Spielfilm von Ramadan Suleman
Südafrika, Frankreich, Deutschland 2004, 100 Minuten, OmU
Inhalt
Johannesburg etwa im Jahr 1996. Die Journalistin Thandeka Khumalo kann die bereits Jahre zurückliegende Zeit der Apartheid nicht vergessen da sie von heftigen Schuldgefühlen gequält wird. Bei den gemeinsamen Recherchen mit ihrem Kollegen Mike, einem Fotografen, wird sie Augenzeugin an der Ermordung Dineos, einer jungen Widerstandskämpferin. Nach der Veröffentlichung eines Artikels über dieses Geschehen wird sie und ihr Kollege Mike von der Geheimpolizei festgenommen, inhaftiert und gefoltert. Während Thandeka später ihr Leben einigermaßen im Griff hat, zerbricht Mike innerlich an der schweren Traumatisierung und kann seither nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Mike versucht vor allem mit Alkohol seine Erinnerungen fernzuhalten. Thandeka, welche während ihrer Verhaftungszeit bereits schwanger war, bringt eine gehörlose Tochter namens Mangi zur Welt. Thandeka fragt sich später immer wieder ob Mangis Behinderung durch die Folter verursacht wurde, und ob sie die Möglichkeit gehabt hätte dies zu verhindern, wenn sie ihre Folterer über ihre Schwangerschaft informiert hätte. Jahre später – Mangi ist bereits 13 Jahre alt – wird Thandeka zunehmend von Angstzuständen und Schuldgefühlen gequält. In der Arbeit kann sie sich kaum noch konzentrieren, auf Kritik ihres Vorgesetzten reagiert sie überzogen aggressiv. Auch im Privaten gibt es Schwierigkeiten. Gegenüber ihrer Tochter verschließt sich Thandeka besonders dann wenn es um ihre eigene Vergangenheit geht, gleichzeitig unternimmt sie mit ihr Einkäufe, die eher an einen Ausflug zweier pubertierender Teenager erinnert. Thandeka bietet Mangi aber vor allem kein zuverlässiges Gegenüber, wodurch sich Mangi vielmehr auf ihren Vater als konstante Elternfigur verlässt. Thandeka reagiert eifersüchtig auf ihren Ex-Mann, kann sich aber gleichzeitig auch nicht auf dessen Hilfestellungen einlassen. Versuche gemeinsamer familiärer Rituale, werden von Thandekas neuem Geliebten gestört.
Mangi kämpft um die Beziehung zu ihrer Mutter. Sie scheint zu ahnen, dass Thandekas Schwierigkeiten auch mit ihr zu tun haben. Auch Mangi leidet unter der unbewältigten – ihr aber eben auch unbekannten – Vergangenheit Thandekas. Doch zu sprechen scheint hier immer wieder ein hartes Stück Arbeit zu sein. Mangi versucht über die traditionelle Zulu-Kunst der Perlenstickerei, diesie von ihrer Großmutter gelernt hatte, einen Zugang zu ihrer Mutter zu finden. Dabei wird durch die Anordnung der Farben und Formen einem Bedeutungscode gefolgt, der Ähnlichkeiten zur Zeichensprache der Gehörlosen aufweist. In einem solchen Zulu Love Letter erkennt Thandeka, dass Mangis Liebe zu ihr frei von Forderungen und Schuldzuweisungen ist.
Eines Tages kommt Dineos Mutter Me-Tau in die Redaktion. Sie hat einen Polizisten ausfindig gemacht, der an der Ermordung ihrer Tochter beteiligt war und bittet nun Thandeka vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission als Zeugin auszusagen. Me-Tau erhofft sich durch den Prozess Gewissheit über den Verbleib der sterblichen Überreste ihrer Tochter zu bekommen. Als Thandeka schließlich zögernd einwilligt, machen sich die beiden Frauen auf den Weg den Polizisten ausfindig zu machen. Nach Einschüchterungsversuchen der Polizisten wird Mangi und ihr Vater Moola in einen Verkehrsunfall verwickelt. Moola stirbt dabei. Bei den weiteren Bemühungen, das Verbrechen an Dineo aufzuklären, erkennt Thandeka, dass ihre Tochter weit mehr versteht als sie ihr zugetraut hat. Am Ende können beide, aber auch Me-Tau und deren zweite Tochter mit neuer Zuversicht in eine offene Zukunft blicken.
Kritische Einschätzung
Der Film "Zulu Love Letter" ist ab 14 Jahren geeignet. Gut einsetzbar ist der Film für die Schulfächer Gemeinschaftskunde, Geschichte, Politik, Religion und Ethik, besonders aber für fächerübergreifende Projektarbeit. Empfehlenswert ist "Zulu Love Letter" auch für die außerschulische Jugendarbeit und Erwachsenenweiterbildung. Um dem Inhalt des Films folgen zu können sollte man bedenken, dass es vor der Betrachtung des Filmes einer Einführung und Einbettung in den historischen Kontext bedarf. Wir denken, dass es hilfreich wäre einen kurzen Überblick zur Apartheid-Ära und zu dem Versuch der Aufarbeitung durch die Wahrheits- und Versöhnungskommission zu geben.
Ramadan Suleman gelingt es die Emotionen des Betrachters anzustoßen, wodurch ein ganzheitliches Erleben des Films gelingt, und auch für einen europäischen Betrachter die Geschichte verständlich wird. Dabei sollte bedacht werden, dass es bei einem jüngeren Publikum eventuell notwendig ist, die durch den Film entstehenden Emotionen aufzufangen und einzuordnen.
Zeittafel
- 1910 Die Politik der konsequenten Rassentrennung wurde nach Gründung der Südafrikanischen Union durch ein Bündel von Gesetzen eingeleitet, die vor allem die Rechte der schwarzen Bevölkerungsmehrheit beschnitten.
- 1912 Gründung des South African Native National Congress im Jahre 1923 umbenannt in African National Congress (ANC)
- 1948 Wahlsieg der Nationalen Partei unter D. F. Malan - Beginn der Apartheid Politik
- 1952 Missachtungskampagne, vom ANC organisierte Kampagne bei der im ganzen Land Schwarze die Apartheidgesetze missachteten.
- 1960 Sharpeville-Massaker: blutige Auseinandersetzung zwischen der südafrikanischen Regierung und den Gegnern der Apartheid in den Townships, anschließendes Verbot von ANC sowie weiteren Organisationen.
- 1962 Nelson Mandela wird verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt.
- 1989 Frederik Willem de Klerk wird Präsident und erklärt die Apartheidpolitik für gescheitert.
- 1990 Nelson Mandela wird nach 27 Jahren Haft frei gelassen.
- 1994 Erste freie Wahlen in Südafrika: der ANC geht mit 62% der Stimmen als Sieger hervor. Nelson Mandela wird erster schwarzer Präsident.
- 1996-1998 Die Wahrheits- und Versöhnungskommission bemüht sich um die Aufdeckung von Apartheid-Verbrechen
Filmcharaktere
Thandeka Khumalo während des Apartheid-Regimes wurde die damals Schwangere inhaftiert und gefoltert nachdem ein Artikel von ihr über die Ermordung der jungen Widerstandskämpferin Dineo durch die Polizei erschienen war. Über die dramatische Erfahrung kann Thandeka mit niemanden sprechen. Erst Begegnungen mit Dineos Mutter setzt einen allmählichen Bewältigungsprozess in Gange.
Mangi ist Thandekas 13 jährige Tochter, die seit ihrer Geburt taub ist. Mangi leidet unter der Traumatisierung und dem Schweigen ihrer Mutter. Sie bemüht sich um die Zuwendung ihrer Mutter und versucht durch die Anfertigung eines Zulu Love Letter einen Weg zu finden um mit ihrer Mutter in Beziehung zu kommen.
Moola ist Thandekas indisch stämmiger Ex-Mann, auf den Thandeka eifersüchtig ist, da er ein gutes Verhältnis zur gemeinsamen Tochter hat. Moola versucht Thandeka zu unterstützen, dies kann Thandeka aber aufgrund der tiefgreifenden Traumatisierung nicht annehmen. Moola wird durch einen fingierten Verkehrsunfall des Ex-Polizist Dhlamini getötet.
Dineo war Widerstandskämpferin und wurde vor etwa 13 Jahren von einem Polizisten erschossen.
Me-Tau ist Dineos Mutter. Sie versucht ihre Trauer über den Tod ihrer Tochter dadurch zu überwinden, indem sie die Gebeine ihrer Tochter ausfindig macht, wozu sie Thandeka um Hilfe bittet, und sie traditionell beerdigen lässt.
Mike war Fotograf und hat zusammen mit Thandeka den Mord an Dineo beobachtet. Nach seine Verhaftung und Folterung, versucht er seine Erinnerungen durch den Alkohol zu vergessen.
Dhlamini der schwarze Ex-Polizist war mit zwei weißen Kollegen an der Verfolgung und Ermordung Dineos beteiligt.
Mangis Großmutter sorgt mit ihrem Mann für Mangi, wenn Thandeka arbeiten muss. Im Gegensatz zu ihrer Tochter Thandeka beherrscht sie die Gebärdensprache und ist eine wichtige Vertraute ihrer Enkelin.
Mutter-Tochter-Konflikt
Haupterzählungsstrang des Filmes, an dem sich alle Ereignisse ableiten, ist die gestörte Beziehung zwischen Thandeka und Mangi. Die quälenden Schuldgefühle Thandekas treiben eine Kluft zwischen sie und Mangi, weil sie sich die Verantwortung für die Behinderung der Tochter zuschreibt und sich deshalb immer mehr und mehr gegenüber Mangi verschließt. Zudem ist die Lebenssituation der beiden Protagonistinnen durch dauerhaft widrige äußere Umstände gekennzeichnet: Mangi besucht eine Schule für Gehörlose und pendelt aufgrund der Trennung ihrer Eltern an den Wochenenden und in den Ferien zwischen den Wohnungen von Mutter, Vater und Großeltern. Ihre Mutter widmet sich intensiv ihrer Karriere, so dass sich meist die Großeltern um das Mädchen kümmern.
Verschärft wird das spannungsreiche Verhältnis durch die Krise Thandekas, die nach der Trennung von ihrem Ehemann und einem Suizidversuch Schwierigkeiten hat, sich zurechtzufinden. Außerdem leidet Mangi darunter, dass ihre Mutter nach 13 Jahren nicht einmal annähernd die Gebärdensprache beherrscht und so intensive Gespräche nur schwer möglich sind. Während ihre Schuldgefühle Thandeka daran hindern, sich für Mangi zu öffnen, versucht diese mittels eines Zulu Love Letters an diese heranzukommen.
Die Spannungen zwischen Thandeka und Mangi spiegeln sich auch in dem Verhältnis Thandekas zu ihrer Mutter. Diese kann sich nicht nur viel besser mittels der Gebärdensprache mit Mangi verständigen. Die Auseinandersetzungen zwischen Thandeka und ihrer Mutter zeigen aber auch den Verlust der traditionellen Identität von Thandeka auf. Thandeka findet durch ihre traumatischen Erfahrungen keinen Zugang mehr zu den traditionellen Riten. Exemplarisch für den unterschwelligen Konflikt zwischen Thandeka und ihrer Mutter ist die Szene als die Großmutter Mangi mit einfachen Worten die Bedeutung der Farben erklärt – Blau für Wärme, Rot für Liebe, Weiß für Reinheit – greift Thandeka bei der Farbe Schwarz sofort ihre Mutter an. Während die Großmutter damit nur „Kummer“ verbindet, betont Thandeka sofort den politischen Kontext der schwarzen Hautfarbe: „Black Consciousness sollte uns gelehrt haben: Schwarz ist schön! Und Weiß ist keineswegs rein.“
Die entscheidende Öffnung gegenüber Mangi wird ihr dadurch erleichtert, dass diese die Akte Dineos gelesen hat. Als die Tochter nach dem Unfalltod Moolas verschwunden ist und Thandeka um das Leben Mangis fürchtet, wird ihr klar, wie viel sie ihr bedeutet. So kann sie endlich auch die Liebesbotschaft des Zulu Love Letter annehmen und das angespannte Verhältnis zu ihrem Kind bereinigen. Auch Mangi kann nun ihr „Perlenprojekt“ vollenden, an dem sie unter anfänglicher Anleitung ihrer Großmutter lange gearbeitet hat. Die eingebettete Botschaft der Liebe kommt bei der Adressatin Thandeka an, die nun endlich das beharrliche Werben um Zuneigung versteht. Mangi und ihre Mutter beschließen, den „Liebesbrief“ zu den anderen Gedenkobjekten und Opfergaben für Dineo zu legen. Somit gelingt Thandeka durch Mangi also wieder die Synthese zwischen politischem Aktionismus und Tradition.
Traumatisierung
Zulu Love Letter ist in der Post-Apartheid-Zeit angesiedelt und konzentriert sich vor allem auf die Bewältigung der Vergangenheit und den Übergang in die Demokratie. Im Film wird zunehmend Thandekas Trauma entschlüsselt, indem sie durch aktuelle Ereignisse von ihrer Vergangenheit und ihren Erinnerungen eingeholt wird. Zulu Love Letter beginnt mit einem Suizidversuch Thandekas, der zeigt, dass es in Thandeka etwas gibt, das unbewältigbar scheint. Angestoßen durch äußere Ereignisse kommt es bei Thandeka immer wieder zu flash-backs, denen sie auf unterschiedliche Art und Weise versucht zu entkommen. Thandeka hat eine Vielzahl von Unterdrückungsstrategien entwickelt um ihre Erinnerungen zu vergessen. In ihren extremen Stimmungsschwankungen versucht sie abwechselnd, durch Alkohol, Schlaftabletten, Affären, blinden Aktionismus zu vergessen.
Sprachlosigkeit zieht sich als Symbol für das Unverständnis zwischen den Generationen durch den ganzen Film. Die Generation der Kämpfer kann ihre Erinnerung und Traumata nicht verbalisieren, während die nachfolgende Generation zwar die Angst und die innere Zerstörung spürt, diese jedoch unverständlich bleibt, da keine konkreten Ereignisse mit den Gefühlen verbunden werden können. Thandeka erkennt immer deutlicher, dass ihre innerfamiliären Probleme nur gelöst werden können, wenn sie mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Vergangenheit vorankommt und die Sprachlosigkeit überwindet.
Thandeka findet schließlich durch die Unterstützung ihrer Tochter und Me-Taus einen Zugang zum Sprechen. Me-Tau fungiert für sie als Vorbild, indem sie ihr zum einen zeigt, dass es wichtig ist trauern und erinnern zu können. Zum anderen zeigt sie ihr einen Weg, die Vergangenheit bewältigen zu können. Mangi ist für Thandeka immer wieder Grund zu leben. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist jedoch nicht einfach. Die entscheidende Öffnung gegenüber Mangi wird dadurch erleichtert, dass diese die Akte Dineos gelesen hat. Als Mangi nach dem Tod Moolas verschwunden ist, wird Thandeka klar wie viel Mangi ihr bedeutet. So kann sie endlich auch die Botschaft des Zulu Love Letter annehmen und das angespannt Verhältnis zu ihrer Tochter bereinigen.
Der Film zeigt auf, wie wichtig das Sprechen über die Geschehnisse während der Apartheid-Zeit ist, um für die Opfer und deren Angehörigen ein Umgang mit den Traumata zu ermöglichen. Hier bezieht sich der Film auch auf die Funktion der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Mit dem Slogan der Kommission: „Die Wahrheit tut weh, aber Schweigen tötet“ sieht man deutlich die Parallelen zu Thandekas Geschichte.
Zulu Love Letter zeigt zwei Möglichkeiten der Aufarbeitung der Vergangenheit. So sagt Thandeka schlussendlich vor der Kommission aus und macht dabei ihre Erinnerung öffentlich. Der Film zeigt aber auch, dass es wichtig ist an traditionellen Riten festzuhalten, wie die traditionelle Bestattungsfeier zeigt. Im Schlussbild mit den vier Frauen verdeutlicht Suleman, wie wichtig es für die Überwindung des Traumata ist, dass die Generationen nicht auseinander brechen, sondern sich gegenseitig stützen.
Exhumierung
Für die Überlebenden ist die Rückgabe der Gebeine der geliebten Menschen von großer Bedeutung, auch wenn der gesamte Prozess sehr schmerzlich ist. Denn die Bestattung der Toten nach den lokalen Bräuchen macht das tatsächlich Geschehene öffentlich und gibt ihnen und ihren Angehörigen ihre Würde zurück. So wird die kollektive Verarbeitung der noch immer gegenwärtigen Erfahrungen und der Wiederaufbau von Beziehungen gegenseitiger Unterstützung ermöglicht. Gleichzeitig wird Gewissheit über die Vorkommnisse und Raum für Forderungen geschaffen.
Die Exhumierung ist nicht nur die Freilegung der Leichen, sondern eröffnet einen Prozess um aus dem Schweigen und der daraus resultierenden Dynamik der Trauer aufzubrechen. Dadurch kann ein Raum geschaffen werden, der es den Angehörigen ermöglicht, ihren Schmerz aufzuarbeiten, damit Leid aber auch Hoffnung entstehen können.
Im Film „Zulu Love Letter“ kann man diesen Prozess sehr genau verfolgen. Zusätzlich muss bedacht werden, dass für die Zulu die Vorfahren auch Wegbegleiter sind. In der Verehrung der Vorfahren gehen sie davon aus, dass Tote nicht vollständig verschwinden, sondern, dass ein Stück von ihnen zurückbleibt, welches in Verbindung mit den Lebenden steht und für sie als Mentoren und Berater fungiert. Für diese Verbindung ist jedoch eine traditionelle Bestattung von großer Bedeutung. Die Beziehung zu den Vorfahren ist eine symbiotische. Die Lebenden gedenken der Toten und ehren sie durch Zeremonien, dafür erhalten sie deren Schutz. In ihrem Verständnis ist ein Mensch dann der Hexerei ausgesetzt, wenn die Beziehung zu den Vorfahren unterbrochen wird. Wissenschaftler vergleichen diese Vorstellungen mit der Vorstellung des Unbewussten in der westlichen Gesellschaft.
Die Wahrheits- und Versöhnungskommission
Diese südafrikanische Institution sollte politisch motivierte Verbrechen während der Apartheid-Zeit untersuchen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission – TRC) wurde 1996 durch Präsident Nelson Mandela eingesetzt und arbeitete bis 1998. Den Vorsitz übernahm Erzbischof Desmond Tutu. Ihr Ziel war es, Opfer und TäterInnen in ein „Gespräch“ zu bringen, um den Versöhnungsprozess zwischen den zerstrittenen Bevölkerungsgruppen zu fördern. Die Kommission sprach außerdem Empfehlungen über die Entschädigung der Opfer aus und konnte bei einem umfassenden Geständnis der TäterInnen über eine Amnestie entscheiden. Da die Institution jedoch keine Kompetenz zur Strafverfolgung hatte, konnten auch jene TäterInnen, die weiterhin im Sicherheitsapparat beschäftigt waren, nicht zu Aussagen gezwungen werden. Kritikpunkt ist, wie im Film auch aufgezeigt wird, die Angst derjenigen die Aussagen machen, vor einem Racheakt der Täter. Diese Angst war tatsächlich nicht unberechtigt, da die Kommission keine Möglichkeit hatte den Schutz der Zeugen, auch nach deren Aussagen, zu garantieren. Ein weiterer Kritik Punkt ist die Frage, wie sie auch Thandeka stellt, ob eine Aussage vor der Kommission einen tatsächlichen nutzen hat. Sie drückt es folgendermaßen aus: „nichts kann mich für das, was ich erlebt habe, entschädigen. Und niemand zieht in Erwägung, die Schuldigen zu verhaften, oder den Familien Geld zu geben.“ Thandeka reicht hier weder eine bloße Geste der Anteilnahme noch der immaterielle Wert der Wahrheit. Sie fordert vielmehr greifbare Konsequenzen. Auch die Figur von Mike verweist auf einen anhaltenden Missstand im heutigen Südafrika. Viele Opfer von Gewalttaten unter dem Apartheid-System sind bislang nicht entschädigt worden, obwohl der von der Regierung vorangetriebene Versöhnungsprozess eine finanzielle Entschädigung von je 30.000 Rand (etwa 4.300 Euro) ausdrücklich vorsieht.
Von 1996 bis 1998 hörte die Kommission etwa 21.000 Opfer an. Mehr als 7.000 TäterInnen beantragten Straffreiheit, die etwa 850 gewährt wurde. Diese Zahlen sind zwar sehr beeindruckend, doch zeigen sie sicher auch, dass die Kommission nur einen Teil der Apartheid-Opfer erreichen konnte.
Im Abschlussbericht wurde im Jahr 2003 vorgelegt. Dabei wurde die Arbeit der Kommission weitgehend positiv bewertet, ähnliche Kommissionen wurden 2001 in Peru und 2005 in Osttimor eingesetzt.
Stilmittel
Regisseur Ramadan Suleman verzichtet weitgehend auf Hochglanzoptik, aufwändige Kamerafahrten oder Schnittspektakel. Zulu Love Letter ist vielmehr geprägt von staubigen Farben eines dürren Landes. In einigen Szenen werden Mangis Gefühle bildlich umgesetzt. Gleich zu Beginn im Krankenhaus nimmt die Kamera ihren traurigen Blick auf und zeigt eine Vase, in der einige Blumen in Zeitlupe die Köpfe hängen lassen. Später im Film als Mangi nicht von der Schule abgeholt wird, hat sie die Vision eines Wasserhahns, aus dem plötzlich Wasser auf sie zuströmt. Möglicherweise setzt Mangi die aufgestaute Frustration über die Nachlässigkeit der Eltern in das Trugbild einer zerstörerischen Kraft um. In einem Traum von Mangi, welcher eine Hochzeitsgesellschaft zeigt, ihre Mutter als Braut, wird Mangis Sehnsucht nach einer vollständigen Familie entschlüsselt. Ihre Angst vor den Mördern Dineos findet in der Folgeszene Ausdruck. Hier unterbrechen drei Polizisten die Feier mit Schüssen und nähern sich Mangi.
Bewusst setzt Suleman das Ausdrucksmittel Sprache ein: Zum einen wechseln die Figuren häufig zwischen der englischen Sprache und der Sprache der Zulu – manchmal sogar innerhalb eines Dialogs. Zum anderen manifestiert sich das Kommunikationsdefizit zwischen Mutter und Tochter in der unzureichenden Beherrschung der Gebärdensprache durch Thandeka.
Musik hatte in der Widerstandsbewegung gegen das System der Apartheid große Bedeutung. Hier möchten wir zwei Lieder aufführen, welche Suleman im Film aufgegriffen hat und mit denen er die spezifischen Szenen akzentuiert. Zum einen Thina Sizwe (We the nation). Dies ist ein traditionelles Lied, welches die schmerzliche Forderung nach dem von den weißen gestohlenen Land ausdrückt. Dieses Lied wurde in den 70er Jahren häufig auf Beerdigungen gesungen. Auch auf Dineos Beerdigung wird Thina Sizwe im Hintergrund eingespielt. Senzeni Na? (What have we done?) ist eine Wehklage. Es wird gesungen als Thandeka und Me’Tau zur Sitzung der Wahrheits- und Versöhnungskommission gehen.
Senzeni Na? (What have we done?)
What have we done?
Our sin is that we are poor
Our sin is that we are black
They are killing us
Let Africa return
Thina Sizwe Thina Sizwe esintsundu Sikalela Sikalela izwe lethu Elathathwa
We, the African nation We cry for our country That was taken by the white people
Elathathwa ngabamhlope Elathathwa Elathathwa ngabamhlope Mabayekhe (Sithi) mabayek‘ umhlaba wethu Mabayekhe (Sithi) mabayek‘ umhlaba wethu
They must leave our land alone They must leave our land alone
Abantwana Abantwana be Africa Bakhalela Bakhalela izwe labo
We the children of Africa Are crying for Africa That was taken by the White people
Elathathwa Elathathwa ngabamhlope Elathathwa Elathathwa ngabamhlope Mabayekhe (Sithi) mabayek‘ umhlaba wethu Mabayekhe (Sithi) mabayek‘ umhlaba wethu
They must leave our land alone They must leave our land alone
Thina Sizwe Thina Sizwe esintsundu.
Informationen zu Ramadan Suleman
Ramadan Suleman wurde 1955 in Durban, Südafrika geboren. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung am Centre for Research and Training in African Theatre. Neben der Leitung mehrerer Theaterstücke gründete er dann mit anderen das erste ‚schwarze’ Theater Südafrikas, das Dhlomo Theatre. Hier arbeitete er eng mit Bhekisizwe Peterson zusammen, mit dem zusammen er später das Drehbuch für Zulu Love Letter wie auch für Fools schrieb. Danach studierte Suleman Film in Paris und an der London Film School.
Zulu Love Letter wurde national und international mehrfach ausgezeichnet z.B. mit dem Unicef Preis zur Unterstützung der Rechte der Frauen.
GLOSSAR
Amandla! Awethu! Freiheitsruf mit folgender Bedeutung: „Macht dem Volke.“ Dabei ist es immer eine Folge von Ausruf und Antwort.
Apartheid: als Apartheid (Afrikaans, von apart „getrennt, einzeln, besonders“) wurde die Rassentrennung in Südafrika bezeichnet.
Black Consciousness: Dies ist eine Bewegung in der schwarzen Bevölkerung Südafrikas, die seit den 1960er Jahren mit gewaltfreien Mitteln eine Gleichstellung mit der weißen Minderheit anstrebte. Als Begründer gilt Steve Biko. Er starb 1977 an den Folgen einer Kopfverletzung, die er bei einem Polizeiverhör erlitten hatte.
Toi-Tois: Toi-Tois sind das südafrikanische Äquivalent zu einer Demonstration, wobei die Masse sich jedoch trommelnd, tanzend und singend fortbewegt.
Traumatisierung: In der Psychologie bezeichnet der vom griechischen Wort Trauma (Wunde, Verletzung) abgeleitete Begriff ein seelisch verletzendes Erlebnis, das nicht hinreichend verarbeitet werden konnte. Beispiele für solche schweren seelischen Verletzungen können Folter, Vergewaltigung, Geiselnahme, Krieg oder Naturkatastrophen
Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation commission – TRC): Südafrikanische Einrichtung zur Untersuchung von politisch motivierten Verbrechen, die während der Zeit der Apartheid begangen wurden. Sie wurde 1996 von Nelson Mandela eingesetzt, stand unter dem Vorsitz von Desmond Tutu und arbeitete bis 1998.
Zulu: Diese den Bantu zugerechnete afrikanische Volksgruppe lebt hauptsächlich in der südafrikanischen Provinz KwaZuluNatal. Ihre Sprache ist IsiZulu und wird vereinfacht auch Zulu genannt. Seit Ende der Apartheid ist Zulu eine der elf offiziellen Landessprachen Südafrikas.
Zulu Love Letter: „Love Letters“ (Liebesbrief) der Zulus sind Botschaften in Form von Perlenstickereien, die Zulu-Mädchen für ihre Geliebten als Symbole der Liebe und Zuneigung anfertigen. Ihre besondere Bedeutung erschließt sich aus der Farbe und Anordnung der Glasperlen.
Literaturhinweise
- Geteiltes Land, Krieg und Frieden im südlichen Afrika. Weiss, Ruth, E.B.-Verlag, Hamburg 1997,
- Hagemann, Albrecht: Kleine Geschichte Südafrikas, München 2001.
- Morgenrath, B.; Wellmer G.: Deutsches Kapital am Kap. Kolloboration mit dem Apartheidsregime. Hamburg 2003.
- Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrika: Das Schweigen gebrochen / "Out of the Shadows" Geschichte – Anhörungen – Perspektiven; Pauer-Studer, Herlinde (Hrsg.); Brandes & Apsel Verlag. Frankfurt/M. 2001
- Südafrika – Ein Land auf dem Weg zur Versöhnung
- Zulu Love Letter, a screenplay by Bhekizizwe Peterson and Ramadan Suleman, Wits University Press, Johannesburg 2009
Medienhinweise
- Die Farbe der Wahrheit – Südafrikas Suche nach Gerechtigkeit
Dobrivoie Kerpenisan und Clarissa Ruge, Deutschland 1998. 30 Min., Dokumentarfilm
Katalog EZEF - Fools
Ramadan Suleman, Frankreich, Südafrika 1997, 90 Min., Spielfilm
Katalog EZEF - Memories of Rain – Szenen aus dem Untergrund
Gisela Albrecht und Angela Mai, Deutschland, Südafrika 2005, 142 Min., Dokumentarfilm
Katalog EZEF
Autorinnen: Silke Grunenberg / Katrin Straub
August 2009