Arbeitshilfe

Die Farbe der Wahrheit - Südafrikas Suche nach Gerechtigkeit

Dokumentarfilm von Dobrivoie Kerpenisan und Clarissa Ruge
BRD 1998, 30 Min.

Kurze Inhaltsangabe

Wie ist Versöhnung möglich? Eine einfache, zu einfache Antwort bietet die wöchentliche "Versöhnungsshow" beim Privatsender SAT.1 "Verzeih mir". Hier werden persönlichste Probleme und Konflikte vor einem Millionenpublikum ausgebreitet und am Ende steht die tränenreiche Umarmung und Versöhnung. In der realen Welt ist alles schwieriger, und dies besonders dann, wenn es um Verbrechen geht, wie sie in großer Zahl während der Apartheid-Zeit in Südafrika verübt wurden. Südafrika hat versucht, die Verbrechen nicht unter den Teppich zu kehren, sondern eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" geschaffen, um Verbrechen aufzuklären und eine echte Versöhnung zu ermöglichen. An der Spitze dieser Kommission, die ihre Arbeit 1998 abschloss, stand der anglikanische Erzbischof Desmond Tutu, einer der bekanntesten Gegner des Rassismus in Südafrika. Er kommt im Film mit diesen Sätzen zu Wort: "Unser Land braucht Heilung. Wir sind alle traumatisiert. Wir sind alle zerbrochen. Wir alle brauchen Heilung."

Inhalt

Der Film stellt dar, wie eine schwarze Familie, deren Sohn von Polizisten ermordet wurde, die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission erlebt. 15 Jahre hat die Familie auf den Tag gewartet, an dem die ganze Wahrheit über die Ermordung des bekannten Studentenführers Siphiwo aufgeklärt werden würde. Im Film berichten die Mutter und die Schwester des Ermordeten aus seinem Leben in einem Township von Port Elisabeth, von seiner ersten Verhaftung im Jahre 1976 und von der Festnahme bei einer Demonstration am 31. Mai 1981. Siphiwo wurde misshandelt, gefoltert und vergiftet. Als er nach sechs Monaten entlassen wurde, war er an den Rollstuhl gefesselt. Er entschloss sich, gerichtlich gegen die Täter wegen Folterung und versuchten Mordes vorzugehen. Daraufhin wurde er erneut festgenommen und verschwand für immer. Mehr hat die Familie bisher nicht erfahren. Nach 15 Jahren sollen nun die Täter ihre Verbrechen vor der Wahrheitskommission gestehen.

Der Morgen dieses wichtigen Tages wird von den Freunden und Bekannten der Familie mit einem Gottesdienst begonnen. Auf dem Weg zur Versammlung sagt die Mutter dem Filmteam: "Für mich herrscht Gerechtigkeit erst dann, wenn die Täter die Wahrheit sagen." Und sie fügt hinzu: "Sie haben ihn getötet, warum, warum?" Erwartungsvoll kündigt sie an: "Ich werde versuchen, ihnen Fragen zu stellen, der Moment ist endlich da."

Die Familie des Opfers wird von einer großen Zahl von Menschen in den Saal begleitet, die als Schwarze selbst Opfer der Apartheid waren und nun Lieder aus der Zeit des Befreiungskampfes anstimmen. Die Täter kommen in einem gepanzerten Fahrzeug und betreten mit verschlossenen Gesichtern den Raum, in dem die Anhörung stattfinden soll. Wenn sie ein umfassendes Geständnis ablegen, haben sie die Aussicht auf Amnestie. Bei vielen Fragen, die ihr Anwalt offenbar gut vorbereitet hat, um die Grundlage für eine Amnestie zu schaffen, kommt die stereotype Antwort, "Das ist zutreffend", mehr nicht. Der Tathergang wird von einem Angeklagten mit unbewegter Miene dargestellt. Wie er Holz gesammelt hat, wie sie den Scheiterhaufen vorbereiteten, wie Siphiwo erschossen und dann verbrannt wurde. Einer der Täter: "Es gab keine exakte Entscheidung, wer ihn erschießen sollte. Ich fühlte mich als der Ältere dazu berufen." Angesichts der brutalen Vorgänge, die durch die Aussagen bekannt wurden, aber sicher auch den fast unbeteiligten Stil der Beschreibung des Geschehens durch die Täter brechen einige schwarze Zuhörerinnen und Zuhörer weinend zusammen. Die Verhandlung muss vorübergehend unterbrochen werden. Als die Befragung dann fortgesetzt wird, erscheinen die Täter weiter unbeeindruckt. Am Ende bleibt keine Zeit mehr für die Familie des Opfers, auch Fragen zu stellen, wie dies bei anderen Befragungen der Wahrheitskommission sonst üblich gewesen ist.

Die Familie äußert sich dann bei einer Pressekonferenz enttäuscht über das Verhalten der Täter: "Sie zeigten keine Reue." Deutlich ist aus der Sicht der Familie auch, dass die Polizisten die Vergiftung leugnen wollten, weil sie für einen Mord zur Verhinderung der Aufdeckung einer Vergiftung keine Amnestie zu erhoffen hätten. Bewegend die Aussage der Mutter am Ende dieses so lange erwarteten Tages: "Ich glaube nicht, dass ich ihnen (den Tätern) verzeihen kann."

Diese sind längst in ihrem gepanzerten Fahrzeug abgefahren, eine persönliche Begegnung hat es nicht gegeben. Aus der Sicht der Familie ist klar, dass die Täter "nicht versucht haben, sich mit uns zu versöhnen". Und dennoch äußert sich die Schwester des Opfers dankbar, dass sie jetzt wenigsten erfahren haben, wie Siphiwo ermordet wurde. Sie lädt vor der Kamera die Familien der Täter zu einem Besuch und Gespräch ein und hofft, dass die Frauen und Kinder der Polizisten einen positiven Einfluss auf sie ausüben können: "Kommen Sie und sagen Sie die ganze Wahrheit!"

Zur Regie

Dobrivoie Kerpenisan wurde 1966 in Lovrin, Rumänien geboren und emigrierte 1975 nach Deutschland. Er studierte in Essen und New York und hat sich als Autor, Regisseur und Produzent von Dokumentarfilmen einen Namen gemacht. Er hat für seine Filme verschiedene internationale Auszeichnungen erhalten; u.a. 1993 den Preis der deutschen Filmkritik bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen und die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm beim Filmfestival in Tokio im Jahre 1993.

Zum Buch

Clarissa Ruge, geboren 1969, hat politische Wissenschaften, Philosophie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule. Sie ist als Buchautorin und freie Journalistin tätig. Ihr Spezialgebiet ist die Vergangenheitsbewältigung totalitärer Systeme.

Kritik

Der Film wird die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer tief beeindrucken und bewegen. Dazu tragen vor allem die Aussagen der Familie des Mordopfers bei. Auch die Gesichter der Täter, meist unbewegt, selbst bei der Beschreibung des Mordes, beeindrucken auf ihre Weise. Der Kommentar tritt hinter die Aussagen der Betroffenen zurück, ordnet ein und erläutert. Der gelungene Schnitt des Films, unter Einbeziehung historischer Aufnahmen aus der Apartheid-Zeit, verstärkt die Betroffenheit.

Allerdings stößt der Film an die Grenzen eines Zeitlimits von einer halben Stunde, die vermutlich im Blick auf die Fernsehausstrahlung vorgegeben war. Dies fällt zum Beispiel bei der Beschreibung des Lebens von Siphiwo auf. Auch eine gute Auswahl von Aussagen der Mutter und der Schwester können nicht den Eindruck verdecken, dass diese sicher viel mehr aus seiner Kindheit und Jugend erzählen konnten und wohl auch erzählt haben. Das ist keine Kritik an den Filmemachern, sondern illustriert die Probleme eines Mediensystems, in dem immer kürzere Filme gefragt sind. Gemessen an den Gesetzen dieses "Marktes" fällt  der Film erfreulich durch eine ruhige Kameraführung und einen sensiblen Schnitt auf, bis hin zur Schlussszene, wo die Schwester einen Friedhof besucht, auf dem, wie sie weiß, das Grab ihres Bruders leider nicht zu finden ist. Die Beschränkung des Films auf eine halbe Stunde hat aber auch den Vorteil, dass er leichter in der Bildungsarbeit einzusetzen ist.

Ich - und sicher viele andere Zuschauerinnen und Zuschauer des Films - wäre interessiert gewesen, mehr aus dem Leben und Denken der Täter zu erfahren. Aber die fuhren im gepanzerten Wagen an und wieder ab. Sie waren nicht am Gespräch mit der Familie des Opfers interessiert und vermutlich noch weniger an der Mitwirkung an einem Film, der die Hintergründe, die Ängste, die Verzweiflung und die Hoffnung auf eine wirkliche Versöhnung darstellt. So müssen wir uns mit ihren oft starren Gesichtern begnügen, auch das eine Botschaft.

Der Film eignet sich uneingeschränkt für die Verwendung in der Bildungsarbeit. Er setzt keine fundierten Kenntnisse über die Situation in Südafrika voraus, aber besonders für Schülerinnen und Schüler, die keine eigenen Erinnerungen mehr an die Berichterstattung über die Apartheid in Südafrika haben, wäre eine kurze Einführung sinnvoll. Ansonsten spricht der Film eine klare Sprache, die Sprache der Opfer, die darauf hoffen, dass Verbrechen beim Namen genannt und Versöhnung möglich wird. "Die Täter müssen um Verzeihung bitten", sagt Erzbischof Tutu im Film. Darauf hat die Siphiwos Familie vergeblich gewartet.

Didaktische Hinweise

Für mich ist von zentraler Bedeutung, dass die Menschen im Film ernstgenommen werden. Das bedeutet, nicht vorschnell auf die Frage von Versöhnung und Gerechtigkeit an sich zu kommen oder auch nur auf die generelle Situation in Südafrika. Die bewegenden Aussagen der Familienmitglieder verdienen es, sie sich noch einmal zu vergegenwärtigen, zu versuchen ihre Situation, ihre Ängste und Hoffnungen zu verstehen und darüber miteinander zu sprechen. Dies ist ein Film, der zum Mit-Leiden und Mit-Fühlen einlädt. Es sollte genügend Zeit sein, um dies gemeinsam zu tun.

Es wird schwierig, aber auch notwendig sein, dann auch über die Täter ins Gespräch zu kommen. Ansatzpunkte bieten ihre kurzen Angaben zur christlichen Sozialisation und zum Tathergang. Auch wenn es schwer fällt oder unmöglich ist, für die Täter Verständnis zu haben, ist es doch wichtig zu versuchen, sie zu verstehen. Deutlich werden sollte auch, daß die Täter selbst durch ihre Verbrechen verändert wurden, dass sie ein Stück ihrer Menschlichkeit verloren.

In einem zweiten Schritt kann dann über die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission gesprochen werden. Hier wird es notwendig sein, einige ergänzende Informationen über den Verhandlungsprozess am Ende der Apartheid und die konkrete Gestaltung des Versöhnungsprozesses zu sagen. Die deutsche Ausgabe des Dokumentationsbandes zur Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission ist im Frühjahr 1999 im Verlag Brandes & Apsel unter dem Titel "Das Schweigen gebrochen" erschienen.

Der Film wirft Fragen auf, die über die konkrete Situation der Familie und Südafrikas hinausreichen. Dazu gehören die Fragen danach, warum es der Familie des Opfers wichtig ist, die ganze Wahrheit zu wissen, was es bedeutet, das Grab eines Menschen nicht zu kennen und vor allem, wie Versöhnung nach einem brutalen Verbrechen oder Unrecht möglich ist. Der Film macht deutlich, dass eine solche Versöhnung nicht möglich ist, wenn die Täter nur ihr Tun (oder einen Teil davon) gestehen, um in den Genuss einer Amnestie zu kommen, aber kein Bedauern und keine Reue artikulieren und nichts unternehmen, um der Familie des Opfers ihr Mitgefühl und ihre Scham zum Ausdruck zu bringen.

Hier nun ist die Stelle, über den eigenen Umgang mit Schuld und die eigenen Bemühungen um Versöhnung zu sprechen. Dazu gehört die Frage, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gesprächs wie die Schwester des Mordopfers bereit wären, die Täter und ihre Familien zu sich nach Haus einzuladen, um über das Geschehene ehrlich zu sprechen und eine echte Versöhnung zu erreichen.

Neben der Versöhnung im persönlichen Bereich kann der Film auch zum Gespräch über die Versöhnung im politischen und sozialen Bereich anregen, angesichts vieler Kriege und Menschenrechtsverletzungen in allen Teilen der Welt ein aktuelles Thema. Wie geht man mit Menschen um, die im Krieg oder in Zeiten der Diktatur schwere Verbrechen begangen haben? Vom Balkan bis Ruanda, von Chile bis Nordirland ist dies ein ungelöstes Problem. Für viele gilt Südafrika als ein Beispiel dafür, wie eine Wahrheits- und Versöhnungskommission dazu beitragen kann, das Unrecht konkret zur Sprache zu bringen und dann eine Versöhnung zwischen den Beteiligten zu suchen. Wo die Grenzen dieses Versuches liegen, wird in dem Film deutlich. Es ist dann aber wichtig, sich die Aussagen der Schwester des Ermordeten in Erinnerung zu rufen, die auch die positiven Ergebnisse der Anhörung betont, so die Tatsache, dass sie als Opfer respektiert wurden. "Wird die Wahrheit versöhnen?" heißt es am Anfang des Films. Die Frage wird im Film beantwortet, allerdings nicht mit einem klaren Ja oder Nein. Das gehört zur Qualität dieses Films. Desmond Tutu sagt im Film: "Manchmal ist die Wahrheit schier unerträglich. Da fällt es schwer, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Aber dennoch glaube ich, dass das den Menschen Kraft gibt."

Literaturhinweise

  • Das Schweigen gebrochen, Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrika, Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt/M. 1999, 300 Seiten
  • Geteiltes Land, Krieg und Frieden im südlichen Afrika. Weiss, Ruth, E.B.-Verlag, Hamburg 1997, 193 Seiten

Medienhinweise

  • THEOLOGIE NACH SOWETO. Frank Chikane - eine Hoffnung für Südafrika
    Hennie u. Anli Serfontein, Niederlande 1986, 30 Min., Dokumentarfilm
    Katalog EZEF
  • MAPANTSULA
    Oliver Schmitz, Südafrika, Australien 1988, 109 Min., Spielfilm, dt. Fassung
    Katalog EZEF
  • DER MANN AUF DEM QUAI (L’Homme sur les Quais)
    Raoul Peck, Frankfurt/Kanada/Haiti/BRD 1993, 105 Min., Spielfilm
    Katalog EZEF
  • JUAN - ALS WÄRE NICHTS GESCHEHEN (Juan - como si nada hubiera sucedido)
    Carlos Echeverria, BRD 1987, 90 Min., Dokumentarfilm
    Katalog EZEF
  • RIGOBERTA MENCHU
    Felix Zurita, Guatemala 1992, 21 Min., Dokumentarfilm
    Katalog EZEF
  • DASS DU ZWEI TAGE SCHWEIGST UNTER DER FOLTER
    Frieder Wagner, Osvaldo Bayer, BRD 1991, 45 Min., Dokumentarfilm
    Katalog EZEF

Frank Kürschner-Pelkmann
Mai 1999