Kurzspielfilm von Zia Maheen
Deutschland 2008, 17 Minuten
Inhalt
Der Inhalt des Films ist im Grunde eine Frage: Welches ist der entscheidende Faktor – der Match Factor -, der die Wende in der Begegnung zwischen der Polizistin Brigitte und Achmed, dem irakischen Fußballspieler bewirkt. Die Handlung selbst ist kurz erzählt. Eine junge Polizistin aus Berlin trifft auf einen jungen Mann mit ausländischem Aussehen, der sich verlaufen hat. Sie erklärt ihm, wie er zum Bahnhof kommt und die Wege beider trennen sich – bis sie kurz darauf wieder zusammentreffen. Inzwischen hat Brigitte einen Funkspruch abgehört. Gefahndet wird nach einem jungen Fußballspieler aus dem Irak, der vor der Austragung des Freundschaftsspieles gegen Deutschland am Abend verschwunden ist. Dazu noch der Hinweis, gefährliche Person, vermutlich bewaffnet. Brigitte denkt sofort an den jungen Mann und meldet dies. Ihr Kollege ist noch unterwegs. So fährt sie dem Mann alleine nach und überredet ihn mit einer Ausrede, in das Auto zu steigen. Sie habe Zeit und könne ihn schneller zum Hauptbahnhof bringen. Der junge Mann scheint etwas irritiert, als sie ihn bittet, seine Reisetasche auf die Rückbank zu legen. Dann fährt sie los, aber nicht zum Bahnhof, wo das Einsatzkommando wartet, sondern zu seinem Hotel. Nichts unterbricht die Fahrt, weder Polizeisirenen, die immer wieder zu hören sind, noch störende Durchsagen. Brigitte hat das Gerät ausgeschaltet. Sie tauschen Blicke, sprechen und verstehen einander, ohne viel Worte darüber zu machen. Am Ende meldet Brigitte an die Polizeizentrale: „Irakischer Fußballspieler wieder zurück im Hotel. Der hatte sich nur verlaufen.“
Der Film überzeugt durch die Schlichtheit der Inszenierung und seine wenigen Worte. Durch nonverbale Gesten und Bilder kristallisiert sich der Match Factor heraus. Entscheidend ist das Vertrauen, das zwischen Brigitte und Achmed entsteht, und die gegenseitigen Vorurteile ins Hintertreffen geraten lässt.
Filmische Umsetzung
Die pakistanische Regisseurin Zia Maheen, sagt über ihr filmisches Anliegen: „Als Menschen verschiedener Kulturen schleppen wir eine Menge Gepäck mit uns herum: Einstellungen, Vorurteile, Prägungen. Was passiert, wenn wir auf einander treffen? Welche Wege ergeben sich da? Darum geht es mir in dem Film."
Ihr gelingt es in „Match Factor“, dieses abstrakte Anliegen umzusetzen, indem sie die soziale Ausgangssituation auf eine fast intime Interaktion zuführt, die die äußeren Einflüsse zu neutralisieren scheint. Mittels einer sensiblen Kameraführung und (non)verbalen Dialogen lässt die Regisseurin ein Miteinander zwischen Brigitte und Achmed entstehen, das aber gleichzeitig im Kopf des Zuschauer verunsichernde Eindrücke und Bilder evoziert. Dadurch, dass die Protagonisten die Situation nicht verbalisieren, sucht der Zuschauer ständig Anhaltspunkte nach den Vorurteilen und damit verbundenen Ängsten, die durch die Ausgangssituation vorgegeben sind – auf einen harmlos fragenden jungen Ausländer arabischer Herkunft werden Stereotype zugeschrieben, die ihn als kaltblütigen Selbstmordattentäter verdächtigen, noch dazu in der unmittelbaren Interaktion mit einer Polizistin.
Und es entsteht das spannende Wechselspiel zwischen dem, was man als wahrscheinliche Folgehandlung zu kennen – oder zu fürchten – glaubt, und dem, was mit den Bildern an Handlung zugelassen wird. Der Zuschauer wird als unsichtbarer Akteur miteinbezogen, bis sich die Spannung am Ende auflöst. Schauspielerin Anneke Kim Sarnau hat das Drehbuch sofort überzeugt. „Ich fand die Geschichte gleich spannend - zwei Menschen aus verschiedenen Welten verstehen sich fast ohne Worte, verstehen, dass ihre Angst voreinander übertrieben ist“.
Hintergrundinformation – Stereotype und Fremdenfeindlichkeit
Seit dem 11. September 2011 und allen folgenden Anschlagsserien islamistischer Terroristen, werden Menschen, die vermutlich arabischer Herkunft sind, als Selbstmordattentäter gefürchtet, ohne dass ihre konkrete Erscheinung oder ihr Handeln auf eine drohende, reale Gefahr schließen ließe. Die Gründe dafür liegen darin, wie Vorurteile entstehen, und warum sie in der Regel mit negativen, abwertenden Zuschreibungen verbunden sind. Beate Küpper vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld hat diesen Zusammenhang mit einfachen Worten zusammengefasst: „Wir Menschen kategorisieren unsere Umwelt. Unser Gehirn kann gar nicht anders. Wir kategorisieren auch Menschen anhand von bestimmten Eigenschaften als Mitglieder von Gruppen […] Jene, die man diesen Gruppen zuordnet, müssen sich diesen selbst gar nicht zugehörig fühlen. Es reicht, wenn ich selbst glaube, jemand gehört einer Gruppe an. […]. In Deutschland etwa werden Menschen mit schwarzer Hautfarbe häufig noch immer nicht als Deutsche, sondern als Ausländer wahrgenommen. Da können die Leute auch hier geboren sein und sich noch so sehr integrieren." (SZ, 9.11.2011). Die Kategorien sind häufig mit bestimmten Stereotypen verbunden, die hartnäckige Vorurteile begründen. Diese gehen laut Küpper oft mit negativen Bewertungen von Menschen allein aufgrund ihrer zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit einher. „Das macht Vorurteile so hässlich und zementiert Ungleichwertigkeiten."
Nach dem Sozialwissenschaftler Hans-Jürgen Lüsebrink sind Stereotype kulturell bedingte, nicht hinterfragte festgefahrene Meinungen einer Gruppe über Eigenschaften und Besonderheiten einer anderen Gruppe. Diese Meinungen beruhen auf Wahrnehmungen von Fremdem. Dabei wird die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit vereinfacht. Sie zeichnen sich weiter dadurch aus, dass sie relativ starr und langlebig sind. Sie können sowohl negativ als auch positiv besetzte sein. Vorurteile leiten sich von Stereotypen ab, sind dagegen aber mit stark abwertenden Gefühlen und Zuschreibungen verbunden. Diese Zuschreiben steuern zugleich Wahrnehmung, Verhalten und Interpretationen. Wie am Beispiel des Vorurteils - Menschen, mit ausländischer Herkunft und muslimischen Hintergrund seien alle potentielle Selbstmordattentäter – seit den schrecklichen Anschlägen am 11. September 2001 deutlich wird, entstehen die Vorurteilskategorien aus dem Zeitgeist heraus, und werden von Medien transportiert. Zugleich wurzeln sie gerade innerhalb der deutschen Gesellschaft historisch tradierten Einstellungen und Haltungen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Die rassistische Ideologie beruht auf der Vorstellung, dass sich die Menschheit in einzelne Menschenrassen aufteilen lässt, deren genetische biologische Merkmale die Einteilung in höhere und minderwertige Rassen nahelegt. Damit verbunden ist die Utopie einer Gesellschaft, die auf einer rassisch homogenen Gemeinschaft beruht. Rassistische Einstellungen sind eng verbunden mit der Legitimierung von Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen. Die Kulturwissenschaftlerin Judy H. Katz unterschiedet dabei die institutionelle, die kulturelle und die individuelle Ebene, mit denen rassistische Einstellungen. bewusst und auch unbewusst – tradiert und wirksam werden. Diese Ebenen kommen auch im Film zum Tragen.
In der Langzeitstudie zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ untersuchte der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer mit einer Forschergruppe die Feindbilder und Vorurteile in der deutschen Bevölkerung gegenüber gesellschaftlichen Gruppen von 2002 bis 2012. Im Blickpunkt waren z.B. das Vorhandensein von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Abwertung von Behinderten, Obdachlosen oder Langzeitarbeitslosen. Ein Ergebnis war das Ansteigen von fremdenfeindlichen und rassistischen Einstellungen. Im Fokus der Studie stand auch, welche Faktoren mit der Entstehung und dem Festhalten an vorurteilsbeladenen Einstellungen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen verantwortlich sind. Als einen Faktor nannte Heitmeyer das Schüren von realen Ängsten wie auch mangelnde gesellschaftliche Aufklärung: „Man kann natürlich sehen, dass nach 9/11 […] aus ethischen Gruppen – also meinetwegen die türkische Gruppe – dann plötzlich Muslime wurden. Also aus einer ethnischen Kategorie wurde eine religiöse Kategorie, und hinzukam, dass diese dann natürlich thematisiert wurde, aber die meisten Menschen die verschiedenen Spielarten des Islam gar nicht aushalten können. Das heißt, sie homogenisieren die Gläubigen.“ (Deutschlandradio Kultur, 2.12.2011)
- Lüsebrink, Hans-Jürgen, Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, Stuttgart 2005.
- Schulte v. Drach, Markus C., Fremdenfeindlichkeit. Die Wurzeln der Angst, Süddeutsche Zeitung, 9.11.2011.
- Johann, Ellen, u.a., Interkulturelle Pädagogik. Methodenhandbuch für Sozialpädagogische Berufe, Berlin 1998.
Didaktische Hinweise/Vorschläge zum Einsatz
Der Film regt dazu an, sich mit den Mechanismen der Entstehung und Verbreitung von Stereotypen und Vorurteilen auseinanderzusetzen, die im Alltag unser Wahrnehmen und Handeln strukturieren, auch wenn wir uns dessen bewusst sind. Der Film greift nicht nur die Wirkungsmacht von fremdenfeindlichen und rassistischen Denkmustern auf. Die besondere Qualität des Films liegt darin, dass er das Zusammenspiel zwischen bewussten und unbewussten Haltungen deutlich macht. Das Überzeugende am Film ist, dass er dabei von einer konkreten Situation ausgeht und die individuelle psychologische Entwicklung einer konkreten Begegnung in den Blick nimmt. Die Schlüsselsituation ist die gemeinsame Fahrt, in der die Polizistin Brigitte und Achmed zueinander Vertrauen fassen. Die beiden beobachten sich, fragen, erzählen und hören einander zu. Es gelingt ihnen, die virtuellen Ängste – das heißt die Ängste voreinander, die nicht in ihrer Person oder von einer konkreten Erfahrung miteinander herrühren, außer Acht zu lassen.
Der Film eignet sich für den Einsatz in Jugend- und Erwachsenbildung (ab 14 Jahren) in der Schule, v.a. für die Sekundarstufen I und II, für die Aus- und Fortbildung für Pädagogen, für Einrichtungen der politisch-kulturellen Bildung.
Filmgespräch
Einstieg: Die Teilnehmer/innen geben in einem kurzen Blitzlicht kurz ihre Eindrücke, Gefühle, Gedanken, Fragen etc. wider, die sie nach der Filmpräsentation bewegt. Die Eindrücke werden kurz auf einem Plakat oder einer Tafel festgehalten. Daran anknüpfend können die von den Teilnehmer/innen eingebrachten Aspekte besprochen und diskutiert werden: Was war für mich die Botschaft des Films? Welche Szenen haben mich beeindruckt? Wie habe ich das Verhalten der Protagonisten empfunden? Gab es Ansätze zur Identifikation? Wie realistisch bzw. glaubwürdig war für mich der Verlauf der Beziehung der beiden?
Ausgehend von der Diskussion über den Film kann, je nach Zeit und Möglichkeiten, die Geschichte des Films auf die Lebenssituation der Teilnehmer/innen übertragen werden: in welcher Weise konnte ich mich in der Geschichte wiederfinden? Habe ich bereits ähnliche Situationen verlebt? Wie sind diese verlaufen? Um welche Stereotypen und Vorurteile ist es dabei gegangen? Wie lassen sich Vorurteile entkräften, wie kann man gegen sie angehen? Welche Rolle kann Bildungsarbeit bei der Bekämpfung von Vorurteilen und den damit verbundenen Handlungen von Diskriminierung oder gar Menschenrechtsverletzungen spielen?
Filmgestaltung - Innere Monologe
Die entscheidende Wende – der Match Factor – wird nur angedeutet, aber nicht direkt im Film gezeigt bzw. erzählt. Wie Brigitte und Achmed zueinander Vertrauen fassen, können wir nur anhand ihrer Gestik, Mimik, vorsichtigen, herantastenden Fragen und vor allem anhand des Endes erschließen. In der folgenden Übung sollen die Teilnehmer/innen das, was sie denken, was in den Köpfen von Achmed und Brigitte vorgeht, versuchen zu verbalisieren. Dabei sollen sie in Gruppen ein für die Szene im Auto alternatives Drehbuch schreiben. Sie haben dabei die Wahl, ob sie das, was Achmed und Brigitte voneinander denken, aber nicht sagen, in Form direkter Dialoge oder in Form von inneren Monologen ausdrücken, die dann im Film die Stimme „aus dem Off“ ausspricht. Die Drehbuchszene soll direkt in Bezug zu ausgewählten Szenenbildern – in Form eines Storyboard geschrieben werden, d.h. in der linken Spalte wird das Bild kopiert, in der rechten Spalte wird der Text dazu geschrieben.
Danach treffen sich die Gruppen und stellen einander ihr Storyboard „Im Auto“ vor. In einem zweiten Schritt könnten die Szenen nachgestellt, nachgespielt, als Hörspiel oder als Film aufgenommen werden. Hier ein Beispiel, wie Arbeitsblatt „Storyboard“ gestaltet werden könnte. (Das "Storyboard" finden Sie als pdf-Datei am Anfang der Seite)
Autorin: Annette Eberle