Kurzspielfilm von Gregg Helvey
USA, Indien 2009, 19 Minuten, OmU
Inhalt
Der etwa zehnjährige Kavi aus der Region Maharashtra in Indien arbeitet zusammen mit seinen Eltern in einer Fabrik zur Herstellung von Ziegelsteinen. Die Arbeit ist hart, sie geht von morgens bis abends, sieben Tage die Woche, ohne Freizeit oder die Möglichkeit, das Fabrikgelände zu verlassen. Denn die Fabrikarbeiter schulden dem Eigentümer der Fabrik Geld so wie Kavis Vater. Um die Schulden bezahlen zu können, steht die ganze Familie auf unbestimmte Zeit unter Schuldknechtschaft, einer modernen Form der Sklaverei.
Kavis größter Wunsch ist es, ein ganz normales Leben führen zu können, so wie die Kinder, die auf ihrem Schulweg täglich am Fabrikgelände vorbeikommen und Cricket spielen. Mit falschen Versprechungen und unterschwelligen Drohungen versucht der Fabrikbesitzer mit Unterstützung des Aufsehers, seinen „schnellsten Arbeiter“ Kavi anzuhalten, noch mehr zu schuften. Da entdeckt Kavi beim Schuttabladen zwei Männer in Fabriknähe, die mit ihm reden und ihm angeblich helfen wollen. Weil Kavi unerlaubt das Fabrikgelände verlassen hat, wird er vom Besitzer zur Rede gestellt, vom Aufseher verprügelt und an eine Eisenkette gefesselt. Unterdessen tauchen die beiden Männer, die sich als Sozialarbeiter entpuppen, in Begleitung von Polizisten erneut auf, um die illegalen Arbeitssklaven zu befreien. Doch diese wurden zusammen mit Kavis Eltern kurz zuvor an einen unbekannten Ort gebracht. Kavi, der in einem alten Schuppen zunächst unentdeckt bleibt und immer noch angekettet ist, sieht jetzt seine letzte Chance, um vielleicht doch noch seinem Schicksal zu entkommen.
Filmische Umsetzung / Würdigung und Kritik
Besonders naheliegend ist die Idee des amerikanischen Filmstudenten Gregg Helvey nicht gewesen. Für seinen Abschlussfilm an der Universität von Südkalifornien reiste er mit einem kleinen Team für mehrere Tage nach Indien, um dort ohne offizielle Drehgenehmigung, aber mit Unterstützung einheimischer Produzenten einen überaus engagierten Kurzspielfilm über moderne Sklaverei zu drehen, in dem auch noch ein Junge zum Handlungsträger und zur großen Identifikationsfigur insbesondere für Kinder wird. In einem Interview, das er 2010 beim LUCAS-Kinderfilmfestival in Frankfurt gab, sieht er seinen Film als „ein Werkzeug, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf der ganzen Welt auf das Thema zu lenken, sie zum Nachdenken anzuregen.“ Das ist ihm gelungen, denn der auch in seiner filmischen Umsetzung rundum überzeugende Film wurde weltweit auf über 100 Festivals eingeladen und erhielt etwa 50 Preise und Auszeichnungen, darunter den Studenten-Oscar 2009 im Bereich Spielfilm, eine Oscar-Nominierung für den besten Kurzspielfilm im Jahr darauf und den Preis als Bester Kurzspielfilm auf dem Internationalen Kinderfilmfestival LUCAS.
Der geringe Produktionsetat, die knappe Drehzeit von einer Woche und die möglichst unauffällig durchzuführenden Dreharbeiten mit kleinen Kameras brachten es mit sich, dass die technische Qualität des Films in Auflösung und Schärfe leicht zu wünschen übrig lässt. Andererseits gewinnt der Film gerade dadurch an fast schon dokumentarischer Authentizität, zumal er in seinem dramaturgischen Aufbau, in der Kameraarbeit und in der Montage keine Wünsche offen lässt.
Die Filmhandlung erstreckt sich über zwei Tage. Zwei Mal wird das geradezu idyllische, zur Kontemplation einladende Bild der Morgendämmerung an einem See und Vogelgezwitscher im Hintergrund mit dem brutalen Arbeitsalltag der Arbeiter kontrastiert, die ihre Arbeit mit bloßen Händen verrichten und im Akkord arbeiten müssen. Die Kamera geht unmittelbar in die Naheinstellung, was die Unentrinnbarkeit ihrer Lage verstärkt, auf die den Zuschauer keine Übersicht, keine Distanz ermöglicht. Da sich Kavi bei diesen Nahaufnahmen auch noch heftig bewegt und schnelle Schnitte das Tempo weiter steigern, wird sein ungebrochener Arbeitseifer treffend visualisiert. Wenn er kurze Zeit später einen riesigen Schuttberg an scharfkantigen Abfallsteinen mit bloßen Händen abtragen muss, zeigt eine Kameraposition vom Schuttberg auf Kavi hinunter den wahren Umfang dieser Arbeit, die er ebenfalls im Akkord vollbringt. Das verdeutlichen kurze Schnitte, viele Nah-, Groß- und Detailaufnahmen. Kavis Gefühlsregungen, seine Träume, seine Verletzlichkeit, seine Hoffnungen und seine inneren Kämpfe spiegeln sich zudem in seinem Gesicht wider, das in vielen Großaufnahmen zu sehen ist. Wenn Kavi am zweiten Tag, nach der Bestrafung und den Prügeln des Aufsehers, dieselbe Arbeit erneut verrichten muss, vermitteln seine veränderten Gesichtszüge, aber auch das verlangsamte Tempo seiner Handgriffe und eine leicht abgerückte Kamera deutlich, dass in ihm etwas zerbrochen ist und er den subtilen falschen Versprechungen des Fabrikbesitzers keinen Glauben mehr schenken wird. Vorher schon wurde dieser Umschwung in seinen Gefühlen, die innere Rebellion gegen diese schreiende Ungerechtigkeit, aber auch der Verlust von Hoffnung in der Veränderung seines Spiels mit der Blumentopfpflanze und seinem „Acker“ angedeutet, das er jetzt nicht mehr spielen möchte.
Die unaufhörliche Zuspitzung des Konflikts und besonders dramatische Situationen werden musikalisch durch eine leicht anschwellende Hintergrundmusik und visuell durch den bewussten Einsatz einer hektischen Handkamera sowie mit Bildeinstellungen verstärkt, in denen der Bildhintergrund, also die Umwelt, aus der Horizontale in eine bedrohliche Schräglage gerät. Dieser konsequente Einsatz filmsprachlicher Mittel führt dazu, dass der psychische Druck, der auf Kavi lastet, klar und deutlich zum Ausdruck gebracht wird, aber die physische Gewalt nicht in allen Einzelheiten ausgespielt werden muss. So geht die Kamera beispielsweise auf Distanz und teilweise hinter eine Wand, wenn Kavi vom Aufseher verprügelt wird. Die brutalen Übergriffe gegen Kavis Eltern, die sich später schützend vor ihren Sohn stellen und niedergeschlagen werden, sind durch Schnitte und kurze Bildeinstellungen zumindest visuell etwas entschärft. Und wenn Kavi sich in geradezu übermenschlicher Anstrengung die Fesseln vom Handgelenk streift, reichen ein paar Blutstropfen am Boden aus, um dies dem Zuschauer zu vermitteln. Das mit Abstand wichtigste jedoch ist, dass der Film zwar nicht in ein aufgesetztes Happy-End mündet, aber dennoch Hoffnung macht und in der Metapher eines in Großaufnahme gezeigten Fußabtritts von Kavi auf den noch nassen Tonziegeln endet. Er hat deutliche Spuren hinterlassen, selbstverständlich auch im Gedächtnis der Zuschauer, denn an seinem Schicksal und dem von vielen Millionen anderer Kinder und Erwachsener muss sich etwas ändern.
Themen und Hintergrundinformationen
KAVI greift auf schon für Kinder verständliche Weise ein gesellschaftliches Thema auf, das in seinen Dimensionen und mehr noch in seinen Ausmaßen in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, obwohl es – beispielsweise in Form von Produkten und billigen Preisen – auch in unserem ganz normalen Alltag seinen Niederschlag gefunden hat: Es geht um eine moderne Form der Sklaverei. Wenn von Sklaverei die Rede ist, denken viele zunächst nur an den Transatlantischen Sklavenhandel, seit dem 16. Jahrhundert über mehrere Jahrhunderte hinweg einem traurigen Kapitel in der Geschichte Afrikas und einem dunklen Kapitel in der Geschichte Europas beziehungsweise der ehemaligen Kolonialmächte, die aus diesem Sklavenhandel höchstmöglichen doppelten Profit erzielten. Das gelang zum einen durch die Lieferung teuer verkaufter Arbeitskräfte, zusätzlich durch den Handel mit billigen Produkten, die von diesen völlig rechtlosen Arbeitskräften bearbeitet und hergestellt wurden. Zwischen 1787 und 1848 und nicht zuletzt durch den gesellschaftlichen Wertewandel im Gefolge der Französischen Revolution wurde der Sklavenhandel in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Europa offiziell abgeschafft. Etwas Vergleichbares kann es heute also gar nicht mehr geben, oder doch?
Auf der amerikanischen Website zum Film KAVI ist nachzulesen, dass es in unseren hochzivilisierten Gesellschaften heute weitaus mehr Sklaverei gibt, als in den gesamten 400 Jahren des Transatlantischen Sklavenhandels. Dem Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Kevin Bates zufolge, der auch die Organisation „Free the Slaves“ gründete und das Buch „Disposible People“ schrieb, werden heute weltweit 27 Millionen Menschen wie Arbeitssklaven gehalten. Darauf verweist der Abspann zum Film ebenfalls. Letztlich bilden selbst diese erschreckend hohen Zahlen unabhängig von einer wahrscheinlich noch höheren Dunkelziffer nur den harten Kern einer Entwicklung, die sich nicht nur auf Indien alleine bezieht, sondern viele Länder umspannt. Denn selbst wenn Kinderarbeit nicht einfach mit den in KAVI gezeigten Formen moderner Sklaverei gleichzusetzen ist, so gibt es doch eine klare Überschneidungsmenge, wenn diese Arbeit von Kindern, die manche Eltern als ihr „Eigentum“ betrachten, nicht nur für ihre Entwicklung und Bildung schädlich ist und gegen die von der UNESCO verabschiedeten Rechte der Kinder klar verstößt, sondern auch die Gesundheit dieser Kinder ruiniert und sie in Lebensgefahr bringt. Hier hat der jüngste Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation ILO aus dem Jahr 2013 zwar einen Rückgang der Zahl der arbeitenden Kinder um ein Drittel seit 2000 konstatiert, aber es sind weltweit immer noch 168 Millionen. Es gibt noch eine zweite Überschneidungsmenge, die zwar ebenfalls nicht automatisch als Sklaverei bezeichnet wird, sich aber aus ähnlichen Wurzeln speist und sich verheerend auf die unmittelbar Betroffenen wie auf die Gesellschaft insgesamt auswirkt. Gemeint sind die derzeit immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich sowie die Ausbeutung von billigen Arbeitskräften unter prekären Arbeitsverhältnissen mit Lohndumping, wobei die Beschäftigten von ihrer Arbeit nicht wirklich leben können und aus ihren nicht selbst gewählten und schon gar nicht selbst verschuldeten Abhängigkeitsverhältnissen auf Dauer nicht herauskommen.
Schuldknechtschaft
Es gibt viele Formen von moderner Sklaverei. Sie ist weder an eine Hautfarbe, noch an eine geografische Herkunft, ein Geschlecht oder ein Alter gebunden. Die Form, die in KAVI eine besondere Rolle spielt, wird auch Schuldknechtschaft (im Englischen: bonded labour) genannt. Sie entsteht etwa dadurch, dass Menschen dazu gebracht oder regelrecht gezwungen werden, sich Geld zu leihen, beispielsweise um Saatgut zu kaufen, um den eigenen Acker zu bestellen und in der Hoffnung, dadurch den eigenen Lebensstandard zu verbessern. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels berichtete beispielsweise die Fernsehsendung „Weltbilder“ im NDR in einer Reportage über Tausende(!) von indischen Baumwollbauern, die allein in den letzten Jahren – also nachdem KAVI entstand – Selbstmord begingen, weil sie von einer weltbekannten Firma überteuertes Saatgut und Pflanzenschutzmittel beziehen mussten und dadurch in eine unlösbare Schuldenfalle gerieten. Denn diese Kredite konnten sie allein aus der Bewirtschaftung des Bodens niemals zurückzahlen.
Vor einem solchen möglichen realen Hintergrund lässt sich auch das Spiel besser verstehen, bei dem Kavi jeden Morgen seine Topfpflanze umhegt, damit sie gedeiht und die imaginäre Kuh auf dem „Acker“ bald Nachwuchs bekommt, der dem Haushalt zum Segen gereichen könnte. Oft sind es nur kleine Kreditsummen, die nicht gleich wieder zurückgezahlt werden können, wenn eine Missernte eintritt oder es zu anderen außergewöhnlichen Belastungen kommt. Nicht selten ist es sogar bewusste Absicht des Kreditgebers, dass diese Schulden möglichst nicht beglichen und auf diese Weise dauerhafte Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen werden. Stattdessen wird die ganze Familie als Pfand genommen, die dann unter denkbar schlechten Arbeitsbedingungen oft auf unbestimmte Zeit schwere Arbeit für einen Arbeitgeber verrichten muss. Da für Unterkunft und Verpflegung hohe Abzüge erfolgen und jeder Fehler in der Produktion zu Lasten der Arbeitenden geht, lassen sich die Schulden oft über Jahre hinweg nicht begleichen. Es gibt Fälle, in denen eine solche Schuldknechtschaft über mehrere Generationen hinweg aufrechterhalten wurde. Die eigentliche Schuldsumme wäre längst durch die geleistete Arbeit beglichen, doch der Arbeitgeber hat daran keinerlei Interesse. Strukturell ähnlich wie seinerzeit beim Transatlantischen Sklavenhandel verdient er doppelt: an den für ihn kostenlosen Arbeitskräften und den von ihnen hergestellten Produkten, die nicht selten später auch in den Export gehen. Damit seine wie Sklaven gehaltenen Arbeitskräfte nicht etwa aufbegehren, werden sie gezwungen, bis zur Erschöpfung zu arbeiten, und sie dürfen den Arbeitsplatz nicht mehr verlassen. Zusätzlich werden sie mit einer subtilen Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche bei der Stange gehalten, wobei KAVI deutlich macht, dass Einschüchterung und Erpressung dann besonders gut funktionieren, wenn einzelne Familienmitglieder oder die Kinder ausgespielt werden können. Solche Menschen, die zudem häufig nur über einen geringen Bildungsstand verfügen, benötigen die Hilfe von außen daher in besonderem Maße. Es ist daher auch kein Zufall, dass nur ein einzelner, noch relativ junger Arbeitssklave es wagt, Kontakt zu den beiden Sozialarbeitern aufzunehmen.
Deutlich wird im Film weiterhin, dass Kavi unter derartigen Lebensbedingungen dann am besten überleben kann, wenn er sich anpasst, sich in seine Träume (sein Spiel) flüchtet und darüber hinaus die Hoffnung nicht aufgibt, selbst einmal zur Schule zu gehen und Cricket spielen zu dürfen. Denn das weiß er durch konkrete Vergleichsmöglichkeiten bereits: Es gibt auch Kinder, die nicht arbeiten müssen – und Cricket ist für alle. Diese Hoffnung verliert er nach den falschen Versprechungen des Fabrikbesitzers, durch die Erfahrung von extremer Ungerechtigkeit selbst im abgesteckten Rahmen der Fabrik und durch die Angst um das Leben seiner Eltern, die mit den anderen Arbeitern abtransportiert werden. Kinder werden diese Angst ganz unmittelbar und doch sehr allgemein nachvollziehen können, Erwachsene könnten sich je nach Alter und Erfahrung bei diesen Bildern auch an die einstige britische Kolonialmacht, an eine Diktatur oder gar an den Holocaust erinnert fühlen.
Konsequent aus Kinderperspektive
Indem wir die Geschichte mit Kavis Augen erfahren und nicht etwa aus der Perspektive der Erwachsenen erzählt bekommen, erhalten auch schon ältere Kinder ab etwa acht oder zehn Jahren einen für sie nachvollziehbaren Zugang in die wichtige Thematik, die überdies weltweit von Bedeutung ist und globale Auswirkungen hat. Dieser Einblick in eine fremde Welt dient nicht nur ihrem gesellschaftlichen Bewusstwerdungs- und Bildungsprozess, sondern ermöglicht über die Identifikation mit dem Jungen auch Vergleiche mit der eigenen Lebenswelt. Darüber hinaus spricht der Film ihr natürliches Gerechtigkeitsgefühl, das bei Kindern und Jugendlichen (noch) besonders stark ausgeprägt ist, sehr unmittelbar an. Das könnte auch zur Weichenstellung für die Zukunft werden, denn wer wegsieht, macht sich mitschuldig.
Der Film streift diesen Aspekt, ohne das allzu sehr in den Vordergrund zu rücken, buchstäblich am Rande durch die jeden Tag an dem gut einsehbaren Fabrikgelände vorbei laufenden Schüler. Allein schon ihre strikte Weigerung, den verlorenen Cricketball zu holen sowie der stumme, zwischen Dankbarkeit und Verwunderung liegende Blick des Schülers, dem Kavi den verschossenen Ball in die Hand drückt, weist darauf hin, dass die Schüler sehr wohl mitbekommen haben: Irgendetwas stimmt in dieser Fabrik nicht, in der ein Junge in ihrem Alter tagtäglich so harte Arbeit verrichten muss, während sie zur Schule gehen und danach spielen können. Das impliziert die Frage, warum sie weder ihre Lehrer noch ihre Eltern darauf aufmerksam gemacht haben, oder diese davon nichts wissen wollten. Eine mögliche Antwort ist die einer Gesellschaft, die konstant und geflissentlich wegschaut, die Polizei in ihrer extrem passiven und geradezu gleichgültigen Haltung bei der Befreiung der Sklaven eingeschlossen. Eine ganz andere antwort hat der indische Kinderrechtsaktivist Kailash Sathyari gefunden, der ein mögliches Vorbild für die beiden Sozialarbeiter in KAVI war. Denn der Gründer und Vorsitzende der Kampagne „Global March against Child Labour“ hat schon viele derartige Befreiungsversuche selbst durchgeführt und klare Einsatzstrategien entwickelt, wie Kinder aus indischen Fabriken befreit werden können.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum die Wahl der konsequenten Kinderperspektive und die Reduktion auf ein kindliches Einzelschicksal für den Erfolg des Films und die Lenkung der Aufmerksamkeit auf das brisante Thema so wichtig sind. Niemals hätte allein das Schicksal von Erwachsenen, die unter der Sklaverei genauso leiden wie Kinder, dasselbe anhaltende Mitgefühl und die Forderung nach Abschaffung solcher Zustände ausgelöst. Denn Erwachsenen könnte man theoretisch noch eine geringe Mitschuld an ihrem Schicksal unterstellen, oder man müsste ausführlich und detailliert darlegen, warum es bei ihnen zu dieser Schuldknechtschaft gekommen ist. Das würde zwar die reale Komplexität des Themas besser aufzeigen, aber die Möglichkeiten eines auch für Kinder geeigneten Kurzfilms deutlich sprengen. Ein Kind, das für die Schulden der Eltern, die im konkreten Fall des Films gerade mal 10.000 Rupien betragen (nach Wechselkurs vom Oktober 2013 sind das etwa 120.- Euro) so unverhältnismäßig büßen und leiden muss, ist ohne jeden Zweifel unschuldig.
Didaktische Hinweise
Der Film lässt sich in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit sowohl mit Kindern als auch mit Erwachsenen gut einsetzen, wobei sich lediglich die Vorgehensweisen grundlegend unterscheiden, nicht aber die Auseinandersetzung mit der Thematik an sich, die individuelle Suche nach eigenem Engagement und mögliche Rückschlüsse für die eigene Lebenswelt.
Bei der Arbeit mit Kindern ist immer von ihrem Lebensalltag und von ihren unmittelbaren Gefühlen und Reaktionen auf den Film auszugehen. Das kann dann in Fragen münden, ob sie so wie Kavi auch lieber in die Schule gehen würden oder bei den Eltern bleiben wollen, wie sie empfinden, was mit Kavi passiert und wie sie in den verschiedenen Situationen an seiner Stelle gehandelt hätten (und warum das für Kavi vielleicht nicht möglich war). Erst im weiteren Verlauf der Nachbereitung können dann zusätzliche Informationen gegeben und auch Fragen zu den im Film angesprochenen Sachverhalten der modernen Sklaverei gestellt werden.
In der Erwachsenenbildung kann man gleich voll in die Thematik einsteigen, wobei der Film und die Gefühle, die er erzeugt, selbst nie außer Acht gelassen werden dürfen. Unbedingt vermieden werden sollte, dass die Diskussion sich unbewusst und zu einseitig auf eine Vorverurteilung der Zustände in Indien reduziert (siehe z.B. „Global March Against Child Labour“) Ist es schon nicht unproblematisch, dass ein amerikanischer Filmemacher für nur wenige Tage nach Indien reist, um moralische Anklage über die dort herrschenden Zustände zu erheben, die unter anderen auch amerikanische Firmen mit begünstigt haben, besteht diese Gefahr der Pauschalisierung vor dem aktuellen Hintergrund der brutalen Vergewaltigungen von Frauen und der bisherigen Ignoranz der Gesellschaft und des Polizeiapparates umso mehr. Ausgehend vom konkreten Einzelschicksal des Jungen und seiner Eltern muss es daher immer auch um die globale Reichweite der modernen Sklaverei gehen, von der wir in Deutschland manchmal selbst profitieren, ohne es zu wissen.
Jeder pädagogisch ausgebildete, im Sozialwesen oder in der Entwicklungshilfe tätige Mensch wird keine großen Probleme haben, einen auf die Zielgruppe abgestimmten thematischen Zugang zu diesem Kurzspielfilm zu finden. Ohne seine besonders gelungene Form und den bewussten Einsatz der filmsprachlichen Mittel hätte der Film aber möglicherweise das Gegenteil von dem bewirken können, was er bezweckt. Nur gut gemeinte Filme zu einem wichtigen Thema reichen bei Weitem nicht. Daher gibt das exemplarisch zu verstehende „Arbeitsblatt“ (siehe unter "downloads") einige Anregungen, die künstlerische Form des Films in die Auseinandersetzung mit dem Thema einzubeziehen.
Weitere Informationen
Cricket
„Cricket … ist eine Mannschaftssportart, die vor allem in den Ländern des Commonwealth sehr beliebt und in einigen Ländern auch Nationalsport ist. Beim Cricket dreht sich alles um das Duell zwischen dem Werfer (Bowler) und dem Schlagmann (Batsman). Der Bowler versucht den Batsman zu einem Fehler zu bewegen, damit dieser ausscheidet, der Batsman seinerseits versucht den Ball wegzuschlagen, wofür er Punkte (Runs) bekommen kann. Der Bowler wird durch die anderen Feldspieler unterstützt, die den Ball so schnell wie möglich wieder zurückbringen müssen.“
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Cricket
Global March Against Child Labour
Diese NGO-Kampagne wurde 1988 von dem indischen Kinderrechtsaktivisten Kailash Sathyati (Jg. 1954), die seit dem Tausende von Kinderarbeitern aus indischen Fabriken befreite und den Beweis erbrachte, dass die indische Zivilgesellschaft diese vom Gesetz anerkannten Missstände im Unterschied zu großen Teilen der Polizei keineswegs zu dulden bereit ist. Kailash Sathyari ist längst zu einer zentralen Figur im weltweiten Kampf gegen Kinderarbeit und –sklaverei sowie gegen Armut geworden und verknüpft diesen Kampf mit dem Recht der Kinder auf Erziehung und Bildung. Mit Unterstützung von Brot für die Welt führte er bereits 1994 das global vergebene Zertifikat „Rugmark“ ein, das Akteuren in der Teppichindustrie ausgestellt wird, die auf Kinderarbeit verzichten. Auch an der ILO-Konvention 182 hat er mitgearbeitet.
Die ILO und der Kampf gegen die Kinderarbeit
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2016 die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu beseitigen. Schon bisher umfassen die Kernarbeitsnormen der ILO, die den Charakter von universellen Menschenrechten haben, zwei Übereinkommen über Kinderarbeit:
„Das Übereinkommen 138 von 1971 setzt das Mindestalter für die Aufnahme einer Arbeit bei 15 Jahren an (wobei Entwicklungsländer für eine Übergangzeit die Grenze bei 14 Jahren setzen können). Es enthält kein Verbot der Kinderarbeit, sondern verpflichtet die Mitgliedsstaaten der ILO dazu, ‘eine innerstaatliche Politik zu verfolgen, die dazu bestimmt ist, die tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit sicherzustellen und das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung oder Arbeit fortschreitend bis auf einen Stand anzuheben, bei dem die volle körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen gesichert ist’ (Artikel 1).
Das Übereinkommen 182 von 1999 hingegen beinhaltet das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit – und zwar für Kinder bis einschließlich des 17 Lebensjahres – und verpflichtet die Staaten dazu, umgehend Maßnahmen zu ihrer Beseitigung zu ergreifen.“
www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_221844/lang--de/index.htm
Kinderrechte
Der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zufolge, die von Deutschland und vielen weiteren Staaten ratifiziert wurde, haben Kinder u. a. die folgenden Rechte (Unterstreichungen beziehen sich in besonderer Weise auf den Film KAVI):
- das Recht auf Leben (Artikel 6)
- das Recht auf beide Eltern (Artikel 9)
- das Recht auf Information (Artikel 17)
- das Recht auf Schutz vor Gewalt (Artikel 19)
- das Recht auf Gesundheit (Artikel 24)
- das Recht auf Bildung (Artikel 28)
- das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung (Artikel 32)
Text: Holger Twele
Oktober 2013