Dokumentarfilm von Christa Graf
Deutschland, Schweiz 2007, 94 Minuten
Kurze Inhaltsangabe
„Memory Books“ zeigt in ruhigen, ernsthaften Bildern das Leben von Harriet, Elisabeth, Christine, Dennis und Betty aus Uganda. Sie tragen das Aidsvirus in sich bzw. haben Eltern oder Kinder durch Aids verloren. Trost und Hoffnung finden sie in den Memory Books. Diese Bücher – meist von den Müttern geschrieben, weil die Väter schon tot sind - sollen den Kindern nach dem Tod der Eltern Rat geben und Wissen vermitteln, sie erzählen die Familiengeschichte und offenbaren die Wünsche der Eltern für die Zukunft ihrer Kinder. Die Erinnerungsbücher haben aber auch den Sinn, die Kinder auf den Tod der Eltern vorzubereiten und gemeinsam voneinander Abschied zu nehmen.
„Memory Books“ erzählt von dem Aidswaisen Dennis, der abends mit seiner kleinen Schwester Trost sucht in dem Buch, das ihre Mutter ihnen geschrieben hat. Der Film berichtet von Harriet, die für jedes ihrer drei Kinder ein Memory Book schreibt. Von Elisabeth, der Zweitfrau von Harriets Mann, die drei ihrer fünf Kinder an Aids verloren hat - und die sich noch nicht überwinden kann, ein Erinnerungsbuch zu verfassen. Von der Krankenschwester Christine, die für die Frauenorganisation NACWOLA arbeitet und infizierten Müttern zeigt, wie man ein Memory Book gestaltet. Und von Betty, die nicht schreiben kann und deshalb ihrem Sohn ihr Erinnerungsbuch für die kleine Tochter diktiert.
Ausführliche Inhaltsangabe
„Memory Books“ ist ein Film, der nicht kommentiert. Allein durch die Kraft der Bilder und die Erzählungen der Protagonisten gibt die Dokumentation Einblicke in das Leben ugandischer Frauen und Kinder, die von Aids betroffen sind. Interviews, Details aus den Memory Books und Eindrücke aus dem Alltag der Protagonisten wechseln einander ab bzw. gehen ineinander über. Ergänzt werden sie durch Bilder allgemeiner Natur: Straßenszenen in Ugandas Hauptstadt Kampala, Landstraßen mit Menschen auf Fahrrädern, eine Sargmacherei mit Särgen in verschiedenen Größen,
Bilder aus einem Waisenhaus. Wie Mosaiksteine setzen sich die einzelnen Sequenzen zu einem Ganzen zusammen. Dem Zuschauenden offenbaren sich nicht nur die Erinnerungsbücher und das Leben mit Aids – sie lernen auch das Land Uganda kennen.
„Memory Books“ ist ein melancholischer Film, der große Kraft und Ruhe ausstrahlt. Er ist nachdenklich, manchmal traurig, vermittelt aber immer Hoffnung und Trost.
Die Protagonisten
Harriet und ihre Kinder
Im Schein der Petroleumlampe sitzt Harriet abends mit ihrer Tochter Winnie zusammen und schreibt an ihrem Memory Book. Während sie schreibt, erzählt sie ihrer jüngsten Tochter von ihrer Familie. Sie berichtet, dass Winnie ein schönes Baby war und legt ihr die Geschichte eines verwöhnten Mädchens ans Herz, das von seinem Mann verstoßen wird, weil es keine Hausarbeit verrichten kann. „Ich möchte, dass Dir nicht das Gleiche passiert wie dieser jungen Frau. Das ist der Grund, warum ich Dich zur Hausarbeit anhalte“, sagt sie Winnie. Das Mädchen ist so viel wie möglich in der Nähe ihrer Mutter. Besuchen möchten sie niemanden. „Ich will bei dir bleiben“, sagt sie zu Harriet, „sonst bist du vielleicht tot, wenn ich zurückkomme“.
Auch ihrem halbwüchsigen Sohn und ihrer aidskranken Tochter Angela schreibt Harriet ein Memory Book. Nicht nur Erzählungen haben hier Platz. Harriet malt und klebt Bilder hinein – von der ganzen Familie und von den Kindern, als sie klein waren. „Die Memory Books bringen einen auch dazu, sich an die schönen Erlebnisse zu erinnern“, findet sie.
Seit der Vater tot ist, geht es der Familie nicht mehr gut, erzählt Harriet. Nur einmal täglich können sie essen, und Harriet muss auf dem Markt in Kampala mit selbstgeflochtenen Handarbeiten das Geld für die Familie verdienen. Manchmal fragt sie sich, was wohl wäre, wenn die verstorbenen Verwandten noch lebten – ihr Mann und ihre Tochter Rachel, die vor 10 Jahren an Aids starb. Doch obwohl Harriet weiß, dass ihr Mann Tod und Krankheit über die Familie gebracht hat, ist sie ohne Groll: „Er ist jeden Tag spät nach Hause gekommen und hat außer Sonntags immer gearbeitet. Zumindest hat er das erzählt. Doch woher hat er dann Aids?“, fragt sie nur.
Elisabeth
„Mein Mann hat zu mit gesagt: ´Erzähl niemandem, dass unsere Tochter an Aids gestorben ist´. Und so habe ich geschwiegen“, berichtet Elisabeth. Bis zu seinem Tod hat ihr Mann verheimlicht, dass er sie und seine Erstfrau Harriet mit Aids angesteckt hat. Drei ihrer fünf Kinder hat sie verloren – und ist sich sicher, dass sie an Aids gestorben sind.
Heute leben Elisabeth und Harriet mit ihren Kindern in einem Haus, in dem der Vater die Familie kurz vor seinem Tod zusammengeführt hat. Für Elisabeth ist das schwer, denn „mein Herz und Harriets Herz sind so verschieden“.
Elisabeth, die von Trauer und Melancholie umgeben ist, würde gern ein Memory Book schreiben. Doch noch kann sie sich nicht dazu durchringen. „Schon wenn ich an meine verstorbenen Kinder denke, wird es mir schwer ums Herz“, sagt sie.
Christine
„Als ich erfuhr, dass ich HIV-positiv bin, war ich am Ende. Ich konnte es nicht akzeptieren und dachte, alles bricht zusammen“, erzählt Christine. Nur langsam gelang es ihr, wieder Hoffnung zu schöpfen und dem Leben etwas Positives abzugewinnen: ihre Kinder, die guten Freunde, das Dach über dem Kopf.
Vier Jahre sind seit ihrer Diagnose vergangen. Im Provinzkrankenhaus Uganga, wo Christine als Krankenschwester arbeitet, muss sie immer wieder Menschen mit der Schreckensmeldung „HIV-positiv“ konfrontieren. Sie erzählt dann von ihrem eigenen Schicksal, spendet Trost und vermittelt den Betroffenen, dass es möglich ist, mit Aids zu leben.
Besonders liegt Christine ihre Arbeit bei der Frauenorganisation NACWOLA am Herzen. Hier hat sie sich als Trainerin ausbilden lassen und bringt anderen aidskranken Frauen bei, Erinnerungsbücher zu schreiben. „Wichtig ist, dass ihr immer zusammen mit Euren Kindern schreibt. Wenn Ihr sterbt, sind Eure Kinder darauf vorbereitet“, sagt sie. Sie weiß, wie trostspendend das Memory Book für die Waisen sein wird. Deshalb hat auch sie für jedes ihrer Kinder ein Erinnerungsbuch geschrieben.
In den Workshops zeigt Christine den Frauen, wie sie ihr Memory Buch gestalten und strukturieren können. Sie hält das Buch hoch, das sie für ihre Tochter geschrieben hat. „Fangt mit Euch selbst an: als Ihr jung wart, zur Schule gegangen seid, geheiratet habt“. Es ist wichtig, dass die Kinder ihre Wurzeln kennen.
Christine fordert die Frauen auch auf, offen über ihre Krankheit zu sprechen. Dadurch vermitteln sie den Kindern: Ich bin auch mit Aids ein ganz normaler Mensch und muss mich für meine Krankheit nicht schämen.
Trotz aller Misere, die Aids über ihr Land gebracht hat, kann Christine der Krankheit auch etwas Positives abgewinnen: „Die Frauen in Uganda wurden immer unterdrückt und konnten nur wenig Selbstwertgefühl entwickeln“. Jetzt verlangen sie von den Männern Safer Sex und haben gelernt, für ihre Rechte einzutreten. „Aids hat die Frauen auch stark gemacht“, sagt sie.
Dennis
„Ich vermisse meine Eltern beide. Aber meine Mama war die beste. Sie hat alles für mich getan. Jetzt habe ich niemanden mehr, der sich um mich kümmert“, sagt der 10-jährige Dennis und weint. Schon als seine Mutter krank wurde, hat Dennis Verantwortung übernommen: Er hat sich um seine kleine Schwester Chrissi gekümmert, ist Wasser holen gegangen und hat die Mutter zum Krankenhaus begleitet.
Heute führen Dennis und Chrissi einen Kinderhaushalt. Nur der ältere Bruder und die Tante kümmern sich um sie. Abends beugen sich Dennis und Chrissie über das Erinnerungsbuch, das sie gemeinsam mit der Mutter geschrieben haben. Die Mutter sagte immer, dass ihnen das Buch einmal helfen würde. „Heute weiß ich, was sie damit gemeint hat“, sagt Dennis. „Es hilft uns wirklich. Es hilft uns dabei, uns an all die guten Dinge zu erinnern, die sie für uns gemacht hat. Wenn ich Chrissi daraus vorlese, ist es, als würde sie zu uns sprechen“. So finden die beiden Geschwister Trost in ihrem Memory Book.
Dr. Sekagya
„Aids hat eine tiefere Bedeutung, als die Menschen zu töten. Aids zeigt uns, dass wir vor allem moralisch und seelisch krank sind“, sagt Dr. Sekagya, der Zahnarzt ist und afrikanische Heilkunst studiert hat.
Heute bemüht sich Dr. Sekagya als traditioneller Heiler auch um die Bekämpfung von Aids. „Die herkömmlichen Medikamente heilen Aids nicht - sie verbessern nur die Lebensqualität. Manche traditionellen Praktiken bewirken dasselbe“, sagt er. Wenn die Afrikaner auch in der Medizin ihre Wurzeln behalten, hilft ihnen das am ehesten, meint Dr. Sekagya. „Der Wind stößt jeden Baum um, der keine Wurzeln hat. Wir Afrikaner werden ohne unsere Wurzeln und unsere Kultur nicht überleben“. Deshalb plädiert Dr. Sekagya dafür, sich auch in der Aidsbekämpfung beider Methoden zu bedienen – der traditionellen und der westlichen.
Betty
„Ich habe mir immer Sorgen gemacht, was aus meinen Kindern wird, wenn ich sie ohne einen Plan für ihre Zukunft zurücklasse“, sagt Betty, die in einem kleinen Dorf weit entfernt von Ugandas Hauptstadt Kampala lebt. Doch nun hilft das Memory Book ihr, den Kindern Ratschläge, Orientierung und Wissen mitzugeben – für die Zeit nach ihrem Tod. Betty kann nicht lesen und schreiben, und so diktiert sie ihrem Sohn George das Erinnerungsbuch für die kleine Tochter Lucy.
Erst nach dem Tod ihres Mannes wurde das Aidsvirus bei Betty entdeckt. Bis dahin hatte sie noch nie von der Krankheit gehört. Sie ging zu NACWOLA, ließ sich beraten und lernte, wie man ein Memory Book schreibt. Und sie fand Kraft in der Gemeinschaft infizierter Frauen, mit der sie sich nicht nur austauscht, sondern auch das Leben genießt, singt und tanzt. Angst vor dem Tod hat Betty nicht. Sie freut sich, dann ihre toten Kinder wiederzusehen. Auch sie sind wohl alle an Aids gestorben.
Hintergrundinformationen zu NACWOLA und den Erinnerungsbüchern
Die Organisation NACWOLA (National Community of Women Living with Aids) ist die Gemeinschaft der aidsinfizierten Frauen in Uganda. NACWOLA wurde 1992 gegründet und hilft Familien und verwaisten Kindern, mit Aids und seinen Folgen umzugehen. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Gesundheitshelferinnen und anderen Aidsorganisationen informiert NACWOLA über HIV/Aids und kämpft gegen die Stigmatisierung von HIV-Infizierten. Bei Workshops auf dem Land geht es neben Fragen zu Gesundheit, Hygiene und Pflege vor allem um die Zukunft der Kinder. Dabei sollen die Eltern lernen, ihre Kinder auf die Zeit nach ihrem Tod vorzubereiten. In diesem Zusammenhang ist auch das Projekt „Memory Books“ entstanden.
Das Konzept der Memory Books wurde von afrikanischen Einwanderern in England entwickelt. Obwohl sie nicht in ihrem Heimatland lebten, wollten sie ihren Kindern Traditionen weitergeben und Wurzeln erhalten.
Die Memory Books für Aidswaisen enthalten vorgedruckte Bereiche wie: „Deine Kindheit“, „Meine liebsten Erinnerungen an Dich“, „Dein Vater“, „Woran deine Eltern glauben“, „Was ich dir für die Zukunft wünsche“. Sie sind auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil noch immer viele Eltern ihre Krankheit vor den Kindern verheimlichen. So erhalten die Kinder das Buch erst nach dem Tod der Eltern. Die Erinnerungsbücher geben Antworten auf Fragen, die sie den Verstorbenen vielleicht gerne persönlich gestellt hätten: über ihre Geburt, die Familiengeschichte oder die Traditionen ihres Volkes.
Im Idealfall tragen die Memory Books allerdings dazu bei, die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern zu Lebzeiten der Eltern zu intensivieren.
Erinnerungsbücher haben nicht nur die Funktion, das Wissen über einzelne Familien aufrechterhalten: Sie tragen dazu bei, die Kultur und die Traditionen afrikanischer Völker weiterzutragen – und Menschen erwachsen werden zu lassen, die wie Bäume von ihren Wurzeln gehalten werden.
Die Filmemacher über „Memory Books“
Regisseurin Christa Graf:
„Die Krankheit steht nicht im Mittelpunkt des Dokumentarfilms, sie bildet den Hintergrund einer eindrucksvollen Initiative von HIV-infizierten Frauen. Von dem Moment der Gewissheit an versinken viele Menschen in diesem schlimmen Schicksal. Lethargie, Depression und Verzweiflung sind die Folge. Die Menschen in diesem Film haben diese Haltung nicht mehr. Sie haben einen Weg gefunden, damit umzugehen und machen noch etwas aus ihrem Leben. Dabei entsteht sehr viel Kraft und damit geben sie an ihre Kinder weiter, dass man trotz des schweren Schicksals weiterleben kann und es in den eigenen Händen liegt, sein Leben zu gestalten. Das Erstaunliche ist, dass diese Frauen dann gesünder werden, weil sich das Immunsystem stabilisiert, wenn die Psyche wieder stärker ist. Diese Frauen fühlen sich nicht mehr wertlos, weil sie sowieso bald sterben, sondern sie haben eine Aufgabe.“
„Man muss sich auf den Film einlassen. Es kommt nicht dauernd etwas Neues, sondern der Film spielt die Szenen aus und bleibt lange auf den Menschen, auf Stillleben. Der Schnitt ist sehr sensibel und nichts anderes würde funktionieren, weil du diesen Menschen und dieser Lebensart nicht gerecht wirst, wenn du anfängst, schnelle, zackige Schnitte zu machen“.
Produzent Jörg Bundschuh:
„Dieser Film fordert dem Zuschauer etwas ab. Ich glaube aber, dass er ihm auch sehr viel gibt. Es ist eine Reise ins Herz Afrikas, die den Menschen sehr, sehr nahe kommt. Dieser Film zeigt, dass die Afrikaner dieses Problem nach unserem Bewusstsein sehr untypisch, aber vorbildlich meistern. Diese einfachen Menschen, die kaum lesen und schreiben können, haben in einer Selbsthilfeinitiative angefangen, diese Erinnerungsbücher zu schreiben, und die Wirkung ist unglaublich. Die Kinder lernen dadurch, sich früh mit dem Tod zu beschäftigen. Dank dieser Memorybücher ist in Uganda ein Bewusstsein für die Krankheit entstanden wie in keinem anderen Land in Afrika. Afrikaner sind einem nach diesem Film nicht mehr fremd und man sieht die Menschen, die dort mit diesem Schicksal kämpfen, in völlig neuem Licht.“
(aus einem Interview mit F. Stender).
Pressestimmen
“Memory Books“ gehört fraglos zu den besten Dokumentationen, die aktuell produziert wurden (...), zu einem der sonst so gerne grundlos herbei geredeten wirklich wichtigen Filmen“. Filmbewertungsstelle, Wiesbaden
“Eine sensible Kameraführung, die die ganze Härte des Problems einfängt, und der einfühlsame, nie übertrieben gefühlsbetonter Kommentar zeichnen diesen Film aus.” Münchner Merkur
“Christa Graf achtet stets auf die Würde ihrer Protagonisten und erzählt in seltsam schönen, eindringlichen Bildern”. AZ, München
“Christa Grafs Reportage macht deutlich, welch ungeheure Kraft in Memory Books steckt”. Schädelspalter, Stadtmagazin Hannover
“So ist der Film, (...), nicht zuletzt eine Hommage an die Stärke und Würde der Frauen. Fernab des Reportage-Stils setzt die unkommentierte Dokumentation auf dezidiert filmische Elemente.” Filmdienst
“Eine berührende Doku über eine einzigartige Form des Abschieds.” Cinema
“Der Film stellt Nähe her, berührt durch seine Authentizität, doch er nimmt den Menschen nicht ihre Würde.” TZ
“Christa Graf erzählt die Geschichten der Frauen und ihrer Kinder in langen bedächtigen Einstellungen und vermeidet jedes Mitleidsklischee. (…) Trotz des ernsten Themas ist „Memory Books“ kein trauriger Film, vielmehr vermittelt er Zuversicht und leise Hoffnung.” Welt-Sichten, Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit
Auszeichnungen
„Memory Books“ wurde schon mit einer Reihe von Filmpreisen ausgezeichnet:
- Grand Prix des Jeunes Europèenes, FIPA in Biarritz
- Prix Micheline Vaillancourt, Panafrican Filmfestivals in Montreal
- Eine-Welt-Filmpreis NRW 2009, 20. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik:
- Ehrenpreis von Amnesty International, 5. Marler Fernsehpreis für Menschenrechte 2009
- International Grand Prix for Author's Documentaries, URTI-Festival in Monte Carlo
Uganda – Hintergrundinformationen
Die Bevölkerung: Uganda ist ein Vielvölkerstaat mit ca. 30 Millionen Einwohnern. 85 Prozent der Menschen leben auf dem Land. Die Bevölkerung lebt zum größten Teil von der Landwirtschaft; eine regelmäßig bezahlte Arbeit haben nur wenige.
Etwa 65 Prozent der Menschen in Uganda sind Christen – je zur Hälfte katholisch und evangelisch. 16 Prozent gelten als Muslime, 18 Prozent als Anhänger traditioneller Religionen.
Geschichte und aktuelle Situation: Uganda machte sich 1962 unabhängig vom britischen Protektorat (1896-1962). 1966 ernannte sich der damalige Ministerpräsident Milton Obote zum Präsidenten und verstaatlichte einen Teil der Wirtschaft. 1971 übernahm Idi Amin durch einen Putsch die Macht. Während seiner achtjährigen Schreckensherrschaft wurden 250-300.000 Regimegegner, Politiker und Intellektuelle ermordet. Erst 1979 befreiten ugandische Rebellen das Land. Es folgte ein weiteres Terrorregime unter der Führung Milton Obotes, dem bis 1985 ca. eine Million Menschen zum Opfer fielen.
Nach jahrelangem Guerillakrieg übernahm der Untergrundkämpfer Yoweri Kaguta Museveni 1986 die Macht - und schlug ein neues Kapitel in der Geschichte Ugandas auf. Die politische und wirtschaftliche Lage des Landes verbesserte sich und in die Verfassung wurden wichtige Grundrechte aufgenommen, wie Religions- und Informationsfreiheit und der Schutz von Frauen, Kindern und ethnisch-religiösen Minderheiten. Auch in Menschenrechtsfragen war die neue Regierung bemüht, sich von vorhergehenden Regimes abzuheben. Bis heute ist die Menschenrechtslage besser als in den meisten anderen afrikanischen Staaten. Dennoch herrscht im Norden des Landes seit 20 Jahren ein Konflikt mit der ugandischen Lord Resistance Army, der zu einer schweren, noch immer anhaltenden humanitären Krise geführt hat.
Präsident Museveni ist bis heute im Amt. Seine Politik hat mit dazu beigetragen, dass Uganda auf internationaler Ebene lange als afrikanisches Musterland galt. Allerdings haben Armut, Sicherheitsprobleme im Norden und Osten, Korruption und zunehmende Kritik an der Regierungsführung Musevenis dieses Bild in den letzten Jahren abgeschwächt.
Die Lage der Frauen
Mit einer durchschnittlichen Geburtenrate von 7,1 Kindern pro Frau liegen Ugandas Frauen an erster Stelle im statistischen Vergleich der ost- und südafrikanischen Länder. Noch immer ist die Müttersterblichkeit hoch. Von 1000 Babys sterben 79, bevor sie ein Jahr alt sind. Etwa die Hälfte der jungen Frauen heiratet unter 18.
Der Staat sieht es als seine Aufgabe an, die Stellung der Frauen zu verbessern. In Verwaltung und Parlament nehmen sie mittlerweile wichtige Posten ein.
Die demokratische Verfassung von 1995 versichert die Gleichheit der Geschlechter - doch die ugandische Gesellschaft wird bis heute von traditionellen Gesetzen beherrscht, die Männern mehr Rechte zusprechen als Frauen. Mangelnde Bildung, Unterdrückung, eine überdurchschnittliche Arbeitsbelastung, Gewalt durch den Ehepartner und Vergewaltigung gehören noch immer zum Alltag der Frauen. Die Gefahr, sich mit dem Aidsvirus anzustecken, ist dabei sehr hoch.
Aids in Uganda
Aids verbreitet sich in Uganda seit 1982. Eine der Hauptursachen für die Ausbreitung der Krankheit ist Armut. Viele Frauen sehen ihre einzige Verdienstquelle in der Prostitution. Die Nutzung von Kondomen gehört(e) nicht zum kulturellen Selbstverständnis der ugandischen Männer – und so konnte sich das Aidsvirus ausbreiten. Man geht davon aus, dass bis heute zwischen 800.000 und eine Million Uganderinnen und Ugander an Aids gestorben sind; mindestens eine Million gilt als infiziert, 100.000 von ihnen sind Kinder. Im Land leben etwa zwei Millionen Aidswaisen.
Uganda wird oft als afrikanisches Modell für den Umgang mit Aids angesehen. Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Führern hat Präsident Museveni die Krankheit nie tabuisiert. Bereits 1987 etablierte die Regierung das erste Aids-Kontrollpro-gramm. Im Rahmen dieses Programms wurde die Bevölkerung über die Ansteckungswege von HIV/Aids informiert. Die Aufklärungskampagne propagierte auch den sogenannten „ABC-Approach“: enthaltsam sein (abstain) treu sein (be faithful), Kondome benutzen (use condoms). Die Regierung bemühte sich, flächendeckend Kondome zu verteilen.
Auch viele Organisationen aus der Mitte der Gesellschaft widmen sich seit Mitte der 80er Jahre der Aidsaufklärung. Eine der ersten dieser Organisationen war TASO (the AIDS Support Organization). TASO wurde von 16 Aidsinfizierten gegründet und ist heute die größte ugandische Organisation für HIV-Positive und ihre Familien.
Die öffentlichen Aufklärungskampagnen führten dazu, dass in den 90er Jahren weniger Menschen mit Aids lebten als zuvor. Hierfür ist einerseits die hohe Zahl der Aidstoten verantwortlich. Andererseits schien die ABC-Kampagne zu greifen und die Menschen zu einem vorsichtigeren Umgang mit Sexualität zu veranlassen. Weil viele Aids-Forscher und Hilfsgelder ins Land kamen, konnte Uganda eins der fortschrittlichsten Aidsbekämpfungsprogramme der Welt aufbauen.
Dennoch: Aids hat nach wie vor verheerende volkswirtschaftliche Auswirkungen, sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Lebenserwartung der Uganderinnen und Ugander ist erheblich gesunken. Theoretisch müsste man für jeden Arbeitsplatz zwei Leute ausbilden – denn man muss damit rechnen, dass einer von ihnen innerhalb von 10 Jahren an Aids stirbt. In vielen Dörfern ist die mittlere Generation fast ausgelöscht. Dies gefährdet die Ernährungssicherheit erheblich, denn den Familien fehlen Arbeitskräfte, die die Felder bewirtschaften und für das Einkommen sorgen.
Trotz intensiver Aufklärungsarbeit in den 80er und 90er Jahren steigt die Aidsrate seit 2006 wieder leicht an. Dies mag einerseits daran liegen, dass es seit 2004 kostenlose Medikamente gibt, die den Ausbruch des Virus verzögern können. Aids ist daher nicht länger ein sofortiges Todesurteil. Andererseits gibt es – besonders forciert durch US-amerikanische Organisationen – einen Trend zu reinen Abstinenzprogrammen, die dem ugandischen Selbstverständnis nicht gerecht werden und die Verbreitung von Kondomen ablehnen.
Besonders von Aids betroffen sind die Frauen. Sie machen 59% aller Aidsinfizierten aus. Frauen heiraten im Normalfall früher als Männer. Ihre Partner sind oft älter und sexuell erfahrener – und so haben junge Frauen ein höheres Risiko, sich anzustecken. Dennoch macht sich die Unterstützung von Frauen durch Regierung und unabhängige Organisationen bereits bemerkbar: Eine länderübergreifende Studie fand heraus, dass ugandische Frauen eher auf Kondomen bestehen und ungewollten Sex zurückweisen als Frauen in anderen Ländern.
Etwa 25% aller HIV-Neuinfektionen in Uganda sind auf die Übertragung des Virus von schwangeren Frauen auf das Kind im Mutterleib zurückzuführen. Das ugandische Gesundheitsministerium hat deshalb seit dem Jahr 2000 schnelle Tests für schwangere Frauen und eine schnelle medikamentöse Behandlung für positiv getestete Frauen und Kinder möglich gemacht.
Didaktische Hinweise
„Memory Books“ eignet sich insbesondere für die Erwachsenenbildung und die entwicklungsbezogene Bildungsarbeit. Der Film kann aber auch gut in Haupt- und Realschulen und in Gymnasien eingesetzt werden. Hier eignet er sich jedoch vorzugsweise für die Sekundarstufe II. Hält der Lehrer/die Lehrerin eine jüngere Klasse für geeignet, kann der Film – nach entsprechender inhaltlicher Vorbereitung – aber auch schon mit Schülern aus den Klassen 8-10 besprochen werden.
Die Ruhe und Langsamkeit, mit der der Film arbeitet, mag für viele Jugendliche ungewohnt sein. Um ihr Interesse zu wecken und während des Films aufrecht zu erhalten, ist es sinnvoll, die Protagonisten im Vorfeld vorzustellen. Da die Filmemacherin mit allgemeinen Erklärungen zu Aids bzw. zur Situation in Uganda sparsam umgeht, sollten die Lebensumstände in Uganda vor dem Film kurz erklärt werden. Lehrerinnen und Lehrer sollten auch das Wissen über Aids auffrischen.
HIV-Aids
- Was ist Aids?
- Wie steckt man sich an?
- Wie kann man eine Ansteckung verhindern?
- Welche Medikamente gibt es?
- Stirbt man an Aids?
- Wie verteilt sich Aids über den Globus?
Uganda
- Wo genau liegt Uganda?
- Wie ist die Bevölkerungsstruktur?
- Wie ist die wirtschaftliche und politische Lage?
Nach dem Film bietet sich die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen an (die Schülerinnen und Schüler können z.B. in Kleingruppen gemeinsam nach Antworten suchen):
HIV-Aids
- Warum ist besonders Afrika so stark von Aids betroffen?
- Wie ist die Situation in Uganda?
- Wie geht Uganda mit Aids um?
- In welcher Lage befinden sich die Frauen in Uganda?
- In welcher Lage sind die vielen Aidswaisen des Landes?
Uganda
- Was macht den Alltag der Menschen in Uganda aus?
- Wie sind die Rollen zwischen Männern und Frauen traditionell verteilt?
- Welches Selbstverständnis haben ugandische Männer und Frauen im Umgang mit Sexualität?
- Was sind kulturelle Eckpunkte, wichtige Traditionen?
Memory Books
- Was sind Memory Books?
- Welchen Zweck verfolgen sie?
- Was haben sie zum Inhalt?
- Warum sind Memory Books für die Kinder so wichtig? (Vermittlung von familiärem und kulturellem Erbe; gemeinsame Stunden mit den Eltern; Auseinandersetzung mit dem Tod der Eltern; Trost und Halt nach dem Tod der Eltern)
- Warum für die Mütter? (Reflektion ihres eigenen Lebens; den Kindern ein Erbe, Rat, Halt und Trost hinterlassen)
- Warum ist es wichtig, dass die Mütter die Memory Books zusammen mit ihren Kindern schreiben? (gemeinsames Erleben; Möglichkeit für Kinder, die Mütter zu fragen; Tod wird zu wichtigem Thema, ist kein Tabu mehr; Zeit nach dem Tod der Mütter wird thematisiert)
- Warum sind Memory Books nicht nur für die betroffenen Familien wichtig, sondern auch für die Kulturen in Uganda? (Weitergabe und Aufrechterhaltung kultureller Wurzeln; Bewusstsein schaffen für den Wert und die Schönheit der eigenen Kultur)
Weitergehende Fragenkomplexe
- Wie gehen wir in Deutschland mit dem Tod um?
- Wird der Tod ausreichend thematisiert?
- Wann wird der Tod thematisiert? Warum wird er oft nicht thematisiert?
- Wissen die Schülerinnen und Schüler, wie in anderen Ländern mit dem Tod umgegangen wird (offensiverer, selbstverständlicherer Umgang mit dem Tod in anderen Kulturen; Beispiele finden für einen anderen Umgang mit dem Tod).
- Welche Vor- und Nachteile hat ein offenerer Umgang mit dem Tod?
- Sollten auch in Deutschland Eltern mit ihren Kindern Memory Books schreiben?
- Welche Fragen würden die Schülerinnen und Schüler ihren Eltern stellen?
- Wie würden Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Memory Book gestalten, das sie z.B. für jüngere Geschwister schreiben würden?
- Was würden Eltern in ihr Memory Book schreiben? (in der Erwachsenenbildung)
- Bevor die Schülerinnen und Schüler (bzw. in der Erwachsenenbildung die Eltern) sich überlegen, wie sie ein eigenes Memory Book gestalten, sollten sie gemeinsam darüber nachdenken, was für sie wichtig ist im Leben, welche Werte für sie zählen, was sie selbst ausmacht und was nachfolgende Generationen über sie bzw. über ihre Kultur wissen sollten.
Literatur
- Christa Graf: Damit du mich nie vergisst. Afrikas Kinder und die Memory Books, Malik Verlag, München 2007, 254 Seiten.
- Henning Mankell: Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004
- HIV/AIDS – Unterrichtsmaterial für Sekundarstufe II und Berufliche Schulen, Hrsg. von Brot für die Welt und Deutsches Institut für Ärztliche Mission, DIFÄM, Stuttgart 2002, Bezug: www.brot-fuer-die-welt.de
Medien
- STEPS FOR THE FUTURE – Alltag im südlichen Afrika im Zeichen von HIV/AIDS
8 Dokumentarfilme und Begleitmaterial für Unterricht und Bildung
Katalog EZEF
Autorin: Birte Asja Detjen
Januar 2009