Arbeitshilfe

Geheime Werkstätten

Talleres clandestinos
Kurzspielfilm von Catalina Molina
Österreich, Argentinien 2010, 40 Minuten, OmU

Inhalt

„Kannst du nähen?“ fragt der Vermittler und lässt sich von den Frauen und Männern auf einem Busbahnhof in der Dunkelheit irgendwo in Bolivien kleine Arbeitsproben zeigen. Alle hoffen auf einen Job in den Textil-Werkstätten im Nachbarland Argentinien. Auch Juana wartet mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn. Sie bekommt die Arbeit, muss jedoch ihre Familie zurücklassen, denn Kleinkinder dürfen nicht mitreisen. Nach einer überstürzten Verabschiedung lernt sie auf der Busfahrt nach Buenos Aires den sanften Juan kennen.
Und dann surren in der informellen Hinterhofschneiderei auch schon die Nähmaschinen. Im Radio dröhnt „Radio Panamericana – der Sender für Bolivianer in Argentinien“. Die Musik und die Stimmen aus der Heimat sollen die Näher/innen bei Laune halten, vor allem aber ist es Chef Ramón wichtig, dass der Lärm der nonstop ratternden Maschinen nicht auf die Straßen dringt. Die Belegschaft schuftet an einem langen Tisch, Kinder sortieren die fertigen Kleidungsstücke und wer zur Toilette möchte, muss Señora Estér, die Chefin, um Erlaubnis fragen. Auch sie sitzt an der Maschine und produziert im Akkord schicke Kinderkleider und Hemden. Der Druck für das Paar, das die Klitsche betreibt, ist groß: Die Lieferfristen sind kurz und die bestellten Mengen für den Kleinbetrieb kaum zu schaffen. Von früh morgens bis spät in die Nacht wird gearbeitet, die Näher/innen schlafen in Stockbetten in einem winzigen Raum, der nur durch einen Vorhang von der Werkstatt abgetrennt ist. Morgens erscheint Estér zum Wecken, es gibt eine Tasse Kaffee, zehn Minuten nach dem Aufstehen sitzen alle wieder an den Maschinen.
Juan mag Juana sehr. Er erzählt ihr, dass dort, wo sein Cousin arbeite, fast das Doppelte pro Stück bezahlt werde. „Ich dachte...du und ich...wir könnten gemeinsam hingehen, Geld sparen und...“, schlägt er vor und küsst sie. Auch Ramón hat ein Auge auf Juana geworfen und erlaubt ihr, kurz zu Hause anzurufen. Juana erfährt, dass ihr Sohn krank ist und sagt ihrem Chef, dass sie zurück nach Bolivien müsse. Ramón zeigt dafür kein Verständnis und lässt sie nicht gehen. Sie seien mitten in einem großen Auftrag und es sei teuer gewesen, Juana nach Buenos Aires zu holen. Auch der verliebte Juan versucht Juana davon zu überzeugen, dass sie bleibt: „Es nützt niemand, wenn du jetzt gehst. Denk daran, wer das Spital bezahlen soll.“ Juanas letzte Hoffnung ist Estér. Auch die Chefin zögert und will Juana als Arbeitskraft nicht verlieren. Doch ihr Interesse daran, dass die junge Bolivianerin nicht weiter in der Nähe ihres Mannes bleibt, überwiegt. Nach einen Fest, früh morgens, als alle noch schlafen, öffnet sie das Tor und begleitet die Näherin zum Busbahnhof. Ihre Hilfe zur Flucht ist nicht umsonst, Estér behauptet, Juana schulde ihr für die Fahrkarte und die Verpflegung viel Geld. Juana will nicht zurück in die Werkstatt, händigt Estér ihre Ersparnisse aus und verlässt das Land.

Würdigung und Kritik

"Talleres clandestinos" ist ein sehr ruhiger und atmosphärischer Film, dessen erzählerischer Faden sich auf den inneren Konflikt der Protagonistin konzentriert. Fast beiläufig blickt er über deren persönliches Schicksal hinaus und skizziert präzise den monotonen, scheinbar zeitlosen Alltag und die miserablen Arbeitsbedingungen in der informellen Textilwerkstatt. Die Kamera beobachtet Juana und die anderen Näher/innen mit detaillierten, eindrucksvollen Aufnahmen beim Arbeiten, Essen und Schlafen. Die minimalistische Inszenierung und die äußerst sparsam eingesetzten Dialoge verstärken den Realismus und die beklemmende Wirkung der Aufnahmen. Lapidare Sätze begleiten das stetige Surren und Rattern der Nähmaschinen, das sich mit den Klängen von Radio Panamericana vermischt und als akustisches Symbol für die Ausbeutung und die Eintönigkeit des nicht enden wollenden Arbeitstages steht. Dabei vermeidet die Filmemacherin Klischees, denn auch das verhärmte Betreiberpaar ist gefangen im System der globalen Textilindustrie, die in immer kürzeren Abständen neue Kollektionen auf den Markt wirft.

„Die Story beruht auf Tatsachen, die ich recherchiert habe“, sagt die Filmemacherin Catalina Molina. Bei der ästhetischen Entwicklung des Filmes sei ihr Realismus sehr wichtig gewesen. Beim Casting mit professionellen SchaupielerInnen habe sie das Charisma der Näher/innen vermisst, die ihr zur Vorbereitung des Filmes ihre Lebensgeschichten erzählt hatten. Für "Talleres clandestinos" engagierte sie deshalb Laien, die die Ausbeutung und das Elend in den Betrieben in Argentinien selbst erlebt hatten. Molina war noch an der Filmhochschule, als sie ihren leisen, beeindruckenden dokumentarischen Spielfilm drehte – lange bevor die Medien begannen, die menschenunwürdigen Verhältnisse in den Sweatshops anzuprangern, nachdem in Bangladesch 2013 ein großes Fabrikgebäude einstürzte und mehr als 1.100 Arbeiter/innen starben und rund 2.000 teilweise schwer verletzt wurden.

Auch das Ende des Filmes ist leise. Juana reist ohne Geld zu ihrer Familie zurück. In der Werkstatt wird weiter produziert, alles läuft wie immer. "Talleres clandestinos" fragt weder direkt nach der sozialen Verantwortung von Unternehmen bei der Garantie menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in ihren Zuliefererbetrieben noch nach der Bezahlung von existenzsichernden Löhnen. Die Stärke des mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichneten Filmes liegt in der Art und Weise, in der er die Näher/innen beobachtet und sichtbar macht. Damit weckt er Emotionen und regt zum Nachdenken an. Unausgesprochen fordert die Regisseurin das Publikum auf, sich darüber zu informieren, wo und unter welchen Bedingungen Textilien hergestellt werden. Und sie motiviert, den eigenen Kleiderkonsum zu hinterfragen.

Die Filmmacherin Catalina Molina

Catalina Molina lebt und arbeitet als Regisseurin in Österreich. Die 1984 in Buenos Aires geborene Filmemacherin migrierte als Kind mit ihren Eltern in die Steiermark. An der Wiener Filmakademie studierte sie Regie bei Michael Haneke und Drehbuch bei Walter Wippersberg, an der Filmuniversität ENERC in Buenos Aires absolvierte sie ein Austauschjahr. „Ich wähle eher soziale und politische Themen für meine Filme, darin suche ich die kleinen Geschichten heraus, die ich in einen größeren Kontext setze. Wichtig ist mir, dass meine Filme berühren", charakterisiert Molina ihre Arbeiten.
„Talleres Clandestinos“ wurde 2010 in der Kategorie Filmhochschule mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichnet. Mit "Unser Lied" gewann Catalina Molina 2013 den Österreichischen Filmpreis in der Kategorie Bester Kurzfilm.

Filmografie

2004: Das Waisenhaus
2007: Zeitfeld
2010: Geheime Werkstätten (Talleres Clandestinos)
2012: Unser Lied
2012: Florida
2014: Hinter der Tür

Hintergrund-Informationen

Plurinationaler Staat Bolivien

Der südamerikanische Binnenstaat grenzt im Westen an Peru und Chile, im Süden an Argentinien und Paraguay, im Osten und Norden an Brasilien. Mit einer Fläche von rund 1,1 Millionen km² ist der plurinationale Staat Bolivien etwa drei Mal so groß wie Deutschland. Von den rund zehn Millionen Einwohner/innen rechnen sich über 62 Prozent den 36 indigenen Völkern zu. Die vor allem im westlichen Hochland der Anden lebenden Quechua und Aymara sind die größten Völker.

Seit 2006 regiert Evo Morales Ayma mit der "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) als erster indigener Präsidenten das Land. Die durch ein Referendum 2009 verabschiedete neue Verfassung soll der indigenen Bevölkerung umfassende Rechte garantieren und endgültig mit der Jahrhunderte währenden Unterdrückung durch Weiße und Mestizen brechen. Bolivien definiert sich als „plurinationaler, interkultureller und dezentraler“ Staat mit 36 anerkannten Sprachen. Indigene Justiz und Selbstverwaltung sind anerkannt, kollektive Formen des Besitzes müssen respektiert werden. Grundlage der neuen Verfassung ist auch das Konzept des „Vivir bien“, des Guten Lebens, das dem gängigen Wachstumsparadigma eine Entwicklung im Einklang mit der Natur entgegen stellt. Inwieweit sich das „Gute Leben“ mit der Abhängigkeit des Landes von der Ausbeutung und dem Export seiner Bodenschätze vereinbaren lässt, ist umstritten.

Evo Morales hat seine Popularität auch dem kräftigen Wirtschaftswachstum der letzten Jahre und den Sozialprogrammen zu verdanken. Gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit ließ er die Gas- und Ölindustrie verstaatlichen. Das brachte Devisen in die Staatskasse und trug dazu bei, die Armut deutlich zu senken. Neben Erdgas, Erdöl, Wasser und Holz verfügt Bolivien über mineralische Rohstoffe wie Lithium, Kalium, Silber, Gold, Zink, Wolfram und Blei, die auf dem Weltmarkt stark nachgefragt sind. Trotz des Reichtums an natürlichen Ressourcen ist der Andenstaat eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Rund drei Millionen Bolivianer/innen leben im Ausland, viele dieser Migrant/innen arbeiten in Brasilien und Argentinien.

Textilwerkstätten in Argentinien

Nach dem Staatsbankrott und der Abwertung des argentinischen Pesos im Jahr 2002  setzte die Textilbranche anstatt auf Importe vermehrt auf Produktion im eigenen Land. Der Industriezweig ist im Aufschwung und wird von der Regierung über Schutzzölle gefördert. Doch rund 80 Prozent der in Argentinien gefertigten Kleidungsstücke werden über informelle Arbeit in illegalen Produktionsstätten hergestellt. Diese rückten ins Licht der Öffentlichkeit, als 2006 in Buenos Aires bei einem Brand sechs Menschen, darunter vier Jugendliche starben. Alle Opfer kamen aus Bolivien. Ende April 2015 kamen erneut zwei bolivianische Kinder im Alter von sieben und zehn Jahren ums Leben, als im Stadtteil Flores eine versteckte Produktionsstätte in Brand geriet und das Feuer auf das ganze Gebäude übergriff. Die Kinder lebten im Keller, zusammen mit ihren Eltern, die in der Näherei arbeiteten.

Nach Angaben der argentinischen Nichtregierungsorganisation „La Alameda“ war das Gebäude bereits 2014 den Behörden als illegale Textilfabrik gemeldet worden. Den Anzeigen wurde jedoch nie nachgegangen. Die Organisation schätzt, dass allein im Großraum Buenos Aires rund 3.000 illegale Klein-Fabriken existieren. Die Arbeitsbedingungen in den so genannten „Sweatshops“ sind miserabel. Oft verbringen die Näher/innen eingesperrt 16-18 Stunden täglich an den Maschinen und müssen in mit Karton und Stoff abgetrennten Verschlägen oder Kellern unter miserablen hygienischen Bedingungen hausen. Mangelerkrankungen, Tuberkulose und Lungenentzündungen sind die Folge. Vor allem Migrant/innen aus Peru, Bolivien und Paraguay sind betroffen. Sie kommen häufig über Mittelspersonen, die ihnen die Reisedokumente besorgen und das Geld für das Busticket vorstrecken, so dass sie sich oft schon verschulden, bevor sie die schlecht bezahlte Arbeit antreten.

Viele der Nähereien werden von kriminellen Netzwerken betrieben und beschäftigen auch Kinder. Organisierte Banden kaufen, mieten oder besetzen Häuser und nutzen sie als Werkstätten und notdürftige Unterkünfte für die Arbeiter/innen. Die Ware wird entweder für den Straßenhandel produziert oder auf einem der über 40.000 Stände in „La Salada“, dem größten informellen Markt Argentiniens, vielleicht sogar ganz Südamerikas, verkauft.

Nichtregierungsorganisationen schätzen die Anzahl der informellen Arbeiter/innen in den Textilfabriken im ganzen Land auf 300.000 bis 450.000 Personen. Ezequiel Conde, ein Gewerkschaftsvertreter der Textilkooperative Soho, kritisiert: „Die Gewinnmarge dieser Fabriken ist enorm. Die Arbeiter werden nach Stücklohn bezahlt. Das ist in den Vereinbarungen der Branche streng verboten, weil dann die Löhne miserabel sind.“ Laut „La Alameda“ verdienen die Arbeiter/innen in den illegalen Produktionsstätten monatlich etwa 3.000 Pesos (rund 300 Euro), der Lohn von Beschäftigten mit regulären Verträgen liege bei mindestens 7.000 Pesos, dazu kämen noch Sonderzahlungen.

Rechte für Menschen, Pflichten für Unternehmen

In Europa stehen vor allem die katastrophalen Bedingungen, unter denen in asiatischen Ländern Kleidung hergestellt wird, in der Kritik. Nach Fabrikbränden in Pakistan und Bangladesch im Jahr 2012 sowie dem Einsturz des neungeschossigen Rana-Plaza- Komplexes in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka im April 2013 gerieten sie verstärkt in die Schlagzeilen. Auch zahlreiche europäische Firmen hatten in dem Gebäude Kleidungsstücke nähen lassen. Die Unglücke waren keine Einzelfälle. Tausende Menschen kamen in den letzten Jahren ums Leben oder erlitten schwere Verletzungen, weil Fabrikbesitzer die Sicherheitsvorschriften nicht einhielten. In den Nähereien fehlen Rauchmelder und Feuerlöscher, Notausgänge sind abgeschlossen und Fenster vergittert. Zur Missachtung elementarer Brandschutzvorkehrungen kommen die miserable Bezahlung und fehlende vertragliche soziale Sicherheiten wie Krankenversicherung, Urlaubsanspruch, Rente oder Mutterschutz. Es sind vor allem junge Frauen, die dort für international bekannte Markenfirmen und deren Kund/innen in den Industrieländern schuften. Die Zulieferer stehen unter immensem Druck, denn die Konkurrenz auf dem Markt ist groß und die Konzerne diktieren niedrige Einkaufspreise sowie kurze Lieferzeiten. In vielen Produktionsländern werden Beschäftigte massiv eingeschüchtert und entlassen, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren.

Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften haben sich in der Kampagne für Saubere Kleidung – Clean Clothes Campaign (CCC) zusammen geschlossen und setzen sich seit Jahren für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und den Schutz der Menschenrechte in der weltweiten Bekleidungsindustrie ein. Das Netzwerk kritisiert, dass Unternehmen häufig ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkämen. Freiwillige Kontrollen und Selbstverpflichtungen von Unternehmen haben in den vergangenen Jahren kaum Verbesserungen erzielt.

Expert/innen wie die FEMNET-Vorstandsfrau Gisela Burckhardt fordern deshalb eine gesetzliche Festschreibung von menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten für Unternehmen sowie die Einführung einer Unternehmenshaftung im Falle der Verletzung dieser Pflichten. Orientierung bieten dabei die vom UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2011 verabschiedeten Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Der dort festgelegte Standard umfasst drei Säulen: Erstens die staatliche Schutzpflicht, die Menschenrechte gegen Übergriffe beispielsweise von Unternehmen zu schützen; zweitens die Verantwortung von Unternehmen, Vorsorge zu treffen, damit in ihrer Lieferkette keine Arbeitsrechte verletzt werden und drittens die Wiedergutmachung und Entschädigung für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

Die Einzahlungen von Unternehmen in den Entschädigungsfonds für die Opfer des Rana-Plaza-Unglücks verliefen schleppend. Bernd Hinzmann vom entwicklungspolitischen INKOTA-Netzwerk fordert deshalb: „Wir müssen sicherstellen, dass es verbindliche Instrumentarien gibt, dass Entschädigungen, Haftung und Sorgfalt von Firmen und Händlern in Zukunft selbstverständlich sind – und nicht erst dann einsetzen, wenn öffentlicher Druck es unmöglich macht, weiter untätig zu bleiben“.

Mit den UN-Leitprinzipien wurde erstmals ein globaler Rahmen für die Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht und der unternehmerischen Verantwortung in Bezug auf Wirtschaft und Menschenrechte geschaffen. Dieses Rahmenwerk muss nun in nationale Regeln übersetzt und übertragen werden. Das verläuft schleppend, auch die Bundesregierung hat erst für 2016 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Leitprinzipien angekündigt.

Bündnis für nachhaltige Textilien

Nach der Rana-Plaza-Katastrophe wurden verstärkt Forderungen nach gesetzlichen Regelungen für die Produktion deutscher Firmen im Ausland laut. Statt eines Gesetzes brachte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller im April 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien auf den Weg. Die Idee: Unternehmen und Verbände sollen beitreten und sich freiwillig verpflichten, auf die Einhaltung öko-sozialer Mindeststandards und Bezahlung existenzsichernder Löhne in der globalen Lieferkette hinzuarbeiten - vom Baumwollanbau bis zur Herstellung von Kleiderbügeln. „Wir wollen keine Kleidung tragen, bei deren Herstellung die Menschenrechte mit Füßen getreten und Menschen ausgebeutet und vergiftet werden. Wir brauchen weltweit menschenwürdige Arbeit!“, so der Minister. Die Initiative orientiert sich an weltweit anerkannten Standards wie den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Der Start des ambitionierte Vorhabens war jedoch ernüchternd, denn die meisten Konzerne und die Handelsverbände sagten ihre Mitwirkung ab. Die Anforderungen des Bündnisses wurden überarbeitet, im April 2015 einigte man sich auf einen gemeinsamen Aktionsplan. Inzwischen zählt das Bündnis 133 Mitglieder (Stand: Juli 2015), neben den großen Verbänden haben auch Unternehmen wie KiK, ALDI und Adidas ihren Beitritt erklärt. Expert/innen bemängeln, dass die Textillobby die Ziele des Bündnisses durch langwierige Verhandlungsrunden nach unten geschraubt habe. So sah Minister Müllers Konzept ursprünglich vor, dass bis 2020 alle schädlichen Chemikalien in der Textilproduktion aus dem Verkehr gezogen werden und Arbeitnehmer/innen bessere Löhne und Sozialleistungen erhalten. Im aktuellen Plan hingegen fehlt der verbindliche Zeitplan. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz warnt vor einer inhaltlichen Verwässerung. Die erhöhte Breitenwirkung des Bündnisses sei zwar erfreulich, dürfe aber nicht auf Kosten hoher Standards erreicht werden.

ILO-Kernarbeitsnormen

Die Internationale Arbeitsorganisation (deutsch IAO, international ILO) ist eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, die sich für die Rechte von Arbeitnehmer/innen einsetzt. Ihr Ziel ist die Durchsetzung weltweit geltender sozialer Mindeststandards. Sie sollen verhindern, dass sich einzelne Länder oder Unternehmen durch die Missachtung von Arbeitnehmerrechten Wettbewerbsvorteile verschaffen. Grundlegende Arbeitsrechte hat die ILO in acht Übereinkommen, den so genannten Kernarbeitsnormen, zusammen gefasst, die den Charakter von universellen Menschenrechten haben. Das sind:  Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Abschaffung der Zwangsarbeit,  Gleichheit des Entgelts, Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, Verbot von Kinderarbeit.

Ausreichender Lohn für ein Leben in Würde

Sowohl in asiatischen Ländern als auch in Lateinamerika oder Mazedonien klagen die Beschäftigten der Textilindustrie über einen zu geringen Verdienst. Zu Recht: Denn ein menschenwürdiger Lohn wäre in den meisten Fabriken 2-5 Mal so hoch wie der gesetzliche Mindestlohn. Dieser beträgt in Bangladesch rund 50 Euro im Monat und ist weit davon entfernt, den Näher/innen ein Leben in Würde zu garantieren. Er reicht nicht aus, um die Grundbedürfnisse abzudecken. Die Asian Floor Wage, eine in Indien gegründete Organisation, stellt regelmäßig Berechnungen über existenzsichernde Löhne in asiatischen Ländern an. Laut ihren Ermittlungen müsste der Existenzlohn in Bangladesch für eine vierköpfige Familie bei rund 250 Euro liegen.

Existenzsichernde Löhne, so genannte living wages, sollen alle Ausgaben abdecken, die ein/e Arbeiter/in und ihre Familienmitglieder für ein menschenwürdiges Leben benötigen. Dazu zählen die Kosten für Nahrung, Unterkunft, Bildung, Gesundheitsversorgung, Bekleidung, Kinderbetreuung, Fahrkosten sowie Geld, das für unerwartete Ereignisse zur Seite gelegt werden muss. Solch ein existenzsichernder Lohn sollte der Grundlohn sein, der in einer regulären Arbeitswoche mit maximal 48 Arbeitsstunden bezahlt wird, unabhängig von Lohnzulagen für Überstunden oder Bonuszahlungen.

Kleidung konsumieren – Ressourcen verbrauchen

Die Bekleidungsindustrie ist eine der wichtigsten Konsumgüterbranchen in Deutschland und stark von der Globalisierung der Märkte geprägt. Rund 90 Prozent der Bekleidung wird importiert, vor allem aus Bangladesch, China und der Türkei. Im Durchschnitt kauft hier jede/r jährlich zwischen 40-70 Kleidungsstücke und besitzt im Jahr 2015 viermal so viel Kleidung wie im Jahr 1980. Das meiste davon bleibt jedoch im Schrank, denn nur 40 Prozent dieses Kleiderberges wird überhaupt getragen.

Zu den Produktionsfaktoren von Kleidung zählen neben den Arbeitsbedingungen und  Löhnen auch die Belastung der Umwelt. Laut dem Statistischem Bundesamt verursachen Kleidung und Textilien in Deutschland pro Kopf jährlich 200 Kilogramm Kohlendioxid - Emissionen. Je nach Größe und Herstellungsprozess belastet ein T-Shirt die Umwelt mit fünf bis neun Kilogramm CO2. Doch bei der Produktion von Kleidung fallen nicht nur große CO2 - Mengen an, auch der Verbrauch natürlicher Ressourcen ist enorm. So müssen für die Herstellung eines T- Shirts 2.500 Liter und für die einer Jeans rund 8.000 Liter Wasser eingesetzt werden. Über 80 Prozent davon verbraucht die Herstellung der Baumwolle, mehr als die Hälfte davon fließt für die Bewässerung auf die Felder. Dramatische Folgen hat der Baumwollanbau beispielsweise für Usbekistan. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts wurde aus den Zuflüssen des Aralsees Wasser für die Bewässerung der Felder gepumpt. Ab den 1960er Jahren sank der Wasserspiegel. Das einst viertgrößte Binnengewässer der Erde ist heute in mehrere Teile zerfallen und droht, als Salzsteppe zu enden.

Textilsiegel: Soziale und ökologische Standards

Fair und ökologisch nachhaltig produzierte Kleidung ist ein Nischensegment, doch die Nachfrage wächst stetig. Einige Textilsiegel erleichtern die Orientierung beim Einkauf. Das Umweltsiegel GOTS steht für den Global Organic Textile Standard. Der Standard definiert strenge ökologische Anforderung entlang der Produktionskette. Das Siegel garantiert, dass das Produkt zu mindestens 90 Prozent aus Naturfasern hergestellt wurde, die zu 70 Prozent aus kontrollierter biologischer Landwirtschaft stammen. Als soziales Kriterium wird die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnorm gefordert, die Zahlung eines existenzsichernden Lohns gehört nicht zu den Verpflichtungen.

Die Fair Wear Foundation ist eine Initiative, in der Unternehmen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zusammen arbeiten. Die Organisation selbst zertifiziert keine Produkte, sondern überprüft die Einkaufspraxis ihrer Mitgliedsunternehmen anhand strenger Richtlinien. Sie fordert hohe soziale Standards bei der Weiterverarbeitung, im Fokus stehen die Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen und die Bezahlung von existenzsichernden Löhnen. Die Mitgliedsunternehmen veröffentlichen jährlich Berichte und müssen der Fair Wear Foundation eine Liste ihrer Zulieferer zur Verfügung stellen.

Das Siegel Fairtrade - Certified Cotton steht für faire Arbeitsbedingungen sowie langfristige Handelsbeziehungen bei der Baumwollproduktion und fördert den Umstieg auf biologischen Anbau. Die Standards für das Siegel werden von Fairtrade International (FLO), der Dachorganisation der Fairtrade-Organisationen, festgelegt, deren Einhaltung kontrolliert die Zertifizierungsgesellschaft FLO-CERT GmbH. Die Fairtrade-Standards gelten vor allem für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, denen ein Mindestpreis für Baumwolle bezahlt wird, um nachhaltige Produktion zu ermöglichen und Preisschwankungen auf dem Weltmarkt aufzufangen. Das Siegel deckt die Überprüfung fairer Arbeitsbedingungen bei der Baumwollproduktion ab, nicht aber bei der weiteren Verarbeitung. Ein existenzsichernder Lohn wird nicht gefordert.

Didaktische Hinweise

Die Textilproduktion ist Teil eines globalisierten Wirtschaftssystems und die im Film gezeigten Arbeits- und Produktionsbedingungen in der argentinischen Nähwerkstatt unterschieden sich kaum von denen in Bangladesch oder China. "Talleres clandestinos" ist ein Spielfilm, dessen Protagonistin eine junge Frau und Mutter ist. Auch wenn die Lebenswelten unterschiedlich sind, ermöglicht er deshalb besonders jungen Zielgruppen über die Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft, der Suche nach Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie dem Thema Familien eine Nähe zu der Protagonistin. Darüber kann er Neugier wecken und diese Zielgruppen für ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und das eigene Konsumverhalten sensibilisieren.

Mit dem Thema Textilproduktion sind vielfältige soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte verbunden, die sich in den Lernbereichen Ethik, Geografie, Wirtschaft, Politik und Sozialkunde bearbeiten lassen. Der Film eignet sich für die Arbeit mit Schüler/innen ab zwölf Jahren und für den Unterricht mit Auszubildenden in der Textilindustrie oder im Einzelhandel mit Schwerpunkt Textilien. Er kann auch gut in der Erwachsenenbildung eingesetzt werden.

Themen: Menschenrechte, Globalisierung, Fairer Handel, Arbeit, Existenzsichernder Lohn, Konsum.

Vorschläge für die Arbeit nach dem Film im Unterricht:

  • Juana erlebt einen inneren Konflikt. Ihr Sohn in Bolivien ist krank, Arbeit hat sie momentan nur im Nachbarland und zu einem Kollegen entwickelt sich emotionale Nähe. Bitten Sie die Schüler/innen, sich darüber auszutauschen, wie sie in dieser Situation entschieden hätten.
    Bitten Sie die Schüler/innen, einen inneren Monolog an Juana zu schreiben.
  • Prekäre Arbeitsverhältnisse sind auch in Deutschland verstärkt Thema. Bitten Sie die Schüler/innen in Kleingruppen über die Bedingungen bei Textildiscountern, im Reinigungsgewerbe und auf dem Bau zu recherchieren. Welche Art von Arbeitsverträge sind dort üblich?
    Vergleichen Sie mit den Schüler/innen den gesetzlichen Mindestlohn in Bangladesch und Deutschland. Recherchieren Sie die Kosten der Grundbedürfnisse einer vierköpfige Familie in beiden Ländern. Deckt der Mindestlohn diese Kosten ab?
  • Bitten Sie die Schüler/innen, sich mit einer Weltkarte auf die „Weltreise einer Jeans“ zu begeben und im Internet zu recherchieren: Wo wird Baumwolle produziert, wo das Garn gesponnen, gefärbt, chemisch behandelt und zu Stoff verarbeitet, woher kommen Knöpfe, Reißverschlüsse, wo wird genäht, verkauft, getragen und weggeworfen, wohin reist die Hose aus dem Altkleidercontainer?
  • Bitten Sie die SchülerInnen, prozentual aufzuschlüsseln, welcher Anteil im Preis eines T-Shirts auf die Bereiche Lohn, Material, Transport, Einzelhandel, Gewinn und Markenwerbung entfallen. Bitten Sie zuerst um eine Schätzung, im zweiten Schritt recherchieren die Schüler/innen im Internet nach Zahlen.
  • Erstellen Sie mit den SchülerInnen eine Frageliste, anhand der sie den eigenen Kleiderschrank durchforsten. Mögliche Stichworte: Anzahl der Textilien und Gesamtmenge in Kilo, die fünf Lieblingsteile, welche Bedeutung haben sie, Produktionsländer, auf was im Schrank könnte verzichtet werden, Trend-Marken, Material etc.
  • Bitten Sie die SchülerInnen, sich auf die Suche zu machen nach Läden in ihrem Ort und Onlineshops für sozialverträglich und ökologisch hergestellte Mode. Recherchieren Sie unter den Stichworten „Fairtrade Fashion“, „organic cotton“, „faire Kleidung“. Stellen Sie Preisvergleiche an zu ähnlichen Produkten aus herkömmlicher Produktion.
  • Thema Textilsiegel: Die SchülerInnen bilden Recherchegruppe und suchen nach Informationen über verschiedene Textilsiegel
  • Was geschieht mit Altkleidern? Sammeln Sie mit den SchülerInnen Argumente für und gegen den Export von Secondhandkleidung.

Literatur- und Medienhinweise

Bildungsmaterial:

  • „Augen auf beim Kleiderkauf“, Faltblatt von FEMNET
  • „Berufe Global – Mode und Textil“, Unterrichtsmaterial zu: Textile Wertschöpfungsketten, Jeans, Baumwolle, soziale Verantwortung und Zertifizierung, Entwicklungspolitisches Bildungs- und Informationszentrum e.V., Berlin (2012)
  • „Fashion - Ein globales Geschäft“. Die CD knüpft an die Wanderausstellung „Discover Fairness! Aktiv für Menschenrechte“ an. Sie stellt umfangreiches Material und didaktisch abwechslungsreiche Module zur Lieferkette in der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie sowie zu den Menschenrechten im Kontext von Arbeit zur Verfügung.
    Zielgruppen: Jugendliche/ SchülerInnen Sekundarstufe II, Studierende von LehrerInnenbildungsinstitutionen.
    Bezug über: www.inkota.de
  • „Mode ohne Würde", Werkmappe, Christliche Initiative Romero.
  • „Im Visier: Discounter“ Werkmappe, Mit Dossier zu Fabrikkatastrophen in Bangladesch, Christliche Initiative Romero

Bücher

  • Todschick – Edle Labels, billige Mode – unmenschlich produziert, Gisela Burckhardt ,  Heyne (2014)
  • Saubere Sachen: Wie man grüne Mode findet und sich vor Öko-Etikettenschwindel schützt, Kirsten Brodde, Ludwig Verlag (2009)

Publikationen

Hinweis: Das hier vorgestellte Material lässt sich durch Eingabe des Titels in eine Suchmaschine im Internet recherchieren und kann als PDF-Dokument herunter geladen werden.

  • „Harte Arbeit für weiche Fasern“, Studie. Hrsg.: Südwind-Institut, Prayas, INKOTA-Netzwerk e.V. (05/2015)
  • „Made in Argentina – Sklavenarbeit in Hinterhöfen“, Artikel von Miriam Holländer in presente (4/2011)
  • „Markenzeichen Sklavenarbeit – Textilproduktion in illegalen Klitschen“, Artikel von Gustavo Vera in ila 379 (10/2014)
  • Positionspapier "Wirtschaft und Menschenrechte". Hrsg.: CorA Netzwerk für Unternehmensverantwortung (04/2013)
  • „Textil-Label unter der Detox-Lupe“, Einkaufsratgeber für giftfreie Kleidung. Hrsg.: Greenpeace (2014)
  • „Saubere Mode hat´s schwer“, Kurzstudie zum Modekonsum von Jugendlichen. Hrsg.:  Greenpeace (2015)
  • „Unternehmensverantwortung - Chancen und Grenzen eines umstrittenen Konzepts“, INKOTA-Dossier (09/2012), Bezug über: www.inkota.de
  • „WearFair: Ein Wegweiser durch den Label-Dschungel der Textilbranche“. Hrsg.: Christliche Initiative Romero

Ausstellung

  • Discover Fairness – Aktiv für Menschenrechte
    Bezug über INKOTA-netzwerk e.V.: www.inkota.de

Filme

  • King Cotton oder Baumwolle als Schicksal
    Bezug: EZEF

Links

  • Bündnis für nachhaltige Textilien www.textilbuendnis.com
  • CorA – Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen, die für verbindlich politische Instrumente eintreten, mit denen Unternehmen verpflichtet werden, die Menschenrechte sowie international anerkannte soziale und ökologische Rechte zu respektieren. www.cora-netz.de
  • Christliche Initiative Romero. www.ci-romero.de
  • Fair Wear Foundation. www.fairwear.org (englisch)
  • FEMNET e.V. - feministische Perspektiven auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft www.femnet-ev.de
  • INKOTA-Netzwerk e.V. - Ein Arbeitsschwerpunkt des entwicklungspolitischen Netzwerkes ist die soziale Verpflichtung von Unternehmen in der Textil- und Schuhindustrie. www.inkota.de
  • Kampagne für saubere Kleidung - Clean Clothes Campaign - Nichtregierungsorganisation, die sich für faire Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt. www.saubere-kleidung.de
    www.cleanclothes.org (englisch)
  • La Alamada: Die Nichtregierungsorganisation aus Buenos Aires kämpft gegen die Ausbeutung der Näher/innen in den Sweatshops. Sie leistet rechtlichen Beistand, hat eine Kampagne gegen Sklavenarbeit initiiert und die Textilkooperative „20 de diciembre“ sowie das Label „Mundo Alameda“ ins Leben gerufen. https://laalameda.wordpress.com (spanisch)
    www.mundo-alameda.com (spanisch)
  • Südwind – Institut für Ökonomie und Ökumene http://www.suedwind-institut.de

Autorin: Kristin Gebhardt