Teaser
Ephraim und das Lamm

Spielfilm von Yared Zeleke
Äthiopien, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Katar 2015, 94 Min. OmU

Inhaltsangabe

Der Film erzählt das Ende einer Kindheit vor dem Hintergrund von Dürre und Überlebenskampf in Äthiopien.
Ephraim, 9 Jahre alt, verliert während einer Hungersnot seine geliebte Mutter. Von ihr erbt er das Lamm Chuni, mit dem er fortan leben und für dessen Überleben er kämpfen wird. Sein Vater Abraham muss das Heimatdorf Buya verlassen, weil seine Existenz als Bauer zerstört ist. Er bringt Ephraim zu seiner Großtante ins grünere äthiopische Hochland und bricht auf nach Addis Abeba, um Arbeit zu suchen. Er verspricht seinem Sohn zurückzukehren, wenn der Regen kommt.
Ephraim fühlt sich unwohl in seiner Gastfamilie, hat Heimweh nach seinem Dorf. Spannungen bestehen vor allem zwischen ihm und seinem Onkel Salomon, einem Bauern, der zusammen mit seiner Frau zwei Töchtern und seiner Mutter in einer Rundhütte lebt. Salomon versucht, Ephraim in die Feldarbeit einzuführen, aber Ephraim ist zu schwach und ungeschickt. Salomon vermag aber, in traditionellen Rollenklischees gefangen, Ephraims ungewöhnliche Begabung fürs Kochen, das er von seiner Mutter ererbt hat, nicht anzuerkennen, so dass Ephraim seine Samosas nur heimlich, unter Mitwisserschaft der Frauen der Familie, zubereitet. Salomons alte bettlägrige Mutter, das Oberhaupt der Familie, nimmt ihren Großneffen immer wieder gegen Salomon in Schutz.
Ephraim klettert mit seinem Lamm Chuni auf den höchsten Berg der Gegend, um von dort den Weg in sein Heimatdorf zu verfolgen. Das großartigste Landschaftspanorama entrollt sich vor ihm. Auf dem Berg sieht er im Traum ein Bild seiner heilen Kindheit: Mutter und Vater und das Lamm sind bei ihm, alle sind fröhlich und haben genug zu essen. Auf dem Rückweg zur Hütte seines Onkels kommt Ephraim durch den „verbotenen Wald“ und begegnet einem rätselhaften Reiter, der ihn bedroht.
Onkel Salomon verlangt von Ephraim, sein Lamm für das bevorstehende Fest der Kreuzerhöhung zu opfern, dadurch könne er seine Männlichkeit beweisen. Ephraim sinnt auf Rettung. Er muss das Geld für die Rückreise für sich und das Lamm Chuni in sein Heimatdorf verdienen. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Er bereitet heimlich Samosas und verkauft sie auf dem Markt der Stadt. Einen Teil des Verdienstes liefert er den Frauen der Familie ab, den anderen spart er an. Aber wie im Märchen hat  der kleine Held mit Widersachern zu kämpfen: Eine Clique von Straßenjungen raubt ihm sein Geld. Doch in Tsion, der 17-jährigen Tochter Salomons, hat Ephraim eine Verbündete. Wie er passt sie sich nicht den traditionellen Rollenvorstellungen der Familie an: Tsion möchte in Addis Abeba  Landwirtschaft studieren, um dabei mitzuwirken, dass die Ernährungssituation in Äthiopien verbessert wird. Ihr Vorbild ist der äthiopisch–amerikanische Botaniker Gebisa Ejeta, der für seine Forschung über Getreide in Trockenzonen internationale Preise gewann. Tsion hilft Ephraim, das Lamm dem Zugriff Salomons zu entziehen, so dass es für das Fest nicht geschlachtet werden kann. Salomon schlägt ihn und ist in seiner Wut kaum durch die Frauen in der Hütte zu zügeln.
Tsion verlässt die Familie und bricht heimlich in die Stadt auf, einer ungewissen Zukunft entgegen, Ephraim und sein Lamm lässt sie zurück. Ephraim bittet eine muslimische Hirtin, Chuni vorübergehend in ihre Schafsherde aufzunehmen. Er hat inzwischen die Summe für die Reise ins Heimatdorf angespart. Während er sein Geld zählt, wird er von Salomons Frau Azeb überrascht. Sie fühlt sich von Ephraim hintergangen, denn ihr fehlt es an Geld für Medizin und Nahrung  für ihre kranke Tochter. Die Großmutter aber überlässt Ephraim das Geld, damit er Fleisch und Gemüse für die Familie kaufe. Ephraim begreift das als letzte Chance, in sein Heimatdorf zurückzukehren. Er will Chuni aus der Schafsherde der muslimischen Hirtin herauslösen, aber Chuni sträubt sich und folgt ihm nicht. Auch wird am selben Tag keine Busfahrt in sein Heimatdorf Buya angeboten. So sucht Ephraim eine einsame Berghöhe und überlässt sich seiner Trauer und Verlassenheit. Ein Traum von einem dunklen Zauberwald sucht ihn heim, in dem ihn unheimliche Laute ängstigen.
Am nächsten Tag kehrt Ephraim mit reichen Einkäufen vom Markt in seine Gastfamilie zurück, kocht für eine  versammelte große Festgemeinschaft, wird wegen seines Talents gelobt, ist aufgenommen, beginnt mit den anderen zu tanzen.
Das letzte Bild: Er rennt über die Ebene und er, der sich nur nach der Mutter sehnte, ruft: „Ich vermisse dich auch, Vater.“

Die Themen im Film und ihre Umsetzung

Kindheit

Ephraim ist 9 Jahre alt, er ist eher schmächtig und schwach, zur Feldarbeit nicht geeignet. Zu Beginn des Films werden seine Verlusterfahrungen erwähnt und gezeigt: Tod der Mutter, Verlust des Heimatdorfes, Abschied des Vaters. Er bleibt allein bei fremden Verwandten in einer fremden Umgebung. Er beobachtet, er schweigt, sein Freund ist das Schaf Chuni, zu dem er sich flüchtet, mit dem er redet. Die neue Familie nimmt sich des verletzten Jungen nicht an, tröstet ihn nicht, begreift ihn nicht, auch nicht die Bedeutung des Lammes für Ephraim, das Band zu seiner verlorenen Heimat. Der Regisseur Zeleke: „Es geht um die vielen Kinder in Äthiopien, die durch den Krieg, durch die Hungersnot eben auch gezwungen waren, ihr Zuhause zu verlassen, oder einfach von zu Hause vertrieben worden sind. Diese Hauptfigur, dieser Junge im Film, ist in erster Linie ein Überlebender. Und wenn die anderen mit ihm hart sind, wie der Onkel oder die Großmutter, dann hat das eben auch etwas damit zu tun, dass es in erster Linie ums Überleben geht .... Dadurch kann er (der Onkel) sich nicht so viel  Mitgefühl leisten, wie das beispielsweise im Westen in Familien der Fall ist, wo allerdings  eben auch ein sehr viel höherer Lebensstandard existiert.“
Ephraim, wie andere Kinder in Äthiopien, ist „gezwungen, sehr schnell erwachsen zu werden.“ Und das zeigt der Film. Den größten Teil der Handlung hindurch – bis auf die Schlusssequenzen – kämpft Ephraim, ganz auf sich gestellt, heimlich, tapfer, einfallsreich dafür, dass er mit Chuni die Rückreise in das Heimatdorf antreten kann. Aber Erwachsenwerden heißt nicht nur Existenzkampf, sondern auch Loslassen, Aufgabe des Traums, in die Vergangenheit zurückkehren zu können und Einpassung in die neue Wirklichkeit. Das zeigen die Schlussbilder des Films: Ephraim muss sich von Chuni trennen, weil das Schaf zu seiner Herde gehört. Und jetzt kann er Verantwortung für seine neue Familie übernehmen. Zwei Wendepunkte der Handlung sind durch Träume markiert. Ephraim träumt sie in der Einsamkeit auf Bergkuppen. Der erste Traum  führt ihm seine glückliche  Kindheit vor Augen und motiviert ihn für seine Rückkehr ins Heimatdorf zu kämpfen. Nachdem die Aussicht auf Rückkehr sich zerschlagen hat, träumt er von einem gefährlichen Zauberwald,  in dem er sich ängstigt. Durch das Grauen ruft eine Stimme seinen Namen. Nach diesem Traum findet Ephraim zu seiner neuen Familie.

Märchen

Yared Zeleke, der Regisseur: „Natürlich sind hier die Grimm´schen Märchen eine Vorlage gewesen, aber beispielsweise auch die Märchen von Hans-Christian Andersen. Was ich wollte, war eigentlich eine Fabel zu erzählen, aber eben eine Fabel vermischen mit Realismus. Äthiopien ist eben ein Land der Märchen...“
Der Film folgt der Struktur eines Märchens: Ein kleiner, schwacher Held  muss allein seinen Weg durch die Welt bestehen, die ihm feindlich entgegentritt, z.B. in der Gestalt des Reiters in dem „verbotenen Wald“, in seinen Träumen, in seinem strengen, mitleidlosen Onkel oder in der Straßenkinderclique. Begleitet wird er allein durch ein Tier, das ihm Kraft gibt, weil er Verantwortung für es trägt. Und gegen alle Widersacher und Widrigkeiten erwächst ihm auch Hilfe auf seinem Weg. Er erreicht schließlich, verändert, zu einem anderen herangereift, sein Ziel.

Hunger, Kochen, Essen

Dürre, Nahrungsmittelknappheit, Hungersnot  ziehen sich als durchgängige Motive durch den Film. Die Folgen, die sich daraus ergeben, werden gezeigt: Härte des Überlebenskampfes, Heimatverlust, Auseinanderreißen der Familien, Krankheit, Tod. Der Film spricht am Rande sowohl die politische als auch die globale Dimension des Hungers an: Mit der Gestalt Tsions, der 17-jährigen Tochter Salomons, wird der politische Einspruch des Films verbunden. Sie sitzt in der Männergruppe auf dem Marktplatz, die sich empört, dass Getreide exportiert werden soll, obwohl die Bevölkerung hungert. Sie durchschaut auch, aufgrund ihres intensiven Zeitungsstudiums, den Zusammenhang zwischen Klimawandel und ausbleibendem Regen und Ernteeinbußen.

Kochen und Essen nehmen einen großen Raum im Film ein. Ephraim ist ein begabter Koch. Sein Talent wird vor allem von den Frauen bestaunt und gelobt, seine Speisen werden geschmeckt und genossen. Die Vorstellung von einem glücklichen Leben wird mit reicher Nahrung für die Hausgemeinschaft, Mensch und Tier, verbunden, siehe Ephraims ersten Traum. Die Vorfreude auf Feste ist groß, auch wegen des üppigen Nahrungsangebots. Die Zuneigung der Personen im Film drückt sich darin aus, dass sie einander füttern: Ephraim sein Lamm Chuni, die Mutter Ephraim ...

Gemeinschaft, Feste

Yared Zeleke: „Film ist ein sehr mächtiges Medium, und es gab einen BBC-Film von und mit Bob Geldof über die Hungersnot in einer Provinz in Äthiopien, und das war eine Provinz, die vielleicht doppelt so groß ist wie Deutschland. Dieser Film hat aber auch ein sehr einseitiges Bild gezeigt (...) Nun habe ich dem einen Film entgegengestellt, entgegen auch gewissen Filmklischees, ich wollte die Bilder sozusagen auch für mein Land zurückerobern.“

Es geht Yared Zeleke um ein „realistischeres Bild“, das natürlich nicht die Härte des Überlebenskampfes  in einem bitterarmen Umfeld ausspart. Aber der Regisseur entwirft ein komplexeres Bild  seiner Heimat, zu dem die Schönheit der Landschaft gehört und die Vitalität seiner Landbevölkerung. Im Film folgen auf Familienszenen in der Hütte  auch immer wieder Bilder einer größeren Gemeinschaft, die sich versammelt, um zu essen, zu erzählen, zu lachen. Am Ende steht ein großes Fest. Nahaufnahmen der Personen in prächtigen Kleidern, Tänze, Musik, Fröhlichkeit, Essen.

Religiöse Koexistenz

Wie beiläufig verweist Zeleke in dem Film auf das friedliche Miteinander der Religionen. Ephraim ist Jude wie seine Mutter, seine Verwandten sind orthodoxe Christen, der Priester ist bei den Festen immer zugegen, die Straßenkinder in der Stadt werden durch die Kirche versorgt. Ephraim bringt Chuni zur Schafsherde einer muslimischen Hirtin. Die männlichen Figuren tragen alttestamentliche Namen: Abraham, Salomon, Ephraim nach dem Stamm Israels, der im Nordreich Israels herrschte.

Gesellschaftlicher Wandel

In der Familie des Onkels Salomon verbünden sich die beiden Außenseiter Tsion und Ephraim, die sich in die traditionellen Rollenklischees nicht fügen. Ephraim kocht, statt auf dem Feld zu arbeiten. Er wird aber schließlich integriert, weil sein Talent groß ist und letztlich der Familie nützt. Tsion sollte heiraten und für eine Familie sorgen. Sie widersetzt sich, denn sie will lernen, Landwirtschaft studieren, an der Zukunft ihres Landes mitarbeiten. Sie verlässt die Familie  und bricht nach Addis Abeba auf. Yared Zeleke: „Ihre Zukunft ist ebenso ungewiss wie die Zukunft Äthiopiens. Aber ich persönlich hoffe für beide.“ Zeleke hält seine Hoffnung nicht für realitätsfern, da er sie bestätigt sieht durch die Ethiopian Airlines, „die immerhin die erste All-female-Besatzung der Welt für ihre Flüge einsetzt.“

Geographische Daten

Gemessen an seiner Einwohnerzahl (96 Millionen) ist Äthiopien  der größte Binnenstaat der Welt. Es hat keinen Zugang zum Meer (außer zwischen 1952 -1993. Mit der Unabhängigkeit Eritreas ging dieser verloren). Äthiopien grenzt an Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Südsudan, Sudan. Es ist dreimal so groß wie Deutschland. Äthiopien ist ein hochgelegenes Land: 50% des Landes liegt höher als 1200 m, 25% höher als 1800 m, 5% höher als 3500 m. Der Großteil des Landes wird vom Hochland von Abessinien eingenommen. Hier liegt auch die Hauptstadt Addis Abeba (2370 m über NN). Das Klima wird weitgehend bestimmt durch die Topographie des Landes. Extreme Wetterereignisse bestimmen die Geschichte des Landes. In den letzten drei Jahrzehnten gab es unzählige lokale Dürren und sieben große Dürren, teilweise mit der Folge von katastrophalen Hungersnöten. Die Hungersnot 1984/85 betraf rund 8 Millionen Einwohner. Betroffen waren vor allem die nördlichen Regionen. Schätzungsweise kamen mehr als eine Million Menschen ums Leben.

Bezüglich der zukünftigen Wetterveränderung infolge globaler Erwärmung wird mit einer Verschlechterung der Situation gerechnet, die Bodenerosion, Wüstenbildung, den Verlust an Biodiversität und wiederkehrende Überschwemmungen verstärken könnte. Das Wetterphänomen „El Nino“ hat sich noch nie so verheerend ausgewirkt wie zur Zeit.

Für 2016 prognostizieren die Vereinten Nationen, dass 10 Millionen Menschen in Äthiopien auf Nahrungsmittel angewiesen seien. Das Welternährungsprogramm der UN spricht von 1,4 Mrd US $, die 2016 nötig seien, die Bevölkerung zu ernähren. Von diesem Geld sind bis jetzt lediglich 1/3 zugesichert. Die Krise in Äthiopien wird von der Weltöffentlichkeit kaum registriert, da zur Zeit die Blicke der Welt auf den blutigen Krieg in Syrien und die damit verbundenen Folgen konzentriert sind. (Diese sich anbahnende Hungerkatastrophe ist keineswegs allein auf Äthiopien beschränkt. Nach Angaben der UN sind bereits 60 Millionen Afrikaner von der Dürre betroffen.)

Ethnien/Sprachen/ Kalender

Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit mehr als 80 ethnischen Gruppen. Die zahlenmäßig größte Gruppe sind die Oromo (34%). Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird das Land auf der politischen und kulturellen Ebene von den Amharen dominiert (27%). Amharisch ist die Amtssprache. Es werden aber in Äthiopien 80 Sprachen gesprochen. Englisch ist „Bildungssprache“. Es wird in der Oberschule als Unterrichtssprache verwendet.

Der Kalender hat 13 Monate, weil die ersten 12 alle auf 30 Tage fixiert sind und auf den Schaltmonat die restlichen 5oder 6 Tage fallen. Zudem läuft er dem gregorianischen Kalender um gut 7 Jahre nach. Neujahr wird am 11. oder 12. September gefeiert.  Uhrzeit:  Der Tag beginnt um 6 Uhr morgens und endet 12 Stunden später um 18 Uhr.

Geschichte

Im Nationalmuseum in Addis Abeba sind prähistorische Funde ausgestellt. Unter anderem liegt dort das Skelett der berühmten „Lucy“, einer bei Hadar in der Danakil-Ebene gefundenen Dame aus der Gattung der Australopithecusafarensis, die vor 2,9 bis 3,8 Millionen Jahren lebte. Hunderten von Schulkindern wird täglich von ihren Lehrern erklärt, dieses Skelett beweise, dass Äthiopien die Wiege der Menschheit sei. Es gebe auf der Welt keinen älteren Beleg für die Existenz von Menschen. Das Gebiet des afrikanischen Grabenbruchs ist einer der wichtigsten paläologischen Fundplätze der Welt. Durch die bis heute andauernden seismischen Verwerfungen treten hier Erdschichten an die Oberfläche, die nicht nur Reste menschlicher Vorfahren, sondern auch Tiere und Pflanzen aus der Urzeit freilegen.
Die frühen Kulturen Äthiopiens  sind noch lange nicht hinreichend erforscht. Es lassen sich aber Kulturen im 3. Jahrtausend v. Chr. nachweisen, die zum Teil mit den Kulturen  des Niltals (Ägypten, Nubien) und des antiken Südarabien in Verbindung standen.
Als eines der ältesten christlichen „Weltreiche“ gilt das nordäthiopische Reich von Axum. Die Träger der axumitischen Kultur sprachen das zu den semitischen Sprachen gehörige Altäthiopisch (Ge ’ez). Stelen und Ruinen zeugen von Glanz und Macht des Axum - Reiches.
Als sich im 7. Jahrhundert der Islam ausbreitete, wurde die äthiopische Christenheit von den europäischen Reichen, die sich um das Mittelmeer etablierten, abgeschnitten.
Im 13. Jahrhundert bildete sich der Staatsmythos des äthiopischen Reiches heraus. Er besagt, dass der äthiopische Kaiser, der Negus,  direkt von der Königin von Saba und König Salomon abstamme. Noch in der Verfassung von 1955 lautet der 2. Artikel: „ Die Würde des Kaisers bleibt für immer mit der Dynastie des Kaisers Haile Selassie I.  verbunden, ... der aus der unmittelbaren Linie der Dynastie  Menelik I. , dem Sohn der äthiopischen Königin Saba und dem König Salomon aus Jerusalem stammt.“ Diese Legende bezieht sich auf die alttestamentarische Erzählung vom Besuch der Königin von Saba bei Salomon in Jerusalem (1.Könige 10) etwa  in der Zeit zwischen 965 -926 v.Chr.
Seit dem 14. Jahrhundert bemühen sich die äthiopischen Herrscher um Kontakte und Bündnisse mit den christlichen Reichen im spätmittelalterlichen Europa.
Um 1493 erreichte der Portugiese Pero da Covilha den Hof des Negus. Im Zuge des Kolonialismus  hatte sich Äthiopien immer wieder der Einflussnahme europäischer Mächte zu erwehren, z.B. der britischen Äthiopienexpedition von 1868, dann am Ende des 19. Jahrhunderts des Einflusses der Italiener und ihrer Kolonie Erirtea. Trotz der technisch überlegenen, modernen Waffen der italienischen Armee schlugen die Äthiopier unter Kaiser Menelik II. 1896 die italienischen Invasoren zurück (Schlacht von Adua). Dieses Ereignis gilt bis heute als wichtiger Sieg einer afrikanischen über eine europäische Armee. Dieser Sieg ist fester Bestandteil des äthiopischen Nationalbewusstseins. 1926 trat Äthiopien dem Völkerbund bei. 1931 erließ der Kaiser Haile Selassie die erste Verfassung des Landes. Im Jahr 1935 führte die Invasion des faschistischen Königreichs Italien zum Abessinienkrieg. Zwischen 1935 bis 1941 fielen zwischen 350.000 und 760.000 Äthiopier dem Expansionsdrang Italiens zum Opfer. Kaiser Haile Selassie (1930-1974) ging ins Exil. Er trat 1936 vor dem Völkerbund auf, man versagte Äthiopien aber  jede Hilfe. Die italienische Herrschaft über die Kolonien Ital.-Ostafrika, welche aus dem besetzten Äthiopien, Ital.-Eritrea, Ital.-Somalialand und Oltre Giuba bestand, endete im 2. Weltkrieg. Äthiopien wurde von britischen und einheimischen Truppen befreit und der äthiopische Kaiser Haile Selassie zog 1941 wieder in Addis Abeba ein. Äthiopien galt nach dem 2. Weltkrieg als Hort der Stabilität. Afrika veränderte sich rasant in der Periode der Entkolonisierung. Der Kaiser modernisierte das Land. Die von Menelek gegründete Hauptstadt des Landes Addis Abeba wuchs. Die Organisation für afrikanische Einheit OAU wurde in Addis Abeba gegründet und hat dort ihren Sitz seit 1963.

Anfang der 1970er Jahre geriet das Land in eine schwere Krise. Die verarmten Bauern litten unter den Abgaben an die Großgrundbesitzer. Die sich herausbildende Schicht kleiner Beamter, Lehrer, Techniker und Offiziere blieb von der politischen Macht ausgeschlossen. Diese lag fast ausschließlich in den Händen einer amharischen Oligarchie. Als die führenden Kräfte und insbesonders der Kaiser die katastrophale Hungersnot 1971-1973 in den Provinzen Wollo und Tigray regelrecht ignorierten, als Teile der äthiopischen Armee revoltierten und Studenten zu Massendemonstrationen aufriefen, kam es zum Sturz der kaiserlichen Regierung. Haile Selassie, der Löwe von Juda, wurde am 12.September 1974 von seinem Militär gestürzt . Das Militär bemächtigte sich schnell der Revolution. Ein „Rat der Streitkräfte“, der DERG übernahm unter Führung von Major Mengistu Haile Marihm die Macht. Die Monarchie, die bis auf das 10. vorchristliche Jahrhundert zurückgeht, wurde 1975 abgeschafft.  Äthiopien wurde eine sozialistische Volksrepublik. Von 1975-1977 fand eine Bodenreform statt, die bisher landlosen Pächtern zu Bodeneigentum verhalf. Diese Veränderung der Besitzstruktur entzog dem feudalen System Äthiopiens die Grundlage. Kaiserhaus, Adel, Kirche verloren ihre Macht.
Im Ogadenkrieg 1977/78 wollte Somalia dem geschwächten Äthiopien die Gebiete abnehmen, die von Somaliern bewohnt sind.  Mit Hilfe der UdSSR und Kubas wurde der somalische Angriff niedergeschlagen. 1984/85 kam es in Nordäthiopien und Eritrea erneut zu katastrophalen Hungersnöten, denen schätzungsweise eine Million Menschen zum Opfer fielen.  Die sozialistische Regierung versuchte, die Umsiedlung der Bevölkerung aus den Dürregebieten in den klimatisch günstigeren Süden. Dies verschärfte aber die ethnischen Probleme dieses Vielvölkerstaates. Ein Großteil der aus der Kaiserzeit stammenden Eliten fielen den sogenannten „Säuberungen“ zum Opfer. Im März 1990 erklärte Megistu den Versuch, in Äthiopien den Sozialismus einzuführen für gescheitert. Die Kollektivierungsmaßnahmen auf dem Land wurden zurückgenommen, die Umsiedlungen beendet.
Der Streit um Eritrea (Verbleib im Staatsgebiet Äthiopiens oder, wie es die Opposition wollte, Eritrea in die Unabhängigkeit zu entlassen) führte zur Übernahme der Macht durch die EPRDF (Ethiopian People´s Revolutionary Democratic Front). Die Koalition aus verschiedenen Befreiungsbewegungen führte ein föderatives System mit 14 autonomen Regionen für die größten Völker ein. Amharisch wurde als Staatssprache abgelöst und in einigen Regionen (hauptsächlich in Tigray und Oromia) durch Staatssprachen ersetzt.

1995 wurde die „Federal Democratic Republic of Ethiopia“ ausgerufen und eine neue Verfassung verabschiedet, durch die zwei Kammern mit 546 Abgeordneten bestimmt wurden.

Religionen

So unterschiedlich wie die ethnische Zugehörigkeit ist auch die religiöse. Zahlenangaben schwanken stark. Die wichtigsten Glaubensgemeinschaften sind die äthiopisch-orthodoxen Christen (30-40%), die sunnitischen Muslime (40-45%), die äthiopisch-evangelischen Christen (ca 10%). Die äthiopischen Juden – Falascha – sind fast alle nach Israel ausgewandert. Äthiopien ist ein sehr religiöses Land. Es zählt zu den ältesten christlich geprägten Staaten der Erde. Das Christentum, verwandt mit den ägyptischen Kopten, ist seit dem 4. Jahrhundert miaphysitisch. Das heißt: die äthiopische Kirche erkennt nur eine Natur Christi, die göttliche, an. Sie sieht sich als Verteidigerin der Reinheit der Jungfrau Maria als Gottesgebärerin. Zu den anderen miaphysitischen Kirchen -  koptische, armenische, syrische und indische Thomaschristen -  unterhält die äthiopische christlich orthodoxe Kirche enge Beziehungen.

Auch der Islam hat in Äthiopien eine tausendjährige Geschichte. Es gibt eine Legende, die für das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen identitätsstiftend ist.  Eine Gruppe von Muslimen kam im Jahr 615 n.Chr.  – also zu Lebzeiten des Propheten Mohamed – nach Äthiopien. Sie wurden dort freundlich aufgenommen. Das veranlasste den Propheten, die christlichen Äthiopier als einzige Nicht-Muslime vom Dschihad zu verschonen.

Das orthodoxe äthiopische Christentum ist eine Staatskirche, die in kaum zu überschätzender Weise die Geschichte und die Tradition Äthiopiens bestimmt hat. Bis 1974 verstand sich der Kaiser als „Verteidiger des Glaubens“. Er führte seine Abstammung auf David zurück, wie auch Jesus Christus seine Abstammung auf David zurückführte. Das gab dem Kaiser eine weit über rationale Begriffe hinausgehende Legitimation.

Das äthiopische Christentum enthält eine Reihe jüdischer Elemente (Beschneidung am 8. Tag von Jungen und Mädchen, Samstag (Sabbath) und Sonntag sind Feiertage, kein Schweinefleisch, viele Fastentage, z.B. jeden Mittwoch und Freitag, längere Fastenzeiten zu Weihnachten und Ostern, insgesamt 180 Fastentage im Jahr).

Kirchenformen: Die älteste Form der äthiopischen Kirche ist die Basilika, eine dreischiffige Halle mit – in der Regel – erhöhtem Mittelschiff und Narthex. Im Osten eine Cella. Auch die etwa 150 Felsenkirchen haben diese Bauform. (Es gibt aber auch kreuzförmige Felsenkirchen). Die allgemein verbreitete Kirchenform ist die Rundkirche. Neben Klöstern für Männer und Frauen gibt es auch viele Einsiedeleien.

Die Falascha, die äthiopischen Juden, haben eine lange Tradition. Sie sehen sich als Nachfahren von Menelik, dem Sohn der Königin von Saba und von Salomon. Die Falascha bezeichnen sich als „bete Israel“ als „Haus Israel“. Sie siedelten hauptsächlich im Hochland Äthiopiens. In den großen Hungersnöten in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts – man schätzt ihre Zahl auf 40.000 wurden viele nach Israel ausgeflogen. Dort wurden sie  1973 zuerst von den sephardischen und 1974 von den askenasischen Oberrabbinen als Juden anerkannt. In Israel leben etwa 130.000 äthiopische Juden, die sich in letzter Zeit als rassisch Verfolgte fühlen (TAZ 5.5.2015).

Die kulturelle Dominanz der orthodoxen Staatskirche hat dazu geführt, dass in Europa die Bedeutung des Islam für die äthiopische Geschichte und Kultur eher unterbewertet wird.  Heute gewinnt der Islam im Hochland vor allem durch seine starke soziale Komponente an Boden: Kaum eine Moschee ohne Schule und Waisenhaus.  Die Ausbreitung des Islam ist nicht mit einer Arabisierung verbunden.

Islam und Christentum leben weitgehend friedlich nebeneinander.

Der Filmemacher Yared Zeleke

Geboren 1978 in Äthiopien. In einem Interview sagt er von sich:“ Mit 10 Jahren  habe ich wirklich alles verloren, was mir lieb war. Und das ist auch mein Trauma, das ich bis heute als Erwachsener mit mir herumtrage.“ Er muss Äthiopien verlassen, als sein Vater vor der Diktatur von Mengistu in die USA floh. In seinem Film „Ephraim und das Lamm“ hat er also eigene Erfahrungen verarbeitet. Bevor er zum Film kam, arbeitete er für Nichtregierungsorganisationen, unter anderem in den USA, in Namibia und in seinem Heimatland. Im Interview sagt er: „Bevor ich zum Film kam, habe ich Naturressourcen in Afrika studiert. Ich war ein Idealist, ich wollte unbedingt zurückkehren in mein Heimatland, und ich wollte die wichtigsten Probleme des Landes einfach lösen, das heißt, die Bodenerosion, die Entforstung und auch den Klimawandel. Das war etwas, was ich unbedingt machen wollte, aber als ich dann meinen Master in Norwegen machte, war ich plötzlich sehr, sehr gelangweilt von diesem Thema und sagte mir, vielleicht gibt es auch einen anderen Weg, wie ich meinem Land helfen kann.“ Yared Zeleke studierte Film an der New York University „als erster Äthiopier“. Er graduierte als Bachelor in International Development an der Clarke University, USA.

Zeleke wurde als erster äthiopischer Regisseur im Jahr 2015 mit seinem Film „Ephraim und das Lamm“ zu den Filmfestspielen nach Cannes eingeladen.

Literaturhinweise

  • Ryszard Kapuscinski, König der Könige. Eine Parabel der Macht, 1984
  • Katrin Hildemann, Martin Fitzenreiter. Reise Know-How Äthiopien, 2013
  • www.deutschlandradiokultur.de/yared-zeleke-ueber-film „Ephraim und das Lamm“ 5.2.2016
  • Claudia Lenssen. Eine Gesellschaft im Umbruch. Kino Ephraim und das Lamm. TAZ 26.11.2015

Filmhinweise

  • Morgentau/Teza
    Ein Film von Haile Gerima. Äthiopien, Deutschland, Usa 2008, Spielfilm, 140 Min. OmU
    Bezug: EZEF
  • Menged - Auf dem Weg
    Ein Film von Daniel Workou. Äthiopien, Deutschland 2006, Kurzspielfilm, 21 Min.
    Bezug: EZEF

Vorschläge für das Filmgespräch – didaktische Hinweise

  • Wie stellt der Regisseur des Films Kindheit in Äthiopien dar? Verlusterfahrungen? Überlebenskampf?
  • Die Hauptdarsteller des Films sind Ephraim und sein Lamm Chuni. Welche Beziehung besteht zwischen ihnen?
  • Der Filmemacher verbindet eine realistische Erzählung mit Märchenelementen. Warum? Welche märchenhafte Motive hat er in seine Handlung verwoben?
  • Wie wird die Landbevölkerung dargestellt? Ihre Arbeiten, Feste, Religiosität, Hierarchien, Traditionen, Rollenvorstellungen?
  • Wie fordern die beiden Jugendlichen, Ephraim und Tsion, die Geschlechterklischees heraus? Besteht Hoffnung, dass die beiden auf ihrem Weg nicht scheitern?
  • Mit der Gestalt Tsions sind die ökologischen Herausforderungen, mit denen Äthiopien konfrontiert ist, verbunden. Wie wird das im Film ausgeführt?
  • Gegen die üblichen harten Armutsbilder über Afrika will der Filmemacher eine komplexere Wirklichkeit stellen. Welches Bild von Äthiopien entwirft er?
  • Der Personenkreis, der im Film auftritt, ist stolz auf die lange  unabhängige Geschichte Äthiopiens. In welcher Szene wird das deutlich?
  • Auch gibt es in Äthiopien eine lange Geschichte des friedlichen Miteinanders der Religionen. Wie zeigt sich das im Film?
  • Der Filmemacher Yared Zeleke sagt, dass sein Film kein Dokumentarfilm sei, sondern ein „Appell“. Was meint er damit?

AutorInnen: Georg Friedrich Pfäfflin, Brigitte Pfäfflin
April 2016

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