Dokumentarfilm von Daniel Kötter
Deutschland 2019, 40 Minuten
Inhalt
Der in vier Kapitel unterteilte mittellange Dokumentarfilm „Chinafrika. mobile“ folgt der „Lebensgeschichte“ von Mobiltelefonen von der Geburt in den Kobaltminen im kongolesischen Kolwezi über die Herstellung in südchinesischen Fabriken der Millionenstädte in Shenzhen und Guangzhou im Perlflussdelta bis zum Gebrauch und ‚Tod‘ auf den Märkten und Recycling-Halden in der nigerianischen Hafenstadt Lagos. Die Handy-Kamera schickt dabei Bilder der Handels- und Gebrauchswege seiner eigenen Herstellung auf das Mobiltelefon-Display der Besucher. Gefilmt wurde von Minenarbeitern, Fabrikangestellten, Händlerinnen und Händlern und Elektroschrott-SammlerInnen an den Originalschauplätzen im Kongo, in China und Nigeria.
Indem der Film die wirtschaftlichen und sozialökonomischen Strukturen und Verflechtungen in einer globalisierten Welt am Beispiel von Mobiltelefonen aufzeigt, schlägt er indirekt auch eine Brücke nach Deutschland und Europa, denn viele der hierzulande verkauften Handys, die längst unseren Alltag prägen, wurden in China hergestellt und werden später als Elektroschrott auch nach Afrika exportiert. Ein Wirtschaftskreislauf auf teils verschlungenen Pfaden, in den wir alle eingebunden sind und der einen besonderen Fokus auf die oft noch wenig bekannten neuen Beziehungen zwischen Afrika und China legt. Diese werden unter dem Stichwort „Chinafrika“ zusammengefasst.
Vom Verständnis her kann der Dokumentarfilm problemlos für sich alleine stehen, obwohl er im Rahmen bzw. als Folge des umfassenden Kultur- und Ausstellungsprojekts „Chinafrika. Under Construction“ zu den kulturellen Effekten der ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen China und dem afrikanischen Kontinent entstanden ist, an dem der Kurator und Urbanist Jochen Becker sowie der Filmemacher und Regisseur Daniel Kötter zwischen 2014 und 2018 arbeiteten und recherchierten.
Würdigung und Kritik
„Chinafrika. mobile“ ist ein Kompilationsfilm mit Bild- und Tonmaterial aus verschiedenen Kontinenten, gedreht von Kameraleuten unter ausschließlichem Einsatz von Mobiltelefonen. Daniel Kötter hat das Material zusammengeschnitten und ihm eine eingängige Struktur verliehen, die wichtige Erkenntnisse und neue Perspektiven gleichermaßen eröffnet, nicht zuletzt auch in Bezug auf unseren eigenen Umgang mit Mobiltelefonen und Elektrotechnik. Darin liegt eine große Stärke des Films. Kinotaugliche Bilder hingegen wird man vergeblich suchen. Lange Einstellungen, in denen der Kommentar beziehungsweise die Aussagen der Interviewpartner weitaus wichtiger sind als die Bildebene, wackelige, zum Teil sogar ruckelige oder unscharfe Bilder aus der Hand heraus aufgenommen, bestimmen das äußere Erscheinungsbild. Filmsprachliche Mittel kommen nur rudimentär zum Einsatz. Davon sollte man sich auf keinen Fall abschrecken lassen, man muss nur wissen, was einen erwartet.
Mit nichtssagender Beliebigkeit hat das nichts zu tun. Der Film weist eine klare Struktur auf und folgt in seiner Dramaturgie einem ästhetischen Konzept, das ganz auf dem Gegenstand beruht, mit dem er auch gefilmt wurde – dem Mobiltelefon, seiner Entwicklung und seiner Geschichte, der gesamten Produktionskette von der Rohstoffgewinnung der seltenen Erze bis zum Recycling. Die vier Kapitel des Films spiegeln zugleich den technologischen Fortschritt wider. Das erste Kapitel weist im Vergleich zu den anderen die schlechteste Bildqualität auf, sowohl in der Auflösung als auch in seiner Gestaltung. In der illegal betriebenen Kobaltmine ist ohnehin kaum Platz, eine Stirnlampe beleuchtet die klaustrophobische Szenerie. Und wenn im Anschluss an diese Sequenz der Beifahrer eines Motorrads über die Schultern des Fahrers hinweg aus freier Hand mit dem Handy die Fahrt entlang der Abraumhalden bis hin zu einer riesigen, kommerziell betriebenen Kobaltmine filmt, ist im Licht der untergehenden Sonne oft nicht viel mehr als eine ungeteerte, von Steinen übersäte Straße zu erkennen. Die Aufnahmen aus den südchinesischen Produktions- und Markthallen für Mobiltelefone im zweiten Kapitel wirken trotz der ständigen Bewegung des Kameramanns schon deutlicher ruhiger, wobei die leichte Zeitlupe und die abgehackt wirkenden Bildfolgen an eine schlechte Videoübertragung aus dem Internet denken lassen. Einen deutlichen Qualitätssprung nach oben markieren die Handyaufnahmen vom Straßenmarkt im nigerianischen Lagos. Trotz des sich in Bewegung befindlichen Kameramanns, der einem Händler durch die Straßen folgt, wirken die Aufnahmen so ruhig, dass sie mit Hilfe einer stabilisierenden Aufnahmevorrichtung oder einer einfachen Steadycam gedreht sein müssen. Nah- und Detailaufnahmen neben Halbtotalen zum Überblick lockern den visuellen Erzählfluss auf und sind gut erkennbar. Visuell und technisch fast schon ausgereift wirkt das vierte und letzte Kapitel. Auch hier folgt die Handykamera einem Geschäftsmann, der als Schrotthändler von seinen Erfahrungen berichtet, in einem Markt. Die insgesamt ruhigen und nicht mehr verwackelten Einstellungen und Nahaufnahmen sind technisch so gut, dass die Bilder bereits für sich sprechen und am Ende sogar minutenlang keinen Kommentar mehr benötigen.
Themen und Hintergrundinformationen
Textlich gekennzeichnet sind die vier Kapitel lediglich mit genauen Ortsangaben. Thematisch legen sie den Fokus auf exemplarisch ausgewählte Probleme und Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Lebensweg von Mobiltelefonen. Einen Anspruch auf umfassende Berücksichtigung aller möglichen Aspekte kann und will der Film allein schon seiner kurzen Länge wegen nicht leisten. Der Film greift die Gewinnung von Kobalt in der DR Kongo heraus, obwohl jedes Handy zahlreiche weitere Edelmetalle und seltene Erden enthält, die dort ebenfalls abgebaut und nach China verkauft werden, wie insbesondere Coltanerze, aus denen Tantal entsteht, das vor allem für Halbleiter benötigt wird. Kobalt wiederum findet nicht nur in Mobiltelefonen Verwendung, sondern auch in anderen Produkten und in ungleich größeren Mengen in Batterien für Elektroautos. Nahezu vollständig ausgeblendet ist im Film etwa das Problem der Kinderarbeit in den Minen oder die Umweltbelastung durch Schwermetalle bei der Erzgewinnung und beim Recycling.
Kapitel 1: Ausbeutung oder Wirtschaftshilfe?
Das erste Kapitel führt in die Nähe der Stadt Kolwezi (454.000 Einwohner) im Süden der Demokratischen Republik (DR) Kongo. Dort befinden sich neben Sambia die weltweit wichtigsten Abbaugebiete von Coltanerzen und vor allem Kobalt, einem seltenen Element, das als wärmefester Legierungsbestandteil auch Verwendung in Smartphones und in Akkumulatoren findet. Die weltweit bekannten Kobalt-Reserven betragen nur etwa 25 Millionen Tonnen, darunter knapp die Hälfte in der DR Kongo. Weitere 120 Millionen Tonnen werden in der Erdkruste auf den Böden der großen Ozeane vermutet.
Derzeit werden über 60 Prozent des weltweiten Bedarfs an Kobalt in der DR Kongo abgebaut. Diese ist hervorgegangen aus der ehemaligen Kolonie Belgisch-Kongo und wurde von 1971 bis 1997 als Zaire bezeichnet. Gelegen im vom Äquator durchzogenen Zentralafrika ist die DR Kongo nach Algerien flächenmäßig der zweitgrößte Staat in ganz Afrika. Mit seinen etwa 80 Mio. Einwohnern ist er 6,6 mal so groß wie Deutschland. Obwohl er zu den rohstoffreichsten der ganzen Welt zählt, ist er nach jahrzehntelanger Misswirtschaft, Korruption und Bürgerkriegen, die durch den Verkauf an Bodenschätzen ins Ausland auch von westlichen Staaten „mitfinanziert“ wurden, einer der ärmsten Staaten. Den Angaben der Weltbank zufolge lebten 2012 noch 77,1 Prozent der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar pro Tag und damit in absoluter Armut und nur wenige Menschen stehen in festen Arbeitsverhältnissen. Von der gestiegenen Kobalt-Nachfrage profitiert nur eine Minderheit, die großen Gewinne machen asiatische, europäische und amerikanische Konzerne.
Nicht zuletzt, um sich den rasant steigenden Bedarf an Bodenschätzen zu sichern, schloss die Volksrepublik China bereits 2007 mit der DR Kongo ein Abkommen ab, auf dessen Grundlage ein später aufgestocktes Darlehen von 5 Mrd. US-Dollar für Infrastrukturbauten und Rohstofferkundungen gewährt wurde. Und im Dezember 2017 versprach der chinesische Präsident Xi Jinping den afrikanischen Ländern insgesamt sogar Investitionen von 60 Milliarden Dollar in den nächsten drei Jahren – eine höchst umstrittene Angelegenheit. Einerseits verbessert diese Finanzspritze tatsächlich die Infrastruktur der Länder und treibt die Entwicklung Afrikas voran, weshalb vor allem die Bildungselite überwiegend positiv gegenüber China eingestellt ist. Andererseits könnten die afrikanischen Länder in eine neue Schuldenfalle geraten. China erhöht damit seinen politischen Einfluss in Afrika, sichert sich auf lange Sicht den Zugriff auf wichtige Rohstoffe und überschwemmt mit Billigware den afrikanischen Markt. Allein in der DR Kongo wurden bisher 2,8 Mio. Hektar Land gepachtet. Trotz gegenteiliger Beteuerungen spielt das Thema Umweltschutz für China aber keine Rolle und auch bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimes ist man bisher alles andere als zimperlich. Chinesische Unternehmen kaufen Kobalt im großen Stil und bringen es nach China, um es dort in Raffinerien zu Kobaltsulfat zu verarbeiten. In einem Spiegel-Interview (s.u. Links) berichtet Philip Schütte von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR): „Der Großteil des kongolesischen Kobalts wird im industriellen Bergbau gewonnen. Das läuft über verschiedene große internationale Unternehmen, die sich in der Regel an weltweit geltende Vorschriften halten. Etwa 10 bis 20 Prozent entfallen aber auch auf Kleinbergbau. Und das kann massive Probleme bringen. Zum größten Teil findet der Kleinbergbau illegal statt, zum Teil auch auf den Gebieten der industriellen Minen. Die Bergleute schürfen unter extrem unsicheren Bedingungen. Da werden tiefe Stollen gegraben, die Einsturzgefahr ist hoch. Häufig sterben Menschen. Außerdem werden die Bergleute in den illegalen Minen schlecht bezahlt, oft weit unter dem Mindestlohn. Der liegt in der DR Kongo ohnehin nur bei etwa vier Dollar pro Tag. Die Bergleute werden von Zwischenhändlern ausgenutzt. Das sind oft Chinesen, Inder oder Libanesen.“
Marcel Kapepe ist einer dieser Bergleute im Kleinbergbau, der täglich sein Leben riskiert. Im Film berichtet er: „Ich verkaufe mein Kobalt bei den Chinesen. Einige in Kolwezi sagen, dass die Chinesen willkommen sind, denn wenn niemand kauft, stürzt die Stadt in eine Krise. Es gibt kaum alternative Arbeit für uns, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Insofern haben die chinesischen Firmen ihr Gutes. Andere wiederum sagen: Das sind Diebe, die uns bestehlen. Weil sie hier unsere Bodenschätze billig kaufen. Und da drüben verkaufen sie es zu hohen Preisen und bereichern sich dort. Über das Kobalt wissen wir nur, was uns die Weißen erzählen. Das wird aus euren Erzen, aus Kobalt hergestellt. Keine Ahnung, wohin das Kobalt geht und was man damit macht. Die großen Nationen kommen, um das hier auszubeuten. Aber keine Ahnung, was sie damit machen.“
Die Frage, ob der chinesische Einfluss in Afrika eher Fluch oder Segen für den Kontinent ist, beantwortet der Film nicht. Er verharrt aber auch nicht bei einer Zustandsbeschreibung des Überlebenskampfes der armen Bevölkerung, sondern fordert das Publikum im Angesicht der riesigen Wunden des kommerziell betriebenen Bergbaus in der Landschaft in einem Off-Kommentar dazu auf, sich selbst Gedanken darüber zu machen, was anders und vielleicht besser laufen könnte: „Warum nimmt der Kongo nicht teil am Produktionsprozess von Mobiltelefonen? Auch bei Elektroautos könnte der Kongo eine Rolle spielen. Warum überlegt niemand, die Herstellung von Elektroautos in den Kongo zu verlegen, anstatt immer nur über den Export von Rohstoffen nachzudenken? Rohstoffe, an denen Blut klebt! Um den Krieg im Ostkongo zu beenden, könnte man dort eine Batterie-Fabrik aufbauen. Es ist möglich, hier Fabriken aufzubauen, in denen man unsere Erze umwandelt. Man könnte an Handy-Fabriken verkaufen, egal ob die nun in China oder woanders sind. Produkte statt Erze zu verkaufen, um in die Herstellung von Mobiltelefonen zu intervenieren. Das beste Mittel, all diese Kriege zu beenden, ist Fabriken zu bauen, die Rohstoffe verarbeiten. In Produkte, die Teil der Handy-Produktion sein können. Oder auch Teile von Elektroautos. Wir müssen dahin kommen, selber Batterien zu produzieren. Alle Rohstoffe, die man dafür braucht, sind hier im Kongo. Das ist gar nicht so schwer, das ist eher eine Frage des Engagements und die Frage nach einer Vision für das Land.“
Kapitel 2: Aufgemöbelte Handys aus China für Afrika
Kapitel 2 führt in zwei südchinesische Millionenstädte, nach Shenzhen und Guangzhou im Perlfluss-Delta nördlich von Hongkong, mit einem der weltweit größten zusammenhängen-den Stadtlandschaften und über 60 Mio. Einwohnern insgesamt. Hier ist exemplarisch zu sehen, wie die chinesisch-afrikanischen Beziehungen der Volksrepublik China aus eigener Sicht die Entwicklung der lokalen Wirtschaft vorangebracht haben und welche Rolle der Produktion von Mobiltelefonen zufällt. Shenzhen ist eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt, während die Region um Guangzhou als „Fabrik der Welt“ bezeichnet wird.
Ein Chinese, der mit seinem Handy durch die Produktionshallen einer großen Fabrik für Smartphones führt, ist stolz auf das bisher Erreichte. Schließlich hätten die Chinesen „viel zu lange unter der Armut gelitten.“ Vor allem die Smartphones haben 2009 Shengzhen grundlegend verändert. Zu Beginn des Booms auf dem Markt der Telekommunikation und der Unterhaltungsindustrie vor etwa 30 Jahren mit DVDs und CDs fehlte den Chinesen noch die Kreativität im Design der Hardware, die offenbar von den Europäern „abgeschaut“ worden ist. Sein Urteil heute fällt für die Europäer dagegen vernichtend aus: „Europäer designen Stühle und Tische. Einfaches Handwerk … Das Design der nächsten Generation kommt aus China.“ Es scheint fast so, als hätten die Europäer den Anschluss für den „größten Markt der Zukunft“ verpasst, zumindest im Bereich der Batterie-Technologie. Vor diesem Hintergrund sind wohl auch die Bemühungen zu verstehen, Deutschland wieder unabhängiger von Importen aus der VR China zu machen und in eigene Technologien und Produktionsstätten zu investieren.
Der chinesische Interviewpartner im Film sieht bei dieser rasanten Entwicklung drei Entwicklungsphasen: „Am Anfang stand die soziale Ökonomie. Das bedeutete materiellen Mangel. Egal was man produzierte, es wurde gebraucht. Design spielte dabei keine Rolle. Jetzt sind wir in der zweiten Phase. Deine Produkte müssen besser sein als andere, internationaler Standard. Du musst so gut sein, das Leute es wollen, wie bei Apple. Auf der dritten Stufe wird es zukünftig um ‘individuelle Ökonomieʼ gehen. Die aktuelle zweite Stufe nennen wir ‘Qualitäts-Ökonomieʼ. In Phase drei wird es um Big Data, zielgenaues Marketing und Industrie 4.0 gehen.“
Welche Rolle bei der gegenwärtigen Entwicklungsphase zwei der afrikanische Markt spielt und dass es dabei keineswegs nur um Qualität geht, erläutert der aus Nigeria stammende Ozuma im Dshatou-Markt von Guangzhou. Viele seiner Landsleute besuchen diesen Elektronikmarkt, um im großen Stil „aufgemöbelte Telefone“ aufzukaufen, so nennt man Telefone mit alten Panels und neuen Gehäusen. Jedes dieser Mobiltelefone muss von den Käufern einzeln getestet werden, um sicherzustellen, dass sie auch funktionieren. Die Wahrscheinlichkeit, beim Kauf betrogen zu werden, ist offenbar so hoch, dass jeder Afrikaner die Ware kontrolliert und genau nachzählt. Und es gibt noch ein anderes Problem: „Die Chinesen sind total empfindlich mit Fotos oder Video in ihrem Markt. Weil alles, was in diesem Markt verkauft wird, sind Kopien.“
Kapitel 3: „Teilen macht Spaß!“
Allein schon aufgrund begrenzter Rohstoffreserven macht es Sinn, gebrauchte Handys nicht wegzuwerfen, sondern möglichst lange weiter zu nutzen. In Kapitel 3 ist zu sehen, dass die Afrikaner bei dieser Form der Weiterverwertung keinesfalls nur die Betrogenen sind, weil viele der aus China importierten Geräte keine Garantie haben und nicht reklamiert werden können. Das Ikeja Computer Village im nigerianischen Bundesstaat Lagos ist der größte Markt für Informations- und Kommunikationstechnologie (ITC) in ganz Afrika. Auf diesem Markt werden elektronische Geräte verkauft und repariert, wie Anaheche berichtet, der dort einen Laden betreibt und die Vorteile der billigen Importgeräte hervorhebt. „Wenn die chinesischen Handy-Marken nach Nigeria kommen, helfen sie dem Mittelstand und den Armen. Die Armen können sich jetzt Handys leisten. Als es noch keine Tecno- und Infinix-Handys auf dem Markt gab, gab es so viele, die sich kein Handy leisten konnten. Aber jetzt können sie sich sogar ein Android Handy kaufen. Nicht jeder kann sich eben Samsung, iphone oder HTC leisten.“ Die leichte Verfügbarkeit und große Verbreitung von Mobiltelefonen kommt offensichtlich auch den Afrikanern zugute: „… ehrlich gesagt hat es unser Leben extrem verbessert. Informationen sind leichter und schneller zugänglich. Es hat all den Papierkram reduziert und auch das Gewicht, das wir mit uns rumtragen (…) Afrika hat sich gewandelt, wie man es nie erwartet hätte. So wie sich andere Teile der Welt entwickeln, allmählich wird all das auch nach Afrika kommen. Ihr könnt Technologie nicht auf ewig für euch behalten. Teilen macht Spaß! Und Teilen bringt Geld!“
Kapitel 4: Dematerialisierung als Zukunftsperspektive
Was im ersten Kapitel noch als Vision und als eine mögliche Alternative zur gängigen Praxis der Rohstoffausbeutung anklang und im dritten Kapitel durch die Verbreitung und den technologischen Fortschritt von Mobiltelefonen inzwischen auch den Alltag in Afrika bestimmt und verändert, bringt einen von der Weltöffentlichkeit noch kaum wahrgenommenen Nischenmarkt in Schwung, dem trotz der Risiken insbesondere für die Umwelt eine gute Zukunftsperspektive eingeräumt wird. Davon handelt das vierte und letzte Kapitel des Films, in dem der studierte Computerwissenschaftler Anthony, genannt Tony Schrott, den Owode Onirin Markt in Lagos aufsucht, einen riesigen Markt im Norden der Stadt unweit der Schnellstraße A1. Auf diesem Markt wird mit Metallwaren aller Art gehandelt, vom Schrottauto über Eisen- und Kupferdrähte bis hin zu Platinen aus nicht mehr verwendbaren alten Computern und Mobiltelefonen, die aber wertvolle Rohstoffe enthalten. Anthony ist als Schrotthändler seit mehr als zehn Jahren tätig, denn „Schrott wird mehr und mehr zu einer Ware, mit der sich gute Geschäfte machen lassen! Es ist ein Geschäft, das nur schwerlich aussterben wird. Neue Sachen werden produziert; diese neuen Sachen altern und kommen irgendwann ans Ende ihres Lebenszyklus.“
Während man sich in vielen westlichen Industrienationen immer noch den Kopf darüber zerbricht, wie man den häufig mit giftigen Schwermetallen belasteten Elektroschrott von Millionen von Tonnen jährlich am besten „los wird“ und ihn – nicht immer legal – in die sogenannten Schwellenländer in Afrika und Asien exportiert, hat man in Nigeria die Zeichen der Zeit erkannt. Anthony beschreibt das genauer: „Es gibt etwas, das wir Dematerialisierung nennen. Die Idee dahinter ist: Beziehe dein Material nicht von den Rohstoffen, sondern von Fertigprodukten, die jetzt Schrott sind. Man braucht z.B. Kupfer, Gold, und bezieht es von Fertigprodukten. Man ist weniger abhängig vom Material, wenn man es z.B. von Platinen extrahieren kann. Telefon-Panel zum Beispiel sind aus Hartplastik. Mit draufgelöteten Gold- und Kupfer-Komponenten für die Schaltkreise. Sobald das zu Müll geworden ist, extrahiert man die Komponenten. Das macht es einfacher für die Neuproduktion. Anstatt danach zu suchen, wie man das Zeug los wird, bezahlen wir lieber dafür, um es zu bekommen. Auf diese Weise behalten die Leute das Zeug und suchen nach Käufern.“
Eine Geschäftsidee, die bald auch hierzulande im größeren Stil Schule machen wird, zumal es in Deutschland bereits erfolgreiche Initiativen gibt, wie „Die Handy Aktion“, die es mittlerweile in mehreren Bundesländern gibt und die in Baden-Württemberg auch mit der deutschen Telekom kooperiert. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass viele Rohstoffe begrenzt sind, von fremden Märkten und deren politischen Systemen abhängig machen, durch den Ankauf korrupte Staaten und Bürgerkriege mitfinanzieren, beim Abbau häufig zu irreparablen Schäden in der Natur und beim Menschen führen. Ein konsequentes Recycling des Elektroschrotts reduziert diese Gefahren wenigstens teilweise und schont obendrein die Umwelt und das Klima. Wenn die Handykamera am Ende minutenlang in Nahaufnahme darauf verharrt, wie mit einem großen umgedrehten Schraubenzieher in Handarbeit alte Mobiltelefone serienweise aufgeschlagen werden, um das wertvolle Material aus dem Inneren für die Wiederverwertung zu gewinnen, entsteht ein optimistischer Eindruck, der hoffnungsvoll für die Zukunft stimmt. Schließlich werden auf diese Weise Arbeitsplätze geschaffen, von deren Einkommen auch eine Familie leben kann. Ganz verdrängen lassen sich die Bilder von Schauplätzen, etwa in Ghana und anderswo auf der Welt aber nicht. Diese zeigen, wie Elektroschrott auf offenen Halden verbrannt wird, um an die wertvollen Metalle zu kommen. Dabei entweichen hochgiftige Stoffe (s.u. den Hinweis auf die Themen-DVD „Digitial – Mobil – und fair?“). Die Idee der Dematerialisierung ist daher faszinierend – doch diese Dematerialisierung sollte auch den Erfordernissen des Umweltschutzes und der Gesundheit genügen. Und noch ist nicht abzusehen, was passiert, wenn etwa die Europäer diese Idee im industriellen Stil selbst in die Praxis umsetzen, die Marktstrategien der Chinesen nicht aufgehen und das „Teilen“ den Menschen in Afrika nicht den erhofften Gewinn und eine bessere Zukunft bringen sollte.
Didaktische Hinweise
Der Film lässt sich in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit schon ab 12, besser ab 14 Jahren gut einsetzen, selbstverständlich auch in der Erwachsenenbildung mit ökologischen, ökonomischen und ethischen Anknüpfungspunkten. Die Stärke des Dokumentarfilms liegt nicht im visuellen Bereich oder darin, Gefühle durch besonders ansprechende Bilder zu mobilisieren. Er bietet auch keine faszinierenden oder gar charismatische ProtagonistInnen auf, die Bewunderung hervorrufen oder mit denen man sich gerne identifizieren würde. All dies sollte bei der Wahl der Zielgruppe berücksichtigt und nach Möglichkeit bereits im Vorfeld geklärt werden, etwa durch Hinweise oder durch gute Vorbereitung auf den Themenbereich. Die große Stärke des Films liegt vielmehr in den auf das Wesentliche konzentrierten Informationen über den Lebensweg von Smartphones, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind und von denen allein im Jahr 2019 weltweit 1,37 Milliarden verkauft wurden. Hier gelingt es dem Film, neue Perspektiven aufzuzeigen und das Publikum zu eigenem Handeln im persönlichen Lebensumfeld anzuregen. Und das, obwohl es vorrangig um Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Afrika und die Zukunft dieses Kontinents geht. Kein Mensch hierzulande kann die Weltwirtschaft oder ein politisches System unmittelbar beeinflussen und kaum jemand kann das Schicksal eines Bergarbeiters und seiner Familie in Afrika von Grund auf verändern. Dennoch tragen wir als Nutznießer der weltweiten Verfügbarkeit von Waren und Elektronikprodukten, wie dem Smartphone, alle eine Mitverantwortung, der wir uns nicht einfach entziehen dürfen. Auf relativ einfache Weise können wir handeln und durch unser Verbraucherverhalten zu einer Veränderung beitragen.
Die Verbraucherzentrale NRW beispielsweise gibt auf einer Website konkrete Tipps, was jeder einzelne gegen die Ausbeutung beim Kobalt-Abbau und gegen die Verschwendung von Rohstoffen tun kann. Sie sind hier zitiert, wobei es aus didaktischer Sicht natürlich nachhaltiger ist, diese Punkte gemeinsam in einer Diskussion über den Film zu erarbeiten und die Liste vielleicht sogar um weitere Punkte zu ergänzen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die sogenannten Repair-Cafés, die es mittlerweile in vielen Städten gibt (Hinweise dazu bei den Links).
„Um möglichst wenig Kobalt und andere kritische Rohstoffe zu verwenden, kannst du als Verbraucher einiges tun:
- Verwende dein Smartphone und andere Geräte so lange wie möglich. Es ist nachhaltiger, sie reparieren zu lassen, anstatt sie zu ersetzen.
- Totalschaden? Du kannst dein Handy recyclen lassen, statt in den Müll zu werfen. So lassen sich einige der wertvollen Rohstoffe zurückgewinnen und wiederverwerten.
- Gebraucht statt neu: Bei vielen Anbietern bekommst du gute gebrauchte Handys. Es muss also nicht immer ein neues Smartphone sein, für das weitere Konfliktrohstoffe abgebaut werden.“
Bei den ZuschauerInnen stellt sich so die Frage nach individuellen Handlungsmöglichkeiten, bei einem bereits einschlägig vorgebildeten oder erwachsenen Publikum wird sich die Frage nach der persönlichen Mitverantwortung in Bezug auf den Umgang mit Smartphones schnell erweitern auf grundsätzliche Fragestellungen in Bezug auf die Zukunft des afrikanischen Kontinents. Dies betrifft sowohl die vielfältigen und häufig sehr ambivalent beurteilten Beziehungen zwischen Afrika und China aber auch die Rolle Europas in diesem globalen Ränke- und Mächtespiel.
Obwohl schon mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass der Film in visueller Hinsicht weniger ergiebig ist, schließt das einen Zugang zu den angesprochenen Aspekten anhand von Screenshots sowie Beobachtungs- und Wahrnehmungsaufgaben nicht aus. In einem solchen Fall ist unbedingt zu beachten, dass immer nur die subjektive Ebene zählt, die sich weder eindeutig verifizieren noch falsifizieren lässt.
Links- und Literaturhinweise
- Tom Burgis: Der Fluch des Reichtums – Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas, Westend, Frankfurt 2016
- Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau: Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren, Karl Blessing Verlag 2015
- Internet-Artikel von earthlink e.V. vom 14.3.2019
www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/tag/kobalt/ - Dossier der bpb zu Innerstaatlichen Konflikten, u. a. mit Rohstoffkarte der DR Kongo (2017)
www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54628/kongo - Artikel in der Neue Zürcher Zeitung vom 8.9.2018
www.nzz.ch/wirtschaft/eine-hoffnungsvolle-aber-gefaehrliche-liaison-ld.1418336 - Spiegel-Artikel vom 17.10.2019
www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kobalt-aus-dem-kongo-hier-sterben-menschen-fuer-unsere-e-autos-a-1291533.html - Spiegel-Artikel vom 9.9.2018
www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/china-was-hinter-den-milliardeninvestitionen-in-afrika-steckt-a-1227044.html - Artikel der taz zum Abbau von Coltan vom 12.11.2018
https://taz.de/Coltanabbau-im-Kongo/!5547168/ - Artikel der Verbraucherzentrale NRW vom 26.6.2018 zum Rohstoffabbau
https://www.verbraucherzentrale.nrw/wissen/umwelt-haushalt/nachhaltigkeit/rohstoffabbau-schadet-umwelt-und-menschen-11537
Website des Regisseurs Daniel Kötter:
http://www.danielkoetter.de/
Unterrichtsmaterialien zum Thema:
- Download der Broschüre „Folgen der Globalisierung am Beispiel Handy“: https://germanwatch.org/2573
- Unterrichtseinheit „Wie fair ist dein Handy?“ für Sekundarstufe, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.
www.umwelt-im-unterricht.de/unterrichtsvorschlaege/wie-fair-ist-dein-handy/ - Mobile Kommunikation - Umweltbewusst handeln: Mobilfunk im Unterricht; Materialien für Lehrkräfte Klassen 5 - 8. Portal Globales Lernen (Hrsg.), Informationszentrum Mobilfunk 2014.
www.globaleslernen.de/de/bildungsmaterialien/alle/unterrichtsmaterial-mobile-kommunikation-umweltbewusst-handeln - Handy | IT. Bildungsmaterial für die Klasse 7/8 (Gesellschaftslehre). Welthaus Bielefeld (Hrsg.) 2012.
www.welthaus.de/fileadmin/user_upload/Bildung/Unterrichtsmaterialien_Handy_IT.pdf
Aktionen:
- Handy-Aktion. Aktion zum Recycling von gebrauchten Mobiltelefonen; auch hier gibt es viele Materialhinweise: www.handy-aktion.de
Englischsprachige Homepage zur Rohstoff-Thematik:
https://goodelectronics.org/ - Faires Smartphone und Reparatur:
www.fairphone.com/de - https://eustore.ifixit.com/kreislauf/
- www.verbraucherzentrale.de/wissen/umwelt-haushalt/nachhaltigkeit/repaircafes-8208
Film- und Medienhinweise
Digital - Mobil - und fair? – Filme zum Thema
Themen-DVD mit fünf Dokumentarfilmen und Magazinbeiträgen
Deutschland 2015, Gesamtlaufzeit ca. 80 Min.
Bezug DVD: EZEF
Gold über alles (Tout l'or du monde)
Regie: Robert Nugent
Frankreich, Australien 2007, Dokumentarfilm, 52 Min.
Bezug DVD: EZEF
Death by Design - Die dunkle Seite der IT-Industrie
Regie: Sue Williams
USA 2015, Dokumentarfilm, 73 Min.
Bezug DVD: EZEF
Der Preis der Schulden - Die neue Abhängigkeit Afrikas
Regie: Jean-Pierre Carlon
Mali, Kongo, Frankreich 2010, Dokumentarfilm, 30 Min.
Bezug DVD: EZEF
https://www.bpb.de/mediathek/303116/chinafrika
12-minütiger Film aus dem Jahr 2018, produziert von Arte France, erhältlich in der Reihe „Mit offenen Karten“ der Bundeszentrale für politische Bildung
Der Film ist Teil der Themen-DVD: AFRIKA_DIGITAL.2 mit folgenden Filmen:
Digital Afrika - Ein Kontinent erfindet sich neu
Zombies
Algo-Rhythm
Chinafrika.mobile - Mobiltelefon auf dem Weg durch drei Kontinente
Autor der Arbeitshilfe: Holger Twele
Redaktion: Bernd Wolpert
03/2020