Conducta
Spielfilm von Ernesto Daranas
Kuba 2014, 108 Minuten, OmU
Inhalt
„Pioniere für den Kommunismus, wir werden sein wie der Che", skandieren Chala, Yeni, María Paula sowie die anderen Schüler und Schülerinnen der sechsten Klasse einer Grundschule im Zentrum Havannas. Täglich schmettern sie in einem ewig gleichen Ritual die Nationalhymne, danach huldigen sie im Chor dem Revolutionsheld Ernesto „Che“ Guevara. Dessen Traum vom „Neuen Menschen“ im Sozialismus ist lange her. Ein Vierteljahrhundert permanenter Notstand zeigt nicht nur wirtschaftlich Spuren der Marginalisierung in der kubanischen Hauptstadt. Auch für Carmela, eine engagierte Pädagogin im Rentenalter, sind die Perspektiven und Idole des revolutionären Aufbruchs fast nur noch Geschichte. Ihre Tochter und der Enkel Orlando wollen in Miami neu beginnen, sie sehen auf der Insel keine Zukunft mehr. Mit ihm sind es sieben Kinder ihrer Klasse, die in den vergangenen drei Jahren Kuba verließen. „Ich erzähle ihnen von Martí und der Heimat. Doch zu Hause buddeln sie die Toten aus, um den spanischen Pass zu bekommen“.
Die eigensinnige Lehrerin ist schon lange am politischen System verzweifelt, ihre Ideale verteidigt sie aber weiter unermüdlich. Hartnäckig setzt sie sich für Kinder aus schwierigen Verhältnissen ein. Wie für den elfjährigen Chala. Der sympathische Bengel lebt mit seiner alkohol- und tablettenabhängigen Mutter in einer heruntergekommen Wohnung in der Altstadt nahe des Kapitols. Sonia schlägt sich als Gelegenheitsprostituierte durch und kann sich nicht um den Jungen kümmern. Chala stemmt den Haushalt und weiß nicht, wer sein Vater ist. Vielleicht ist es Ignacio, der Nachbar, mit dem seine Mutter ab und zu Sex hat. Der veranstaltet auf dem Dach des verrotteten, labyrinthähnlichen Gebäudes illegale Hundewettkämpfe. Chala versorgt die Kampfhunde, züchtet Tauben und verdient damit das Geld für Strom und Essen. Als Sonia in eine Klinik muss, sehen die Sozialbehörden und Schulverwaltung ihn in einem Erziehungsheim (escuela de conducta) am besten aufgehoben.
Denn auch in der Schule eckt der pfiffige Chala immer wieder an. Mal prügelt er sich, weil Mitschüler seinen Freund Yoan beleidigen, dessen Vater als politischer Gefangener im Knast sitzt. Mal steht er vor der Direktorin, weil er Spielkarten dabei hat. In seiner Freizeit treibt sich Chala mit Kumpels in Havannas Gassen herum, kümmert sich um seine geliebten Tauben oder versucht, Yenis Herz zu erobern. Das ernste Mädchen ist Klassenbeste. Doch für Raquel, eine junge Funktionärin der Schulbehörde, gehört sie zu den Problemfällen. Denn Yeni kommt aus der Provinz und lebt mit ihrem Vater illegal in einer Metallbude an den Bahngleisen. Den Zuzug in die Hauptstadt reguliert der Staat streng, die Kontrollen belasten das Leben der beiden sehr. Nur wer regelmäßig seine Einnahmen mit den Ordnungshütern teilt, entgeht einer Anzeige. Damit das Mädchen den Unterricht besuchen kann, hat Carmela sie ohne Wissen der Schulbehörde eingeschrieben. Als Yenis Vater einmal kein Geld in der Tasche hat, steht die Rückschiebung bevor.
Die smarte, linientreue Raquel beschäftigt vor allem die anstehende Inspektion. Sie setzt alles daran, Carmela in den Ruhestand abzuschieben, da sich die Pädagogin ständig den bürokratischen Vorschriften widersetzt. So holt Carmela auf eigene Faust Chala aus dem Erziehungsheim und überzeugt den Leiter der Einrichtung davon, dass der Junge dort nicht hingehört. Und obwohl religiöse Symbole in der Schule verboten sind, beharrt sie darauf, dass das kleine Heiligenbild mit der Jungfrau der Nächstenliebe am Schwarzen Brett des Klassenzimmers hängen bleibt. Das Bildnis der kubanischen Schutzpatronin hatte Yeni zur Erinnerung an einen jüngst verstorbenen Klassenkamerad dort angeheftet.
Zu ihrer Verabschiedung erscheint Carmela spät. Vor der Laudatio der Funktionärin ergreift sie selbst das Wort und zieht vor dem Kollegium eine lang vorbereitete Bilanz ihrer Überzeugungen. „Ich weiß, ich habe eine Linie übertreten, aber es musste sein, damit ich ein reines Gewissen haben kann“. Die Pensionierung akzeptiert sie nicht. Früher habe sie gewusst, auf was sie die Schüler/innen vorbereite. „Heute weiß ich nur noch eins: Worauf ich sie nicht vorbereiten will.“
Würdigung und Kritik
„Conducta“ wird frenetisch gefeiert und bewegt die Menschen auf Kuba wie kaum eine einheimische Produktion seit „Fresa y Chocolate“ (Erdbeer und Schokolade) vor zwanzig Jahren. Während den Vorführungen gibt es Tränen der Trauer und der Erleichterung, spontanen Applaus sowie zustimmende Zwischenrufe, etwa bei Camelas Bemerkung über die alten Männer, die das Land schon viel zu lange regieren. All das zeugt davon, dass die Geschichte das Leben und die Sorgen der Menschen ungeschönt abbildet. Regisseur Ernesto Daranas wuchs selbst in Habana Vieja auf und kennt den Alltag im verarmten Stadtteil. Er hatte eine Idee für den Plot, die Umsetzung realisierte er als Werkstattprojekt mit Studierenden.
Die detailreichen Beobachtungen und Bilder des fast dokumentarischen Sozialdramas ermöglichen nicht nur einen realistischen Blick auf die Probleme des einst herausragenden kubanischen Bildungssystems. Ganz alltäglich und en passant ist in Nebengeschichten auch die Rede von Korruption und politischen Gefangenen, illegaler Zockerei und massiver Auswanderung. „Es sind einfach zu viele Jahre mit diesem Scheiß hier“, sagt Carmela einmal. Trotzdem entscheidet sich die von Alina Rodríguez großartig dargestellte Pädagogin dafür, ihrer Familie nicht in die Vereinigten Staaten zu folgen. Geleitet von tiefer Menschlichkeit will sie sich weiter für gleiche Lebenschancen aller Schüler/innen einsetzen. Und so schwingen in ihrer Figur auch die Ideale des einstigen Aufbruchs und die Sorge um den Wertezerfall in einem System mit ungewisser Zukunft mit.
Die Kamera liefert bewegende Großaufnahmen aller Protagonist/innen und eindrucksvolle Impressionen eines Havannas jenseits von Postkartenidylle. Der charmante und warmherzige Film ist von universeller Relevanz und das lässt schnell über die etwas aufgesetzten zarten Liebesbande zwischen Chala und Yeni hinwegsehen. Auf Deutsch bedeutet „Conducta“ Verhalten und Benehmen. Doch der Filmtitel weist weit über die Handlungen einzelner Figuren und die kubanische Gesellschaft hinaus. Er steht für zivilen Ungehorsam und würdigt den Regelverstoß aus Gewissensgründen jenseits politischer Systeme als elementaren Beitrag sozialer Verantwortung.
„Conducta“ ist voller Symbole und Anspielungen: Politische Gefangene, alte Männer, Tauben. Aus Chalas Händen steigt eine Taube in Havannas Himmel auf. Als Friedenssymbol kann sie als Hinweis auf die politische Annäherung zwischen Kuba und den USA nach über einem halben Jahrhundert diplomatischer Eiszeit verstanden werden. Im afrokubanischen Santería-Kult symbolisiert dieser Vogel den Weltschöpfer Obatalá. Der ehemalige Staatschef Fidel Castro gilt als Auserwählter. Denn als der comandante kurz nach dem Sieg der Revolution auf einem zentralen Platz eine Rede hielt, soll eine weiße Taube auf seine Schulter geflattert sein. Dreißig Jahre später wiederholte sich das Ereignis am selben Ort. Wo die Taube in der aufgeriebenen Gesellschaft zukünftig landen könnte, lässt Daranas in „Conducta“ offen.
Der Regisseur Ernesto Daranas
Der 1961 in Havanna geborene Ernesto Daranas studierte Pädagogik und Geografie. Zunächst arbeitete er als Autor fürs Radio, später schreibt er auch Drehbücher fürs Fernsehen. 2004 entstand sein Dokumentarfilm „Los últimos gaiteiros de la Habana“, der mit dem Internationalen Journalistenpreis „Rey de España“ ausgezeichnet wurde. Der sozialkritische Fernsehfilm „La vida en rosa?“ war auf Kuba ein Kultfilm und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Daranas lebt selbst in Havanna und viele seiner Arbeiten kreisen darum, wie die Einwohner/Innen der Hauptstadt ihren komplexen Alltag bewältigen. Sein 2008 produzierter Spielfilm „Los dioses rotos“ handelt vom Geschäft mit der Prostitution zu Beginn des 20, Jahrhunderts.
Der Regisseur entwickelte „Conducta“ in einem offenen Konzept gemeinsam mit Studierenden der Filmschule Havanna. „Wir waren uns darüber einig, dass Bildung in jeder Gesellschaft eine zentrale Bedeutung hat. Wie sie strukturiert ist und welche Kriterien ein Land für sie aufstellt, bestimmt wesentlich die zukünftige Gesellschaft. In Kuba ist die Rolle wirklicher Lehrkräfte ein wichtiges Thema. Lehrer können Wissen einer bestimmten Materie unterrichten. Pädagogen vermitteln auch Werte, achten auf Gefühle. Solche Leute gibt es weltweit immer weniger, die globalen Bildungssysteme orientieren sich an anderen Mechanismen“, meint Daranas. „In Kuba gibt es große Einbrüche im Bildungssystem, denn seit fast 25 Jahren leben wir in einer permanenten Wirtschaftskrise mit Versorgungsengpässen. Das schlägt sich auch in sozialer Verelendung nieder. Junge Menschen aus verarmten Bevölkerungsschichten haben Probleme zuhause und finanzielle Schwierigkeiten. Die Schule sollte ihnen da Orientierung bieten und es wäre sehr hilfreich, wenn sie dort mehr Lehrer wie Carmela antreffen würden. Genau das haben wir den Behörden bei der Vorstellung des Projektes ernsthaft und ohne Schnörkel vermittelt.“
(Zitate aus einem Interview von Alfonso Flores-Durón auf dem Filmfestival in Guadalajara)
Seit Jahrzehnten schon kritisieren kubanische Filmschaffende die soziale und gesellschaftliche Realität auf der Insel. Häufig stießen sie bei Funktionären auf Ablehnung und mussten die Zensur ihrer Werke hinnehmen. Für die Filmproduktion der Insel ist Conducta ein Novum. Das kubanische Filminstitut ICAIC förderte ihn ohne Vorlage des Drehbuches zu 100 Prozent. Seine Kritik an den herrschenden Verhältnissen wurde sogar von höchster Stelle bestätigt: Die Erziehungsministerin bezeichnete den Film als schonungslos, aber wahr. Kuba nominierte den Film für den Oscar 2015.
Für „Conducta“ erhielt Ernesto Daranas zahlreiche Auszeichnungen und Preise:
- Filmfestival Havanna (Kuba): Bester Film
- Filmfestival Malaga (Spanien), Sektion Lateinamerika: Publikumspreis, Bester Regisseur, Bester Film
- Filmfestival Bogota (Kolumbien): Bester Spielfilm; UNICEF-Preis für den besten Kinderfilm
- Filmfestival Lima (Peru): Publikumspreis
- Filmfestival Brasilia (Brasilien): Bestes Drehbuch, bester Schauspieler
- Filmar en América Latina, Genf: Publikumspreis
- Kinderfilmfestival LUCAS: Bester Jugendfilm
- UNICEF Award: Bester Kinderfilm
- Film des Monats der Jury der Evangelischen Filmarbeit
Filmografie
2014 Conducta (Das Verhalten)
2008 Los dioses rotos (Kaputte Götter)
2004 La vida en rosa? (Das Leben in rosa?)
2004 Los últimos gaiteros de La Habana (Die letzten Dudelsackpfeifer von Havanna)
Hintergrund-Informationen
Sozialistische Republik Kuba
Kuba ist die größte der Antilleninseln und ihre zentrale Lage in der Karibik ist von strategischer Bedeutung. Weniger als 200 Kilometer westlich liegt die mexikanische Halbinsel Yucactán. Noch weniger misst die Meeresenge, die den Nordwesten der Insel vom US-amerikanischen Bundesstaat Florida trennt. Im Südosten befinden sich Haiti rund 80 Kilometer und im Süden Jamaica rund 140 Kilometer entfernt. Klimatisch liegt das Land in den wechselfeuchten Randtropen, die Temperaturen liegen im Jahresdurchschnitt bei 25 Grad Celsius. Mit rund 111.000 km² entspricht die Fläche der langgezogenen Insel zusammen etwa der Bayerns und Baden-Württembergs. In Ost-West-Richtung erstreckt sich das Land über 1.250 Kilometer und ist an seiner schmalsten Stelle nur 31 Kilometer breit.
Auf Kuba leben 11,3 Millionen Menschen, die Insel ist im Vergleich zu anderen Karibikinseln dicht bevölkert. Drei Viertel der Bevölkerung lebt in Städten. Im Ballungsraum der Hauptstadt Havanna wohnen rund 2,9 Millionen Menschen; weitere Zentren dichter Besiedlung sind die Provinzen Holguin und Santiago de Cuba, wo insgesamt 2,1 Millionen Menschen leben. Seit 1997 verbietet ein Migrationsgesetz der Landbevölkerung die Abwanderung in die Städte. Zehntausende Menschen leben deshalb illegal in Havanna und werden dort abschätzig als „Orientales„ oder „Palestinos“ bezeichnet. Laut eigenen Angaben beim Zensus 2012 bezeichnen sich 9,3 Prozent als Schwarze, 26,6 Prozent als Mulatten und Mestizen und 64,1 Prozent als Weiße.
Unter der Führung der Brüder Fidel und Raúl Castro, Camilo Cienfuegos und des Argentiniers Ernesto „Che“ Guevara beendete Anfang 1959 eine Revolution die Herrschaft des Diktators Fulgencio Batista. Hundertausende aus der ehemaligen Ober- und Mittelschicht verließen das Land. Seit 1961 ist Kuba eine sozialistische Republik mit einem Einparteiensystem unter Regierung der Kommunistischen Partei. Eine wichtige Leistung der Revolution war der Aufbau einer sozial relativ egalitären Gesellschaft. Kostenfreie Bildung und Gesundheitsfürsorge waren garantiert, Arbeit und Rente vorhanden und die Spreizung der Löhne gering.
Krise und Wandel
„No es fácil", ist ein häufiger Kommentar auf Kuba, wenn es um die Bewältigung der Ökonomie des Alltags geht. Es ist und war nicht einfach – denn mit dem Zerfall des sozialistischen Lagers in Osteuropa Ende der 1980er Jahre verlor das Land innerhalb kurzer Zeit seine wichtigsten Handelspartner. Es stürzte in eine schwere Krise: Öllieferungen aus der Sowjetunion blieben aus, das wiedervereinigte Deutschland stoppte die Verschiffung von Milchpulver, das die DDR für die Schulspeisungen nach Kuba transportiert hatte und pharmazeutische Produkte aus Osteuropa fehlten. Die Regierung reagierte im August 1990 mit einem rigiden Sparprogramm, der so genannten „Sonderperiode in Friedenszeiten“. Die Konsequenzen für die Kubaner/innen waren extrem hart. Es fehlten Lebensmittel und Benzin sowie Rohstoffe und Ersatzteile. Die Energieversorgung war rationiert, der Gütertransport und der öffentliche Nahverkehr brachen zusammen und das bis dahin vorbildliche Gesundheitssystem funktionierte nicht mehr, weil wichtige Medikamente fehlten. Mit dem Verlust der privilegierten Wirtschaftsbeziehungen innerhalb der sozialistischen Welt war die kubanische Ökonomie den Zwängen des Weltmarktes unterworfen. Aber dem Land fehlten Devisen und es leidet seither verstärkt unter dem 1962 verhängten Wirtschaftsembargo der USA. Hilfe brachte der 2013 verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chávéz. Er versorgte Kuba mit subventioniertem Erdöl. Im Gegenzug schickte das Land Zigtausende Ärztinnen und Ärzte sowie Lehrer/innen zur Unterstützung sozialer Programme nach Venezuela.
Das Ideal des „reinen Sozialismus“ hat sich überlebt. Raúl Castro, der seinen erkrankten Bruder Fidel 2008 als Präsident ablöste, leitete einen wirtschaftlichen Reformprozess ein. Er lockerte die Planwirtschaft und erlaubte, dass Privatpersonen als Selbstständige ein Restaurant führen, Taxi fahren oder einen Handwerksbetrieb gründen. Was das Regime als bloße „Aktualisierung des Sozialismus“ bezeichnete, geht jedoch weit darüber hinaus. Denn spätestens seit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den USA im Jahr 2015 verhandeln internationale Anleger verstärkt mit der Castro-Regierung über Direktinvestitionen.
Einkommen ohne Auskommen
Seit 1994 zirkulieren auf der Insel zwei Währungen: der weiche Kubanische Peso CUP und der an den US-Dollar gekoppelte Konvertible Peso CUC, der in staatlichen Banken und Wechselstuben innerhalb des Landes gegen Devisen getauscht werden kann. Der offizielle Wechselkurs liegt bei 24 CUP für 1 CUC.
Das duale Währungssystem hat ein fundamentales Ideal der Revolution – das Gleichheits-Ethos – ausgehöhlt. Denn wer, wie die meisten Kubaner/innen, beim Staat unter Vertrag ist, erhält sein Gehalt in dem mit der niedrigen Kaufkraft ausgestatteten kubanischen Peso. Der Durchschnittsverdienst lag 2014 monatlich bei 584 CUP, rund 22 Euro. Am besten bezahlt sind Arbeiter/innen der Zuckerindustrie mit rund 38 Euro pro Monat. Lehrer/innen gehören mit 25 -30 Euro monatlich zwar zu den Besserverdienenden, das karge Einkommen reicht jedoch nicht zum Leben.
Denn mit CUP bezahlen kann man Miete und Busfahrten, Gemüse auf den privaten Bauernmärkten und die wenigen in den staatlichen Läden vorhandenen subventionierten Lebensmittel wie etwa Reis, Bohnen und Zucker. Das meiste andere – wie Bratöl, Nudeln oder Hygieneartikel muss mit CUC erworben werden. Eine große Dose Tomatensoße kostet z.B. 1,50 CUC, ein mittleres Paket Waschmittel 4,50 CUC. Auch Konsumgüter wie Elektrogeräte und Dienstleistungen wie Internet-Nutzung gibt es nur gegen den konvertiblen Peso. Über regelmäßiges Einkommen in CUC verfügen wenige. Die harte Währung lässt sich im Tourismus und über Zusatzeinkünfte auf dem Schwarzmarkt verdienen oder kommt über die Überweisungen von emigrierten Angehörigen im Ausland. Das Zweiwährungs-System hat die Gesellschaft gespalten, denn nicht alle haben regelmäßig Zugriff auf die harte Währung.
Bildungswesen
Auf ihre PädagogInnen und ihr Bildungssystem ist Kuba stolz. Schulen und Universitäten sind kostenlos und die Alphabetisierungsrate liegt höher als die der Vereinigten Staaten. Die UNESCO lobte 2014 Kuba in puncto Bildung als ein "Beispiel für die Welt". Der Bildung galt – neben dem Gesundheitswesen – schon immer die besondere Aufmerksamkeit der sozialistischen Regierung. Zum Zeitpunkt der Revolution waren auf Kuba rund eine Million Menschen Analphabeten. Nach dem Sturz der Diktatur ließ Fidel Castro Militärkasernen zu Schulen umbauen und startete eine Bildungsoffensive. 270.000 Personen zogen in abgelegene Orte und brachten der Landbevölkerung lesen und schreiben bei. Die erfolgreiche Kampagne war auch für viele der engagierten Lehrer/innen eine prägende Erfahrung. Mit Ernesto „Che“ Guevara als Leitfigur baute Kuba das Erziehungswesen weiter aus. Private und kirchliche Schulen wurden verstaatlicht, auch in Provinzstädten wurden Universitäten aufgebaut.
Die Krise der 1990er Jahre und die Zwei-Währungsgesellschaft haben bis heute harte Konsequenzen für das Bildungswesen. Es fehlt an jungen, qualifizierten Lehrkräften und moderner Ausstattung. Tausende Stellen sind in den Schulen nicht besetzt, denn das niedrige staatliche Gehalt reicht nicht zum Leben. Die Schulbehörden haben deshalb Pensionierte aus dem Ruhestand zurückgeholt oder lassen Schulabgänger als "Notstandslehrkräfte" unterrichten.
Zehntausende Lehrer/innen haben das Land verlassen oder den Job gewechselt. Sie verdienen ihr Geld nun im Tourismus als Kellnerin, Fremdenführer oder Taxifahrer. Eltern kritisieren das niedrige Niveau des Unterrichts und stellen Nachhilfelehrer/innen ein. So ist ein Schwarzmarkt für Nachhilfe entstanden. Oft sind dort dieselben Lehrer/innen tätig, die die Kinder in den staatlichen Schulen unterrichten. Der Unterschied: Die Nachhilfe wird in der harten Währung CUC bezahlt.
Die allgemeine Schulpflicht beträgt neun Jahre und umfasst eine sechsjährige Grundstufe sowie die daran anschließende dreijährige Sekundarstufe I. Anstelle der allgemeinbildenden Sekundarstufe I kann eine Ausbildung an Berufsschulen oder Werkstattschulen absolviert werden. Die Kinder müssen mindestens 13 Jahre alt sein, um die dreijährige Qualifizierung zu beginnen. Wer die Ausbildung erfolgreich durchläuft, schließt mit einem Zeugnis als qualifizierte Arbeitskraft ab. Das eröffnet die Möglichkeit, den weiteren Bildungsweg entweder in der Berufsausbildung (Sekundarstufe II) oder der Erwachsenenbildung fortzusetzen. Die drei Jahre dauernde Sekundarstufe II gliedert sich in einen voruniversitären und einen beruflichen Zweig.
Kirche und Kult
Auch wenn Religion von Seiten des Staates nach der Revolution zurückgedrängt wurde, spielt sie im kubanischen Alltag eine wichtige Rolle. So sollen 60 Prozent der Bevölkerung getaufte Katholik/innen sein, nur ein kleiner Teil von ihnen praktiziert jedoch den Glauben. Laut Bischofskonferenz besuchen zwei Prozent der Kubaner/innen regelmäßig eine Messe. Etwa fünf Prozent gehören einer protestantischen Kirche an. Die Santería, ein synkretistischer Kult der afrikanischen Yoruba-Religion, ist dagegen weit verbreitet. Ihre Göttinnen und Götter (Orishas) haben „Doppelgänger“ unter katholischen Heiligen (spanisch: santos). Viele Anhänger/innen der Santería besuchen katholische Kirchen, tragen neben ihren Halsketten mit afrikanischen Gottheiten auch ein Holzkreuz und verehren den Papst.
Die katholische Kirche war vor der Revolution keine Volkskirche, sondern galt als Verbündete der Diktatur und der besitzenden städtischen Schichten. Wegen ihrer Opposition gegen die sozialistische Regierung wurde sie lange als konterrevolutionär gebrandmarkt. Als Gesprächspartnerin war sie nicht akzeptiert, katholische Schulen wurden verstaatlicht, kirchliches Land und Besitztümer konfisziert, Priester des Landes verwiesen oder in Umerziehungslager gesteckt. Eine Annäherung zwischen Staat und Kirche fand erst ab Mitte der 1980er Jahre statt, nach langen Gesprächen des brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto mit dem damaligen Staatschef Fidel Castro. Bei der Verfassungsreform von 1992 wurde Atheismus sowohl aus der Verfassung als auch aus den Statuten der Kommunistischen Partei getilgt. Der Staat wurde offiziell für laizistisch erklärt. Religionszugehörigkeit und Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei galten von da ab nicht mehr als unvereinbar. Maßgeblich zur Verbesserung des Verhältnisses trug der Besuch des konservativen Papstes Johannes Paul II 1998 auf der Insel bei.
Heute befindet sich die Kirche in einen pragmatischen Dialog mit der Regierung und spielt als Vermittlerin in politischen Prozessen eine wichtige Rolle. So war Kardinal Jaime Ortega aus Havanna 2011 maßgeblich an den schwierigen Verhandlungen beteiligt, die zur Freilassung der im "Schwarzen Frühling" 2003 verhafteten Oppositionellen führten. Der Kardinal war auch Bote eines Briefes von Papst Franziskus an den US-amerikanischen Präsident Barack Obama. Die im Dezember 2014 eingeleitete Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba war auf Initiative des Papstes zustande gekommen und vom Vatikan moderiert worden. Im September 2015 besuchte Papst Franziskus die Insel, Staatschef Raúl Castro erhofft sich davon weitere Fortschritte bei der Aufweichung des US-Handelsembargos.
Die Schutzpatronin Barmherzige Jungfrau von Cobre (span: Virgen de la Caridad del Cobre) wird sowohl von katholischen Gläubigen wie auch Anhänger/innen der Santería verehrt. Sie galt schon im Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft 1868 als Symbol kubanischer Identität und wird auch von vielen Nicht-Gläubigen akzeptiert. In der Santería trägt sie den Namen Ochún und wird als jüngste der weiblichen Orisha als Göttin der Liebe und Flüsse verehrt.
Didaktische Empfehlungen
Der Film eignet sich für ein Publikum ab zwölf Jahren. Er kann in der Erwachsenenbildung in Seminaren, bei Tagungen oder Abendveranstaltungen gezeigt werden und bietet thematisch vielseitige Anknüpfungsmöglichkeiten. Besonders eignet er sich für alle im Bildungswesen Beschäftigte sowie ausgebildete und angehende Lehrer/innen. Jugendlichen ermöglicht „Conducta“ auch emotionalen Zugang, er kann in Schulen, vor allem in der Sekundarstufe II, eingesetzt werden.
Unterrichtsfächer: Sozialkunde, Politik, Religion, Ethik, Spanisch.
Themen: Pädagogik, Schule, Freundschaft, Bildungswesen, Werte, Ziviler Ungehorsam; Kuba - zwischen Revolution und Transformation; Generationen, Religion.
Vorschläge für das Filmgespräch oder die Arbeit zum Film in der Schule:
- „Conducta“ bedeutet Verhalten und Benehmen, doch es geht um weit mehr. Ein Erziehungsheim, in das Chala eingewiesen werden soll, heißt im Spanischen „escuela de conducta“, auch diese Bedeutung schwingt im Originaltitel mit.
Bitten sie die Schüler/innen um ein Brainstorming über die moralischen Werte, für die Carmela steht. - Bitten Sie die Schüler/innen, sich eine Person aus dem Film auszusuchen und ihr einen Brief zu schreiben.
- Chala und Carmela sind nicht nur als Darsteller/innen ein Traumpaar: Arbeiten sie mit den Schüler/innen anhand der Figuren zu folgenden Begriffen: Freundschaft – Haltung – Verantwortung – Gewissen.
- Auf Kuba ist wie in vielen anderen Ländern einheitliche Kleidung für Schüler/innen Pflicht. Diskutieren Sie mit Ihren Schüler/innen über die Bedeutung von Kleidung. Was spricht für und was gegen eine Schuluniform?
- Yeni wird von Mitschüler/innen als Landei verspottet. Sie und ihr Vater sind aus der Provinz nach Havanna gekommen, weil sie dort bessere Chancen für sich sehen, doch der Zuzug in die Städte ist gesetzlich verboten. Bitten Sie die Schüler/innen, die Gründe dafür zu recherchieren. Beziehen Sie in das Gespräch auch die Forderung nach Residenzpflicht für Flüchtlinge in Deutschland ein.
- Vor allem Frauen unterrichten im Film die Kinder der Primarstufe. Auch in Deutschlands Grundschulen sind fast 90 Prozent der Lehrkräfte weiblich. Liegt es nur am Gehalt, dass sich wenige Männer für das Grundschullehramt interessieren?
- Über religiöse Symbole wie das Kopftuch von Muslima oder das christliche Kreuz in staatlichen Schulen wird auch in Deutschland heftig gestritten. Sprechen sie über religiöse Neutralität, Dominanz und Diskriminierung von Weltanschauungen im Klassenzimmer.
- „Wir wollen sein wie der Che!“, skandieren die Schüler/innen im Film. Welche Ideale verkörpert der Revolutionsführer? Sind sie für Kubas Gesellschaft im Wandel noch von Bedeutung? Ist der deutsche Filmtitel, der dieses Zitat aufgreift, passend?
- Vertiefen Sie die Themen, die der Regisseur über Anspielungen, Motive und Symbole in den Film trägt: Politische Opposition, Schattenökonomie, Migration, Verarmung.
- Sozialismus ist auch Teil der jüngeren deutschen Geschichte. Wo sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Entwicklungen in der DDR und auf Kuba?
- Versuchen Sie Carmelas Konflikt mit den Schulbehörden auf eine Lehrerin an einer deutschen Schule zu übertragen. Gibt es Spielräume für PädagogInnen, die Gewissenskonflikte mit den Richtlinien im Bildungswesen haben?
- Die kubanische Revolution hat viele Menschen bewegt. Bis heute scheiden sich daran die politischen Geister. Tauschen Sie sich über ihre Meinungen und Bilder zu Kuba aus.
Literatur- und Medienhinweise
Publikationen:
Hinweis: Das hier vorgestellte Material lässt sich durch Eingabe von Titel und Herausgeber/in im Internet recherchieren und kann als PDF-Dokument herunter geladen oder online gelesen werden.
- Mediendossier zu Conducta, Interview mit Regisseur Ernesto Daranas von Alfonso Flores-Duron in TRIGON Filmheft
- Filmtipp zu Conducta, von Lisa Haußmann, hrsg. von Vision Kino
- „Kubas Lehrer auf der Suche nach Nebenjobs“, Artikel von Knut Henkel in der Tageszeitung taz vom 25.6.2014
- „Bildung auf Kuba – Die Revolution frisst ihre Lehrer“, Artikel von Benedikt Peters in der Süddeutsche Zeitung vom 26.4.2015
- „Kuba“, in der Reihe: Der Bürger im Staat. Herausgeber: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (2008)
- „Wie reformfähig ist Kubas Sozialismus?" Dossier von Bert Hoffmann, Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai (2011)
- „Kuba-USA: Wandel durch Annäherung“, Dossier von Bert Hoffmann, GIGA-Institut (2015)
- „Kuba und die USA. Entwicklung auf eigene Faust“, Artikel von Toni Keppeler in der Schweizer Wochenzeitung Woz vom 7.1.2016
- „ Aufbruch in Kuba“, Dossier von Christoph Anders, Evangelisches Missionswerk (7/2015)
- „Kirche im Wohnzimmer“, Artikel von Gaby Herzog, Badische Zeitung vom 31. März 2012
- „Kuba - Die katholische Kirche als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft“, Studie von Christina Moebus, Friedrich-Ebert-Stiftung (12/2011)
Bücher
- Kuba, Bert Hoffmann, C.H. Beck Verlag (2009)
- Kuba im 21. Jahrhundert. Revolution und Reform auf der Insel der Extreme, Michael Zeuske, Rotbuch Verlag ( 2012).
- Das Gedächtnis Kubas. Die Revolution im Interview, von John Nicholas Williams. Tectum Verlag (2011)
- Das Havanna Quartett, Roman-Vierteiler von Leonardo Padura, Unionsverlag.
- „Abenteuer DDR: Kubanerinnen und Kubanern im deutschen Sozialismus, Wolf-Dieter Vogel, Verona Wunderlich, Karl Dietz Verlag (2011)
- Salsa Cubana – Tanz der Geschlechter, Emanzipation und Alltag auf Kuba, Miriam Lang (Hg.). Konkret Literatur Verlag (2004)
Links
- Portal Desde Cuba (spanisch): Auf dem 2006 gegründeten Portal Desde Cuba (Aus Kuba) erscheinen die Blogs von rund 50 unabhängigen kubanischen Autor/innen.www.desdecuba.com
- Onlinepublikation 14ymedio (spanisch): Die digitale unabhängige Zeitung wurde 2014 von der bekannten Bloggerin und Oppositionellen Yoani Sanchez 2014 gegründet. www.14ymedio.com
Filme:
- Melaza, Regie: Carlos Lechuga, Kuba 2012, Spielfilm
Bezug: Cineglobal Filmverleih - Fresa y Chocolate (Erdbeer und Schokolade), Regie: Tomás Gutiérrez Alea, Juan Carlos Tabio, Kuba 1993, Spielfilm
Bezug: Arthaus - Una Noche, Regie: Lucy Mulloy, Kuba/USA 2012, Spielfilm, 90 Min.
Bezug: www.kairosfilm.de - Mika, Chula und Karma, Regie: Christoph Weber, Bernd Wilting, D 2000, Dok. 21 Min. Teil der Themen-DVD: Die Welt ist rund: Fußballträume – Fußballrealitäten
Bezug: www.ezef.de
Autorin: Kristin Gebhardt / Januar 2016