Dokumentarfilm von Bettina Borgfeld und David Bernet
Paraguay, Deutschland, Schweiz 2011, 85 Minuten, OmU
Inhalt:
Für Clement Busanello ist sie ein „Geschenk des Himmels“, für Geronimo Arevalos „eine Bombe“, die seine Lebensgrundlage zerstört: die Sojabohne. Beide Männer sind Landwirte und leben von dem, was die fruchtbare Erde auf ihrem Land wachsen lässt. Doch die Sojapflanze ist dem einen zum Fluch und dem anderen zum Segen geworden. Busanello kam aus Brasilien, kaufte im Osten Paraguays Land, rodete Wälder und produziert als Unternehmer nun auf 5.000 Hektar viele Tonnen der international begehrten Bohnen. Durch seine unendlich groß erscheinenden Plantagen wälzt sich eine kleine Armada von Mähdreschern. Sattelschlepper bringen die Ernte von den Silos auf den weltweiten Markt.
„Die Mechanisierung geht schnell. Manchmal sehe ich den Wald in meinen Träumen vor mir“, erzählt Juana Gonzalez. Sie lebt wie Arevalos und seine Familie in der Siedlung Santa Rosa. Der kleine Ort im „Soja Meer“, wie der Kleinbauer die Plantage nennt, erscheint wie ein Relikt vergangener Zeiten. Die Erde sei die „Fabrik der Armen“ meint Arevalos und legt mit seinem Sohn Samen für Samen in kleine Erdlöcher. Sie bauen an, was die Familie zum Überleben braucht: Erdnüsse, Mais, Melonen. Viele Nachbarn haben die Gegend schon verlassen, denn selbst ArbeiterInnen zum Unkraut jäten werden bei genetisch veränderten Sorten nicht mehr gebraucht. Arevalos und Gonzalez sind geblieben und stellen sich den Traktoren entgegen, die auf den Feldern in Dorfnähe Herbizid versprühen. „Es geht um alles oder nichts“, macht Kleinbäuerin Gonzalez klar.
Agrarindustrielle gegen Kleinbauern – der Konflikt, den der Dokumentarfilm „Raising Resistance“ beschreibt, ist existentiell. Viele Menschen verloren durch den extensiven industriellen Anbau ihr Land, wurden damit ihrer Existenzgrundlage beraubt und mussten die Region verlassen. „90 Prozent der Campesinos leben jetzt am Stadtrand und haben weder Arbeit noch Land“, erklärt Antonio Cabrera, ein Anführer der Campesinos. Für jene, die geblieben sind, ist das Leben gefährlich geworden: Seit die Großbauern genmanipuliertes Soja pflanzen, werden die Plantagen mit dem Pflanzengift Glyphosat besprüht. Die Folge: Drei Menschen in Santa Rosa sind ernsthaft krank, ein Junge ist erblindet, weil er im Bach gespielt hat. Auch Gemüse und andere Nutzpflanzen nehmen Schaden. „Rund 40 Prozent meiner Erdnuss-Ernte wurde von dem Gift zerstört“, erklärt Juana Gonzales und zeigt auf braune, abgestorbene Pflanzen. „Dieses Jahr können wir kaum etwas essen, nicht einmal die Erdnüsse und die sind am widerstandsfähigsten.“
Glysophat tötet alles außer Gen-Soja. Der Biotechnologe Dr. Roger N. Beachy hält das für einen großen Fortschritt. Eine Bohne enthalte 35 bis 40 Prozent Protein, und so sei Soja in den letzten Jahren zum wichtigsten Futtermittel für Hühner, Schweine und auch Rinder geworden, verteidigt er die Technologie. Experten wie Beachy, aber auch Börsenmanager, Großgrundbesitzer und selbst der ehemalige Präsident Fernando Lugo kommen in „Raising Resistance“ zu Wort. Sie vermitteln die ökonomische Dimension, die hinter dem zunächst lokal erscheinenden Konflikt steckt. Soja ist zu einer der wichtigsten Einnahmequellen Paraguays geworden, Plantagen wie die bei Santa Rosa liefern jene Millionen von Tonnen kostengünstigen Futtermittels, die die billige Fleischherstellung in Europa erst möglich machen. Das hat auch Konsequenzen für den Sojafarmer Valirio Eichelberger: „Ich könnte auch etwas anderes anbauen“, räumt er ein, „Hirse vielleicht, aber dafür gibt es keine Verkaufsgarantie“.
Produzenten wie Eichelberger kämpfen zudem mit anderen Problemen. Denn die Unkräuter entwickeln Resistenzen gegen Glyphosat, sodass die Landwirte immer wieder neue, teure Herbizide kaufen und versprühen müssen. Doch nicht nur deshalb haben Borgfeld und Bernet ihren Film wohl „Raising Resistance“ genannt. Resistenz, also Widerstand, wächst auch unter den BewohnerInnen der Region: Sie organisieren Protestcamps auf den Soja-Feldern der benachbarten Farmer, um die Aussaat zu verhindern, werden festgenommen und ziehen vor Gericht. Der Kampf ums Überleben zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Er begleitet Campesinos während einer Demonstration in der Hauptstadt Asunción und Jugendliche, die um ihre Zukunft kämpfen und Land besetzen. Antonio Cabrera befürchtet, dass den Campesinos noch Schlimmes bevorsteht. „Hier herrscht praktisch Krieg“, sagt er. Trotz der angespannten Situation plant Geronimo Arevalos, wie auf besetztem Ackerland wieder ein Dorf entstehen soll. Denn „wenn wir uns nicht zusammen schließen, werden wir die letzte Generation von Kleinbauern sein“.
Würdigung und Kritik:
„Raising Resistance“ beschreibt einen zunächst lokal erscheinenden Konflikt, der sich zunehmend als globales Thema entpuppt. Das ist eine der Stärken dieses hervorragenden, mehrfach preisgekrönten Films. Es sind die Protagonisten vor Ort, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ebenso wie Großgrundbesitzer, die im Mittelpunkt der Dokumentation stehen. Menschen, deren Land dem industriellen Sojaanbau zum Opfer fiel und die unter gesundheitsschädlichen Herbizidbesprühungen leiden, kommen ebenso zu Wort wie Unternehmer, die sich einst aus Brasilien auf den Weg gemacht haben, um in Paraguay auf industriellem Niveau Landwirtschaft zu betreiben. Ohne die Machtverhältnisse zu verschleiern, macht der Film deutlich, dass sich auch so mancher Sojafarmer dem Zwang der Verhältnisse beugen muss. Etwa Valirio Eichelberger, der seinen Kredit nicht mehr bezahlen kann, wenn die BesetzerInnen nicht bald ihr Protestcamp auf seinem Feld räumen und er aussäen kann. Die große Leistung der Filmemacher Bettina Borgfeld und David Bernet ist, dass sie bei diesem politisch brisanten Thema die Motive aller Beteiligten darstellen, ohne zu werten.
Selbst die „Hintermänner“ der Gentechnologie, die angesichts der ausführlich dargestellten Konsequenzen des Soja-Anbaus für die einheimische Bevölkerung naturgemäß einen schweren Stand haben, erscheinen im Film nicht als Bösewichte. Der Biotechnologe Dr. Beachy beschreibt, welche positive Wirkung die Forschung seiner Meinung nach auf die weltweite Nahrungssituation hat. Agrarchemiker vermitteln, wo der Anbau von Gen-Soja derzeit an Grenzen stößt und räumen Schwierigkeiten ein. Borgfeld und Bernet zeichnen ein differenziertes Panorama und lassen zugleich keine Zweifel daran, wer die sozialen Kosten des Geschäfts mit dem „Grünen Gold“ trägt. Sie bieten dem Publikum die Möglichkeit, sich mit den Sichtweisen aller Protagonisten auseinanderzusetzen und verteufeln dabei weder Konzerne noch Großfarmer.
Unterstützt wird dieser Ansatz auch durch die filmische Umsetzung. Lange, ruhige Kamerafahrten und brillante Bilder schaffen Ruhe, fördern das Nachdenken und erschweren schnelle Parteinahme. Zugleich sorgen sie aber auch für Verwirrung: Statt hässliche Bilder agrarindustrieller Produktion zeigen sie moderne Landmaschinen, die sich im Abendlicht beinahe idyllisch die Felder beackern. Auch die langen Reihen der Sojaanpflanzungen fängt die Kamera so ein, dass sie nicht die Gefahr vermitteln, die sich hinter ihnen verbirgt.
Knapp fällt im Film die globale Dimension des Anbaus von Gen-Soja aus. Es sind in erster Linie kurz ins Bild geschnittene Zahlen und Informationen, die auf die steigenden Profite im Agrarbusiness und Importe als Futtermittel nach Europa und Asien verweisen. Filmisch verweist nur eine Szene, in der die Manager eines Investmentfonds zu Wort kommen, auf die Bedeutung, die Sojabohnen im weltweiten Spekulationsgeschäft mit Nahrungsmitteln haben. Es liegt am Publikum, die Fäden aufzugreifen und ihre Rolle als KonsumentInnen zu reflektieren, die Verantwortung etwa europäischer Agrarpolitik zu diskutieren und die Frage nach einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu stellen. Genau das wiederum, so scheint es, wollen die Regisseurin und der Regisseur mit ihrem Dokumentarfilm erreichen.
Regisseurin und Regisseur:
Bettina Borgfeld studierte Amerikanistik, Film- und Theaterwissenschaften und Kunstpädagogik. Sie hat unter anderem in Albanien und Afghanistan sowie im Irak und Sudan gearbeitet und war immer überzeugt davon, dass schnelle Urteile und Verurteilungen ein Irrweg sind und Konflikte nur verschärfen. Mit Sacha Mirzoeff drehte sie „SchussWechsel" und wurde dafür 2005 mit dem Deutschen Fernsehpreis und 2006 mit dem Deutschen Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Der Film dokumentiert die Arbeit eines palästinensischen und eines israelischen Fotografenteams, das jeweils den Ausbruch der zweiten Intifada festhält.
Der Schweizer Filmemacher David Bernet sagt über den Sojakonflikt in Paraguay: „Es ist ein Konflikt, der für mich archetypischen Charakter hat, weil er sich in vielen Weltgegenden exakt auf die gleiche Weise abspielt: überall dort, wo globale Rohstoffgewinnung der höhere Zweck ist, dem kleinere Interessen unterliegen“. Bernet arbeitete als Journalist für Printmedien und den Hörfunk, seit dem Jahr 2000 realisiert er als Autor und Regisseur Dokumentarfilme. Mit Christian Beetz folgt er mit „Die Flüsterer“ (2005) SimultandolmetscherInnen unterschiedlicher Generationen durch die Konferenzwelt Europas. In Zusammenarbeit mit Robert Ralston porträtierte er in „Jew by choice“ (2007), drei Deutsche, die zum Judentum konvertiert sind.
Hintergrundinformationen:
Paraguay
Paraguay ist ein Binnenstaat in Südamerika, der im Osten an Brasilien, im Süden und Westen an Argentinien und im Norden und Westen an Bolivien grenzt. Mit einer Fläche von 406.752 km² ist das Land etwas größer als Deutschland. Die rund 6,5 Millionen EinwohnerInnen sind zu 90 Prozent mestizischer Abstammung, also Menschen mit indigenen und europäischen Vorfahren. Die indigene Bevölkerung umfasst heute nur noch zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die größte Gruppe sind die im Osten des Landes lebenden Guaraní. Ihre Sprache (Guaraní) wird auch von 80 Prozent der nicht-indigenen Bevölkerung gesprochen und ist seit 1992 zusammen mit dem Spanischen Amtssprache. Etwa 43 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land, rund die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, 19 Prozent davon sogar in extremer Armut. Sie haben täglich weniger als 1,25 US-Dollar zur Verfügung.
Unter der 35 Jahre andauernden Diktatur des deutschstämmigen Alfredo Stroessner (1954 bis 1989) verteilte die Regierung mehrere Millionen Hektar Staatseigentum Land an wenige Regimetreue und legte damit den Grundstein für die auf Export ausgerichtete, industrielle Landwirtschaft. Beendet wurde die 61-jährige Alleinherrschaft der rechtskonservativen Colorado-Partei im Jahr 2008 mit der Wahl des ehemaligen Bischofs Fernando Lugo zum Staatspräsidenten. Lugo versprach mehr soziale Gerechtigkeit, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen hofften auf eine grundlegende Landreform. Im Juni 2012 beendete der paraguayische Senat Lugos Präsidentschaft. Mit 39 zu vier Stimmen wurde der Amtsenthebungsklage, die die Abgeordnetenkammer nur einen Tag vorher eingereicht hatte, stattgegeben. Noch am selben Tag wurde Lugos Nachfolger, der bisherige Vizepräsident Federico Franco, vereidigt. Lugo selbst bezeichnete das Vorgehen gegen ihn als parlamentarischen Putsch.
Paraguay zählt zu den korruptesten Ländern der Welt, und zu den Staaten mit extrem ungleicher Landverteilung. Einer Minderheit von einem Prozent der Bevölkerung gehört 77 Prozent des Landes. Dagegen besitzen 44 Prozent der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern nur ein Prozent der Böden. Die Anzahl der landlosen, kleinbäuerlichen Familien wird auf 300.000 geschätzt. Sie haben entweder nie Land besessen, wurden gewaltsam von ihrem Boden vertrieben oder mussten aufgrund ihrer prekären finanziellen Verhältnisse ihr Land an expandierende Sojafarmer verkaufen. Andere kleine ProduzentInnen, die in der Nähe von industriell bewirtschafteten Gensoja-Plantagen gewirtschaftet haben, gaben ihre Parzellen aufgrund der Gesundheitsbelastung durch den Pestizideinsatz auf. Organisierte Landlose kämpfen seit Jahren für eine Agrarreform. Sie stellen die Gültigkeit von vielen während der Stroessner-Diktatur erworben Eigentumstitel in Frage und fordern die Rückgabe der illegal erworbenen Ländereien. Zudem lehnen sie die Monokulturen ab, weil diese die kleinbäuerliche Landwirtschaft verdrängen.
Zahlen:
- Ein Drittel der weltweiten Ackerflächen wird für die Produktion von Futter für Nutztiere beansprucht.
- Weltweit werden jährlich ca. 13 Millionen Hektar tropische und subtropische Wälder für die Haltung von Tieren und den Anbau von Tierfutter gerodet
- Der südamerikanische Sojagürtel umfasst ein 50 Millionen Hektar großes Anbaugebiet.
- 78 Prozent der für die europäische Fleischproduktion benötigten Eiweißfuttermittel werden importiert. Der größte Teil davon sind gentechnisch veränderte Sojabohnen und Sojaschrot.
- Im Jahr 2011 importierte Deutschland rund 3,2 Millionen Tonnen Sojabohnen sowie rund 3,4 Millionen Tonnen Sojaschrot. Dafür werden ca. 1,3 Millionen Hektar Land in den Erzeugerländern beansprucht.
Soja:
Die fett- und eiweißreiche Bohne ist Basis vieler Lebensmittel wie etwa von Schokolade, Keksen, Margarine, des Fleischersatzes Tofu sowie von Kosmetikartikeln. Wachsende Bedeutung hat auch Sojaöl, das durch Zugabe von Methylen zu Agro-Diesel verarbeitet werden kann. Der größte Teil der globalen Sojaproduktion landet jedoch als Futtermittel in den Trögen der Tiermastanlagen.
Das Hauptanbaugebiet von Soja liegt in Südamerika. Der so genannte Sojagürtel umfasst neben Paraguay auch den Süden Brasiliens, Nord-Argentinien, das östliche Bolivien sowie Teile Uruguays. Paraguay ist weltweit der viertgrößte Sojaproduzent. Bereits zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Flächen werden dort mit den proteinhaltigen Bohnen bebaut.
Weltweit ist die Nachfrage nach Soja in den vergangenen Jahren gestiegen, der Bedarf an Land für den Anbau wächst. Dafür werden Waldgebiete abgeholzt, die dort lebenden Indigenen vertrieben und kleinbäuerliches Ackerland muss Monokulturen weichen.
Herbizide: Gift für Mensch und Umwelt
Um den Ertrag zu steigern, werden genetisch manipulierte Sorten angebaut, die resistent gegen das Herbizid Glyphosat sind. Doch das Pflanzengift wirkt nicht selektiv. Es zerstört neben Unkraut auf den Sojafeldern auch die Nutzpflanzen auf den angrenzenden Parzellen der kleinbäuerlichen ProduzentInnen.
Der extensive Anbau von Gensoja hat fatale Auswirkungen auf die Artenvielfalt und die Gesundheit der Landbevölkerung. Die Anpflanzungen laugen die Böden aus, beschleunigen deren Erosion und die Herbizid-Rückstände vergiften die Gewässer. Besonders giftig ist Glyphosat für Insekten, Amphibien und Fische. Mit dem wachsenden Anbau von Gen-Soja in Südamerika ist auch der Einsatz von Herbiziden drastisch gestiegen. Der US-Konzern Monsanto verkauft Gensoja-Saatgut nur zusammen mit dem Unkrautvernichtungsmittel Round-Up (Wirkstoff: Glyphosat). Wegen der wachsenden Resistenz von Unkraut gegen Roundup und seine Imitate steigt der Einsatz von Herbiziden.
Regelmäßig werden die Felder mit den hochgiftigen Agrarchemikalien per Flugzeug, Rucksackkanister oder mit Traktoren besprüht. AnwohnerInnen berichten von gesundheitlichen Schäden wie Erbrechen und Atemwegs- sowie Hauterkrankungen bis hin zu steigenden Krebsraten bei Kindern, Fehlgeburten und Fehlbildungen.
Futtermittelimporte, Fleischkonsum und Massentierhaltung
Ein Großteil des Sojas aus dem südamerikanischen Sojagürtel landet in Futtertrögen in China und Europa. Fast 80 Prozent der für die Fleischproduktion in Europa verfütterten Eiweißfuttermittel werden importiert. Die Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel aus Drittländern in die EU ist bisher noch verboten, nicht aber die Einfuhr genmanipulierter Futtermittel. So darf Schrot genetisch veränderter Sojabohnen an Tiere verfüttert werden, ohne dass dies auf Eierpackungen oder Milch- und Fleischprodukten gekennzeichnet werden muss.
Verantwortlich für den hohen Futtermittelverbrauch ist eine Ernährungsweise, die auf hohen Anteilen an Fleisch, Milch, Eiern und anderen tierischen Produkten basiert. Dieses Konsummuster führt zu einem hohen Verbrauch von Ressourcen wie Wasser, Energie und Ackerfläche und ist im Ergebnis wenig effizient in der Verwertung pflanzlicher Energie. Durchschnittlich 90 Kilogramm Fleisch werden in Deutschland im Jahr pro Kopf verbraucht. Meistens landen heimische Rinder, Schweine und Hühner aus Massentierhaltung auf unseren Tellern. Deren Futter wird jedoch auf extensiven Flächen in Südamerika angebaut.
EntwicklungsexpertInnen kritisieren das so genannte Landgrabbing, denn diese Landnahme für die Auslagerung unserer Nahrungsmittelproduktion geht auf Kosten der Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung. Zunehmend in der Kritik steht auch die Massentierhaltung. Vor allem in Norddeutschland wird über die Zukunft großer Tierhaltungsfabriken und Schlachtanlagen auf Grund von ethischen Bedenken, massiven Umweltschäden durch Gewässer- und Bodenbelastungen sowie Emissionen bei Lärm und Geruch konträr diskutiert.
EntwicklungsexpertInnen aus Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und bäuerlichen Initiativen fordern eine generelle Verringerung des Fleischkonsums sowie eine grundlegende Änderung der EU-Agrar- und Handelspolitik.
Agrarpolitik:
Entwicklungspolitische Organisationen fordern, dass die EU-Agrarpolitik nach der Reform im Jahr 2013 ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden solle. Sie müsse die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft und das Recht auf Nahrung in den Ländern des Südens fördern, anstatt sie weiter zu behindern. Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik solle zukünftig Anreize für den heimischen Anbau von Eiweißpflanzen schaffen. Leguminosen wie z.B. Ackerbohnen, Erbsen oder Lupinen sind ebenfalls reich an Eiweiß und gelten als Alternative zu Soja-Importen.
Ein gezielter Anbau dieser Hülsenfrüchte in Deutschland würde nicht nur die Abhängigkeit von Futtermittelimporten senken, sondern auch den Einsatz von Düngemitteln reduzieren. Denn Leguminosen binden Stickstoff aus der Luft und reichern damit den Boden an. Bislang ist importiertes Soja für Mastbetriebe in Europa billiger als der Leguminosenanbau. Denn die EU schützt zwar ihre eigene landwirtschaftliche Produktion durch hohe Einfuhrzölle, der Import von Ölsaaten und Eiweißpflanzen ist jedoch zollfrei.
Zudem fordern entwicklungspolitische Organisationen, dass sich die Bundesregierung für verpflichtende Standards für Tiermastbetriebe einsetzen soll. So könne die Tierhaltung an einen hohen Selbstversorgungsgrad mit Futtermitteln gekoppelt, eine Höchstgrenze von Tieren pro Quadratmeter festgelegt sowie die Vorschriften für die Begrenzung der Geruchsbelästigung und des Schadstoffausstoßes der Ställe verschärft werden.
Didaktische Hinweise und Empfehlungen:
Der Film „Raising Resistance“ eignet sich besonders für die Erwachsenenbildung und die entwicklungsbezogene Bildungsarbeit. Er kann in Seminaren und bei Abendveranstaltungen gezeigt werden. Er eignet sich auch gut für Schulen und kann vor allem in der Sekundarstufe II eingesetzt werden. Mit entsprechender Vorbereitung kann der Film auch jüngeren SchülerInnen gezeigt werden. Zudem eignet er sich für Auszubildende in der Landwirtschaft und Gastronomie.
Vorschläge für die Nacharbeit zum Film:
- Recherche im Supermarkt und im Bioladen: Welche Produkte enthalten Soja?
- Bitten Sie die Teilnehmenden, die Soja-Lieferkette vom Anbau in Südamerika bis zum Laden in ihrer Stadt zu recherchieren.
- Auf den Spuren der Fleischproduktion: Woher kommt das Fleisch im Supermarkt und/oder im Bioladen? Mit was werden die Tiere gefüttert? Woher kommt das Futter für die Tiermast? Wie werden die Tiere gehalten?
- Was hat unser Fleischkonsum mit Umweltschutz und Artenvielfalt zu tun?
- Bitten Sie die Anwesenden kurz und ohne Nachzudenken, über die Begriffe „Fleisch“ und „Vegetarier“ zu assoziieren.
- Zu den Menschenrechten gehören neben bürgerlichen und politischen Rechten auch wirtschaftlich, soziale und kulturelle Rechte. Dazu zählen auch das Recht auf Nahrung und das Recht auf Gesundheit. Staaten tragen deshalb auch außerhalb ihres Territoriums Verantwortung für die Einhaltung dieser Menschenrechte. So sind sie z.B. auch verpflichtet, soziale und ökologische Schäden zu unterbinden, die von Produktionsprozessen, Auslandsinvestitionen, Privatisierung oder finanziellen Transaktionen ausgehen. Auch transnationale Unternehmen stehen in der Pflicht. Wie würden MenschenrechtlerInnen den Film kommentieren. Laden Sie VertreterInnen ein.
- Diskutieren Sie die Fragen: „Wie und mit welchen Nahrungsmitteln kann die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden“? Bilden Sie Kleingruppen, die sich mit folgenden Themen beschäftigen und einen Input dazu geben:
a) Grüne Revolution, industrielle Landwirtschaft, genetisch manipuliertes Saatgut
b) Weltagrarbericht, kleinbäuerliche Landwirtschaft - Fishbowl-Diskussion: Besonders in Niedersachsen ist Massentierhaltung weit verbreitet, KritikerInnen und BefürworterInnen streiten über die industrialisierte Fleischproduktion. Informieren Sie sich über deren Positionen und bitten Sie die Teilnehmenden, sich in folgende Kleingruppen aufzuteilen:
1. GegnerInnen von Massentierhaltungsanlagen (z.B. lokale und regionale PolitikerInnen, Kirchengemeindemitglieder, AnwohnerInnen, LandwirtInnen)
2. BefürworterInnen von Massentierhaltungsanlagen (z.B. lokale und regionale PolitikerInnen, Kirchengemeindemitglieder, AnwohnerInnen, LandwirtInnen)
3. TierschützerInnen, VegetarierInnen.
Die Kleingruppen sammeln Argumente. Danach setzen sich jeweils zwei Personen aus jeder Gruppe in einen Kreis in die Mitte und diskutieren das Thema. Die anderen TeilnehmerInnen sitzen im Kreis außen und können jederzeit einwechseln.
Fragen bzw. Themen für das Filmgespräch:
- Was hat der Kauf einer Currywurst mit den Kleinbäuerinnen und -bauern in Paraguay zu tun?
- Welche unterschiedlichen Konzepte gibt es, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren?
- Welche Einflussmöglichkeiten haben KonsumentInnen beim Fleisch- oder Tofu- Kauf?
Literatur- und Medienhinweise:
Das hier vorgestellte Material lässt sich durch Eingabe von Titel und Herausgeberin eine Suchmaschine leicht im Internet recherchieren und kann als PDF-Dokument herunter geladen werden.
Publikationen:
- „Brot oder Trog“, Studie zu Futtermittel, Flächenkonkurrenz und Ernährungssicherheit
Hrsg.: Forschung und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL e.V.) und Brot für die Welt, Dezember 2011 - „Wenn das Land knapp wird – Was haben Biosprit und Tierfutter mit Hunger zu tun?“
Hrsg.: Brot für die Welt, 2011 - Infoblatt: Futtermittelimporte; Hrsg.: INKOTA-netzwerk, Juli 2012
- „Saumagen und Regenwald“, Publikation zu Klima- und Umweltwirkungen deutscher Agrarrohstoffimporte am Beispiel Sojaschrot: Ansatzpunkte für eine zukunftsfähige Gestaltung, Hrsg.: Forum Umwelt und Entwicklung, Oktober 2011
- „Ernährung global“, INKOTA-Dossier 10, Hrsg.: INKOTA-netzwerk
- „Vorschläge zur Reform der EU-Agrarpolitik müssen die Probleme aus der industriellen Tierhaltung angehen“, Positionspapier der Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Ernährung im Forum Umwelt und Entwicklung, Juni 2012
- „Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union 2013“, Fünf Lobbybriefe, Hrsg.: Brot für die Welt und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).
- Aktenstück 86 der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hannovers zur Landwirtschaftlichen Nutztierhaltung, 2011
- „Sojarepublik Paraguay? Konflikte um Land und Ernährungssouveränität“, Autor: Reto Sonderegger, FDCL-Verlag, 2008
Bildungsmaterial:
- „Modul 2: Fleischkonsum und Landverbrauch“, Zukunftsfähiges Deutschland – Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufen, 2011, Hrsg.: Brot für die Welt und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).
- „Der Futtermittelblues“, kleine Broschüre, Hrsg.: Forum für internationale Agrarpolitik e.V. (Agrar Koordination)
- „Kann denn Schnitzel Sünde sein?“, didaktische Einheiten zum Thema Fleischkonsum, Hrsg.: Welthaus Bielefeld
Ausstellung:
- „abgeerntet. Wer ernährt die Welt?”,Wanderausstellung:,Hrsg.: INKOTA-netzwerk
Links:
Kampagne „ niemand is(s)t für sich allein“: www.niemandisstfuersichallein.de
Kampagne Meine Landwirtschaft: www.meine-landwirtschaft.de
Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken: www.bauernhoefe-statt-agrarfabriken.de
Wir haben Agrarindustrie satt: www.wir-haben-es-satt.de
Weltagrarbericht: www.weltagrarbericht.de
Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.: www.pan-germany.org
Filme:
Hunger
Ein Film von Marcus Vetter und Karin Steinberger, Deutschland 2010
90 Min., Dokumentarfilm mit Hintergrundmaterialien für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit.
Verleih: Verschiedene Ev. Medienzentralen (EMZ)
Bezug: EZEF
Essen im Eimer – Die große Lebensmittelverschwendung
Ein Film von Valentin Thurn, Deutschland 2010
30 Min., Kurzfassung des Films „Taste the Waste“
Der Film ist auch Teil der DVD „Filme zum Wegwerfen – Müll und Recycling als globale Herausforderung“
Bezug: EZEF
Taste the Waste – Warum schmeißen wir unser Essen auf den Müll?
Ein Film von Valentin Thurn, Deutschland 2011
88 Min., Dokumentarfilm, www.tastethewaste.com
Verleih: Verschiedene Ev. Medienzentralen (EMZ)
Autorin: Kristin Gebhardt
Redaktion: Bernd Wolpert
Dezember 2012