der aufgezeigten Situationen und Diskriminierungen der Frauen sowie die Hinterfragung von vorherrschenden Rollenbildern und Geschlechternormen. Zunächst kann nach den konkreten Diskriminierungserfahrungen gefragt werden, die die Surferinnen in patriarchal geprägten Kulturen erleben. Äußerungsformen und Absenderstrukturen können benannt und die dahinterliegenden Gründe erarbeitet werden. Die einordnende Betrachtung der Herausbildung sowie der Wirkungsweisen von Konventionen und Traditionen im Hinblick auf und in Abgrenzung zu Gesellschaften, Kulturen und Religionen sollte diese Auseinandersetzung rahmen. In einem zweiten Schritt kann der Umgang, den die Frauen mit den Benachteiligungen finden, beschrieben und die für sie persönlich daraus resultierenden Auswirkungen erörtert werden. Dass die Serie Beispiele über Kontinente, Länder und Kulturen hinweg aufzeigt, lässt die Filmarbeit mit den drei ausgewählten Teilen von Beginn an aus einer breit gefassten Perspektive erfolgen und die Schwerpunktthemen offen bearbeiten.
Da sich die konkreten Situationen der Frauen nur im Zusammenhang mit den soziokulturellen Strukturen und Traditionen in ihren Heimatländern umfassend erschließen lassen, ist eine Einordnung der länderspezifischen Kontexte empfehlenswert. Je nach didaktischem Vorgehen und Kenntnisstand der Lerngruppe kann es sich anbieten, bereits vorab Grundinformationen zu den jeweiligen Ländern zu geben oder diese entlang der konkreten Porträts im Nachgang von den Lernenden selbst erschließen zu lassen.
Nachstehende Impulsfragen eigenen sich zur allgemeinen vorbereitenden Filmarbeit oder können zur Reflexion der filmischen Textsorte und Filmsprache im Rahmen der Arbeit mit mehreren Serien-Teilen herangezogen werden. Auf die einzelnen Folgen zugeschnittene Impulsfragen zur vertiefenden Arbeit mit einem Porträt sind den nachgeordneten Einzelmodulen zu entnehmen.
Impulsfragen zu Rollenbildern im Sport:
- Machst du Sport? Welche Sportart übst du gerne aus? Was gefällt dir an Sport im Allgemeinen?
- Welche Sportarten sind für dich überwiegend männlich oder überwiegend weiblich dominiert? Begründe deine Meinung.
- An welchen Stellen erlebst du es positiv im Sport eine Frau oder ein Mann zu sein? Warum?
- Nenne Beispiele für Situationen, in denen Sport das „typisch Weibliche“ oder „typisch Männliche“ auflöst.
- An welchen Stellen erlebst du es negativ im Sport eine Frau oder ein Mann zu sein? Warum?
- Nenne Beispiele für geschlechterspezifische Diskriminierung im Sport.
- Sport kann sowohl inklusiv/integrativ als auch exklusiv/separativ wirken. Wie und wen kann Sport verbinden? Warum kann Sport Zusammenhalt stärken? Wie und wen kann Sport trennen? Warum kann Sport ausschließen?
- Hast du einen Lieblingssportler oder eine Lieblingssportlerin? Welchen Sport übt er/sie aus? Was gefällt dir an der Person und ihrer sportlichen Leistung besonders gut?
- Wie wird der Sportler/die Sportlerin in den Medien dargestellt? Welche Bilder kommen dir in den Sinn?
Impulsfragen zum filmischen Format:
- Wie gefällt dir die Serie? Was gefällt dir gut? Was gefällt dir weniger gut?
- Was ist eine Reportage? Was ist eine Doku-Serie? Sammle Merkmale und nenne Beispiele aus Film und Fernsehen.
- Inwiefern ist „Chicks on Boards“ eine Reportage? Erläutere anhand von Beispielen aus der Serie.
- Welche Rolle nimmt die Filmemacherin und Autorin Dörthe Eickelberg in der Serie ein? Wie nimmst du sie als ZuschauerIn wahr? Welche Beziehung baut sie zu den Protagonistinnen auf?
- Kennst du vergleichbare dokumentarische Serien oder Reportagen?
- Auf was spielt der Titel „Chicks on Boards – Das Meer kennt keine Grenzen“ an? Warum glaubst du, haben die FilmemacherInnen diesen Titel gewählt? Was möchten sie damit aussagen?
- Findest du den Titel passend? Was gefällt dir daran? Was gefällt dir weniger gut?
SABAH AUS GAZA
Inhalt
In einem abgeriegelten Land, aus dem kaum jemand heraus- und fast nichts hineinkommt, steht das Meer noch einmal mehr als anderswo für Offenheit und Grenzenlosigkeit. Mehr als an anderen Stränden vermitteln die Wellen den SurferInnen hier das Gefühl von Freiheit – ein Gefühl, das jedoch nur wenige kennen. In Gaza-City surfen etwa 20-30 Personen: Männer, Kinder und eine Frau. Noch. Denn die einzige Surferin aus Gaza, Sabah, ist bald 18 Jahre alt. Die Tradition im Land der muslimischen Surferin sieht vor, dass sie heiratet und das Wellenreiten aufgibt – obwohl sie surft, seit sie klein ist. Auf einem alten Surfbrett hat ihr Vater ihr das Surfen beigebracht. Er ist stolz auf seine Tochter und würde ihr das Wellenreiten sicherlich gerne weiterhin ermöglichen. Doch für die Gesellschaft ist das ein Problem: Wenn Mädchen heranwachsen, ändern sich die Spielregeln. Frauen dürfen nicht mehr gleichzeitig mit Männern ins Wasser; sie haben zu gehorchen, zu heiraten, sich unterzuordnen. Wer als Frau die Traditionen respektiert und nicht mit den Konventionen brechen möchte, kann nur heimlich oder gar nicht surfen. Deswegen machen sich Sabah und Filmemacherin Dörthe Eickelberg – mit dem Einverständnis des Vaters – noch vor Tagesanbruch auf zum Strand. Glücklich gleitet Sabah auf den Wellen. Möglicherweise ein letztes Mal. Denn auch, wenn sie das Surfen eigentlich nicht aufgeben möchte, sind der Einfluss der Gesellschaft und die Dominanz bestehender Rollenbilder zu groß. Ein halbes Jahr später heiratet Sabah. Seither lebt sie mit ihrem Mann und seiner Familie im Landesinneren.
Gazastreifen
Der Gazastreifen, ein schmaler Küstenstreifen im östlichen Mittelmeer zwischen Ägypten und Israel, ist Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete bzw. des „Staates Palästina“. Der „Staat Palästina“ wurde 1988 im Zuge der Ersten Intifada von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ausgerufen. Völkerrechtlich ist die Staatlichkeit Palästinas nach wie vor höchst umstritten. Heute erkennen 137 Staaten den „Staat Palästina“ an. Seit 2012 ist die Vertretung der PLO von den Vereinten Nationen nicht mehr nur als Interessenvertretung der palästinensischen Bevölkerung, sondern der „Staat Palästina“ als beobachtendes Nicht-Mitglied anerkannt. Das von der PLO vertretene Gebiet bezieht sich auf die im Jahr 1995 im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses benannten Palästinensischen Autonomiegebiete, die den Gazastreifen sowie 40% des Westjordanlands betreffen. Immer wieder kommt es jedoch zu Streitigkeiten um den Grenzverlauf und die von Israel besetzten Siedlungsgebiete. Insgesamt leben in den Palästinensischen Autonomiegebieten rund 4,9 Millionen Menschen, 1,8 Millionen von ihnen im Gazastreifen. Dort sind seit dem Ende der Zweiten Intifada und dem Rückzug der israelischen BewohnerInnen im Jahr 2005 fast ausschließlich arabische Bevölkerungsgruppen muslimischen Glaubens zu Hause. Die vollständige Abriegelung durch die israelische Regierung führte das Land wirtschaftlich in eine zunehmend desaströse Lage. Eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, die knappe Wasser- und Stromversorgung und fehlende Ressourcen in durch Zerstörung nahezu unbewohnbaren Gebieten erschweren den Alltag, in dem die Bevölkerung auf die Versorgung durch Hilfsgüter von außen angewiesen ist.
Für die SurferInnen aus Gaza bietet das Wellenreiten die Möglichkeit, wenigstens kurzzeitig aus der Begrenztheit des Alltags auszubrechen. Der Strand ist für viele ein Zufluchtsort, die Weite des Meeres trotz israelischer Schiffe am Horizont ein Symbol für Hoffnung. Doch die SurferInnen in Gaza haben es nicht einfach. In Gaza selbst sind Surfbretter und passende Sportbekleidung nicht erhältlich. Der Import aus Israel oder anderen Ländern ist verboten. Bislang gibt es keinen Surf Club oder Verband, der den Sport im Land stärken könnte. Der Versuch junger SurferInnen, sich dem nationalen Wassersportbund anzuschließen, war bislang erfolglos.
Patriarchal geprägte Gesellschaftsordnung in Gaza
Als Sabah ein Kind war, hat ihr Vater ihr und ihren Geschwistern das Surfen beigebracht. Er hat dabei keinen Unterschied zwischen seinen Söhnen und Töchtern gemacht. Und wahrscheinlich hätte er selbst auch kein Problem damit, dass seine Tochter noch als erwachsene Frau auf das Brett steigt. Ob, wann, wie und wo Frauen einen Sport wie das Surfen ausüben können, ordnet sich in Sabahs Kultur jedoch den bestehenden Konventionen und Traditionen unter: Religiöse Praktiken wie die täglichen Gebete oder der Fastenmonat Ramadan strukturieren Trainings- und Ausübungszeiten; Konventionen besagen, dass Frauen nur mit langer Badebekleidung ins Wasser dürfen und Schwimmen oder Surfen mit Männern inakzeptabel ist; traditionelle Rollenbilder in der patriarchal geprägten Gesellschaft sehen vor, dass junge Frauen beim Eintritt ins Erwachsenenalter heiraten und ihren Ehemännern gehorchen. Nicht gesetzlich, aber konventionell verankert, gibt es für Frauen damit so etwas wie eine Altersbeschränkungen für das Surfen. Erwachsene Frauen, die surfen möchten, müssen dies heimlich tun oder aber mit bestehenden Moralvorstellungen brechen. Wie der Besuch der Filmemacherin Dörthe Eickelberg bei dem Obersten Richter von Gaza und Scharia-Richter im Auftrag der Hamas zu zeigen versucht, sind es weniger religiöse Vorschriften als Traditionen, die Verhaltensnormen prägen. Während der Koran, so erläutert der Richter, Jungen wie Mädchen das Schwimmen zugesteht, sind es konventionell determinierte Rollenbilder, mit denen eine erwachsene Frau auf einem Surfbrett bricht. Ein Verhalten entgegen der Tradition, so ist es erlernt, ist für die Gesellschaft eine Verletzung, ein Tabu, haram. Und weil es keine alternativen Rollenbilder gibt, ist die Reproduktion solcher Verhaltensnormen dominierend, verteidigen die Mitglieder der Gesellschaft – selbst Gleichaltrige, Freundinnen, Cousinen, Mütter – die Einhaltung des Normverhaltens.
Sportgerätebeschaffung in einem abgeriegelten Land – ungleiche Zugangsvoraussetzungen
Das Surfbrett von Sabahs Vater ist 27 Jahre alt. Dem Board, das sich Filmemacherin Dörthe Eickelberg von den Rettungsschwimmern und Surfern in Gaza City ausleiht, fehlt eine Finne. In einem abgeriegelten Land wie Gaza an ein neues Surfbrett oder Ersatzteile zu kommen, ist äußerst schwer. Seit der vollständigen Abriegelung durch die israelische Regierung nach der Zweiten Intifada ist der Import von Surfbrettern nicht mehr möglich und Materialien, die man zur Herstellung der Bretter benötigt, sind nicht erhältlich. Dass das Surfen in Gaza heute möglich ist, verdanken die jungen PalästinenserInnen sowohl der Tatsache, dass vor der Blockade bereits ein paar Surfbretter im Land waren, als auch engagierten KollegInnen aus der internationalen Surf-Community, wie u.a. dem Surfer und Friedensaktivist Arthur und seine Organisation „Surfing for Peace“. Vor ein paar Jahren ist es ihm und anderen israelischen SurferInnen mit der Unterstützung kalifornischer KollegInnen gelungen, 24 Bretter in den Gazastreifen zu bringen. Doch ein langer Atem war nötig: Die israelische Regierung hatte die Surfbretter beschlagnahmt. Erst nach zwei Jahren kam es zu einer Einigung und die Bretter konnten über die Grenze gebracht werden. Auch wenn Arthur und seine KollegInnen versuchen – unabhängig von politischen oder religiösen Überzeugungen – über Grenzen hinweg Verbindungen zu schaffen, Material zu besorgen, Wissen zu teilen, bleiben die Chancen und Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Surfsports in Gaza begrenzt.
Impulsfragen:
- Wen begleitet die Filmemacherin Dörthe Eickelberg in dieser Folge? Wo und wie lebt Sabah?
- Wie ist Sabah zum Surfen gekommen? Welche Bedeutung hat das Surfen für sie?
- Welche Bedeutung hat der Surfsport in Gaza? Warum ist es dort so schwer, an Surfbretter und eine gute Sportausrüstung zu kommen?
- Was stört wen in ihrem Land/ihrer Kultur daran, dass Sabah surft? Warum verstößt sie gegen die Konventionen, wenn sie surft?
- Gibt es in Gaza eine Altersbeschränkung für Surferinnen? Wer oder was „verbietet“ Sabah das Surfen?
- Wer unterstützt Sabah? Wie steht ihre Familie zu dem Sport? Wie denkt ihr Vater über Sport und Gesellschaft?
- Wie reagiert Sabah auf die Benachteiligungen und Diskriminierungen, die sie erfährt? Wie denkt sie über die Traditionen und Konventionen in ihrem Land nach?
- Warum, glaubst du, gibt Sabah das Surfen letztlich auf?
- Wie glaubst du, würdest du reagieren, wenn du an ihrer Stelle wärst?
- Was müsste passieren, damit sich die Situation für Surferinnen in Gaza ändert? Was können Frauen wie Sabah selbst tun? Was können andere tun?
ANEESHA AUS MANGALORE/INDIEN
Inhalt
Im Süden Indiens trifft Regisseurin und Reporterin Dörthe Eickelberg auf Aneesha und ihre Freundinnen. Die Jugendlichen aus Mangalore sorgen in ihrem Land, in dem sich die meisten Menschen vor dem Ozean fürchten für Aufregung: Als Teil der ersten indischen Frauengeneration im Surfen möchten sie Profi-Sportlerinnen werden. Doch Mädchen in kurzen Shorts und mit sonnengebräunter Haut passen in Indien ebenso wenig in die patriarchal geprägten Rollenbilder wie Frauen, die unabhängig sind und ihre eigenen Ziele verfolgen. Rückhalt ist selbst in der eigenen Familie schwer zu finden: Aneeshas Vater war von Beginn an gegen die Surf-Ambitionen seiner Tochter. Weil er nicht wollte, dass seine Frau das Haus verlässt, um sie zum Training oder zu Wettkämpfen zu fahren, wurden die beiden Frauen von ihm verstoßen. Aneesha ist inzwischen in einem Surf-Ashram untergekommen. Ihre Mutter unterstützt sie weiterhin, denn sie hat versprochen nicht zuzulassen, dass ihre Tochter diskriminiert wird, nur weil sie ein Mädchen ist. So ist sie auch dabei, als sich die jungen Surferinnen einmal quer durchs Land auf den Weg nach Chennai zur den wichtigsten indischen Surf-Meisterschaften machen. Doch auch dort schlagen ihnen Wellen der Benachteiligung entgegen: Ungleiche Wettkampfbedingungen gegenüber ihren männlichen Kollegen zeigen, dass auch die Surfszene eine von Männern dominierte und geregelte Welt ist. Doch Aneesha hält das nicht auf: Für sie ist Surfen ein spirituelles Gefühl. Sie mag die Verbundenheit mit der Natur und wird weiterhin nach den besten Wellen suchen. Denn für sie und ihre Freundinnen steht fest: Der Weg zum Surf-Profi ist zugleich der Weg zu mehr Gleichberechtigung.
Indien
Indien ist ein Staat in Südasien und die bevölkerungsreichste Demokratie der Erde. Mit bereits 1,3 Milliarden Menschen (Stand: 2018) wird das Land in den nächsten Jahren das bislang bevölkerungsreichste Land der Welt China einholen. Als eine der führenden Wirtschaftsmächte Asiens zählt Indien zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Doch von dem Boom profitiert nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung. Zwei Drittel der InderInnen leben noch in ärmlichen Verhältnissen auf dem Land oder in den Slums der großen Städte. Diskriminierung und Unterdrückung durch das Kastensystem sowie die Gewalt gegen Mädchen und Frauen zählen nach wie vor zu den großen sozialen Problemen des Landes. Sprachlich, kulturell und religiös zeichnet sich Indien durch eine große Vielfalt aus, die im gesellschaftlichen Zusammenhalt gelebt wird.
Obwohl Indien an seinen Landesgrenzen mehr als 7.000km Küste aufweisen kann, ist Surfen in dem südasiatischen Land ein recht neu entdeckter Sport und nicht sehr bekannt. Ein Grund für die geringe Verbreitung des Wellenreitens ist, dass viele InderInnen Angst vor dem Wasser und den Wellen haben. Der Ozean gilt in Indien als gefährlich. Viele Menschen können nicht schwimmen. Die indische Surfszene ist entsprechend sehr überschaubar, die Gründung der ersten Surfschule außerhalb eines Ashrams liegt gerade einmal gut zehn Jahre zurück. Neben Surfkursen bieten Surf Clubs beispielsweise auch kostenlosen Schwimmunterricht für Kinder und Erwachsene an.
Diskriminierung von Mädchen und Frauen in Indien
Die Ungleichheit der Geschlechter ist in Indien tief verwurzelt und u.a. auf die starke Familienkultur zurückzuführen, die die Erfüllung traditioneller Rollenmuster von Mann und Frau erwartet. In den patriarchal geprägten Gesellschaftsstrukturen Indiens werden Mädchen noch immer als Last und minderwertig empfunden. Die Tradition der hohen Mitgift bei der Verheiratung der Mädchen und Frauen hält sich beharrlich. Viele Familien können sich die Zahlungen nicht leisten. Jährlich werden daher schätzungsweise drei bis vier Millionen weibliche Föten abgetrieben. Frauen sind dadurch in Indien bereits in der Minderheit, besonders bemerkbar macht sich die männliche Dominanz in ländlichen und stark patriarchal geprägten Regionen. Die Diskriminierung der Mädchen und Frauen wird auch an anderen Stellen sichtbar: Zwangsheirat, Ausbeutung und sexueller Missbrauch gehören dazu. Indien ist noch immer eines der Länder mit den höchsten Vergewaltigungsraten. Auch im Bildungsbereich sind Benachteiligungen sichtbar. Die Einschulungsquote bei Mädchen liegt deutlich unter der der Jungen, die Alphabetisierungsrate ist bei Männern vergleichsweise höher. Auch wenn in den letzten Jahren im Zuge verschiedener Diskriminierungsfälle vergleichsweise offene Debatten geführt wurden und es bspw. zu einer Verschärfung des Sexualstrafrecht kam, ist die Unterdrückung der Mädchen und Frauen in Indien in vielen Bereichen nach wie vor ein Problem.
Diskriminierung von Frauen im Surfsport – ungleiche Wettkampfbedingungen
Als Aneesha und ihre beiden Freundinnen an den Surfmeisterschaften in Chennai teilnehmen, heißt es plötzlich, dass der Wettkampf der Frauen vorgezogen wird. Grund dafür ist der abnehmende Wellengang. Die Situation, die hier geschildert wird, ist exemplarisch für viele Surfwettkämpfe weltweit. Immer wieder müssen Frauen bei ungleich schlechteren Startbedingungen in den Wettkampf gehen. Lange Zeit wurden Frauen auf Surfbrettern in der Surfszene nicht ernst genommen; noch immer haben sie es schwer, als gleichwertige Wettkampfteilnehmerinnen anerkannt zu werden. Ungleiche Wettkampfbedingungen zeigen sich auch an anderen Stellen: Die Regeln, nach denen bewertet wird, wurden ausschließlich von Männern aufgestellt; in allen Leistungsniveaus sind die Jurys in der Regel rein männlich besetzt; Männer verdienen im Profisport vier Mal so viel wie Frauen; Frauen erhalten im gleichen Wettbewerb manchmal nur ein Drittel des Preisgeldes der Männer. Veränderungen scheinen nur schwer möglich, u.a. auch, solange die großen Surfsportmarken die Deutungshoheit über die Inszenierung der Rollenbilder besitzen und Bilder reproduzieren, die Frauen nicht gleichwertig betrachten. Kleine Veränderungen sind dennoch zu sehen: Die World Surf League, die die weltweite Championship-Tour im Surfen organisiert, hat sich aufgrund jüngster Proteste dazu verpflichtet, ab 2019 für Frauen und Männer Preisgelder in der gleichen Höhe zu bezahlen. Bei den olympischen Sommerspielen 2020 in Tokyo wird Surfen zum ersten Mal olympisch. 20 Männer und 20 Frauen werden jeweils untereinander antreten. Auch wenn die Aufnahme des Surfens ins olympische Programm von einigen SurfsportlerInnen kritisch betrachtet wird, wird zu beobachten sein, inwiefern dadurch möglicherweise strukturelle Entwicklungen angestoßen werden können. So könnte die Diskussion um die grundsätzliche Vergleichbarkeit der sportlichen Leistungen der AthletInnen, die naturgemäß auf unterschiedlichen Wellen reiten, die Wettkampfbedingungen im Allgemeinen und damit auch hinsichtlich der Gleichberechtigung zwischen Sportlern und Sportlerinnen hinterfragen.
Impulsfragen:
- Wen begleitet die Filmemacherin Dörthe Eickelberg in dieser Folge? Wo und wie lebt Aneesha?
- Welche Bedeutung hat das Surfen für sie? Welche Ziele verfolgt sie im Surfsport?
- Welche Bedeutung hat das Meer in Indien? Warum ist der Surfsport dort nicht so weit verbreitet?
- Was stört wen in ihrem Land/ihrer Kultur daran, dass Aneesha und ihre Freundinnen surfen? Warum verstoßen sie gegen die Konventionen, wenn sie surfen? Was riskieren sie damit?
- Wer unterstützt Aneesha? Wie steht ihre Familie zu dem Sport? Warum werden sie und ihre Mutter aus der Familie verstoßen? Wie und wo leben sie jetzt?
- Warum ist häusliche Gewalt und Diskriminierung der Frauen in Indien ein so großes Problem? Inwiefern sind Aneesha und ihre Mutter davon betroffen?
- Wie und warum werden Surferinnen auch innerhalb der Surf-Szene diskriminiert? Welche Beispiele für Benachteiligungen werden im Film benannt?
- Wie reagiert Aneesha auf die Diskriminierungen in der Gesellschaft und in der Surfszene, die sie erfährt? Welche Entscheidungen trifft sie?
- Wie glaubst du, würdest du reagieren, wenn du an ihrer Stelle wärst?
- Für Aneesha ist der Weg zum Surf-Profi zugleich der Weg zu mehr Gleichberechtigung. Was glaubst du, kann sie verändern, dadurch dass sie auch entgegen der Konventionen am Surfen festhält?
SUTHU AUS DURBAN/SÜDAFRIKA
Inhalt
In Durban, an der südafrikanischen Ostküste, lebt die erste schwarze Surferin Südafrikas: Suthu ist fast 30 Jahre alt, studiert Ingenieurwesen und liebt eine Frau. Mit dem Surfbrett im Wasser bricht sie in ihrem Land gleich auf mehreren Ebenen mit den Konventionen. Tradition und Kultur sehen für schwarze Frauen in ihrem Alter Heiraten und Kinderkriegen vor. Eine Frau ohne Ehemann und Familie, die noch dazu einen „weißen“ Sport ausübt, eckt da unweigerlich an. Da bedarf es jeder Menge Selbstbewusstsein. Denn auch, wenn Suthu sich selbst als angstfrei bezeichnet und sie niemand konkret vom Surfen abhält, spürt sie, dass sie dem Druck der gesellschaftskulturellen Konventionen standhalten, sich rechtfertigen muss. An anderer Stelle kann das offensichtliche Brechen mit Verhaltensnormen für sie jedoch auch gefährlich werden: In ihrem schwarzen Township müssen Suthu und ihre Freundin Norma Zurückhaltung im Zeigen von Zuneigung üben. Gewalt gegen homosexuelle Frauen ist ein großes Problem. Selbst gegenüber ihren Eltern ist Suthu in dieser Hinsicht vorsichtig – zwar nicht aus Angst, aber aus Respekt der Familie gegenüber. Aber wenn es um das Surfen geht, kann sie auf die volle Unterstützung ihrer Eltern zählen. Sie bestärken Suthu darin, an ihrem Sport festzuhalten und raten ihr, sich mit anderen zu verbünden – obwohl oder gerade, weil sie von der schwarzen Community dafür kritisiert werden, dass sie ihre Tochter einen „weißen“ Sport ausüben lassen; obwohl oder gerade, weil Suthu als schwarze Frau eine Karriere als Profi-Surferin verwehrt blieb. Doch für Suthu und ihre Eltern ist das Grund genug, weiter zu machen, um für sich selbst und alle, die für das System „anders“ sind, Türen zu öffnen. Denn Suthu hat sich längst entschieden: Sie wird so anders bleiben, wie sie ist.
Südafrika
Die Republik Südafrika liegt im südlichen Afrika und ist das wirtschaftlich am weitesten entwickelte Land des Kontinents. Als einziges afrikanisches Land gehört Südafrika zu den weltweit wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20). Über 40 Jahre lang war Südafrika durch die Rassentrennungspolitik der weißen, europäisch-stämmigen Bevölkerungsgruppe geprägt (1948-1990). Mit den ersten allgemeinen und freien Wahlen im Jahr 1994 und der Ernennung Nelson Mandelas zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas wurde die Basis zur Überwindung der rassistischen Unterdrückung geschaffen und ein Prozess der Aufarbeitung der Verbrechen während der Apartheid eingeleitet. Obwohl das Ende der Apartheid über 25 Jahre zurückliegt, sind die Folgen jedoch in der Gesellschaft weiterhin sicht- und spürbar. Die Bevölkerungsgruppen leben an vielen Stellen noch immer in getrennten Wohngebieten; das große Ungleichgewicht in der Einkommensverteilung und die wirtschaftlich miserable Situation für die Bevölkerungsmehrheit der Schwarzen sind nur einige Beispiele dafür. Südafrika wird als das ungleichste Land der Welt bezeichnet. Die hohe Arbeitslosigkeit, die massiven sozial-ökonomischen Probleme und die Kritik an der korrupten Regierung unter Präsident Zuma, der 2018 zurückgetreten ist, beförderten die Kriminalität im Land und führten in den letzten Jahren immer wieder auch zu gewaltsamen Protestaktionen.
Südafrikanische Surfspots zählen aufgrund der beständigen Wellen mit zu den besten Surfregionen der Welt. Beliebt ist das Land für SurferInnen auch, weil man an vielen Stellen das ganze Jahr über surfen kann. Wellenreiten ist entsprechend weit verbreitet. Während den Jahren der Apartheid war die Ausübung des Sports für die schwarze Bevölkerung nur eingeschränkt möglich. Stadtnahe Strände waren der weißen Bevölkerung vorbehalten. Strände, die Schwarze besuchen durften, lagen oft weit außerhalb, der Wellengang war dort zum Surfen meist schlechter. Auch wenn die Trennung von „Whites only“-Stränden mit dem Ende der Apartheid aufgehoben wurde, werden noch heute verschiedene Strandabschnitte jeweils mehrheitlich von der weißen respektive der schwarzen Bevölkerung besucht. Die südafrikanische Surfindustrie selbst ist nach wie vor in der Hand von Weißen. Obwohl bereits einzelne schwarze SurferInnen internationale Erfolge für Südafrika errungen haben, müssen schwarze SurferInnen vergleichsweise deutlich härter kämpfen, um eine sportliche Karriere einschlagen zu können.
Homosexualität in Südafrika
Südafrika nimmt im internationalen Vergleich hinsichtlich der gesetzlichen Verankerung der Rechte von Homosexuellen eine Vorreiterrolle ein. Die südafrikanische Verfassung ist weltweit die erste Verfassung, die 1996 die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verbot. Darüber hinaus hat Südafrika 2006 als fünftes Land der Welt die Ehe für alle eingeführt. Gleichgeschlechtliche Paare dürfen seither in ziviler Partnerschaft oder kirchlicher Ehe heiraten und leben. Die Erfolge bei der verfassungsrechtlichen Verankerung der Gleichberechtigung Homosexueller in Südafrika ist auf die engagierte Arbeit eines Netzwerks aus zahlreichen LGBT-Organisationen zurückzuführen, die sich seit dem Ende der Apartheid entschieden gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben und für die rechtliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe eingesetzt haben. Während der Apartheid war Homosexualität verboten. Homosexuellen konnte aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bis zu sieben Jahren Haft verhängt werden.
Die im afrikanischen wie weltweiten Vergleich fortschrittliche Gesetzeslage spiegelt sich jedoch in der gesellschaftlichen Realität in Südafrika nicht wider: Was gesetzlich festgehalten ist, wird nicht unbedingt gesellschaftlich gelebt. Stark konservative, patriarchalisch geprägte und homophobe Gesellschaftsstrukturen prägen v.a. im ländlichen Raum an vielen Stellen den Alltag. Homosexualität ist noch immer ein Tabu. Wie Suthu erzählt, kommt es neben Verbalattacken und Beleidigungen auch immer wieder zu sexuellem Missbrauch gegenüber homosexuell lebenden Menschen. Vor allem lesbische Frauen sind davon betroffen. Mit sogenannten „Korrekturvergewaltigungen“ versuchen Männer homosexuelle Frauen „heterosexuell zu machen“. Für viele Männer stellen lesbische Frauen eine Gefahr für die männliche Autorität dar, da sie sich in ihren Augen aufgrund der sexuellen Ausrichtung der männlichen Kontrolle entziehen.
Ethnische Diskriminierung im Surfsport – Ungleiche Chancen für schwarze SurferInnen
Obwohl das Wellenreiten seinen Ursprung in der polynesischen Südsee fand und sich auf Hawaii zu einem Nationalsport entwickelte, der von Frauen und Männern aller Altersgruppen und Klassen gleichermaßen praktiziert wurde, hat sich das Surfen im 20. Jahrhundert zu einem von weißen, jungen, reichen, heterosexuellen Männern dominierten Sport entwickelt. Diese Dominanz hält sich beharrlich. Immer wieder wurden und werden Rassismus-Vorwürfe laut. Es wird berichtet, dass ethnische oder nationale Gruppe keinen Platz im Lineup bekommen (als Lineup wird beim Surfen der Punkt bezeichnet, hinter dem keine Wellen mehr brechen. Um Wellen surfen zu können, muss man hinter die Brechungslinie, das heißt, ins Lineup gelangen), dass SurferInnen beleidigt werden oder versucht wird, ihnen bereits den Zugang zu einem Strand zu erschweren oder zu verweigern. Die Wellen scheinen einige wenige unter sich aufzuteilen. Das Rassismus-Problem des Surfsports wird immer wieder auch von aktiven SportlerInnen angesprochen. So beispielsweise vom brasilianischen Surfer Gabriel Medina, der 2014 zum ersten Mal die Weltmeisterschaften gewann und damals die Dominanz der weißen, englischsprachigen Sportler aus den USA und Australien brach. Nach wie vor scheint sich jedoch rassistisches Verhalten in der Szene beharrlich zu halten. So wie Suthu geht es auch anderen nicht weißen SurferInnen, für die es nach wie vor schwer ist, zu Surfwettbewerben eingeladen zu werden oder an Sponsoren zu kommen. Schwarze, noch dazu Frauen, repräsentieren nicht das gängige Bild des von weißen Männern dominierten Sports und lassen sich medial in der Surfindustrie nicht vermarkten.
Impulsfragen:
- Wen begleitet die Filmemacherin Dörthe Eickelberg in dieser Folge? Wo und wie lebt Suthu?
- Welche Bedeutung hat das Surfen für Suthu? Was möchte sie im Surfsport erreichen?
- Welche Bedeutung hat der Surfsport in Südafrika? Welche Rolle spielte der Surfsport zur Zeit der Apartheid? Was hat sich seit dem Ende der Apartheid verändert?
- Was stört wen in ihrem Land/ihrer Kultur daran, dass Suthu surft? Warum verstößt sie gegen die Konventionen, wenn sie surft? Welche Auswirkungen hat der Bruch mit den Konventionen für sie?
- Ist es für Suthu schwieriger, dass sie eine Frau ist, die surft oder dass sie als Schwarze surft?
- Warum ist es für Suthu gefährlich, in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie eine Frau liebt? Wie geht die südafrikanische Gesellschaft mit Homosexualität um?
- Warum ist es für schwarze SurferInnen in Südafrika nach wie vor schwieriger, eine Karriere als Surf-Profi einzuschlagen?
- Wer unterstützt Suthu? Wie steht ihre Familie zu dem Sport? Wie wird sie von anderen SurferInnen wahrgenommen?
- Warum kostet es viel Kraft, entgegen der gesellschaftlichen Konventionen zu leben? Wie reagiert Suthu auf die Benachteiligungen und Diskriminierungen, die sie erfährt?
- Wie würdest du reagieren, wenn du an ihrer Stelle wärst?
- Glaubst du, dass Suthu auch noch in zehn Jahren surfen wird? Was glaubst du, kann sie verändern, dadurch dass sie auch entgegen der Konventionen am Surfen festhält?
Autorin: Lisa Haußmann
Redaktion: Bernd Wolpert
Juli/2019