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Noch Fragen?

Kurzspielfilm von Manoocher Khoshbakht
Deutschland 2004, 7 Minuten

Inhalt
Jasmin Biermann ist Taxifahrerin in Hamburg - außergewöhnlich? Na ja, es gibt eben viele AkademikerInnen, die keine passenden anderen Jobmöglichkeiten gefunden haben - aber sonst? Eigentlich nichts besonderes, denn schließlich leben wir ja in einer multikulturellen Gesellschaft - zumal in Hamburg. Da sollte es doch niemanden wundern, dass es Menschen verschiedener Herkunft gibt.
Aber Jasmin Biermanns lange schwarze gelockte Haare geben ihr offensichtlich für das Auge vieler Mitbürger ein fremdländisches Aussehen. Dieses veranlasst die Klientinnen und Klienten im Taxi das Fremdsein direkt oder indirekt zum Thema einer kleinen Konversation zu machen. Es wird u.a. nach ihrer Herkunft gefragt, ihre erstaunlich gute Beherrschung der deutschen Sprache bewundert, das Wetter "bei Ihnen da im Süden" geneidet, auf dortige Flutkatastrophen verwiesen sowie ihre Aufenthaltsberechtigung hinterfragt.
Als sie schließlich - längst schon genervt - die Frage nach ihrem eventuellen Asylantenstatus hört (könnte sie als solche überhaupt Taxifahrerin sein?!), hat sie genug von der Fragerei. Mit den Worten: "Sie haben ja auch ein Recht darauf, alles zu wissen!" - legt sie eine Kassette mit Daten aus ihrem Leben und Angaben über ihre Familie, ihr Studium, ihre Hobbies usw. ein, verlässt das Taxi und - eine Provokation! - lässt den Kunden allein abhören, was die Kassette an Informationen über sie bereithält.

Zum Film
Dieser Kurzfilm des iranischen Journalisten und Filmemachers Manoocher Khoshbakht, der seit 1976 in Hamburg lebt, provoziert durch das unerwartete Ende. Der Zuschauer mag sich wundern: "Was soll denn das?"; "Was hat sie denn?"; "Schließlich ist doch 'small talk' im Taxi gang und gäbe!"; "Die waren doch nicht unfreundlich!" oder: "Bei einer so interessant aussehenden Frau darf man doch wohl mal nachfragen!?"
Der Film arbeitet mit sehr subtilen Mitteln und fordert vom Zuschauer, sich ganz allmählich aus seiner ersten Reaktion auf die Suche nach Hintergründen zu begeben. Mehrheitsdeutschen kann es schwerfallen, die Erregung der Taxifahrerin zu begreifen. "Was ist denn los mit ihr?" fragten sich Brandenburger Jugendliche. "Lass die Leute doch quatschen - steht sie da nicht drüber?" "Bei Dienstleistungen ist der Kunde König!" Aber dann hören sie von ihrem afrikanischen Französischlehrer, dass er ständig solche Bemerkungen hört. Und nun begeben sie sich gemeinsam auf die Suche danach, was an diesen Äußerungen latent rassistisch ist und wie verletzend solche scheinbar 'normalen' Äußerungen sein können.

Vom Aussehen schließen wir oft selbstverständlich auf Eigenschaften und konstruieren 'offensichtliche' Realitäten:

  • Da sind die Vorurteile über Wetter, Sprachprobleme ("Verstehen Sie mich überhaupt?!"), Katastrophen, Asylanten
  • Da ist das ständige, wertende Ausgeschlossen-Sein ("Ihr im Süden"; "Das Wetter ist der einzige Nachteil, den wir haben ..."; "Sie sprechen wirklich hervorragend unsere Sprache!"; "Hauptsache, Sie fühlen sich wohl bei uns!")
  • Da ist das unvermittelte Duzen: "Mensch, die ganze Zeit überleg ich, woher Sie wohl eigentlich ursprünglich stammen. Ich komm einfach nicht weiter. Nun hilf mir doch mal!"
  • Da ist die Hinterfragung der Existenzberechtigung in Deutschland: "Solche Arbeitskräfte wie Sie können wir (!) immer brauchen!" "Sie sind aber keine Asylantin - oder?"

Haben Menschen mit einer anderen kulturellen Herkunft nicht endlich eine gleiche Daseinsberechtigung, ohne sich immer rechtfertigen zu müssen, warum sie da leben wo sie leben? Haben wir nicht alle ein Recht auf unser spezifisches Anders-Sein? Wer bestimmt die Norm, der alle Menschen genügen sollen? "Ich will, dass mich die Leute als das nehmen, was ich bin und was ich kann und  nicht ewig die Klischees aus der Schublade holen!" sagt Arzu Hatakoy, eine junge erfolgreiche Türkin aus Berlin (OSI-Club Newsletter 01/2004, S.3).
Andererseits aber kommt uns diese Art der alltäglichen Kommunikation im Taxi eben auch sehr normal und eigentlich nichtssagend vor. Sind wir nicht ständig dabei, uns gegen andere abzugrenzen oder erleben solches Verhalten uns gegenüber? Egal, ob wir jung oder alt, blond oder braunhaarig, dick oder dünn sind: Bewertungen aufgrund von Aussehen, Unterstellungen durch die Verallgemeinerung von winzigen Beobachtungen, Verhalten aufgrund von stereotypen Zuschreibungen zu besonderen Gruppen ... ist das nicht 'normal'?
Ausgrenzungen, die in unserer Gesellschaft bereits strukturell angelegt sind, scheinen den Täter 'größer' zu machen, ihn zu bestätigen in seiner Überlegenheit und sein Ego zu stärken. Speziell bei Kurzkontakten wie im Taxi: Was erwarten wir denn für (Re-) Aktionen? Die Klienten möchten vermutlich ein aufmunterndes bestätigendes Gespräch ohne viel Tiefgang und erwarten ein neutrales bis freundliches Gegenüber ("Schließlich bezahlt man ja!").
Ist es also nicht ihre eigene Schuld, wenn sich Jasmin Biermann plötzlich angegriffen fühlt? ... wenn sie nicht gelassen/'cool' auf die Äußerungen reagieren kann? Darf sie sich zur Wehr setzen und ihre Empfindsamkeit zum Handlungsmaßstab machen? Schließlich ist sie ja gewissermaßen in einer öffentlichen Funktion tätig!
Obwohl der Kurzfilm also eher unrealistisch erscheinen mag oder sogar unecht gespielt ist und dadurch gerade den Nachvollzug der Verletzungen erschwert, kann er dazu anregen, ein Spiegelbild der Gesellschaft zu skizzieren. Jedem von uns wird tagtäglich ein hohes Maß an Energie abverlangt, um auf indirektem, meist verletzendem Weg Bestätigung zu holen, die wir brauchen, aber uns direkt viel einfacher und effizienter geben könnten.
Welche Chancen hat ein solcher positiver persönlichkeitsorientierter Ansatz in einer andersstrukturellen Umgebung, in der Ausgrenzung und Diskriminierung als normal erlebt werden? Kann eine Lerngruppe hier andere Akzente setzen? Kann eine Schulkultur oder Gemeindegruppe nach innen und außen neue kommunikative Elemente betonen? Durch eine gemeinsame Diskussion mit Menschen anderer kultureller Herkunft oder Erfahrungshorizonte (z.B. Entwicklungshelfer-RückkehrerInnen) können ggf. Anregungen für eine alternative Gesprächskultur gegeben werden.

Einsatzmöglichkeiten
Der Film eignet sich für Jugendgruppen oder Klassen ab ca. 12 Jahren. Als Schritte wird empfohlen, den Film zunächst ohne große Vorankündigung einmal zu zeigen und spontane Reaktionen festzuhalten. Durch die Kürze des Films, ist es dann möglich, ihn auch in kurzen Lerneinheiten ein weiteres Mal zu zeigen und die unten vorgeschlagenen Beobachtungen als Auftrag zu geben, um die Sicht der Taxifahrerin zu begreifen (Perspektivenwechsel), einzelne Bemerkungen nochmals in Erinnerung zu rufen und sie danach analysieren zu können.
Dies führt im dritten Schritt zu einer Auflistung von Zeichen eines latenten Rassismus in unserer Gesellschaft. Woher kennen wir solche Situationen? Wem gegenüber wird vorurteilshaft agiert - von wem? Wie ordnen wir unsere erste spontane Reaktion ein? Sind wir eine rassistische Gesellschaft? Im letzten Schritt schließlich sollten Alternativen angedacht und im eigenen Alltag erprobt werden.

Pädagogische Bearbeitung
In der pädagogischen Bearbeitung des Films kommt es u. E. darauf an, einerseits den Perspektivenwechsel einzuüben, also sich in jemand anderen hinein zu versetzen und aus seiner Warte die Situation zu verstehen. Andererseits sollten auch die eigenen gesellschaftlichen Gegebenheiten bewusst gemacht werden. Dazu eignet sich dieser Film durch sein provokatives unerwartetes Ende, das wahrscheinlich überwiegend als unangemessen gewertet wird und zunächst auf Unverständnis stößt. In der Reflexion aber können die schleichende Gewöhnung an eine allgemeine verletzende, weil ausschließende aggressive Gesprächskultur und Erfahrungen damit thematisiert sowie alternative Vorstellungen von einer akzeptierenden gewaltfreien Kommunikation entwickelt werden.

Folgenden Fragen könnte zu den vier oben genannten Phasen nachgegangen werden:

  • Was ist Eure erste Reaktion?
  • Worauf reagiert die Taxifahrerin empfindlich?
  • Was für Verletzungen mag sie spüren?
  • Wie reagiert sie? Welchen Zweck hat sie damit verfolgt?
  • Wie empfindet Ihr ihre Reaktion?
  • Was für Alternativen hätte sie gehabt?
  • Kommen Euch die Gesprächsangebote der Klienten normal vor?
  • Welche ähnlichen Situationen kennt Ihr?
  • Wer sind jeweils die Betroffenen?
  • Wie würde eine Eurer Ansicht nach wünschenswerte Kommunikation verlaufen - im Taxi/ im Zug/ im Hausflur? Spielt eine solche Szene durch!
  • Was möchtet Ihr in solchen Situationen nicht hören?
  • Befragt Menschen anderer kultureller Herkunft, wie sie den Film und wie sie Deutschland wahrnehmen.

Literatur

  • Arbeitsgruppe SOS Rassismus NRW (Hg.): Rassismus begreifen. Was ich immer schon über Rassismus und Gewalt wissen wollte. Hrsg. v. Amt für Jugendarbeit der Ev. Kirche von Westfalen, Schwerte 1997
  • K. Faller/W. Kerntke/M. Wackmann (Hg.): Konflikte selber lösen. Mediation für Schule und Jugendarbeit. Das Streit-Schlichter-Programm. Mülheim a.d.Ruhr 1996
  • Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen. Neue Wege in der Mediation und im Umgang mit Konflikten. Paderborn 2003
  • Führing, Gisela / Lensing, Mechthild (Hg.): Was heißt hier fremd? Unterrichtmaterial zum Thema Ausländerfeindlichkeit (Sek I), Cornelsen Verlag Berlin 1994

Medien
18 MINUTEN ZIVILCOURAGE
Rahim Shirmahd, Deutschland 1991, Dokumentarfilm, 20 Min., s/w
Verleih: EZEF

ANGST ISST SEELE AUF
Shahbaz Noshir, Deutschland 2002, Spielfilm, 13 Min.
Verleih: EZEF

PARALLELEN
Sawat Ghaleb, Deutschland 1995, 6 Min., s/w, Kurzspielfilm
Verleih: EZEF

OTOMO
Frieder Schlaich, Deutschland 1999, 85 Min., f., Spielfilm
Verleih: EZEF

AutorInnen: Dr. Gisela Führing, Dr. Albert Martin Mané
Juli 2004

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