Teaser
Eine respektable Familie

Yek chānewādeh-ye mohtaram
Spielfilm von Massud Bakhshi
Iran 2012, 90 Min. OmU

Inhalt

Erinnerungen an die Kindheit
Ārasch Sāfi, in Paris tätiger Professor, kehrt auf Einladung der Universität Schirās nach 22 Jahren in seine Heimat Iran zurück. Gleichzeitig will er die Amir-Stiftung im Gedenken an seinen im irakisch-iranischen Krieg (1980 – 1988) gefallenen älteren Bruder Amir gründen. Dabei holt ihn seine Geschichte als Junge während des Krieges ein, da diese für die ganze iranische Gesellschaft prägende und schmerzhafte Kriegszeit ihren Schatten bis in die Gegenwart wirft.

Anmerkungen zu Transkriptionen und Aussprache
In der Arbeitshilfe sind alle Namen deutsch transkribiert. Da in den Untertiteln des Films die Namen englisch transkribiert wurden, sind zum leichteren Verständnis die beiden Transkriptionen, sofern unterschiedlich, nachfolgend aufgelistet.
Deutsch / Englisch
Ārasch Sāfi / Arash Saafi
Dschafar / Jafar
Sohreh / Zohreh
Choramschahr / Korramshahr
Chusestān / Khusestan
Schirās / Shiraz
Massud Bachschi / Massoud Bakhshi (Regisseur des Films)
Zur Aussprache:
„ā“ geschlossenes, meist eher langes a wie in „Haar“ oder im englischen „car“ (Auto).
„a“ offenes, kurzes a wie im englischen „bad“ (schlecht) oder zu Beginn des deutschen „eins“.
„ch“ wie in „Bach“, aber etwas rauer.
Iranische Worte und Namen werden meist auf der letzten Vokalsilbe betont.

„Eine respektable/ehrenwerte Familie“ ist wegen der Struktur und vieler Andeutungen für die Oberstufe ab 17 Jahren geeignet.

(*Übersetzung des Filmtitels:Der offizielle deutsche Verleihtitel „Eine respektable Familie“ ist ungeschickt gewählt. Zum einen bedeutet das Farsi-Wort ‚mohtaram‘ auf Deutsch ‚ehrenwert‘. Zum anderen assoziiert die Formulierung ‚ehrenwerte Familie‘ die italienische Mafia und ihre Machenschaften. Auch in Bachschis Film geht es Unterschlagung, Schwarzmarkt, Veruntreuung, Folter und Mord).

Der Film erzählt über ineinander verwobene Erzählstränge zwei Lebensabschnitte von Ārasch: Zum einen die 2009 angesiedelte Handlung, in der Ārasch versucht, für die Rückreise seinen Pass zurückzuerhalten, und in der er mit dem Erbe seines während der Filmhandlung sterbenden Vaters konfrontiert ist. Zum andern die bruchstückhaften, in Āraschs Gedächtnis hängen gebliebenen Erinnerungen an seine Kindheit zwischen Oktober 1981 und Mai 1982 während des irakisch-iranischen Kriegs und der Kampfhandlungen rund um die südwestlich gelegene iranische Stadt Choramschahr, die im Frühsommer 1982 von der iranischen Armee zurückerobert wurde. Für ein besseres Verständnis der assoziativ ineinander montierten Geschichten, seien hier die beiden Lebensabschnitte chronologisch zusammengefasst.

Bruchstücke der Kindheit
Teheran im Oktober 1981 (während des Krieges und der Besetzung Choramschahrs durch irakische Truppen): In einem Kellerlokal verteilt Āraschs Vater Reis-Lebensmittelrationen an die Schlange stehende Bevölkerung. Bald ist angeblich kein Reis mehr da. In einem Lagerraum entdeckt Ārasch, dass noch viel Reis da wäre. Offenbar hortet der Vater den für die Bevölkerung bestimmten Reis für den Schwarzmarkt. Während eines Luftangriffs entdeckt auch die Mutter von Ārasch, dass sein Vater sich mit Reis und Speiseöl illegal bereichert. Āraschs älterer Bruder Amir bricht zur Tante in Schirās auf und überlässt Ārasch den Fotoapparat. Wenig später findet die Trauerzeremonie für Amir statt, der im Krieg als Kindersoldat gefallen ist.
Wegen des Familientraumas nässt Ārasch nachts immer wieder Hose und Bett. Sein Vater, den die Mutter als „Verbrecher“ beschimpft, liefert die Mutter in die Psychiatrie ein, wo sie Elektroschocks erhält. Während seine Mutter interniert ist, entdeckt Ārasch, dass sein Vater eine zweite Frau hat, die mit dem gemeinsamen Sohn Dschafar ins Haus einzieht. Halbbruder Dschafar will Ārasch den Fotoapparat wegnehmen und wird vom Vater verprügelt, worauf Dschafar Āraschs kleine Katze quält.
Ārasch ist mit dem gleichaltrigen Nachbarmädchen Sohreh zusammen, macht mit dem Fotoapparat ein Bild von ihr und gibt dem lebensfreudigen Mädchen einen Wangenkuss. Āraschs Vater trennt die beiden und bestraft Ārasch.
Nachts, während Dschafar in Albträumen die Gewalttätigkeit des gemeinsamen Vaters verarbeitet, verlässt Ārasch das Zuhause. Zusammen mit der Tante holt er die Mutter aus der Klinik; gemeinsam fahren sie zur Tante nach Schirās. Im Radio wird bekannt gegeben, dass die „blutbefleckte Stadt Choramschahr“ soeben befreit worden sei. Der damalige Verteidigungsminister Chāmene‘i gratuliert dem Gründer der Islamischen Republik Iran, Imam Chomeini, zur Befreiung durch die „mutigen Soldaten des Islam“. Wir sind im Mai 1982 angekommen.

Die Gegenwart im Jahr 2009
Kurz vor Abschluss seiner siebenmonatigen Gastdozentur an der Universität Schirās, versucht Ārasch für die Rückreise seinen Pass zurückzuerhalten. Da er keine Befreiung vom Militärdienst hat, scheitern seine Versuche immer wieder. Chosro Amini, Anwalt von Āraschs Vater, bittet Āraschs Mutter verschiedene Dokumente zu unterschreiben, damit das Erbe des im Sterben liegenden Vaters seinem Willen entsprechend zur Errichtung einer Stiftung im Andenken an Āraschs im Krieg gefallenen Bruder Amir eingesetzt werden kann. Die Mutter verweigert die Unterschrift.
An der Universität Schirās zeigt Ārasch seinen Studierenden den Autorendokumentarfilm „Die Suche Nummer Zwei“ (Dschostodschu-ye dowwom) von Amir Nāderi aus dem Jahr 1981: Ein Junge läuft durch seine von irakischen Angriffen in Schutt und Asche gelegte Heimatstadt in der Provinz Chusestān (Nāderi ist in Ābādān in unmittelbarer Nähe zu Choramschahr aufgewachsen) und wird Zeuge der Verwüstung und der Verzweiflung unter den Überlebenden. Der vom staatlichen Fernsehen produzierte Film zählt zu den am stärksten verbotenen Filmen der iranischen Zensurgeschichte, weshalb die Universitätsleitung interveniert und den von Ārasch verfassten und an die Studierenden ausgehändigten Text zu „Gewalt, Krieg und Verteidigung“ unverzüglich einziehen lässt.
Neffe Hāmed taucht bei seinem Onkel Ārasch auf, schmeichelt sich ein, gibt sich als Taxifahrer aus und spricht schlecht über seinen Vater Dschafar (er sei ein „Ungeheuer“), den Halbbruder von Ārasch. Hāmed begleitet seinen Onkel zum Grab von Āraschs im Krieg gefallenem Bruder und danach ins Krankenhaus, wo Āraschs todkranker Vater, der zugleich Hāmeds Grossvater ist, auf der Intensivstation liegt. Hāmed schafft es zum Erstaunen von Ārasch, in kurzer Zeit bei der Militärdirektion die Dienstbefreiung für Ārasch einzuholen.
Während seines Aufenthalts in Teheran ist Ārasch zu Gast bei Hāmed, dessen Mutter Sohreh und dessen Schwester Hodā. Ārasch wird in Großvaters Zimmer einquartiert. Immer wieder betrachtet Ārasch das als Buchzeichen dienende Foto eines fröhlichen Mädchens – später im Film erfahren wir, dass das Mädchen Soreh ist, Hāmeds Mutter.
Der bald folgende Tod des Großvaters beschleunigt die Ereignisse rund um sein Erbe. Im Büro seines Wolkenkratzers im wohlhabenden Norden Teherans versucht der reiche Dschafar seinen Halbbruder Ārasch davon zu überzeugen, sich möglichst rasch für eine Zusammenarbeit bezüglich der Firma zu entscheiden, die zu angeblich 49 Prozent dem Großvater gehörte. Anwalt Amini dagegen behauptet, das Unternehmen und die Bank Talāsch hätten zu 100 Prozent Āraschs Vater gehört. Damit Ārasch sein Erbe zur Gründung der Amir-Stiftung erhalte, müsse seine in Schirās lebende Mutter unterschreiben. Diese weigert sich, da es das Blutgeld von Amirs Märtyrertod und damit schmutzig sei. Für Ārasch dagegen ist es wesentlich, dass sich sein Vater mit der Schenkung zugunsten der Amir-Stiftung von seinen Sünden befreien wollte. Schliesslich unterschreibt die Mutter.
Zurück in Teheran will Ārasch mit den unterschriebenen Dokumenten Anwalt Amini aufsuchen. Dessen Kanzlei ist versiegelt; durch das Schlüsselloch sieht Ārasch, dass die Kanzlei durchsucht und verwüstet wurde. Eine Nachbarin sagt, Herr und Frau Amini seien wegen eines Gaslecks verstorben. (Es darf aber davon ausgegangen werden, dass Anwalt Amini und seine Frau ermordet wurden.)
Während der Taxifahrt zum Stadtflughafen wird Ārasch, der vermutlich zu seiner Mutter nach Schirās fliegen möchte, von bulligen Typen brutal entführt, die in ihrer Statur Āraschs ebenso gewalttätigem Vater ähneln. In einem Keller, der an ein Verlies erinnert, wird Ārasch von zwei Männern aufgefordert, eine Art Verzichtserklärung zu unterschreiben, was Ārasch verweigert. Hinter der Entführung und der Aufforderung, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben, steht niemand anderes als Hāmed, der offensichtlich in einer staatlichen Behörde arbeitet. Die drei Frauen – Āraschs Mutter, Sohreh und Hodā – versuchen zwar, Hāmed zur Rede zu stellen, scheitern aber an den von Hāmed angewiesenen Wachen am Eingang zu seinem Arbeitsort.
Dschafar holt Ārasch im Verlies ab und will ihn zum Flughafen fahren. Unterwegs geraten sie in eine Demonstration von Studierenden. Ārasch nutzt die Gelegenheit und haut ab. Er mischt sich unter die Demonstrierenden Richtung Āsādi-Platz (Platz der Freiheit) mit dem markanten Turm und Wahrzeichen von Teheran, wo 2009 die Anhänger der „Grünen Welle“ gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadineschād demonstrieren.

Historischer Hintergrund

Archivmaterial aus Kriegszeiten
Die Geschichte von Ārash und seiner Familie ist eng verflochten mit der Geschichte Irans seit der Islamischen Revolution, mit den Vorgaben der staatstragenden Religion des Islams, aber ebenso sehr mit der Missachtung und dem Missbrauch der moralischen Vorgaben. In die Erzählstruktur des Films sind verschiedene Dokumentaraufnahmen rund um den irakisch-iranischen Krieg und insbesondere die als Wendepunkt des Kriegsverlaufs eingestufte Schlacht um die Hafenstadt Choramschahr im Südwesten Irans eingefügt. Diese dokumentarischen Filmausschnitte sollte der Zuschauer für ein differenziertes Verstehen der Familiengeschichte und als Informationen zur historischen Entwicklung des Landes verstehen und einordnen können. Ein historischer Abriss sowie Informationen in der Würdigung des Films sollen dies erleichtern.

Islamisierung Persiens
Die iranischen Muslime gehören größtenteils der schiitischen Glaubensgemeinschaft an (im Gegensatz zu den arabischen Ländern, in denen die Muslime mehrheitlich Sunniten sind). Vor der Islamisierung Irans, resp. des früheren Persiens, durch arabische Heere gehörte die Bevölkerungsmehrheit der Religion des Zoroastrismus an. Die letzte Dynastie vor der Islamisierung war jene der Sassaniden (ca. 224 bis 642 n. Chr.), die von Historikern als für die damalige Zeit tolerant gegenüber anderen Religionen wie dem Christentum, dem Judentum und anderen Religionsgemeinschaften eingestuft werden. In der Schlacht von Nahāvand (in der westiranischen Provinz Hamadān) von 642 siegten die muslimischen Araber und besiegelten damit das Ende des Sassanidenreichs. Der letzte König der Sassaniden, Yasdegerd III, wurde 651 getötet. Interessanter Bezug zur neueren Geschichte Irans: Im Herbst 1979, wenige Monate nach der Islamischen Revolution, fand in Teheran die Uraufführung des Theaterstücks „Yasdegerds Tod“ (Marg Yasdegerd) von Bahram Beisā’i (bei uns bekannt für den später gedrehten Film „Baschu, der kleine Fremde“) statt, der sein Stück wenig später unter dem gleichen Titel als packenden Film herausbrachte, in dem die Frauen ohne Haarbedeckung auftraten.

Einfluss des schiitischen Klerus vor der Revolution
Zu den Gründen, warum große Bevölkerungsteile die Ankunft von Ajatollah Ruhollah Chomeini in Teheran am 1. Februar 1979 bejubelten und die kurz darauf folgende Islamische Revolution begrüßten, gehört die Tatsache, dass der schiitische Klerus im Iran immer einen großen, auch politischen Einfluss inne hatte, insbesondere in religiösen und konservativen Bevölkerungskreisen. Zudem wuchs der Unmut gegen das Schah-Regime auch in weiteren Bevölkerungskreisen an, was Chomeini geschickt für seine Ziele zu nutzen vermochte.
Der Einfluss des schiitischen Glaubens auf die iranische Gesellschaft vor der Revolution von 1979 zieht sich durchs ganze 20. Jahrhundert. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts kämpfte der später zum Tod verurteilte Scheich Faslollāh Nuri, auf den sich Chomeini berief, während der Konstitutionellen Revolution (Einführung der konstitutionellen Monarchie mit Verfassung und Parlament) für ein islamisches Parlament, das nur Gesetze verabschieden soll, deren Inhalt mit den Gesetzen im Koran in Einklang stehen.
Während Jahrzehnten kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem Klerus und dem Schah-Regime, das mit Gesetzen beispielsweise das Tragen des Hidschābs (Haarbedeckung für Mädchen und Frauen) verbot oder gemischtgeschlechtliche Schulklassen einführte.
1963 trat Chomeini öffentlich gegen das Reformprogramm von Schah Mohammad Resā Pahlavi an und wurde daraufhin verhaftet, was zu gewaltsamen Demonstrationen führte. Ende 1964 wurde Chomeini in die Türkei abgeschoben, wenig später durfte er in den Irak einreisen, wo er bis zu seiner Abschiebung nach Frankreich im Jahr 1978 blieb.
Die Reformen des Schahs blieben religiösen Kreisen, zu denen auch Teile der Basari (im Basar tätige Händler) gehören, ein Dorn im Auge. Der Unmut gegen den Schah, seine Entourage und seine Politik (Armut, Analphabetismus, beschönigende Propaganda, Geheimdienst, Unterdrückung usw.) wuchs auch in anderen Kreisen – von kommunistischen Bewegungen (Tudeh-Partei, Volksmudschahedin) bis zur gemäßigten, mehrheitlich säkularen Nationalen Front (Bündnis unterschiedlicher oppositioneller Parteien und Gruppierungen), mitbegründet von Mohammad Mossadegh, dem demokratisch gewählten Premierminister, der 1953 mit Unterstützung der USA und Großbritanniens (Operation Ajax) gestürzt wurde.

Islamische Revolution
Ab Ende 1977 nahmen die Demonstrationen gegen den Schah deutlich zu, wurden militanter und mobilisierten mehr und mehr Menschen. Der massive Einsatz von Militär und Geheimdienst konnte die aufgebrachten Bevölkerungsteile nicht mehr aufhalten. Amir Nāderi hat das gewalttätige Aufeinanderprallen von Oppositionellen und Schah-Regime in seinem absolut sehenswerten Dokumentarfilm „Die Suche“ (Dschostodschu) festgehalten. Der Film hält auch die Massaker von Armee und Geheimdienst fest, bei denen viele Demonstranten spurlos verschwanden. Die Qualität dieses Films wächst aus der Dramaturgie und der Montage: Die Aufnahmen von mit aufgebrachten Menschen angefüllten Plätzen und Strassen weichen menschenleeren Bildern mit Müllwagen und Baggern, die alle Spuren von Leben wegräumen. (Der Film enthält Ausschnitte aus Nāderis Film „Die Suche Nummer Zwei – Dschostodschu-ye dowwom“, der im irakisch-iranischen Krieg angesiedelt ist).
Mitte Januar 1979 verließ der Schah Iran und am 1. Februar landete Chomeini in Teheran. In Windeseile gelang es Chomeini und seinen Anhängern, das bestehende System auszuhebeln und umzustoßen. Der 11. Februar gilt seither als Datum des Sieges der Islamischen Revolution und als Nationalfeiertag. Fast ebenso schnell gelang es Chomeini und seinen Anhängern unter Anwendung von Gewalt, Gegner in den eigenen Reihen und andere politische Gruppierungen des Aufstands gegen das Schah-Regime aus dem Weg zu räumen. Auch der irakisch-iranische Krieg, der die Einheit Irans erforderte, half Chomeini, Oppositionsgruppen auszuschalten.

Irakisch-iranischer Krieg
Offiziell brach der irakisch-iranische Krieg (auch Erster Golfkrieg genannt), der von Irak als Blitzkrieg geplant war, am 22. September 1980 aus, also mitten während der Neugestaltung der Islamischen Republik Iran. Das war gemäß verschiedenen Quellen eine klare Strategie, da nach der Revolution von einer geschwächten Abwehrkraft Irans ausgegangen wurde. Die Frage der Vorherrschaft am Persischen Golf war einer der zentralen Punkte des Kriegs. Aber der Ursprung dieses Konflikts geht viel weiter zurück, nämlich auf die Feindschaft zwischen Mesopotamien (heute Irak) und Persien (heute Iran) im Gebiet des Persischen Golfs. Die rohstoffreiche Provinz Chusestān auf iranischem Gebiet (Teil eines der bedeutendsten Erdölfördergebiete der Welt) und der Fluss Arwand Rud (Farsi-Name: Arwand-Fluss) oder Schatt al-Arab (arabischer Name: Küste der Araber), der Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, als Zugang der Schifffahrt zum Persischen Golf sind Ursachen für den Konflikt.
Im November 1980 griff die irakische Armee die Hafenstadt Choramschahr (in unmittelbarer Nähe von Ābādān) an und besetzte sie. Doch die irakische Führung hatte nicht mit der Ausdauer und der Entschlossenheit der von Chomeini angefeuerten iranischen Soldaten gerechnet. 1982 drangen iranische Armeeeinheiten in die Provinz Chusestān vor und befreiten Ende Mai 1982 offiziell die Stadt Choramschahr, die durch die Kampfhandlungen fast vollständig zerstört wurde.
Die Rückeroberung von Choramschahr gilt als Wendepunkt des irakisch-iranischen Krieges (weil diese Rückeroberung und mit ihr der ganze Krieg die Familiengeschichten grosser Bevölkerungsteile prägte, ist sie Teil der Geschichte von „Eine ehrenwerte Familie“). Saddam Hussein bot der iranischen Führung daraufhin Friedensverhandlungen an, auf die die iranische Führung aber nicht einging. Erst sechs Jahre später, im August 1988, endete der für beide Seiten verlustreiche Krieg durch einen Waffenstillstand.

Würdigung

Thriller
Mit der Eröffnungssequenz nimmt Drehbuchautor und Regisseur Massud Bachschi das für Professor Ārasch Sāfi traumatischste Ereignis in der Gegenwartshandlung vorweg: Die Taxifahrt zum Flughafen, während derer Ārasch brutal entführt und in ein Verlies gesperrt wird. Massud Bachschi gibt seinem Film damit die Form eines Thrillers, der über die nachfolgend erzählten Erlebnisse Āraschs die Intrigen seines Neffen Hāmed und seines Halbbruders Dschafar enthüllt. Mit der Vorwegnahme der Entführung und der Form des Thrillers legt Bachschi das Augenmerk auf die Gefährdung der Hauptfigur. Mit farblich leicht entsättigten Bildern schafft er zudem eine Distanz, die uns einlädt, nach den Zusammenhängen hinter der Handlung zu fragen.
Nach der Eröffnungssequenz erzählt der Film die Gegenwartshandlung rund um Ārasch chronologisch, bricht und ergänzt diese mit Erinnerungen an seine Kindheit während des irakisch-iranischen Kriegs. Diese gedanklichen Rückblenden sind assoziativ eingefügt und werden jeweils durch beiläufige Wahrnehmungen Āraschs in der Gegenwart von 2009, dem Jahr der grossen Massendemonstrationen gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadineschād, ausgelöst. Die erst gegen Ende des Films offensichtliche Parallele zwischen den Machenschaften in Āraschs Familie und den 2009 angeprangerten Ungereimtheiten bei den Präsidentschaftswahlen verleihen dem Film zusätzlich eine politische Dimension.

Die Zeichnung der Figuren
Die Hauptfiguren des Films sind durch ihr Handeln eingeteilt in moralisch integre und moralisch verwerfliche. So schematisch, ja plakativ dies in der Filmanalyse klingen mag, so glaubwürdig präsentieren uns Drehbuch und Regie diese Familiengeschichte, da Massud Bachschi die Figuren differenziert charakterisiert und ihr Interagieren nachvollziehbar macht.
Ārasch und seine Mutter handeln moralisch integer. Ārasch plant, das Erbe seines Vaters im Andenken an den im Krieg gefallenen Bruder Amir für die Gründung einer Stiftung einzusetzen. Damit kann er gleichzeitig seinen Vater von seinen Sünden befreien. Ārasch lässt sich weder von seinem Halbbruder Dschafar, noch von seinem Neffen Hāmed für deren schmutzige Geschäfte einspannen. Und er verweigert trotz Entführung und Folter die Unterschrift unter eine Verzichtserklärung. Die Mutter will nichts wissen vom Erbe ihres früheren Ehemanns, da dieses Erbe „blutbefleckt“ sei; schliesslich unterschreibt sie doch, damit Ārasch die Möglichkeit erhält, die Stiftung zu gründen.
Der Vater von Ārasch, sein Halbbruder Dschafar und sein Neffe Hāmed hingegen handeln unmoralisch. Āraschs Vater bereichert sich mit Lebensmittelrationen und ist gewalttätig. Dschafar übernimmt schon als Kind Handlungsmuster seines Vaters. Den Reichtum, den er sich als Erwachsener angeeignet hat, dürfte er mit unsauberen Geschäften aufgebaut haben, wenngleich der Film keine Details hierzu benennt. Auch er versucht sich bei Ārasch einzuschmeicheln, aber seine Aussagen, sein Sohn sei ein Scheißkerl und Anwalt Amini ein Schwein verdeutlichen, dass Dschafar alles andere als ehrenwert handelt.
Die Namen der Personen haben eine Bedeutung in Bezug auf ihren Charakter. Der Name Ārasch nimmt Bezug auf einen der beliebtesten Helden der iranischen Mythologie. Bogenschütze Ārasch soll sich zur Verteidigung der Grenzen Persiens geopfert haben. Sein Name steht für mutig und klug. Ārasch im Film opfert sich letztlich der Ehrlichkeit, indem er die geringste Beteiligung an schmutzigen Geschäften ablehnt. Der Name Hāmed mit arabischem Ursprung bedeutet „Lobpreisender“. Im Film kippt die Namensbedeutung ins Negative zu Heuchler, Hāmed lobt allein aus Kalkül. Der Vorname Soreh (Mutter von Hāmed und Hodā) steht für den Planeten Venus, der in der iranischen Mythologie mit der weiblichen zoroastrischen Gottheit für Wasser, Fruchtbarkeit und des kosmischen Ozeans in Verbindung steht. Im Film wird aus dem aufgeweckten Mädchen Sohreh eine frustrierte und putzwütige erwachsene Frau, die vergeblich in zum Ritual übersteigerten Reinigungsaktionen alles Unreine – und damit das Böse – aus der Welt zu schaffen versucht.

Wolf im Schafspelz
Die skrupelloseste und gefährlichste der moralisch verwerflichen Personen ist Hāmed. Er glaubt an nichts außer an Geld und Macht. Er hat die negativen Seiten seines Großvaters und Vaters regelrecht perfektioniert. Er arbeitet in höherer Position in einer staatlichen Institution (möglicherweise die Militärdirektion?) und missbraucht diese Machtposition schamlos für eigene Interessen. Der Film zeigt nicht explizit, in welcher Institution Hāmed arbeitet. Aber es muss eine staatliche Institution sein, da die Wachen vor dem Bürogebäude, in dem er arbeitet, die gleichen Uniformabzeichen tragen wie der Straßenpolizist, der Ārasch in der Nähe des Militärhauptquartiers zum Weiterfahren auffordert.
Hāmed – wie auch sein Vater – sind unehrenhafte Neureiche, die die Schattenwirtschaft des Systems hervorgebracht hat. Hāmed geht sehr schlau vor: Er spielt, wie für korrupte Iraner nicht untypisch, den moralisch absolut korrekten, hilfsbereiten und anständigen jungen Mann. Massud Bachschi zeigt dies detailreich in den Begegnungen zwischen Hāmed und Ārasch. Hāmed siezt seinen Onkel Ārasch, Zeichen betonter Höflichkeit eines Jüngeren gegenüber seinem älteren Familienmitglied. Er gibt sich als Taxifahrer aus, als Berufstätigen mit bescheidenem Einkommen und ohne Macht. Hāmed bittet Ārasch um Hilfe, um im Ausland studieren zu können, und deutet damit an, dass er die Situation in Iran nicht möge und das Land verlassen wolle. Er weiß, dass Ārasch seinen Halbbruder nicht mag, also spricht er schlecht über seinen Vater, nennt ihn ein Ungeheuer, der viele bestochen habe und damit reich geworden sei. Dagegen lobt er den Großvater, Āraschs Vater, der sein Leben dem Land geopfert habe. Mit diesem Lob begeht Hāmed allerdings einen Fehler, da er nicht weiß, dass Ārasch schlechte Erinnerungen an seinen Vater hat. Nachts fahren beide an einem Autobahnunfall vorbei. Hāmed will Ārasch zeigen, dass er ein gläubiger Muslim ist und übergibt an der Unfallstelle Geld, damit die Toten von ihren Sünden befreit werden können – eine unter gläubigen Iranern wichtige Geste bei Todesfällen. Letztendlich aber ist Hāmed ein böser Wolf im Schafspelz. Er lügt, was auch im Islam eine Süde ist, und imitiert rücksichtslos Handlungen und Positionen, die für Iraner als Zeichen moralischer Integrität gelten, ja er missbraucht sie für seine schmutzigen Geschäfte.

Variationen des Bruderzwists
Der Bruderzwist – hier zwischen Ārasch und Dschafar als Kinder – ist ein Archetypus in der Kulturgeschichte. In der Literaturgeschichte finden sich unzählige Werke zum Bruderzwist. Und das Alte Testament erzählt von Kain und Abel, wobei im Film nicht Kain gewinnt, sondern – zumindest aus moralischer Sicht – Abel. Ārasch zahlt einen hohen Preis für seine standhafte Aufrichtigkeit und wankt in Gedanken verloren zum Platz der Freiheit. Nicht nur die Schlussszene erinnert an Mohsen Machmalbāfs Spielfilm „Hochzeit der Auserwählten“ (Arusi-ye chubān), 1989. Bachshis Film knüpft in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Irans Gegenwart und jüngeren Geschichte an Machmalbāfs Film an, der damals als erster in einem Film die Geschichte seit der Revolution und den irakisch-iranischen Krieg schonungslos unter die Lupe nahm.
In Bachschis Film weicht der Zwist zwischen den Halbbrüdern schrittweise dem noch brutaleren Konflikt zwischen Ārasch und seinem Neffen Hāmed. Ārasch behält seine Ehrenhaftigkeit, Hāmed erhält das Geld. Die Schlussfolgerung, die aus den Konflikten zwischen den männlichen Protagonisten gezogen werden kann: In dieser Gesellschaft kann man niemandem wirklich trauen. Oder wie es Āraschs Vater gemäß Anwalt Amini gesagt haben soll: „Wäre es gut, einen Partner zu haben, hätte Gott einen.“

Solidarität der Frauen
Neben Ārasch sind unter den Hauptfiguren des Films allein die Frauen integer. Sie wissen, dass sie sich in einer patriarchalen Gesellschaft unterzuordnen haben. Aber sie versuchen mit Schlauheit, dem Verwerflichen aus dem Weg zu gehen. Āraschs Mutter, die ihr schriftliches Einverständnis dazu hätte geben müssen, dass ihr Mann eine zweite Frau nimmt, weigert sich, nach dem Klinikaufenthalt ins Haus ihres Mannes zurückzukehren und später das Erbe anzutreten. Sohreh, in die Ārasch offensichtlich verliebt war, gelingt es nicht, sich aufzulehnen. Sie kann ihre Anliegen nur im Sauberhalten der Wohnung ausleben. Tochter Hodā baut zum Ärger ihres Bruders Hāmed ein enges Verhältnis zu Ārasch auf. Trotz aller Hindernisse entwickelt sich zwischen diesen drei Frauen Solidarität und Willensstärke. Als einzige Personen setzen sie sich über die Anordnungen der Männer hinweg für Ārasch ein und versuchen den Verbleib Āraschs nach dessen Entführung zu klären.
Entschlossene Frauen finden sich in der persischen Mythologie viele. Beispielsweise die Frau in der Rahmenhandlung der Erzählsammlung „Tausendundeine Nacht“. König Schahriyār, der von seiner Frau betrogen wird, lässt diese töten. Er befiehlt zudem, ihm jede Nacht eine neue Jungfrau zu bringen, die tags darauf ebenfalls getötet wird. Schahrsād (auch Scheherasād), die Tochter des Wesirs des Königs, will dem Töten ein Ende setzen und bietet sich dem König als Frau an. Dank ihrer Schlauheit und Erzählkunst – sie unterbricht jeweils morgens die Erzählung just in einem spannenden Moment –, lässt der König sie am Leben.

Das Martyrium von Kerbela
Die erste Rückblende im Film beginnt mit der über Lautsprecher verbreiteten Aufforderung „Wir gehen ins Land der Gläubigen. Wir gehen hin zu Gott. Wir gehen aus Liebe zu Gott nach Kerbela“. Später, während der Trauerfeier zum Märtyrertod von Amir singen die Trauernden „Woher kommt diese zerrissene Blume? – Sie stammt von einer Reise nach Kerbela“. Für iranische Muslime hat die Schlacht in der irakischen Stadt Kerbela im Oktober 680 n. Chr. eine symbolische Bedeutung. Damals wurde Hussein, der Enkel des Propheten und Religionsstifters Mohammad, von seinem Gegner, dem Umayyaden-Kalif Yasid, getötet. Da Yasid ein über hundertfach zahlreicheres Heer zur Seite stand, wird diese Schlacht als extrem grausam eingestuft. Die Schlacht führte zudem zur endgültigen Trennung von Schiiten und Sunniten. Für schiitisch-iranische Muslime ist diese Schlacht ein Symbol für „Gut gegen Böse“ und Yasid ein Ketzer.
Da der Westen Irak während des irakisch-iranischen Kriegs unterstützte, setzte die iranische Führung unter Chomeini bei der Propaganda und zum Anfeuern der Truppen und der Bevölkerung die symbolische Bedeutung der Schlacht von Kerbela gezielt und intensiv ein. Der Trauergesang „Woher kommt diese zerrissene Blume? – Sie stammt von einer Reise nach Kerbela“ ist im Sinne von „Mein Liebster kämpfte gegen das Böse und fiel in einer grausamen Schlacht“ zu interpretieren.
In seinem Film baut Massud Bachschi in den während des Krieges angesiedelten Rückblenden aussergewöhnliches Archivmaterial ein: von Ansprachen Chomeinis über betende Soldaten vor Kriegseinsätzen bis zur Befreiung Choramschars und der Festnahme von irakischen Kriegsgefangen. Viele der in Bezug auf das kollektive Gedächtnis und das Bewusstsein der Iraner präzise ausgewählten Archivaufnahmen wurden bisher nicht veröffentlicht.
Das Böse, das in Kerbela bekämpft wurde, ist im Iran von heute in der Person von Hāmed Fleisch und Blut geworden.

Vorschläge für das Filmgespräch

  • In welchen Momenten der Gegenwartshandlung baut der Filmautor die Rückblenden ein? Was sind die Auslöser für Āraschs Erinnerungen? Und welche Erinnerungsfetzen sind damit assoziiert?
  • Welche Perspektiven nimmt die Kamera in der Gegenwartshandlung ein und welche in den Rückblenden? Warum wurden diese Perspektiven gewählt?
  • Welche anderen Optionen hätte Ārasch gehabt, der Macht- und Geldgier seines Halbbruders und seines Neffen zu entkommen?
  • Wie könnte die Geschichte Āraschs in der iranischen Gesellschaft weitergehen, nach dem er das Auto verlassen hat und Richtung Platz der Freiheit geht? Wie hat sich Iran seit Sommer 2009 entwickelt (Rechercheaufgabe)?
  • Die drei Frauen – Āraschs Mutter, Hāmeds Mutter Soreh und seine Schwester Hodā – sind die einzigen Personen im Film, die nach der Entführung von Ārasch nach ihm suchen und Hāmed zur Rede stellen wollen. Warum engagieren sich allein die Frauen? Für was setzen sie sich ein?
  • Kriegspropaganda: Die iranische Führung setzte während des irakisch-iranischen Kriegs historische Symbole und die religiöse Aufopferung ein. Mit welchen Elementen bauten andere Länder ihre Kriegspropaganda in den letzten gut 100 Jahren?
  • Jede Religion definiert moralische Vorgaben und Werte. Welches sind die Werte im Islam und in anderen Religionen wie dem Christentum oder dem Judentum?
  • Grosse Pläne scheitern oft an kleinen Dingen: Im Film zum Beispiel die vorerst fehlende Befreiung vom Militärdienst. Diskussion zum Thema des Scheiterns in der iranischen Gesellschaft anhand des Films. Was sind Stolpersteine in unserer Gesellschaft?
  • Welchen Entwicklungsstand haben die verschiedenen Teile der iranischen Gesellschaft aus der Sicht des Filmautors unter Berücksichtigung der Bedürfnispyramide von Maslow erreicht? Vergleich mit der Gesellschaft, in der wir leben.
  • Welches Bild der iranischen Gesellschaft vermittelt der Film im Vergleich zu jenem der westlichen Informationsmedien?

Weiterführendes Material:

Iranische Filme:

Zu Krieg / starke Frauen / Mythologie: „Baschu, der kleine Fremde“ von Bahram Beisā’i
Zu Korruption / Arme – Reiche / Krieg Irak – Iran: „Hochzeit der Auserwählten“ von Mohsen Machmalbāf
Zu Kindern und Krieg: „Schildkröten können fliegen“ von Bahman Ghobādi
Zu Frau – Mann: „Nāhid“ von Idā Panāhandeh

Hintergrundtexte zur iranischen Filmgeschichte, Artikel des gleichen Autors bei der Bundeszentrale für politische Bildung:
„Der iranische Film im Wandel der Zeit“
http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/filmbildung/43322/iranische-filmgeschichte
„Mit Kinderfilmen die Zensur austricksen“ http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/filmbildung/43326/iranischer-kinderfilm

Autor: Robert M. Richter
Redaktion: Bernd Wolpert

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