The Imam & the Pastor
Dokumentarfilm von Alan Channer, Nigeria, Großbritannien 2006, 45 Min. OmU
Kurzbeschreibung
Die spannungsreichen Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Nigeria werden in dieser Dokumentation mit den Lebensgeschichten von zwei Geistlichen verknüpft. Imam Muhammad Ashafa und der evangelische Pastor James Wuye leben in der Provinzhauptstadt Kaduna im Norden des westafrikanischen Landes. In dieser konfliktträchtigen Region spielt die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Religionsgruppen oft eine große Rolle bei der Eskalation lokaler Auseinandersetzungen. Auch die beiden Geistlichen waren einst erbitterte Feinde, weil sie ihren Glauben stets von „den Anderen“ bedroht sahen und bereit waren, ihn auch gewaltsam „zu schützen“.
Eindringlich berichten beide in dem Film, wie sie zunächst den persönlichen Hass aufeinander und ihre Rachegelüste überwunden haben und inzwischen gemeinsam eine Organisation leiten, die Konflikte zwischen christlichen und muslimischen Gruppen schlichtet. Das Filmteam begleitet den Alltag und die Arbeit der beiden Männer und macht deren Botschaft an ihre Landsleute, aber auch an die Betrachter des Films deutlich: Friedliche Koexistenz zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen ist dann möglich, wenn sie sich gegenseitig kennen lernen, zu Dialog und Kooperation bereit sind und aus ihrem Glauben heraus entdecken, dass es gemeinsame Vorstellungen zur Achtung des Lebens und zum Wert friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens gibt.
Inhaltsangabe
Mit einem Kameraschwenk über ein Massengrab in der Kleinstadt Yelwa Shandam (Bundesstaat Plateau) beginnt der Film. Im Mai 2004 hatten dort 630 Frauen und Männer ihr Leben verloren, nachdem es zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gekommen war. Geschäfte und Privathäuser, Kirchen und Moscheen waren niedergebrannt worden und viele Familien aus Angst vor weiterer Verfolgung zu Verwandten in andere Teile Nigerias geflohen.
Der Zuschauer erfährt noch mehr: Yelwa Shandam war und ist kein Einzelfall im bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Seit Ende der 70-er Jahre hat es in Nigeria blutige und grausame Zusammenstöße insbesondere in den Regionen des Landes gegeben, wo verschiedene Ethnien und Religionsgruppen zusammenleben. Religiöser Extremismus, so erklärt der Sprecher im Film, hat Spannungen verschärft, die ihren Ursprung im wirtschaftlichen Niedergang und in politischen Konflikten gehabt haben.
In Yelwa Shandam, so erfährt der Zuschauer im letzten der drei Teile des Films, hat es erst ein Jahr nach den Unruhen ein großes Versöhnungsfest gegeben. Maßgeblichen Anteil an der Aussöhnung zwischen den dortigen Konfliktparteien hatten die beiden Geistlichen aus dem benachbarten Bundesstaat Kaduna, die im Mittelpunkt der Dokumentation stehen. Über ihre Lebensgeschichten wird im ersten Drittel des Films berichtet; der zweite Teil widmet sich dem von ihnen gegründeten „Interfaith Mediation Centre“ (Religionsübergreifendes Zentrum für Konfliktschlichtung).
Imam Mohammad Ashafa stammt aus einer Familie, die sich der nord-nigerianischen Tradition des Islams tief verbunden fühlt. Wie er selbst, waren auch andere Angehörige seines Clans bereits theologische Gelehrte. Die Familie ist stolz darauf, dass sie sich seit der britischen Kolonisierung (Anfang des 20. Jahrhunderts) gegen westlich-christlichen Einfluss gewehrt hat. Sie betont ihre Kenntnis der arabischen Sprache, die ihr die Möglichkeit gebe, den Koran direkt zu verstehen und dessen göttliche Offenbarung zu erfahren. Da im Verständnis vieler nigerianischer Muslime alles Wissenswerte im Koran zu finden ist, wundert es nicht, dass Ashafa seine Distanz zum öffentlichen Bildungssystem erwähnt und dieses auch 46 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch als Produkt westlichen Kolonialismus und christlicher Missionsschulen empfindet. Den Islam für alle Lebensbereiche zeitgemäß zu interpretieren und seine Bedeutung („Herrlichkeit“) wieder herzustellen, sieht der Imam als seine persönliche Aufgabe.
James Movel Wuye - die zweite Hauptfigur der Dokumentation - ist Pastor einer evangelischen Kirchengemeinde. Während einer Predigt, die er als Jugendlicher hörte, hat er sich direkt von Gott angesprochen gefühlt und sich seitdem in der Kirche engagiert. Mit vielen anderen nigerianischen Christen teilt er die Überzeugung, dass der Glaube an Gott und die Botschaft Jesu den Menschen unmittelbar den Weg zum Himmel öffnet und dass aktive Glaubensverkündigung und die Bereitschaft zur Missionierung zusammengehören. Früh ist er einem christlichen Jugendverband (Christian Youth Association of Nigeria) beigetreten, der zu seinen Aufgaben auch zählte, den Glauben der christlichen Minderheit in Kaduna gegen die muslimische Mehrheit zu schützen.
1992 standen sich James Wuye, damals Teil einer Miliz der jungen Christen, und der einer islamischen Jugendorganisation angehörende Muhammad Ashafa erstmals als Feinde gegenüber. Vorausgegangen war diesem Zusammentreffen ein Konflikt auf einem Markt, der traditionell von Angehörigen der im Norden seit fast 200 Jahren politisch und ökonomisch dominanten Haussa-Fulani-Ethnie kontrolliert wurde. Zunehmend war der Markt auch von Nicht-Haussa mit ihren Produkten beschickt worden und die Konkurrenz untereinander so gewachsen, dass die alten Händler die Neuankömmlinge vertrieben.
Da die Haussa-Fulani überwiegend Muslime sind, während viele ethnische Minderheiten sich zum Christentum bekennen, wurde die Vertreibung der Nicht-Haussa vom Markt als Affront der Muslime gegen die Christen verstanden. Es kam zu massiver Gewalt zwischen den beiden lokalen Religionsgruppen, die sich rasch regional ausbreitete und auch die Provinzhauptstadt Kaduna einschloss. Fast drei Jahre lang kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, die Tote, Zerstörungen, Leid und wachsenden Hass zur Folge hatten. Die beiden Jugendgruppen, zu denen Ashafa und Wuye gehörten, waren Teil dieser Konfrontation. Mohammad Ashafa verlor in dieser Zeit zwei seiner Vettern und auch seinen theologischen Lehrer; eine Hand von James Wuye musste nach einem Kampf mit einer islamischen Miliz amputiert werden.
Es war der heutige Imam, der schließlich die Initiative zur Überwindung des Kreislaufs von Gewalt und Gegengewalt ergriff. Im Film erzählen die beiden, wie sich erste friedliche Kontakte zwischen ihnen ergaben, Angst und Misstrauen langsam wich, sich Vertrauen in das Gegenüber aufbaute und schließlich sogar gegenseitige Besuche in der Moschee und in der Kirche möglich wurden. Die persönliche Veränderung, die beide durchlebten und die sie über Vergebung zur Aussöhnung führte, wurde in ihren Glaubensgemeinschaften nicht nur positiv gesehen. Kontroversen entstanden und beide fühlten einen enormen Druck, sich für den Wandel in ihren Einstellungen und in ihrem Handeln rechtfertigen zu müssen. Intensiv begannen sie, sich aus ihrem Glauben heraus mit den Fragen von Hass und Liebe, von Gewalt und Frieden zu befassen. Überzeugt von der Notwendigkeit, Probleme friedlich lösen zu müssen, und dass der Respekt für unterschiedliche Glaubenstraditionen dazu eine Voraussetzung sind, begannen der Imam und der Pastor, häufiger in Konflikten zwischen Christen und Muslimen zu vermitteln.
Als es 2001 erneut zu gewaltsamen inter-ethnischen und inter-religiösen Zusammenstößen in Kaduna kam, gründeten sie mit anderen Geistlichen beider Religionen das „Interfaith Mediation Centre“ (Religionsübergreifendes Zentrum für Konfliktschlichtung). Nach einem monatelangen Prozess der Vertrauensbildung und Konfliktbearbeitung gelang es ihnen und weiteren christlichen und muslimischen Geistlichen und Vertretern der Regionalregierung die Situation zu entspannen und im August 2002 eine Friedenserklärung zu verkünden, die seither in Nigeria als modellhaft gilt (Kaduna Peace Declaration of Religious Leaders).
Teams des Interfaith Mediation Centre werden seitdem immer wieder zur Vermittlung in Konflikten gerufen oder führen Seminare für religiöse Führer, die Leitungen von Gemeinwesenorganisationen und auch für staatliche Stellen durch. Im zweiten Teil der Dokumentation beobachtet das Film-Team Ashafa und Wuye bei dieser Arbeit. Einblicke in ihren Büroalltag, aber auch bei einer von Pannen wie von Lebensfreude begleiteten Fahrt zu einem Ort, wo sie und ihre Ehefrauen zur Mediation eingeladen sind, zeigen, wie die beiden äußerlich sehr unterschiedlichen Friedensaktivisten miteinander umgehen und auch manchmal verschiedener Meinung sind. Die gleichberechtigte Beziehung der beiden Männer oder das heitere Gespräch der beiden Frauen wirken symbolisch für die Stärke ihres Ansatzes der Versöhnung und der Anerkennung von Vielfalt.
Im Schlussteil der Dokumentation wird nach Yelwa Shandam zurückgekehrt, um die Hoffnung des Imams und des Pastors zu zeigen, dass ein Nigeria geschaffen werden kann, in dem sich alle Menschen sicher fühlen können („Nigeria – safe for all“). 17 Vermittlungsbesuche, so erfährt der Zuschauer, sind dort nach der Gewalt im Mai 2004 notwendig gewesen, bis ein öffentlicher Versöhnungsakt möglich wurde. Gefeiert wurde er mit einem Fest, das der Film in seiner ganzen Vielfalt zeigt. Täter bekennen ihre Schuld und Vertreter der Opfer zeigen eine Geste der Vergebung. Bewohner drücken ihre Freude über die Aussöhnung und ihre Hoffnungen für eine bessere Zukunft aus, während Politiker und Dorfhonoratioren dem Geschehen eher distanziert bis gelangweilt zusehen. Ein stilles Erinnern und Beten am Massengrab ergänzt das Eingeständnis eines Geistlichen, dass im Namen der Religion oft eher Gewalt legitimiert als für den Frieden gewirkt wird. Der Film schließt mit der Botschaft, dass ein dauerhafter Frieden zwischen Christen und Muslimen und zwischen Menschen, die sich unterschiedlichen ethnischen Traditionen verbunden fühlen, eine Herausforderung darstellt, aber möglich ist.
Würdigung und Kritik
Auch für Betrachter ohne Nigeria-Vorkenntnisse dürfte die Dokumentation eindrücklich und berührend wirken. Die beiden Protagonisten stehen immer im Vordergrund des Erzählfadens und berichten offen, ohne Übertreibung und mit unterschiedlichen Nuancen darüber, wie sie aus erbitterten Feinden zu Freunden geworden sind. Konkret auf sich bezogen, berichten sie von ihrem anfänglichen Argwohn, aber auch ihrer Bereitschaft, das Gespräch mit „dem Anderen“ zu suchen und Misstrauen, Ängste und Vorurteile abzubauen. Sie lassen aber auch keinen Zweifel daran, dass der zwischen ihnen zustande gekommene Dialog erst auf dem Hintergrund einer Überprüfung ihrer jeweiligen religiösen Überzeugungen möglich geworden ist. Beide mussten sich in ihrem Glauben bewusst werden, wie wichtig ihnen die Achtung des Mitmenschen für die friedliche Gestaltung sozialer Beziehungen ist. Ihre heutige Zusammenarbeit erfolgt deshalb, ohne die eigene (religiöse) Identität aufgegeben zu haben. Andererseits haben sie dadurch Gemeinsamkeiten entdeckt und Respekt für Differenzen entwickelt. Ihre Unterschiedlichkeit erkennen sie heute als Stärke – für die Gestaltung einer nigerianischen Gesellschaft, die krasse Gegensätze aufweist und viele kulturelle und religiöse Wurzeln hat, aber zusammenwachsen will und muss.
Über die außergewöhnliche Partnerschaft der beiden hinaus ist durch den Film noch viel „nebenbei“ zu erfahren – über die für Mitteleuropäer erstaunliche Frömmigkeit der Nigerianer in ihrem Alltag, über christliches und islamisches Selbstverständnis oder über den Einfluss, den Ereignisse in anderen Teilen der Welt auf die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Kaduna haben kann (erwähnt werden z.B. Afghanistan, Irak oder Guantánamo). Über Mediation und Konfliktbearbeitung ist genauso etwas zu hören und zu sehen wie über die Schwierigkeiten, die „Friedensapostel“ in konfliktiven Situationen häufig in ihrer eigenen Kirche oder Moschee finden.
Hintergrundinformation: Ethnische und religiöse Vielfalt in Nigeria
Da der Film die christlich-muslimischen Differenzen stark in den Vordergrund stellt, kann er den Eindruck erwecken, dass die Religion(en) in Nigeria die zentrale Konfliktursache, der Auslöser von Gewalt und auch das Mittel zur Herstellung von Frieden sind.
Religiöse Überzeugungen spielen im Leben und Handeln aller Nigerianer tatsächlich eine große Rolle, sind aber traditionell kein zentrales Abgrenzungsmerkmal zwischen sozialen Gruppen. Ein friedliches Mit- oder wenigstens Nebeneinander von Menschen unterschiedlicher religiöser Identität ist eher die Regel. In vielen Regionen des Landes kann man häufig innerhalb einer Großfamilie Personen antreffen, die unterschiedlichen Religionen oder zumindest Konfessionen angehören oder ihre Glaubensgemeinschaft ein- oder mehrmals gewechselt haben.
An einigen Stellen der Dokumentation wird daher auch angedeutet, dass im Norden Nigerias Religionsunterschiede nur eine - oder vielleicht sogar nur eine zweitrangige - Dimension beim Entstehen von Konflikten und Gewalt sind. Ethnische und politische Faktoren kommen hinzu und häufig führt gerade ihre Vermischung zur Eskalation von Problemen.
Für Diskussionen über den Film kann es deshalb wichtig zu wissen sein, dass Nigeria fast drei Mal so groß wie Deutschland ist und dort mehr als 200 ethnisch-linguistische Gruppen leben. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung (130 Millionen) gehören zu den Großgruppen der Haussa-Fulani (überwiegend im Norden), der Yoruba (Südwesten) und der Ibo (Südosten). Die ethnische Linie gibt häufig einen Hinweis auf die religiöse Gebundenheit: Haussa-Fulani sind überwiegend Muslime, Ibo eher Christen und Yoruba etwa zu gleichen Teilen christlich und muslimisch. Christen und Muslime machen jeweils 40-45 Prozent der Gesamtbevölkerung aus; 10-20 Prozent der Nigerianer und Nigerianerinnen bekennen sich zu traditionellen afrikanischen Glaubensformen, mit abnehmender Tendenz.
Die Beziehungen zwischen den Ethnien sind nicht spannungsfrei. In Nord-Nigeria, wo der Film gedreht wurde, gehören viele Christen überwiegend ethnischen Minderheiten an, die schon vor und während der britischen Kolonialzeit von den Haussa-Fulani dominiert wurden und sich auch heute noch gegen eine mal religiös, mal politisch begründete Dominanz der - muslimischen - Fulani-Elite in Politik und Wirtschaft „wehren“ und Chancengleichheit für Alle einfordern.
Der in der Dokumentation erwähnte Kaduna-Konflikt in 2001 startete z.B. wegen einer politisch-religiösen Problematik - der geplanten Einführung der Sharia-Straf(!)gesetzgebung im Bundesstaat und der Möglichkeit, sie auch auf Christen anzuwenden - kippte aber nach dem Protest der Christen innerhalb von zwei Tagen in inter-ethnische Gewalt zwischen den Haussa und anderen lokalen Ethnien um. (Ähnlich wie bei dem im Film beschriebenen Konflikt um die Kontrolle eines Marktes.)
Hintergrundinformation: Die religiöse Dimension in Konflikten
Auch die Auseinandersetzungen in Yelwa-Shandam hatten einen komplexen Hintergrund. Viele der dortigen Christen sind Ackerbauern; vielen muslimischen Familien geht es als Händler oder Viehhalter ökonomisch etwas besser. In den letzten Jahren haben Konflikte zwischen den drei Gruppen über Preise im Handel, Weide- und Wasserrechte zugenommen, weil sich die Lebensverhältnisse vieler Ackerbauern, aber auch der Viehhalter verschlechtern. Übernutzung der Böden und Wassermangel haben dazu beigetragen, aber auch die wachsende Kluft zwischen den Preisen, die sie für Agrarprodukte bekommen, und denen, die sie für Konsumartikel zahlen. Inner-nigerianische Wanderungsbewegungen von Menschen aus weiter nördlichen, kargen und überwiegend von Muslimen bewohnten Bundesstaaten brachten zusätzliche Schwierigkeiten in die Region.
Spannungen verstärkten sich, als Politiker die vorhandenen Probleme in einen religiösen Kontext stellten. Das Gerücht wurde gestreut, dass die jeweils andere Religionsgruppe Strategien entwickeln würde, um politisch, ökonomisch und kulturell dominieren zu können. Es sei deshalb notwendig, sich hinter die Politiker der eigenen Religion zu scharen. Innerhalb des Ortes nahm die Abgrenzung zwischen Christen und Muslimen zu; tief verwurzelte Vorbehalte zwischen den Ethnien und Religionen wurden in herabsetzender Form öffentlich geäußert und eskalierten schließlich gewaltsam.
Auch wenn der Film diese Komplexität in 40 Minuten nur andeuten kann, ist sie Imam Muhammad Ashafa und Pastor Wuye in ihrer Arbeit wohl bewusst. Die Erklärung, die im Film von der Bevölkerung in Yelwa Shandam gefeiert wird und zukünftig ihr friedliches Zusammenleben sichern soll, geht auf das Verhältnis zwischen den Glaubensgruppen genauso ein wie auf die Notwendigkeit, die dortigen Lebensbedingungen zu verbessern und Religion nicht als Mittel zur politischen Mobilisierung zu missbrauchen.
In dem Dokument verpflichteten sich die Christen und Muslime des Ortes dazu, alle religiösen Stätten zu schützen und die Mitglieder der anderen Religionsgruppe und deren Glauben nicht mehr zu diffamieren. Geistliche beider Religionen, Führer der in der Region lebenden ethnischen Gruppen, Vertreter und Vertreterinnen der lokalen Behörden beteuerten, von nun an gemeinsam dafür sorgen zu wollen, dass auftretende Probleme friedlich behandelt und die örtlichen Jugendgruppen davon abgehalten werden, sich gegenseitig bis zum Gewaltausbruch zu provozieren. Vom nigerianischen Staat verlangten die Unterzeichner der Erklärung, endlich etwas zu tun, damit es wirtschaftlich aufwärts geht, die Analphabetenrate gesenkt, die gesundheitliche Versorgung verbessert und der Jugend eine Zukunftsperspektive in ihrer Heimat eröffnet wird.
Staatliche Stellen wurden also auch auf ihre Verantwortung hingewiesen, die Rechte aller Staatsbürger zu wahren und Programme zu entwickeln, die die Ursachen von Konflikten beseitigen. Mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass Behörden, religiöse und ethnische Führer Konflikte thematisieren sollen, bevor sie eskalieren, wurde zudem ein Schritt getan, damit Gesetze tatsächlich umgesetzt, Streit geregelt und das Verhalten von Politikern und staatlichen Angestellten stärker kontrolliert wird. Dies ist wichtig in einem Land, das nach 16jähriger Militärdiktatur erst seit 1999 wieder zivile, gewählte Regierungen in der nationalen Hauptstadt Abuja und in den 36 Bundesstaaten hat.
Nicht erfüllt haben sich aber bisher die Hoffnungen der zwei Drittel der Bevölkerung, die in Armut leben, dass eine rasche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen eingeleitet würde. Obwohl Nigeria der achtgrößte Ölproduzent der Welt ist und die Einnahmen aus dem Export von Petroleum und Gas die Haupteinnahmequelle des Staates darstellen, ist das Geld in den letzten 30 Jahren kaum oder wenig erfolgreich dafür genutzt worden, um alle Regionen und Bevölkerungsteile in einen zukunftsweisenden Entwicklungsprozess einzubeziehen. Im Gegenteil: Die private Aneignung öffentlicher Gelder hat massive Korruption auf allen Ebenen nach sich gezogen; öffentliche Posten sind bevorzugt an Verwandte oder Mitglieder der eigenen Ethnie oder Religionsgruppe vergeben worden. Persönliche Beziehungen, pressure groups oder Bestechung prägen auch nach dem Ende der Militärregierungen die politische Kultur – ohne Rücksicht darauf, ob dies mit demokratischen Grundprinzipien, Vorstellungen von sozialem Ausgleich oder von regional ausgeglichener und nachhaltiger Entwicklung vereinbar ist.
Solange Selbstprivilegierung politische Entscheidungen beeinflusst, verbünden sich arme Nigerianer häufig mit Politikern, deren Hauptprogramm ihre Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder religiösen Gemeinschaft ist. Die kulturelle Identität verbindet und wird zur überlebenssichernden Chance, um Zugang zu staatlichen Programmen zu bekommen oder Ansprüche auf öffentliche Dienstleistungen durchzusetzen.
Brisanz gewinnt dies, wenn im Kampf um Ressourcen und Einfluss politische Sachargumente an Bedeutung verlieren und die demonstrative Betonung der ethnisch-religiösen Identität Abgrenzungen zwischen sozialen Gruppen schafft. Konflikte um Interessen verwandeln sich dann in Auseinandersetzungen um Werte, Traditionen und Glaubensfragen. Da sie nicht verhandelbar sind, eskaliert Streit darüber schnell gewaltsam. Kaduna und Yelwa Shandam sind dafür Beispiele.
Zum Einsatz des Films
Den beiden Geistlichen ist nicht nur in diesen beiden Orten für ihre Arbeit gedankt worden. Da ihr Zentrum vom United States Institute for Peace (USIP) gefördert worden ist, sind sie über dessen Schriften und Website international bekannt gemacht worden und haben auch im Ausland über ihre Erfahrungen berichtet. Die Infragestellung des religiös bestimmten Gut-Böse-Schema hat dabei allerdings größere Aufmerksamkeit erhalten als die desaströsen politischen und wirtschaftlichen Elemente der Konflikte.
Auch in Deutschland haben Imam Muhammad Ashafa und Pastor James Wuye Auszeichnungen bekommen, z.B. den Bremer Friedenspreis für beispielhaftes Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung (2005).
Da der gut strukturierte Film kurzweilig ist, seine Protagonisten Sympathie erzeugen und der Inhalt auch ohne Nigeria-Vorkenntnisse verständlich ist, eignet sich die Dokumentation für unterschiedliche Publikumsgruppen (Sekundarstufe II, Erwachsenenbildung, kirchliche Veranstaltungen):
- Er kann für Diskussionen hilfreich sein, die sich mit den (konfliktiven) Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Konfessionen oder Religionen befassen (religiöse Intoleranz) und verdeutlichen, dass Offenheit zum Dialog und Achtung „der Anderen“ soziales Zusammenleben und gewaltlose Konfliktbearbeitung wahrscheinlicher machen kann (Respekt für Differenz, Wertschätzung von Vielfalt).
- Er kann auch genutzt werden, um die elementare Ambivalenz des Religiösen zu diskutieren: Religiöse Überzeugungen sind weder per se Ursache von Konflikten, noch eine Garantie für Frieden. Ausgehend von den Problemen der Armut, Ungerechtigkeit und Unfrieden können sie aber ein Ausgangspunkt sein, um – ohne Rücksicht auf religiöse Grenzen – Fragen nach Dialog und Kooperation zugunsten des Friedens, der Gerechtigkeit und des Miteinanders verschiedener Religionsgruppen zu stellen. Fragen, die allerdings oft einschließen, dass neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede benannt werden müssen und so die Bedingungen oder Umstände für Zusammenarbeit und für Abgrenzung transparent werden.
- Schließlich kann der Film auch Anlass sein, um die Dimension des Religiösen in Konflikten und im Prozess der Konfliktbearbeitung herauszuarbeiten. Allein dem Schema „hier Christen, dort Muslime“ entgegen zu steuern, löst viele komplexe gesellschaftliche Auseinandersetzungen nicht. Änderungen in den Einstellungen von Menschen zueinander wirken erst dann friedensfördernd, wenn sie einhergehen mit einem konkreten Wandel im Verhalten sozialer Gruppen und in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Konflikte schaffen oder eskalieren lassen. Die Überwindung von religiös geprägten Feindbildern, gegenseitiger Unkenntnis und die Wertschätzung von Vielfalt ist dort einfacher, wo eine gesellschaftliche Friedenskultur herrscht und ein demokratischer und leistungsfähiger Staat Realität ist.
- Bedenkenswert ist sicher auch eine Debatte, die es in Nigeria seit der Unabhängigkeit (1960) gibt. Immer wieder wird gefragt, wie in einem sich erst langsam herausbildenden Nationalstaat mit dem kulturellen Erbe der vielen Ethnien und mit der Religionsvielfalt umzugehen ist: „Let us forget our differences to build Nigerian unity“ lautet(e) eine Position; „let us first understand our differences“ die andere („Lasst uns unsere Unterschiede vergessen und eine nigerianische Identität herausbilden!“ oder „Lasst uns erst unsere Unterschiede verstehen und respektieren!“).
Vorsicht ist bei Diskussionen über den Film an einigen Stellen geboten:
- Der Film ist sicherlich geeignet, auch das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Deutschland zu thematisieren. Eine einfache Gleichsetzung sollte aber vermieden werden, da sich die Konfliktlagen in Nigeria bzw. hier genauso unterscheiden wie die Ausprägungen und Traditionen christlichen Glaubensverständnisses in Europa bzw. in Afrika. (Analog gibt es auch Unterschiede zwischen Muslimen in Deutschland, Afrika oder der Türkei.)
- Vorsichtig sollte mit Begriffen wie „inter-religiöser Konflikt“ oder auch „inter-religiöser Dialog“ umgegangen werden. Sie legen zwei klare Pole nahe und berücksichtigen nicht die realen Nuancen.
- Wie anderswo auch sind die Religionsgruppen in Nigeria nicht einheitlich. Die Christen unterteilen sich in Katholiken, Mitglieder der historischen protestantischen Kirchen, afrikanisch-christliche Kirchen und zunehmend auch Pfingstler. Auch unter Muslimen gibt es regional unterschiedliche Traditionen und Moscheegemeinden, die seit einigen Jahren von Vorstellungen beeinflusst sind, die aus dem Iran, Libyen oder dem arabischen Raum stammen.
- Wahrscheinlich gibt es in Nigeria auch mehr Konflikte, Animositäten und auch Gewalt zwischen unterschiedlichen christlichen Gruppen als zwischen „den Christen“ und „den Muslimen“. Und die sunnitische „traditionelle“ Mehrheit schlägt sich häufig primär mit im Iran ausgebildeten bzw. wahabitisch geprägten Muslimen herum, da letztere die Hegemonie darüber erlangen wollen, zu bestimmen, was „islamisch“ ist.
- „Inter-religiös“ ist in Nigeria auch die Friedenssuche nicht, wenn damit der Eindruck verbunden ist, dass zwei Religionsgemeinschaften sie suchen. Die Mehrzahl der Moscheen, Gelehrten und Imame macht dasselbe wie viele christliche Kirchenführer: Sie betreiben „Konfliktmanagement“, wenn es bereits gekracht hat und bis es wieder ruhig ist. Langfristige Ansätze, die Konflikte tatsächlich bearbeiten und einer neuerlichen Gewaltdynamik vorbeugen, ist wie bei den im Film gezeigten Geistlichen eher die Arbeit von Einzel-“kämpfern“.
Impuls-Fragen für ein Nachgespräch zum Film in Schule und Erwachsenenbildung
- Was hat uns/mir am Film spontan besonders angesprochen?
- Welche Erfahrungen mit verschiedenen religiösen Traditionen habe ich?
- Wie gehe ich persönlich mit Menschen um, die ich als fremd empfinde?
- In welchen Lagen / aus welchen Gründen neige ich zur Gewalttätigkeit?
- Wie finde ich Mut zur Ehrlichkeit - vor mir selbst und anderen?
- Welche Ängste und Hoffnungen verbinde ich mit Versöhnung?
- Wie entwickle ich gute persönliche Vertrauensbeziehungen?
- Bin ich Teil der Probleme oder der Heilung von Beziehungen?
- Wie hilft mir der Glaube, um vertrauen und vergeben zu können?
- Wie kann ich selber ein Teil der Heilung und der Versöhnung werden?
- Was kann ich selber beitragen zu einer Kultur der Liebesfähigkeit?
Literaturhinweise / Web-links
- „Die Friedens-Warte“ / Ausgabe 82, 2007: Religion, Krieg und Frieden
- „Eins“ / Ausgabe 7–8, 2006: Religion & Entwicklung
- „Jahrbuch Gerechtigkeit“ / Buch II, 2006: Reichtum – Macht – Gewalt
- SympathieMagazin, "Islam verstehen" und "Christentum verstehen" ; Hrsg: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V., Direktbestellung unter www.sympathiemagazin.de
- EKD-Texte 86, „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD“, Hannover 2006; download:
/www.ekd.de/download/ekd_texte_86.pdf - Evangelische Kirchen in Nigeria (Reformiert Online): /www.reformiert-online.net/weltweit/land.php?id=104&lg=de
- Initiatives of Change - Deutschland e.V., www.iofc.org/de
- Kaduna Peace Declaration of Religious Leaders: http://nifcon.anglicancommunion.org/work/declarations/kaduna.cfm
- Muslime fragen, Christen antworten (Prof. Dr. Christian W. Troll, SJ): www.antwortenanmuslime.com
- Nigeria: Zu reich für Würde und Recht? (Evang. Akademie Loccum):
http://www.loccum.de/programm/archiv/p0723.html
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Autor: Wolfgang Kaiser