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Yaaba
Film

Spielfilm von Idrissa Ouedraoga
Burkina Faso, Frankreich, Schweiz 1989, 85 Minuten, OmU


Im Mittelpunkt des Filmes steht die Begegnung zweier heranwachsender Kinder mit einer alten, als Hexe verschrienen Frau. „Yaaba“ beschreibt in ebenso einfacher wie poetischer Weise den Alltag einer afrikanischen Dorfgemeinschaft in ihrer ganzen Komplexität und mitunter auch Widersprüchlichkeit.

Inhalt

"Yaaba“ ist die Momentaufnahme eines kleinen, abgeschiedenen Dorfes in Burkina Faso und seiner Lebensgemeinschaft. Es ist, als käme man als Gast zu Besuch. Der Weg zum Dorf führt über den schlichten Friedhof: aufgeworfene Hügel aus steiniger Erde zwischen niedrigem Buschwerk. Nopoko, ein vielleicht zehn-, elfjähriges Mädchen steht am Grab seiner Mutter, gießt sorgsam eine noch junge Pflanze. Beobachtet wird sie von ihrem etwa um ein Jahr älteren Freund Bila.
Bald allerdings verdrängt kindliche Spielfreude die Trauer und Nopoko und Bila spielen Verstecken. Beim Suchen hilft im Hintergrund auf schalkhafte Art auch die greise Sana mit - sehr zum Missfallen von Bila. Aus der Sicht der beiden Kinder, aber teilweise auch der alten Frau, entwickelt sich die Handlung. Sie führt mitten ins Dorf hinein, geht hin zu den Menschen, die hier in enger Gemeinschaft leben, sich freuen und streiten, einander helfen, aber auch betrügen, die hoffen und zweifeln.
Mehr in Episoden als durch einen festen Handlungsstrang erleben die zwei heranwachsenden Kinder die Komplexität des Lebens und der menschlichen Gemeinschaft, entdecken, dass sich Gut und Böse nicht fein säuberlich scheiden lassen. Bitter schmeckt das Gift der Intoleranz, und tiefe Wunden reißt der Pfeil des Vorurteils.
Eine Hütte brennt. Das Feuer findet im dürren Dachgebälk und im Strohdach reichlich Nahrung. Die Löschversuche der Männer sind verlorene Liebesmüh. Außer den rußgeschwärzten Lehmmauern bleibt nichts übrig. Wer das Feuer gelegt hat, ergibt das Palaver der Männer bald. Und auch die Frauen zeigen schon mit dem Finger auf die alte Sana, die Ausgestoßene. Sie haben schon immer gewusst, dass sie eine Hexe ist. Noaga, der ewig Betrunkene, weiß es zwar besser, und auch Bila hat die Gewissheit, dass Sana als Brandstifterin nicht in Frage kommt. Doch wer hört schon auf einen chronischen Säufer, wer auf einen Lausejungen? In den Augen einiger Dorfbengel wird Sana zum Freiwild. Sie schmeißen mit Steinen nach ihr. Bila setzt den Vorurteilen seinen Sinn für Gerechtigkeit entgegen. Er klaut hier einen Hahn für Sana und dort eine kleine Kalebasse voll Milch. Öfter sitzt er – mal allein, mal zusammen mit Nopoko – bei der alten Frau. Sie nennen sie jetzt Yaaba, Großmutter. Das ist das Gegenteil von ausgestoßen. Sie nehmen die Greisin auf: in ihre Herzen und somit auch in die Familie. Dafür erfahren sie erstmals in ihrem Leben die Abgeklärtheit und Weisheit des Alters. Dies wird für sie zum entscheidenden Erlebnis und hilft mit, die Welt besser zu verstehen: Etwa, warum Kuodi den Säufer Naogo verlässt, um mit einem anderen Mann zu leben. Oder warum sich Bilas Eltern immer wieder streiten und versöhnen.
Einer der wenigen dramatischen Zwischenfälle ereignet sich, als Nopoko und Bila auf dem Weg zur Wasserstelle den drei Burschen begegnen, die ihre Yaaba mit Steinen beworfen haben. Dass der Junge und das Mädchen die alte Frau verteidigt haben, ist ihnen Anlass genug für einen Racheakt. Und heute fühlen sie sich in der Übermacht. Bei der Prügelei, die entsteht, will Nopoko ihrem Freund zu Hilfe eilen und wird dabei mit einem Messer verletzt. Sana, welche die rostige Klinge des Messers sieht, ahnt Schlimmes und in der Tat erkrankt das Mädchen an Wundstarrkrampf. Als sich ihr Zustand besorgniserregend verschlechtert, ruft die Dorfgemeinschaft einen Medizinmann. Wiederum ist es Naogo, der Trinker, der vor diesem Mann warnt und ihn als Betrüger entlarvt. Aber wiederum findet er kein Gehör.
Bila, durch Erfahrung klüger geworden, zögert nicht, bei Yaaba um Hilfe zu bitten. Die alte Frau macht sich auf den Weg zu einem ihr bekannten Heiler. Noch allerdings bedarf es der List (und der Klugheit der Frauen), dass das Mädchen zu seiner Medizin kommt und genesen kann. Die Yaaba - einst als Waisenkind verstoßen, wie sie Bila verrät – hat ihren Auftrag erfüllt. Im Bewusstsein, zumindest in den Herzen ihrer liebgewordenen Menschen weiterzuleben, darf sie, angelehnt an die Wand ihrer Hütte, für immer einschlafen.
In Trauer endet der Film jedoch nicht, sondern in heiterem Kinderspiel. Nopoko und Bila rennen um den Armreif, den Yaaba dem Jungen geschenkt hat, zum Spaß sozusagen. Noch sind sie Kinder, wenn immer auch die Erwachsenenwelt mit all ihren Problemen und Ungereimtheiten ein Stück näher gekommen ist.

Zur Gestaltung

„Yaaba“ ist kein Film der lauten Töne. Die Kamera beobachtet scharf und feinfühlig, nimmt kleinste Regungen wahr. Idrissa Ouedraogo verlässt sich auf die Aussagekraft der Bilder. Entsprechend Zeit lässt er zum Hinschauen. Oft bleiben die Bilder lange stehen, die Bewegungen sind – von Ausnahmen abgesehen – gemessen. Auf Augenkitzel mit rasanten Schnitt- und Montagefolgen wird gänzlich verzichtet.
Es ist wohl nicht unrichtig zu sagen, dass der formalen Gestaltung des Films eine überaus wichtige und traditionsreiche Kulturform des afrikanischen Menschen zugrunde liegt: die Kunst des Erzählens. Geschichten sind wie Pflanzen: Sie wachsen aus dem Alltag, richten sich auf an den kleinen Begebenheiten, ranken sich um die Vorzüge und Schwächen der Menschen und ihrer Charaktere und treiben am Ende die Blumen der Weisheit und die Früchte der Erkenntnis. Wer hinhört wird reich beschenkt.
So einfach die Begebenheiten auch sind, die in „Yaaba“ zur Erzählung werden, der Film erschließt sich zumindest dem europäischen Betrachter nicht einfach von selber. Der langsame Rhythmus, der Verzicht aufs Spektakuläre widersprechen zunächst unseren Sehgewohnheiten. Der knappe Dialog und die spärlich eingesetzte Musik verstärken dies noch. Man muss sich zunächst an die Kraft der Bilder und die Spannung des Alltäglichen gewöhnen, muss erkennen, dass hier Leben in elementarer Form vor den Augen abläuft. Ein Leben allerdings, das sich weitab von der Hektik unseres Daseins abspielt. Und doch sind die Regeln, die das Spiel des Lebens prägen, die gleichen wie bei uns. Das Dorf in Burkina Faso wird zum Mikrokosmos menschlicher Verhaltensweise. Wenn diese Einsicht einsetzt, erhält der Film eine innere Kraft und Spannung, die mitreißt.
Realistisch ist „Yaaba“ dort, wo er die zwischenmenschlichen Beziehungen beschreibt, die Ambivalenz der Charaktere nicht ohne Humor aufschlüsselt, das allzu Menschliche als Ursache für Konflikte mit wachem Sinn analysiert. Das hat ldrissa Ouedraogo interessiert, und daraus ein engagiertes Plädoyer für Liebe und Toleranz im Alltag zu entwickeln, war ihm sichtbares Anliegen. Diesem bat er alles geopfert; leider auch die afrikanische Realität. Sein Weiler ist ein Retortendorf, an dem die Kolonisation ebenso vorbeigegangen zu sein scheint wie die “Errungenschaften“ des industriellen Zeitalters: Nicht das kleinste Stücklein Plastik liegt da herum, geschweige denn ein alter Autopneu oder verrostetes Wellblech. Kein über die Hosen getragenes Hemd ist zu sehen, nur traditionelle Kleider. Dass die Menschen auch arbeiten, wird höchstens andeutungsweise gezeigt. Das gibt dem Film etwas seltsames Zeitloses, Allgemeingültiges, aber es beraubt ihn auch einer für den Alltag Afrikas wichtigen, ja entscheidenden Dimension.

Einsatzmöglichkeiten

Eingesetzt werden kann der Film sowohl bei Kindern ab etwa acht Jahren wie auch bei Erwachsenen. Zu beachten ist allerdings, dass “Yaaba“ aus den zuvor erwähnten Gründen zur Information über die afrikanische Wirklichkeit am Beispiel Burkina Faso nur sehr bedingt verwendbar ist. Zwar gibt es durchaus schöne Verweise etwa auf das Rollenverhalten der Geschlechter. So etwa muss Bila, weil er keine Schwester hat, mit dem Krug zur Wasserstelle. Dass ihm die kleinere Nopoko das Gefäß abnimmt, ist mehr als nur eine freundschaftliche Geste. Sie akzeptiert damit ganz selbstverständlich eine traditionelle Arbeitsteilung und stärkt damit Bilas Selbstbewusstsein. Auch andere Bezüge zur Rollenverteilung vermitteln Anstöße zur Diskussion, sind überdies zum Teil auch dazu geeignet, europäische Klischeevorstellungen abzubauen.
Zweifellos mehr her gibt der Film durch seine Ausleuchtung zwischenmenschlicher Beziehungen. Das Spannungsfeld Eltern - Kinder zieht Ouedraogo mit großer Konsequenz wie einen roten Faden durch das ganze Geschehen und deckt dabei immer neue Nuancen auf. Er stellt sich dabei ganz selbstverständlich auf die Seite des in diesem Falle schwächeren, weil mit entschieden weniger Rechten ausgestatteten Teils. Dabei geht es ihm aber keineswegs um Schuldzuweisung, und Moral wird nie verbal gepredigt, sondern drückt sich etwa im Ausdruck des Erstaunens, der Verwirrung oder Ungläubigkeit in einem Kindergesicht aus.
Sehr zentral steht im Film die Frage nach der Rolle von Außenseitern in der Gesellschaft. Die Ausgestoßene (Sana) und der Verachtete (Noaga, der Trinker), werden einerseits als Opfer der Gesellschaft, in der sie zu leben gezwungen sind, dargestellt, andererseits bereichern sie diese Gesellschaft mit Gaben und Fähigkeiten, über welche die übrigen Dorfbewohner nicht verfügen. Ouedraogos Blick auf die Außenseiter ist mehr als ein Plädoyer für den Abbau von Vorurteilen. Er fordert Toleranz und Liebe als Grundwerte für die Gemeinschaft und er stellt die Frage nach der Notwendigkeit des Andersartigen und Sperrigen in einer durch Regeln fest gefügten Welt als Voraussetzung für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft.
Und nicht zuletzt lässt sich mit diesem Film – auf sehr verschiedenen Stufen – über das Ambivalente im Menschen sprechen. Keiner ist ganz gut, keiner nur böse. Die Kinder verlieren nach und nach die Unschuld, die alte Frau nähert sich ihr vor dem Tode wieder an. Dazwischen sind die Menschen Engel und Teufel zugleich; die einen mehr dies, die andern mehr das, befreit oder gefangen in Vorstellungen, Erlebnissen, Träumen, Gefühlen und Hoffnungen. Gefühle und Hoffnungen: Sie tragen den Menschen durch das Leben bis in den Tod. Nichts zerstört einen Menschen mehr, als wenn er seiner Gefühle und Hoffnungen beraubt wird.

Über den Regisseur

Idrissa Ouedraogo ist am 21. Januar 1954 in Banfora (Burkina Faso) als Sohn eines kleinen Beamten geboren. Während seines Studiums wurde er politisch aktiv und musste ins Gefängnis. Nach der Machtübernahme durch Thomas Sankara, studierte er an der Filmhochschule in Paris. Nach fünf Kurzfilmen (u.a. Poko) drehte Ouedraogo 1985 seinen ersten Spielfilm „Yam Daabo“ (Die Wahl), der nach Cannes eingeladen wurde, was ihm die Möglichkeit zur Realisierung von “Yaaba“ ermöglichte. Weitere Film von ihm sind „Tilai“ (Das Gesetz, 1990) und „A Karina Sala“ (Karim und Sala 1991).

Medienhinweise

DIE STRASSE GEHÖRT UNS
(A Nous La Rue)
Moustapha Dao
Burkina Faso 1987, 15 Min., Dokumentarspielfilm
Bezug: EZEF

TOUKI BOUKI - Die Reise der Hyäne (Le voyage de la hyène)
Djibril Diop Mambety
Senegal 1973, 95 Min., Spielfilm, OmU
Bezug: EZEF

Meisterwerke von Dyibril Diop Mambety
DIE KLEINE VERKÄUFERIN DER SONNE
(La petite vendeuse de soleil)
Senegal, Schweiz, Frankreich 1999, 45 Min., Kurzspielfilm, OmU
DAS LOS (Le Franc)
Senegal, Schweiz, Frankreich 1994, 45 Min., Kurzspielfilm, OmU
Bezug: EZEF

Autor: Urs A. Jaeggi
März 1992

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