Teaser
Blinder Passagier

De Verstekeling
Spielfilm von Ben van Lieshout
Niederlande 1997, 90 Minuten, OmU

Inhalt
Ein alter Mann, der auf einem rostigen Fischerboot mitten in einer Sandwüste lebt und von dort nicht fortgehen will. Ein junger Mann, Orazbaj, sein Sohn, der dagegen ständig in Bewegung ist und unruhig wirkt. Dessen Bewegung, Wanderung und Suche zugleich, wird zum Leitmotiv des Films. Er durchstreift die wüstenartige Gegend seines Heimatdorfes mit seinem uralten Motorrad, schaut in einer tristen, weitgehend verlassenen Fischfabrik nach dem Rechten, redet mit Arbeitern und Dorfbewohnern, die ihm von ihrer wirtschaftlichen Not erzählen. Dann besucht er seine Schwester Ajdyn in der Stadt Muynak, in der sie Gesang studiert.
Später im Dorf wird der Konflikt deutlich, der Vater und Sohn voneinander entfremdet hat. Der Vater will sein Fischerboot wieder flott machen: „Wir sind Fischer, keine Alteisen-Händler.“ Er mag sich nicht von seiner traditionellen Lebensweise als Fischer verabschieden, obwohl sein Fischgebiet, der Aralsee, zu großen Teilen ausgetrocknet ist. So wird er zum Protagonisten einer untergegangenen Lebenswelt, wenn er fragt: „Aber ist es verrückt, wenn man das Vergangene bewahren will?“ Dagegen steht sein Sohn Orazbaj, der andere, eigentliche Protagonist des Films, zunächst fatalistisch, glaubend, dass sich in seinem Heimatort nie mehr etwas ändern wird. Schließlich nimmt er Abschied von seinem Vater, seiner Schwester Ajdyn, seinem zukünftigen Schwager Iso und macht sich mit dem Bus auf den Weg: „Zur See!“ Ein Werbefoto von der Skyline New Yorks wird ihm zum Wegweiser.
Szenenwechsel: eine Frau im Hafen von Rotterdam. Sie geht an Bord eines Schiffes, auf dem ihr Ehemann als Matrose arbeitet. Durch die häufigen Trennungen steckt die Ehe in einer Krise, der Matrose hat unterwegs eine andere Frau kennen gelernt und mit ihr geschlafen. Mit dem selben Schiff ist Orazbaj als „Blinder Passagier“ in Rotterdam angekommen, also nicht in New York. Der Ehemann hilft ihm, das Schiff still und heimlich zu verlassen und dadurch die Einreisekontrollen zu umgehen. In einer Hafenkneipe lernt Orazbaj nun Katharina kennen, die gerade vom Schiff ihres Mannes heruntergekommen ist. Sie klärt Orazbaj auf, dass er nicht in Amerika, sondern in den Niederlanden gelandet ist, und nimmt ihn mit nach Hause.
Auf dem Balkon ihrer Wohnung baut er sich aus großen, bunten Tüchern eine zeltähnliche Behausung und grenzt sich dadurch zunächst von der Lebenswelt Katharinas, ihres Sohnes Maarten und ihres nun nach Hause kommenden Mannes ab. Doch der Konflikt zwischen Orazbaj und dem Ehemann ist unausweichlich, denn es ist offensichtlich, dass Katharina sich in Orazbaj verliebt hat. Als ihr Mann wieder auf See muss, beginnt sie eine Affäre mit Orazbaj.
Bald ist die Beziehung mehr als eine Affäre, da Orazbaj für Maarten auch die Vaterrolle annimmt. Mühsam lernt er, mit seinem Heimweh umzugehen, und versucht, sich in der neuen Lebenswelt zurecht zu finden, indem er niederländisch lernt und arbeiten geht. Dabei ist ihm  Maarten ein freundschaftlich verbundener Helfer. Als Katharinas Ehemann von seiner Schiffstour zurückkehrt, eskaliert der Konflikt zwischen ihm und Orazbaj. Der kindliche Lösungsvorschlag von Maarten („Ich hab‘ jetzt zwei Papas und eine Mama.“) stößt sich an der Wirklichkeit der Gefühle des verletzten Ehemannes. Er kann nicht damit umgehen, dass Katharina sich von ihm trennen und ihr Leben gemeinsam mit Orazbaj gestalten will. Schließlich benachrichtigt er die Ausländerpolizei, um Orazbaj ausweisen zu lassen.
Szenenwechsel: glücklich begrüßen der Vater, Ajdyn und Iso den Zurückgekehrten in seinem Heimatdorf. Dort hat sich nichts geändert, unablässig weht der Sandwind, weiterhin liegen die Fischerboote auf dem Trockenen. Da beginnt Orazbaj, seinem Vater bei der Instandsetzung des Bootes zu helfen. Als Maarten eines Tages bei Orazbaj anruft, kommt dem Jungen eine Idee. Er dreht alle Wasserhähne in der Rotterdamer Wohnung auf, um das Wasser in Orazbajs Heimat fließen zu lassen: „Es dauert eine halbe Stunde, bis es dort ist.“
Und siehe, Maartens Glauben bewirkt ein Wunder: plötzlich entdecken Orazbaj und sein Vater, dass ihr Boot von Wasser umgeben ist. Mit der Rückkehr des Wassers scheint in ihrem Dorf nun neues Leben zu erblühen. Ajdyn und Iso feiern ein großes Hochzeitsfest. In seinem Trinkspruch auf das junge Paar verkündet der Vater die neue Zeit, die an die Vergangenheit anknüpft: „Trinken tut man in Gesellschaft. Diese Worte habe ich schon eher gesagt. Aber jetzt ist nicht der Moment, um zurück zu blicken. (...) Wenn ich auf die Zukunft trinke, dann trinke ich auf das Wasser, das überall seinen Weg findet.“
Orazbaj zögert jedoch zunächst noch, sich ganz auf seine Heimat einzulassen. Er kann Katharina und Maarten nicht vergessen. Wie eine Fata Morgana tauchen sie in der wüstenartigen Landschaft auf, als er sich von der Hochzeitsfeier zurückzieht. Aber die Fata Morgana löst sich auf, und Orazbaj kehrt zu seinem Dorf zurück, in dem die Frau auf ihn wartet, die ihm sein Vater zugedacht hat. Die letzte Einstellung zeigt einen lächelnden, zur Ruhe gekommenen Orazbaj, denn so viel, so meint er zum Schluss, sei in seinem Heimatort auch nicht anders als in Rotterdam. 

Gestaltung
Eine weite, trockene Landschaft, die an die Wüsten des amerikanischen Wilden Westens erinnert. Dann zwei Schiffsgerippe mitten im Sand. Mancher mag ähnliche Fotos schon mal gesehen haben, aber für den unbefangenen Zuschauer müssen die ersten Einstellungen des Films etwas Unwirkliches haben: rostende Schiffe in einer wüstenartigen Landschaft sind nun mal kein gewöhnlicher Anblick. Schiffe gehören aufs Wasser, aber davon ist weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen diese endlose Landschaft aus feinem weißen Sand, durchsetzt von Grasbüscheln, durchweht vom rauhen Wind. So scheinen diese ersten Bilder den Zuschauer in eine unwirkliche Welt zu versetzen, vielleicht in eine Märchenwelt. Aber schnell wird klar, dass dies eine sehr reale Welt ist. So sieht es heute in der Gegend aus, in der einst der Aralsee den Fischern und Fischverarbeitern ihren Lebensunterhalt sicherte. Aus der einfachen Waschanlage in der Fischfabrik fließt kein Wasser mehr. Nur noch wenige Fische schwimmen in einer Badewanne und müssen mit Brotkrumen gefüttert werden, obwohl die Arbeiter selbst kaum noch etwas zu essen haben. Im Hintergrund erinnert ein Wandbild im Stil des Sozialistischen Realismus an vergangene Tage: von Möwen umflatterte Schiffe auf dem großen Meer. In einer anderen Einstellung steht Orazbai, der Protagonist des Films, wie ein Kapitän aus alten Seefahrerfilmen auf dem Bug eines Schiffes, doch das Schiff steckt im Sand und Orazbaj ist ein Rufer in der Wüste.
Mit Orazbajs Abschied aus seiner Heimat verlassen wir zunächst die Welt der ökologischen Katastrophe, die die gewachsene Lebenswelt der Menschen am Aralsee bedroht. Es kommt die ganz andere Welt Rotterdams, des größten europäischen Hafens, ins Bild. Hier ist das Wasser in scheinbar unendlichen Mengen vorhanden und frei verfügbar. Nach wenigen einfachen Handgriffen fließt es aus der Leitung und spült das Klobecken.
Aber auch die Beziehungen der Menschen sind andere als in Orazbajs Heimat. Ehepartnerschaften müssen nicht mehr ein Leben lang halten. Katharina und ihr Mann haben sich voneinander entfremdet, wie es gleich eine der ersten Sequenzen deutlich macht. Gerade in seinem Umgang mit den Beziehungen der Menschen entwickelt der Film eine seiner Stärken. Mit großer Glaubwürdigkeit zeigen die Schauspieler die Macht der Gefühle, in kleinen Blicken und Gesten drücken sie mehr aus als viele Worte. Kein Wunder, dass Katharina Orazbaj in der ersten Liebesnacht zuflüstert: „Nichts mehr sagen.“ Doch Menschen brauchen auch Worte, um sich zu verstehen oder um das Ende des Verstehens auszudrücken, wie der Trennungsdialog zwischen Katharina und ihrem Mann deutlich macht. Es ist nicht einfach, andere Lebensformen als die lebenslange Ehe zu finden. Hier kommt dem gemeinsamen Kind Maarten eine Schlüsselrolle zu, wenn er sagt: „Ich hab‘ zwei Papas und eine Mama.“ Schließlich kennt er solche ungewöhnlichen Lebensformen aus seinem Freundeskreis. Maarten ist es auch, der seinem Vater erklärt, wo Orazbaj herkommt und wie es in dessen Heimat aussieht. Nur durch ihn erfahren er und die Zuschauer, dass es sich um die Gegend des Aralsees handelt, in der der erste Teil des Films spielt.
Auch im dritten und letzten Teil, der nun die beiden Lebenswelten am Aralsee und in Rotterdam miteinander verschränkt, wird Maarten zur Schlüsselfigur, indem er die Wasserhähne aufdreht und das Wasser zum Aralsee fließen lässt. Der Grausamkeit der Realität setzt der Film die kindliche Phantasie entgegen. Nur durch sie lässt sich das Dilemma überwinden. Was am Anfang des Films so unwirklich wie ein Märchen wirkte, aber harte Wirklichkeit war, endet mit einem märchenhaften Schluss.  

Didaktische Hinweise
Der Film handelt von verschiedenen Themen, die durch die klare Struktur des Films in der Bildungsarbeit gut herausgearbeitet werden können.
1. Migration:
Bekzod Mukhamedkarimov in der Rolle des Orazbaj ist ein sympathischer, attraktiver Hauptdarsteller, der zur Identifikation anregt. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass er der öko-logischen Katastrophe in seiner Heimat entfliehen will und sich als „Blinder Passagier“ auf den Weg macht. Obwohl die Fluchtursachen sehr schwerwiegende sind, haftet seiner Wanderungsbewegung auf Grund der filmischen Darstellung und der zugleich zurückhaltenden und humorvollen Spielweise Mukhamedkarimovs fast etwas Leichtes an. Immer wieder fragt man sich, was wohl in den Gedanken und Gefühlen dieses Mannes vor sich gehen mag. Offensichtlich ist er nicht nur ein zur Flucht Getriebener sondern eher ein Suchender, was diesen Film in die Nähe eines Road Movies rückt. Selbst die Ausweisung Orazbajs aus den Niederlanden scheint in seine Wanderungsbewegung eingebettet zu sein, so selbstverständlich geht er mit ihr um.
In der Nachbereitung des Films kommt es sicher darauf an, die ernsten Hintergründe und Ursachen von Migrationsbewegungen zu erörtern. Dafür können Sachinformationen über soziale und ökologische Probleme als Ursache von Fluchtbewegungen herangezogen werden. Auch sollte die rechtliche Lage von Asylsuchenden in Deutschland bzw. Westeuropa sowie der Umgang der Ausländerpolizei mit ihnen erörtert werden, vor allem im Hinblick auf diejenigen, die als „Blinde Passagiere“ in den Hafenstädten Europas ankommen. Gute Vergleichsmöglichkeiten bieten dafür die unten genannten Filme.
Als Einstieg in das Nachgespräch sollte aber die Figur des Orazbajs gewählt werden. Die Diskussion seiner möglichen Motive, Gedanken und Gefühle spricht die persönliche Sichtweise des Zuschauers an und bietet dadurch eine gute Grundlage, um sich anschliessend den politischen und sozialen Fragestellungen zu widmen.
2. Umgang mit Wasser:
Ausgangspunkt des Filmgeschehens ist die Austrocknung des Aralsees auf Grund eines verschwenderischen und gigantomanischen Umgangs mit Wasser (siehe auch „Hintergrund“). Der Umgang mit der natürlichen Ressource Wasser stellt heute eine der drängendsten Zukunftsfragen der Menschheit dar. Noch immer leben rund zwei Milliarden Menschen, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und ausreichender Sanitärversorgung. Trotz vieler Entwicklungsanstrengungen ist eine Besserung nicht in Sicht. Experten prognostizieren für das 21. Jahrhundert sogar eine Zunahme von Konflikten und Kriegen um die Ressource Wasser, da auf Grund von Klimaveränderungen weltweit ein Rückgang des zur Verfügung stehenden Wasser zu erwarten ist.
Der Film zeigt sehr deutlich die Folgen von Wassermangel für Menschen und ihre Wirtschaftsweisen. Nicht gezeigt werden die Probleme, die entstehen, wenn nicht genügend Trinkwasser vorhanden ist. Zur Erörterung dieses Problems, das sich gerade auch für die im Film genannte Stadt Muynak stellt, sollte auf weiteres Informationsmaterial zurückgegriffen werden. Die unten genannten Filme bieten weiteres Anschauungsmaterial.
3. Lebenswelten und Lebensformen:
Rotterdam und die Wüste am Aralsee, unterschiedlicher können Lebenswelten wohl kaum sein: hier Wasser im Überfluss, dort Trockenheit und Sandstürme. Ebenso unterschiedlich scheinen die Lebensformen der Menschen zu sein: hier sich auflösende Familienstrukturen, dort die ins Dorf eingebundene Großfamilie mit einem patriarchalischen Familienvater. Es bedarf eines Wanderers und Grenzgängers wie Orazbaj, um zu zeigen, dass wir in der Einen Welt leben. Als „Blinder Passagier“ wechselt er von einer Lebenswelt in die andere und wieder zurück und muss sich dabei die Frage nach der ihm gemäßen Lebensform stellen. Aber dieser Orazbaj ist nicht blind, durch seine Offenheit und Unvoreingenommenheit wird er zum Sehenden, fördert er die beiden Lebensformen zu Grunde liegenden Schwierigkeiten zu Tage. Sie liegen in den Gefühlen der Menschen begründet, die oft nicht mit den Veränderungen und Entwicklungen Schritt halten können.
In Orazbajs Heimat ist es vor allem der Vater, der sich der Bedrohung der traditionellen Lebensform entgegenstellt. In Rotterdam ist es Katharinas Ehemann, der gegen die von Katharina und wohl auch von Maarten gewünschte Auflösung der althergebrachten Lebensform aufbegehrt. Und Orazbaj selbst ist begrenzt in der Wahl seiner Lebensform, einer gemeinsamen Zukunft mit Katharina stehen die Ausländergesetze entgegen.
Da der Film sehr klar gegliedert ist, können die unterschiedlichen Lebenswelten und Lebensformen gut herausgearbeitet werden. Der Film verweigert jedoch jegliche Bewertung, welche Lebensform die bessere ist, auch wenn Orazbaj zum Schluss wie ein verlorener Sohn wieder in die vertraute Lebenswelt der Heimat zurückkehrt. Der Film begnügt sich mit Beschreibung und lässt mit seinen märchenhaften Elemente am Schluss den Zuschauern viel Raum zur eigenen Deutung. So bietet „Blinder Passagier“ den Zuschauern die Chance, über die eigene Lebenswelt und Lebensform ins Gespräch zu kommen. Dafür können auch die unten genannten Filme weitere Anregungen bieten.

Hintergrund
Der Film „Blinder Passagier“ spielt in Rotterdam und Karakalpakstan am Aralsee. Während die niederländische Stadt als größter Hafen Europas weitgehend bekannt sein dürfte, sollen hier einige Hintergrundinformationen über die ökologische Katastrophe gegeben werden, die Karakalpakstan getroffen hat und die die Ausgangslage des Filmgeschehens ist.
Karakalpakstan hat 1,3 Millionen Einwohner und bildet innerhalb der zentralasiatischen Republik Usbekistan als deren westlicher Teil eine autonome Teilrepublik. Sie umschließt das Südufer des Aralsees bzw. das, was vom Aralsee übrig blieb. Denn der Aralsee, bis in die 1970er Jahre der viertgrößte Binnensee der Welt, trocknet aus. In den letzten drei Jahr-zehnten des 20. Jahrhunderts hat er zwei Drittel seines ursprünglichen Volumens und die Hälfte seiner Oberfläche verloren. Der Grund liegt in der gigantomanischen Wirtschaftspolitik der Sowjetunion, zu der Karakalpakstan und Usbekistan bis 1991 gehörten. Im Zuge dieser Wirtschaftspolitik nutzte die Sowjetunion das Wasser der Flüsse Amudarja in Usbekistan und Sirdarja in Kasachstan, das den nördlichen Teil des Aralsees einschließt, um es umzuleiten und damit riesige Baumwoll- und Reisplantagen zu bewässern. 95% der sowjetischen Baum-wollernte wurden in den drei zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Kasachstan und Turkmenistan eingefahren und machten die Sowjetunion zum drittgrößten Baumwollproduzenten der Welt.
Den Preis zahlen noch heute die Menschen, die am Aralsee leben. Durch die Austrocknung des Sees schreitet die Versandung und Versalzung der Gegend immer weiter voran und zerstört die Lebensgrundlagen der Menschen. Die Stadt Muynak, in der einige Filmsequenzen spielen, lag früher im Mündungsgebiet des Amudarja in den Aralsee und galt als blühende Hafen- und Fischerstadt. Heute liegt sie inmitten einer wüstenartigen Landschaft, 100 km vom Ufer des Sees entfernt. Die dortige Fischfabrik war zu ihren Hochzeiten die viertgrößte der Sowjetunion und verarbeitete in den 1950er Jahren 25.000 Tonnen Fisch aus dem Aralsee jährlich. Mit viel Mühe bringt sie es heute immerhin noch auf 5.000 Tonnen Fisch, allerdings stammen diese aus der Nachbarrepublik Turkmenistan. Noch schlimmer sieht es in Kasachstan, auf der anderen Seite des Sees aus. Dort sind bis zu 80% der Menschen arbeitslos.
Die größte Katastrophe aber ist die ökologische. Durch Austrocknung und Sandstürme werden außer Salzen auch Chemikalien, Pestizide, Nitrate sowie viele Gifte freigesetzt, die früher im Wasser gebunden waren. Mit bis zu 100 Millionen Tonnen Gift und Salz pro Jahr wird die gesamte Region bis hin zum Kaukasus und zum Himalaya verseucht. Allein in Zentralasien sind nach UNO-Angaben 30 Millionen Menschen davon betroffen. Sie leiden an Hautkrankheiten und Allergien, Lungen-, Leber- und Darminfektionen, Tuberkulose- und Krebserkrankungen, Anämie und Bluthochdruck. Die Säuglings- und Müttersterblichkeit ist extrem hoch. Kein Wunder, dass die UNO von der größten von Menschen gemachten Umweltkatastrophe des 20. Jahrhunderts spricht. 

Literaturhinweise
Miriam Neubert: Im Todeshauch des verlorenen Meeres. In: Süddeutsche Zeitung, 18. September 1995. In: Medieninformation Entwicklungspolitik Nr.26, März 1996: „Zentralasien – wo liegt denn das?“, Hamburg 1996
Medieninformation Entwicklungspolitik Nr. 29, Mai 1999: „Wasser“, Hamburg 1999
Roland Götz / Uwe Halbach: Politisches Lexikon GUS, München 1996


Medienhinweise
Zur Migration:
DER BLINDE PASSAGIER (LE CLANDESTIN)
Ein Film von José Laplaine, Zaire 1996
15 Min., Spielfilm, OmU

OTOMO
Ein Film von Frieder Schlaich, Deutschland 1999
85 Min., Spielfilm

REISE DER HOFFNUNG
Ein Film von Xaver Koller, Schweiz 1990
100 Min., Spielfilm, OmU
 

Autor: Jens Michelsen
Juli 2000        

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