Dokumentarfilm von Shaheen Dill-Riaz
Deutschland, Bangladesch 2008, 89 Minuten
Inhalt
Der Film beginnt mit Bildern vom jährlichen Pilgertreffen „Bishwa Ijtema“ der moslemischen Missionsgemeinschaft Tablighi Jamaat in Dhaka. Bis zu drei Millionen Menschen nehmen daran teil. Nur in Mekka treffen sich mehr muslimische Pilger. Zum alltäglichen Leben des Islam in Bangladesch gehören die Koranschulen (Madrasas). Diese stehen im Mittelpunkt des Films von Shaheen Dill-Riaz, der in Bangladesch geboren und aufgewachsen ist. 1992 verließ er seine Heimat, um in Deutschland Film zu studieren. Eigentlich gilt für Koranschulen ein Bilderverbot, d.h. es darf dort normalerweise nicht gefilmt werden. Shaheen Dill-Riaz ist es aber mit Hilfe seiner familiären Kontakte gelungen, für mehrere Koranschulen eine Drehgenehmigung zu erhalten, um so einen Film zu produzieren. Kinder werden im Schul- und Lebensalltag mit der Kamera begleitet. Es kommen Eltern und Lehrer, aber auch Experten und Wissenschaftler zu Wort, die über Geschichte und Gestaltung ebenso wie über die vielfältigen Ziele und Anliegen der Koranschulen sprechen.
In Amirabad lernen die Kinder in der Madrasa. Viele kommen aus armen Verhältnissen und wohnen auch in der Koranschule. In neun Räumen wird unterrichtet, jeder Lehrer hat 70 Schüler. Im Mittelpunkt der Unterrichtsarbeit steht der Koran, das Buch des Islam, das nicht in den Händen gehalten oder auf den Boden gelegt werden darf. Um 3.40 Uhr in der Frühe beginnt der Schultag der Kinder. Die 6234 Verse des Korans (in arabischer Sprache) sollen auswendig gelernt und beherrscht werden. Die Kinder kennen die arabische Sprache nicht. Beim Unterricht geht es allerdings auch nicht um das Verständnis der Verse, nicht um Inhalt, Geschichte, Hintergründe oder Interpretationen. Es geht darum, dass die Laute korrekt wiedergegeben werden, dass der Koran – ebenso wie es Mohammed gemacht hat – rezitiert wird.
Der Schultag dauert zehn bis zwölf Stunden und es bleibt beim Auswendiglernen der Koransuren. Andere Schulfächer gibt es in den ersten Klassen nicht, weder Sprachen, noch Mathematik, noch Naturwissenschaften. So entsteht vor den Augen des Zuschauers das Bild von Schulen, Lehrern, Schülerinnen und Schülern, das mit unserem Bild von Schule und Pädagogik nur wenig zu tun hat: Neugier, Fragen, Phantasie, Kommunikation werden nicht sichtbar.
Familien und Wohnorte von Kindern werden im Film ebenfalls ins Bild gesetzt. Deutlich wird, dass der Besuch der Koranschule für Eltern und Angehörige wichtig ist, bis hin zu der Tatsache, dass sie sich Hoffnungen für ihr eigenes Seelenheil machen können (siehe Hintergrund 1).
Aus der Vielzahl der Statements und Kommentare des Films seien hier drei aus der Pressemappe zum Film exemplarisch ausgewählte Äußerungen zitiert:
Über den Koranlehrer und seine Schüler heißt es: „Mohammed Ismael, ein aus sehr armen Verhältnissen stammender Koranlehrer (Hafiz) in der Koranschule in Amirabad, musste seinerzeit, um seine Eltern zu versorgen, ein Religionsstudium abbrechen und ist Hafiz in der Madrasa. Wenn ein Schüler den Besuch der Madrasa nicht beendet, hat dies in der Regel sehr negative Folgen. Oft ist es dann für den Besuch einer staatliche Schule oder eine andere Ausbildung zu spät. ‚Hafiz‘ ist auch das Berufsziel, das die Kinder bei den Befragungen fast einhellig angeben. Der Hafiz wird z.B. bei Hochzeiten und Bestattungen gebraucht. Er ist in Bangladesch angesehen als der, der den Koran rezitieren kann. Er ist auch materiell abgesichert. Der Hafiz garantiert seinen Eltern nach allgemeiner religiöser Überzeugung ein gutes Leben nach dem Tod im Jenseits und wird auch am Tag des Jüngsten Gerichts belohnt.“
Sharfuddin, der nach seiner Ausbildung an einer Madrasa als Imam in einer Moschee arbeitet, hält im Interview ausschließlich die religiöse Ausbildung für wichtig: „Denn seiner Meinung nach“, so fasst es Dill-Riaz im Kommentar zusammen, „ist die weltliche Bildung nur für das irdische Leben notwendig, aber für das Leben im Jenseits völlig irrelevant. Deswegen sollte auch der Staat die Menschen zwingen nach den islamischen Gesetzen zu leben. Eine Madrasa-Ausbildung ist für ihn eine dringende Notwendigkeit.“
Und Prof. Salimullah Khan kommt im Film mit seiner Kritik am Schulsystem zu Wort: „Die Ausbildung sei sehr einseitig, sagt er, doch man müsse die Geschichte der Madrasas kennen, um sie zu verstehen. Denn einst waren die Madrasas, als einzige Bildungseinrichtung für Muslime, äußerst vielfältig und sie fungierten nicht nur als Religionsschule. (…) Prof. Salimullah Khan kritisiert vor allem die Einseitigkeit der Bildung und die geringe Bereitschaft, moderne Entwicklungen zuzulassen. So sei es zum Beispiel unverständlich, warum immer noch ausschließlich auf Urdu oder Arabisch unterrichtet werde, anstatt in der Landesprache Bengali. Deshalb seien viele Schüler beruflich auch so isoliert und könnten nur als Hafiz oder in einer Moschee arbeiten.“
http://dill-riaz.com/wp-content/uploads/2012/10/Pressemappe_Korankinder.pdf
Kritik
Es ist ein besonderer Blick, aus dem heraus der Film den Islam in Bangladesch mit einer seiner wichtigen Manifestationen, den Madrasas zum Thema macht. Shaheen Dill-Riaz, der Regisseur, der 1992 Bangladesch verlassen hat, ist dort geboren und aufgewachsen und war auch beruflich dort tätig – so z.B. als Mitorganisator des International Short Film Festivals Dhaka und als Filmjournalist. Ab 1992 studierte er in Deutschland, u.a. Kamera an der HFF Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Er lebt in Deutschland und ist somit als Beobachter seiner Heimat auch vom europäischen Umfeld geprägt. Shaheen Dill-Riaz ist bis heute in Bangladesch verwurzelt und hat nahezu alle seine Filme dort gedreht. Damit lässt auch der Film „Koran Kinder“ eine Perspektive erkennen, die nicht nur die eines Beobachters von außen ist. Aktuelle Entwicklungen, besonders der Vorwurf, Koranschulen seien eine Brutstätte des Terrorismus, markieren so zwar Ausgangspunkte für den Regisseur, der Film aber entwickelt weit darüber hinaus weisende Perspektiven. „Neben den institutionellen Strukturen zeigt er die Relevanz der Schulen und erkundet, wie der orthodoxe Islam in Gesellschaft und Geschichte des indischen Subkontinents verwurzelt ist.“
www.filmportal.de/film/korankinder_5fbb34a791bd4bc38106b88e8fd23a6a
So thematisiert er auch seinen persönlichen Zugang zu den Themen des Filmprojekts; nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit und religiösen Identität. Dazu hat er auch ein Interview mit seinen Eltern geführt. (Für seine Eltern stand der Besuch einer Koranschule für ihren Sohn außer Frage. „Was; wenn ich in einer Madrasa gewesen wäre?“ will er wissen. „Um Himmels willen“ sagt seine sympathische und kecke Mutter mit einem Lachen „ich hätte diese Madrasa höchstpersönlich demoliert.“ Dennoch ist Religion ein wichtiges Thema für sie.
Der Film ermöglicht einen Blick in Lebenswelten, die uns sonst (auch in Zeiten der Globalisierung) nicht zugänglich sind. Wer den Blick auf die Anderen – und in seiner Folge den Perspektivenwechsel im Sinne gegenseitigen Verstehens, auch im Blick auf gemeinsames Handeln – für wichtig hält, der findet in diesem Film originäre und wertvolle Informationen. Informationen über die Bemühungen von Eltern, ihren Kindern Bildung zu ermöglichen; Informationen von Verantwortlichen, was die Ausgestaltung von Koranschulen im Sinne eines spezifischen islamischen Religions- und Weltverständnisses betrifft, und auch Informationen darüber, wie dies Menschen außerhalb dieses Systems sehen und kommentieren.
Zunächst hatte der Regisseur die Diskussion um islamischen Terrorismus im Blick. „Der erste Blick war durch die dramatischen Ereignisse (Bombenanschläge) sehr voreingenommen und klischee-beladen. Wer steckt eigentlich hinter der Serie von Bombenanschlägen? Gibt es einen Zusammen-hang zwischen den beschuldigten Islamisten und den Koranschulen? Das waren meine ersten Fragen. Aber ich habe gesehen, dass diese Fragen in die falsche Richtung führen. Mir schien es ungerecht, jene Schulen zu beschuldigen, ohne genau zu wissen, was in ihnen eigentlich vor sich geht. Die meisten Menschen der Mittelschicht in Bangladesch, zu der auch meine Familie gehört, haben keinen direkten Kontakt zu den Koranschulen. Diejenigen, die sich besonders gebildet fühlen, gehen davon aus, dass in diesen Schulen etwas ganz Geheimnisvolles vor sich geht. Um klarer zu sehen, hilft es jedoch manchmal, die Blickrichtung zu ändern, so Antoine Saint-Exupéry. Das war hier auch der Fall. Im Grunde ist es gar nicht so schwer, sich selbst ein gutes Bild zu machen“
Zum Abschluss des Symposiums der Internationalen Forschungsgruppe Film und Theologie im Juni 2012 fand ein Gespräch mit dem Shaheen Dill-Riaz statt. Die Fragen wurden gekürzt sowie anonymisiert. Shaheen Dill-Riaz hat den Text, den Stefan Orth bearbeitet hat, durchgesehen.
http://dill-riaz.com/wp-content/uploads/2012/10/Interview_Dill_Riaz_Korankinder.pdf
Was der Film jedoch nicht bietet, ist ein vertiefender Blick auf die sozialen und politischen Verhältnisse in Bangladesch, welche die Menschen dazu bringen, ihre Zukunftsplanungen an die Madrasas zu knüpfen. Ansatzweise wird dies in der Kritik am Staat geleistet, die der Film indirekt übt: Der Staat nimmt seinen Auftrag, Bildung zu ermöglichen, nicht ausreichend wahr, ja er behindert durch das Schulgeld die Chancen von Kinder sogar. Damit mindert er auch Chancen, der Armut zu entfliehen, was in einer weiteren Konsequenz dazu führt, eine Radikalisierung der Gesellschaft zu befördern, die einen fundamentalistischen Gottesstaat im Blick hat.
Der Zuschauer bleibt aufgefordert, diese vielfältigen Themen selbst weiter zu vertiefen. Der Film bietet dafür verschiedene Ausgangspunkte und erste Informationen – so u.a. auch zu grundlegenden theologischen Fragen, wie der Bedeutung des Korans für Moslems.
Themenaspekte im Blickpunkt
Hintergund 1
Die Koranschulen (Madrasas)
Der Islam ist vielfältig. Es gibt nicht „die“ Koranschule, sondern diese haben in verschiedenen Re-gionen des Landes viele Facetten und ihre je eigene Ausprägung. In diesem Film steht das Schul-leben an den vom Regisseur ausgewählten (und ihm genehmigten) Drehorten im Mittelpunkt.
Die Madrasas haben auch in Bangladesch nicht unbedingt einen guten Ruf. Sie gewährleisten gewissermaßen ein „paralleles Bildungssystem“ zum staatlichen System. Als Reaktion auf die von den englischen Kolonialherren eingeführte Unterrichtsorganisation entstanden aus dem kulturellen Widerstand dagegen die Madrasas, die Koranschulen. Weltlicher und religiöser Unterricht wurden auf diese Art und Weise getrennt. Das konservativere Koranschulmodell heißt Qawmi (sprich: Kaomi). In den ersten Klassen wird hier fast ausschließlich das Rezitieren des arabischen Korans gelehrt. Es gibt aber auch eine weltoffenere Form der Madrasa, „Aleya“ genannt, in der auch Englisch und Naturwissenschaften unterrichtet werden.
Die Bedeutung der Koranschulen hat enorm zugenommen. Zwischen 1972 und 2004 haben die Madrasas einen Zuwachs von 73 Prozent zu verzeichnen. 2005 wurden in Bangladesch 31 Prozent aller Schulabschlüsse im Land in einer Madrasa abgelegt.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/was-donald-rumsfeld-nicht-wusste-11391229.html
Die klassischen Madrasas sind auch heute nicht vom Staat abhängig. Geld für den Unterhalt der Schulen kommt aus den Spenden der Moscheebesucher. In Bangladesch entziehen sich die Koranschulen weitgehend der Kontrolle durch staatliche Stellen. Es gibt zwar einen gesetzlich vorgeschriebenen Stundenplan, dieser wird aber oft nicht eingehalten, so dass der Übergang in eine weiterführende Schule nicht möglich ist.
Der größte Teil der muslimischen Bevölkerung Bangladeschs ist so arm, dass er sich das staatliche Bildungssystem nicht leisten kann. Die kostenlosen Koranschulen, die Madrasas, sind Alter-nativen und gleichzeitig mit der Hoffnung auf das eigene Seelenheil verbunden.
Harald Witz schreibt in seiner Rezension über den Film: „Würde der Staat seine Bildungsaufgaben selbst in die Hand nehmen und die Aufstiegs- und Zukunftschancen nicht durch die Erhebung von Schuldgeld gen Null fahren, könnten mehr Menschen der Armut entfliehen, wäre der Zulauf zu den Koranschulen weitaus geringer und würde sich die Gefahr einer Radikalisierung sowie eines fundamentalistischen Gottesstaates abschwächen. Shaheen Dill-Riaz' so authentischer Film ist ein imposantes Beispiel für diese keineswegs überraschende Entwicklung. So ziemlich jedes muslimische Land der Dritten Welt, das mit Armut konfrontiert ist, erlebt eine ähnliche Entwicklung. Nur die vermeidbaren Folgen sind beängstigend.“
www.moviemaze.de/filme/2959/korankinder.html#ixzz2NKictcFY
Koranschulen in Deutschland
Es gibt auch in Deutschland Unterrichtsangebote islamischer Gemeinden, die sich selbst als „Koranschulen“ bezeichnen. Sie sind aber nicht mit den Madrasas vergleichbar. In Deutschland herrscht allgemeine Schulpflicht. Die „Koranschulen“ in Deutschland sind ein zusätzliches Angebot zur „religiösen Unterweisung“ – wie es auch der Konfirmationsunterricht (evangelisch) und der Firmunterricht (katholisch) sind.
Bei der Diskussion um die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an den allgemein-bildenden Schulen in Deutschland geht es hingegen um „Religionsunterricht“ als Schulfach im Sinne des Grundgesetzes, bzw. der Länderverfassungen.
Hintergrund 2
Koranschulen – Schulen für den Terrorismus?
Koranschulen als Brutstätte des Terrorismus“, dies ist ein Bild, das auch bei uns heute durchaus verbreitet ist.
„Are we capturing, killing or deterring and dissuading more terrorists every day than the Madrasas and the radical clerics are recruiting, training and deploying against us?” Donald Rumsfeld (zitiert nach New York Times 22.11.2003)...Koranschulen waren 2003 Gegenstand eines Memos von Donald Rumsfeld, der seinen Kampf gegen den Terrorismus im Blick hatte. „Gegenwärtig fehlen uns die Maßstäbe, um zu erkennen, ob wir den globalen Krieg gegen den Terror gewinnen oder verlieren. Sind wir dabei, jeden Tag mehr Terroristen zu verhaften, zu töten und abzuschrecken, als die Koranschulen und die radikalen Kleriker jeden Tag rekrutieren, ausbilden und gegen uns in Stellung bringen? Müssen die Vereinigten Staaten einen großen und integrierten Plan entwickeln, um die nächste Generation von Terroristen zu stoppen? Bisher haben wir uns relativ wenig um einen langfristigen Plan gekümmert und unsere Bemühungen darauf konzentriert, die Terroristen zu stoppen. Die Kosten-Nutzen-Bilanz steht gegen uns. Unsere Kosten berechnen sich in Milliarden, die der Terroristen in Millionen."
www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-rumsfeld-memorandum
Solchen „Vorurteilen“ auf die Spur zu kommen, war einer der Beweggründe für Shaheen Dill-Riaz, dieses Filmprojekt anzugehen.
In einem Interview antwortet er auf die Frage „der Film gibt einen bemerkenswerten, teils auch bedrückenden Einblick in die Ausbildung junger Menschen in Koranschulen in Bangladesch. Was war der Auslöser für den Film?“
„Es gab im Jahr 2007 eine Reihe von Bombenanschlägen in Bangladesch. Man hatte seinerzeit gerätselt, wer dahinter steckt. Zuerst ist man davon ausgegangen, dass dies eine militante islamistische Gruppe gewesen sein muss, was im In-und Ausland zu sehr großer Empörung geführt hat – auch wenn bei den Attentaten keine Menschen zu Schaden kamen. Später hat sich herausgestellt, dass im Hintergrund nicht nur Islamisten, sondern auch linksextremistische Gruppierungen mitverantwortlich waren. Es ging dabei auch um Machtkämpfe verschiedener Gruppen – und nicht nur um Islamisten, die man unter den Absolventen der vielen Koranschulen im Land vermutete. Zu Beginn der Arbeiten an diesem Film ging es mir darum, genauer zu wissen, wer eigentlich hinter den Islamisten in diesem Land steckt, die besonders bei jungen Leuten Zulauf haben. Schließlich hat sich dann aber das Interesse mehr auf die Koranschulen selbst verlagert. Ich wollte schließlich vor allem herausfinden, was in diesen Koranschulen, wie es sie auch in Indien, Pakistan und anderen Nachbarländern gibt, genauer passiert.“
http://dill-riaz.com/wp-content/uploads/2012/10/Interview_Dill_Riaz_Korankinder.pdf
Hintergrund 3
Länderinformation Bangladesch
(Basisinformationen des Auswärtigen Amtes (2013)
www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Bangladesch_node.html
Bevölkerung: 164 Millionen; Land: 74,5%; Stadt: 25,5%; Bevölkerungswachstum 1,4%. Mit einer Bevölkerungsdichte von mehr als 1.000 Personen pro qkm ist Bangladesch (abgesehen von reinen Stadtstaaten) der am dichtbesiedelte Staat der Welt.
Landessprache: Bangla (Bengalisch), daneben mehrere Stammessprachen als Minderheiten-sprachen und verbreitet Englisch in Großstädten.
Religionen/Kirchen: Muslime ca. 90%, Hindus ca. 9%, Buddhisten ca. 0,6%, Christen ca. 0,3% (alle Zahlen Schätzungen).
Bruttoinlandsprodukt: ca.115,00 Mrd. US Dollar (Stand 2011)
Pro-Kopf-Einkommen: 770 US-Dollar/Jahr (Stand 2011)
Weitere Informationen der GIZ
http://liportal.giz.de/bangladesch.html
Islam in Bangladesch
Bangladesch ist der Staat mit der drittgrößten sich zum Islam bekennenden Bevölkerung – nach Indonesien und Pakistan. „Bishwa Ijtema“ in Dhaka ist das größte Pilgertreffen nach Mekka, an dem bis zu drei Millionen Menschen aus der islamischen Welt teilnehmen. Das Treffen wird von der Missionsgemeinschaft Tablighi Jamaat organisiert und wurde 1926 von dem Gelehrten Maulana Muhammad Ilyas gegründet. Diese Bewegung will Mulsime zu einem vollständig am Koran ausgerichteten Leben führen. Hierbei kommt den Madrasas eine wichtige Rolle zu.
Der Regisseur
Shaheen Dill-Riaz wurde 1969 in Dhaka, Bangladesch, geboren.
Anfang der 90er Jahre engagierte er sich als Mitorganisator des International Short Film Festivals Dhaka und arbeitete als Filmjournalist in Bangladesch. 1992 kam er über ein Stipendium des Goethe-Instituts nach Berlin, wo er seither lebt und arbeitet.
Nach dem Studium der Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin begann er 1995 ein Kamerastudium an der HFF Filmschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. 2002 realisierte er seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Sand und Wasser“, mit dem er die Ausbildung an der Hochschule erfolgreich abschloss.
http://dill-riaz.com).
Filmographie:
1998: Augen hören, Ohren sehen (Kurzfilm)
1995: Ein Tag, Jeden Tag (Kurzfilm)
2002: Sand und Wasser (Dokumentarfilm)
2005: Die glücklichsten Menschen der Welt (Dokumentarfilm)
2008: Eisenfresser (Dokumentarfilm)
2009: Korankinder (Dokumentarfilm)
2011: Der Netzwerker (Kurzdokumentarfilm)
2012: Der Vorführer (Kurzdokumentarfilm)
2012: Schulter an Schulter (Dokumentarfilm)
Auszeichnungen:
2010 Grimme-Preis für den Dokumentarfilm „Eisenfresser“
2010 Publikumspreis der Duisburger Filmwoche für „Koran Kinder“.
2013 Sonderpreis Kultur des Landes NRW im Rahmen des 49. Grimme-Preises für „Der Vorführer“ (aus der ZDF/3sat-Reihe „Fremde Kinder“
2013 Große Klappe Filmpreis beim doxs! Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche bei der Duisburger Filmwoche für „Der Vorführer“.
2013 7. Eine-Welt-Filmpreis NRW beim 22. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik für
„Der Vorführer“.
Impulse für die Bildungsarbeit
Vorbemerkungen:
Koranschulen / Islam
Thema des Films sind Kinder in Koranschulen – Koranschulen in Bangladesch. Ins Bild gesetzt werden aber nicht alle Koranschulen in Bangladesch, sondern eine Auswahl, für die es eine Drehgenehmigung gab. Bei der Auseinandersetzung mit dem Film im Rahmen der Bildungsarbeit muss im Blick bleiben, dass es DEN ISLAM nicht gibt. So können Koranschulen nicht IM ALLGEMEINEN abgehandelt werden.
In vielen Lern- und Diskussionsgruppen bei uns gibt es im übrigen Menschen, die eigene Erfahrungen mit Koranschulen haben. Diese Erfahrungen sollten jeweils differenziert einbezogen werden. Der Film kann in unterschiedliche Themenfelder hinein Impulse geben.
Einsatzmöglichkeiten
Schule ab Klasse 11. Nach meiner bisherigen Erfahrung setzen SchülerInnen ab der Klasse 11 nach der Betrachtung des Films selbst schnell Schwerpunkte, die auf alle Fälle aufgegriffen werden sollten.
Lehreraus- und -weiterbildung (hier sind im Blick auf den Film Themen wie Bildung, Einfluss des Staates, Bildung und Armut, Rolle von Religion in Staat und Bildung Diskussionsgegenstand).
Politische Bildungsarbeit (siehe Schule, darüber hinaus durchaus auch die Themen der Lehreraus- und -weiterbildung).
Perspektivenwechsel
Wichtig scheint es mir, beim Blick in andere Gesellschaften in der globalisierten Welt einen „Perspektivenwechsel“ anzustreben und sich auch beim Einsatz dieses Films in die Rolle des anderen zu versetzen und aus dessen Sicht einen Sachverhalt zu sehen. Globales Lernen kommt ohne „Perspektivenwechsel“ nicht aus.
Der Orientierungsrahmen Globale Entwicklung der Kultusministerkonferenz formuliert als wesentlichen Bestandteil des Ansatzes: „Wahrnehmung der Vielfalt in der Welt, Perspektivenwechsel“.
Die Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, dass ihre Sicht der Realität nur eine unter vielen ist. Die eigene Sichtweise als Ergebnis von Sozialisationserfahrungen zu sehen und das Verhalten und die Werte anderer Menschen und anderer sozialer Gruppen nicht nur aus der eigenen Perspektive zu betrachten sollte gefördert werden (Perspektivenwechsel). Perspektivbewusstsein und perspektivisches Denken zu entwickeln trägt dazu bei, dass sich die Lernenden der Tatsache bewusst werden, wie sehr ihre eigene Sichtweise von Einflüssen ihrer direkten oder medial beeinflussten Umgebung etwa denen einer bestimmten sozialen Gruppe, einer Religion oder der Muttersprache geformt werden.“ (David Selby/H.-F. Rathenow. Globales Lernen. Praxishandbuch Sek. I und Sek. II. Berlin 2003. S. 25)
Ausgewählte Themenaspekte
Bildung:
Bildung: staatlich organisierte und im Blick auf Chancengleichheit organisierte Bildung - Bildung mittels Koranschulen (zum Hintergrund 1: s.o.)
Vorbemerkung: Thema des Films sind Koranschulen in Bangladesch. Ins Bild gesetzt werden aber nicht alle Koranschulen des Landes, sondern eine kleine Auswahl, für die der Regisseur eine Drehgenehmigung erwirken konnte. Bei der Auseinandersetzung mit dem Film im Rahmen der Bildungsarbeit gilt es zudem zu berücksichtigen, dass es „den Islam“ nicht gibt.
Anregungen für das Filmgespräch:
Für das Nachgespräch zum Film können gezielte Beobachtungsaufträge hilfreich sein:
- Wie lässt sich das Bildungssystems in Bangladesch charakterisieren?
- Welche Bedeutung kommt dabei den sozialen Voraussetzungen, dem staatlichen Bildungssystem und den Koranschulen zu?
- Wie lassen sich die jeweiligen Einstellungen der im Film interviewten Kinder und Erwachsenen im Blick auf ihre Gegenwarts- und Zukunftserwartungen zusammenfassen?
Anregungen für einen gezielten Perspektivenwechsel:
- Die eigenen Bildungs- und Lebenschancen formulieren.
- Aus der Sicht eines „Korankindes“ Schule und Schulalltag beschreiben und kommentieren.
Bei all diesen Diskussionsanregungen geht es zunächst nicht um die besondere Rolle von Religion, sondern darum, dass Koranschulen auch jenen Bildung ermöglichen, die sich diese sonst ökonomisch nicht leisten könnten. (Der Film vermittelt dabei die nötigen Grundinformationen zum staatlichen Schulsystem in Bangladesch, das Schulgeld verlangt). Es gibt zwar auch für die Koranschulen staatliche Vorgaben, aber diese werden nicht unbedingt immer verfolgt. Bildung ist in den Madrasas eng am „Koranrezitieren“ orientiert (was theologisch ein besonderes Gewicht hat). Bildung, die ein Leben in der Gesellschaft gut ermöglichen könnte, steht hier deshalb nicht im Mittelpunkt (vgl. hierzu auch die Ausführungen über die Konzentration auf das Berufsbild „Hafiz“). Gute Impulse für ein Nachgespräch zum Film sind auch Interviewausschnitte mit dem Regisseur.
Religion und Gesellschaft
Abgesehen davon, dass die Madrasas – aus der Perspektive der Beteiligten – als „Schule“ (auch mit Schulabschluss) verstanden werden, sind sie aber auch in einem weiteren Sinne Teil der Gesellschaft. Um diesen Aspekt geht es bei folgender Diskussionsanregung.
Anregungen für das Filmgespräch:
- Welches Bild vom Menschen und dem Leben in der Gesellschaft spiegelt sich in der Arbeit der Madrasas?
- Welchen Stellenwert hat der Islam für die Menschen, die im Film zu Wort kommen? (Schüler, Lehrer, Eltern, Beobachter)
- Wäre für sie auch eine säkulare Lebensgestaltung denkbar oder sogar wünschenswert?
- Welche Bilder der Gesellschaft spiegeln sich in diesen Haltungen?
Anregungen für einen gezielten Perspektivenwechsel:
- Welche Bedeutung kommt Religion in der Gesellschaft aus dem Blickwinkel der eigenen Religiosität zu?
- Wie sähe unsere Gesellschaft aus, wenn Religion einen anderen Stellenwert hätte? (Phantasiereise)
- Versuch, aus der Sicht eines „Korankindes“ (oder eines Imam, bzw. Lehrers) unsere Gesellschaft in Deutschland zu beschreiben und zu kommentieren.
Auch hier bietet ein Ausschnitt aus dem Interview mit dem Regisseur interessante Impulse.
http://dill-riaz.com/wp-content/uploads/2012/10/Interview_Dill_Riaz_Korankinder.pdf
Shaheen Dill-Riaz im Interview auf die Frage „Was heißt das für den Faktor Religion in Bangladesch?“
„Das Interesse an Religion ist größer geworden, auch wenn die Ausprägung sehr unterschiedlich ist. Die einen haben heute verstärkt das Bedürfnis, Spiritualität auch tagtäglich zu leben – was in den deutschen Medien ja kaum gezeigt wird. Der Islam ist hierzulande immer gleich ein Problem, zu wenig informiert man über den Alltag der Menschen. Eine ganze Reihe von meinen Verwandten in Bangladesch oder Indien haben auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren damit begonnen, für Moscheen oder Koranschulen zu spenden. Warum? Weil sie das Gefühl haben, keine Zeit zum Beten mehr zu haben, auf diese Weise aber immerhin eine Ersatzleistung anbieten wollen. Diese Menschen sehnen sich danach, Religion zu praktizieren, investieren aber in Dinge, an denen sie nicht direkt beteiligt sind. Sie würden die von ihrem Geld miterbaute Moschee nie zum regelmäßigen Gebet betreten.“
Frage: „Wie steht es angesichts dieser Entwicklungen um den Dialog zwischen explizit religiösen und dezidiert säkularen Sichtweisen in Bangladesch? Wie groß ist die Gefahr einer radikalen Islamisierung?“
„Da bin ich optimistisch. Es gibt kleine Gruppierungen, die sich aus ideologischen Gründen abgrenzen wollen, wie man sich auch in den reicheren Vierteln versucht von der Außenwelt zu isolieren: in den von Mauern umschlossenen, bewachten Appartementhäusern derjenigen, die es sich in den Großstädten leisten können. Die meisten Leute aber sind, selbst wenn sie verschiedenen Strömungen angehören, miteinander im Dialog – auch wenn man dies oft genug nicht sehen will, beziehungsweise dies in den Medien nicht gezeigt wird. Wenn im Alltag etwa die Fragen zum Thema Sexualität oder auch dem gesellschaftlichen Umgang von Mann und Frau auftauchen, werden sie aufgegriffen und auch unabhängig von Traditionen und Normen diskutiert. Das macht Hoffnung.“
http://dill-riaz.com/wp-content/uploads/2012/10/Interview_Dill_Riaz_Korankinder.pdf
Religiöse Sozialisation bei uns
Wie werden wir in unsere Religionsgemeinschaft eingeführt? (Schulischer Religionsunterricht; Veranstaltungen der Religionsgemeinschaften. Diskussion um die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in der Bundesrepublik)
Anmerkung: Der Film kann zum Anlass genommen werden, diese Frage aufzugreifen und zu diskutieren. Er selbst stellt diese Frage im Blick auf Deutschland nicht und bietet für diesen Aspekt auch keine direkten Informationen.
Arbeitsvorschläge und Arbeitsvorlagen: http://globlern21.de/islamischerreligionsunterricht.html
Literatur- und Medienhinweise:
Filme:
- Eisenfresser. Ein Film von Shaheen Dill Riaz, Deutschland 2007, 85 min.
Katalog EZEF - Der Vorführer. Ein Film von Shaheen Dill-Riaz, Deutschland 2012, 29 min.
Katalog EZEF - Der Netzwerker. Ein Film von Shaheen Dill-Riaz, Deutschland 2011, 28 min.
Katalog EZEF
Länderinformation Bangladesch:
- Informationen des Auswärtigen Amtes:
www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Bangladesch_node.html - Informationen der GIZ:
http://liportal.giz.de/bangladesch.html - Informationen der Botschaft von Bangladesch:
www.bangladeshembassy.de - Informationen von Netz e.V.:
www.bangladesch.org
Weitere Hinweise im Internet:
- Islamischer Religionsunterricht in Deutschland:
http://globlern21.de/islamischerreligionsunterricht.html - Das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster:
www.uni-muenster.de/ZIT/ - www.schulministerium.nrw.de/BP/Islamischer_Religionsunterricht/
www.schulministerium.nrw.de/BP/Islamischer_Religionsunterricht/Das_Studienfach_Islamische_Religionslehre/index.html - Zentrum für Islamische Theologie (ZITH) – Universität Tübingen:
www.uni-tuebingen.de/fakultaeten/zentrum-fuer-islamische-theologie/zentrum.html - „Kapitalismus für das Reich Gottes – Der Pietismus hat die Welt verändert. Jetzt feiert die protestantische Reformbewegung in Halle Jubiläum“, Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 22. März 2013: http://pressespiegel.pr.uni-halle.de/ausgabe/index.php?modus=detail&artikel_id=7710
Autor: Martin Geisz
Redaktion: Bernd Wolpert
Mai 2013