Teaser
Salvador Allende

Dokumentarfilm von Patricio Guzmán
Frankreich, Chile, Belgien, Deutschland, Spanien, Mexiko 2004, 100 Minuten, OmU

Inhalt

Salvador Allende war die Leitfigur eines demokratischen Experiments, das in vielen Teilen der Welt große Beachtung fand. Chiles friedlicher Weg zum Sozialismus bedeutete gelebte Utopie, für einen großen Teil der Chileninnen und Chilenen wie auch für Marxisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und sonstige Linke in aller Welt. Bis heute gilt Salvador Allendes kurze Regierungszeit von 1970 bis 1973 als ein herausragendes Moment in der jüngsten Geschichte Lateinamerikas.
Am 11. September 1973 setzte der vom CIA unterstützte Putsch unter Führung von General Augusto Pinochet der demokratisch legitimierten Regierung von Allende ein jähes Ende. Die Militärdiktatur in Chile gilt als eine der brutalsten des 20. Jahrhunderts.
Der Chilene Patricio Guzmán hat den Putsch als junger Filmemacher intensiv erlebt. Mit eindrucksvollem Bildmaterial zeichnet er Allendes Weg auf dem politischen Parkett bis zu seinem Selbstmord nach: Am Tag des Putsches jagte er sich im brennenden Präsidentenpalast eine Kugel in den Kopf.
Mit seinem filmischen Requiem für Salvador Allende wehrt sich Guzmán gegen den Mantel des Vergessens, der in Chile viele Jahrzehnte hindurch über die Zeit des sozialistischen Frühlings und über den Horror der militärischen Terrorherrschaft gebreitet wurde. „El pasado no pasa“ ist sein Leitspruch. Die auf Spanisch zweideutige Aussage bedeutet im Deutschen „Die Vergangenheit geht nicht vorüber“ und genauso „Die Vergangenheit passiert nicht einfach“. Eindrücklich weist Guzmán mit seinem Film darauf hin, dass wir nur dann die Zukunft gestalten können, wenn wir Lehren aus der Vergangenheit ziehen.
Über das Porträt des außergewöhnlichen Menschen und Politikers, der sein Leben einem politischen Traum gewidmet hat, nähert sich Guzmán dieser wichtigen Phase der Zeitgeschichte Chiles, die auch weltpolitisch Bedeutung hat. Denn was sich 1973 in Chile ereignete, wiederholte sich in anderen Regionen der Welt - auch lange, nachdem der „Kalte Krieg“ beendet ist. Mit viel Archivmaterial und prägnanten Interviews, wie dem mit dem damaligen US-Botschafter in Santiago, weist er nach: Für die Machteliten ist Demokratie nur so lange eine angemessene Staatsform, solange ihre Interessen nicht berührt werden. Und er schildert, welcher legalen und unmoralischen Mittel sich die USA bedienen, um ihre militärstrategischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen in anderen souveränen Ländern durchzusetzen.
„Salvador Allende hat mein Leben geprägt. Ich wäre heute ein anderer, hätte er nicht jene Utopie einer gerechteren und freieren Welt verkörpert, an die mein Land damals glaubte“, sagt Guzmán. Sein Blick auf Salvador Allende ist daher ein sehr subjektiver. Er reiht nicht nur Archivaufnahmen und Bilder zu einem korrekten Ablaufschema der Ereignisse bis zu Allendes Tod aneinander, sondern er kommentiert, fragt und interpretiert auch – teils durch den Kommentar in der Ich-Form, teils durch metaphorische Bilder wie die Aufnahme der öffentlichen Busse in Valparaiso, mit denen Allende versucht hatte, den Streik der Transportunternehmer aufzufangen und die heute als Wracks auf einem verlassenen Grundstück vor sich hin modern. In seiner Annäherung an den Politiker lässt Guzmán Zeitzeugen, Parteifreunde, seine Witwe, seine Parteigenossin und langjährige Geliebte, die Tochter der Haushälterin der Familie Allende, ehemalige Nachbarn und namenlose Weggefährten zu Wort kommen: Er war Marxist, meint einer. Er war kein Marxist, hält eine andere entgegen, denn er glaubte nicht an die Diktatur des Proletariats.
Er war Sozialist und Demokrat, ein gebildeter Gutmensch, beseelt vom Ideal der sozialen Gerechtigkeit, sagt ein dritter. Dazwischen flimmern in Schwarzweiß Filmausschnitte vom Wahlkampf, von flammenden Reden Allendes, vom Streik der Transportunternehmer und von Allendes Begegnungen mit revolutionären Politikern der Zeit, wie Fidel Castro, über die Leinwand. Und so entsteht das facettenreiche Bild eines gebildeten Arztes großbürgerlicher Herkunft, der schon als Student vom Ideal einer gerechten Gesellschaft träumt und sich auch als Politiker in den trüben Gewässern der Machtpolitik nicht von seinen Zielen verabschiedet. Er zeichnet Allende als einen Humanisten, der seinen Werten und Ansichten treu bleibt und auch nie die Bodenhaftung und den direkten Draht zum einfachen Volk verliert.
Zum Schluss dann die eindrucksvollen Bilder vom harten Durchgreifen der Militärs am Tag des Putsches, Wasserwerfer, prügelnde und schießende Soldaten, ein brennendes Regierungsgebäude. Ein Foto von Allendes Witwe Hortensia Bussi, genannt Tencha, die gezwungen wurde, am Tag nach seinem Tod an seinem entwürdigenden Begräbnis in einem namenlosen Grab in Valparaiso teilzunehmen. Mitstreiter von damals analysieren, wie sie Allendes Tod hätten verhindern können. Es herrscht Ratlosigkeit.
Stück für Stück trägt Guzmán die „Geschichtssplitter“ zusammen, die sich zu einem dichten Bild fügen. Er spricht mit dem kleinen Mann auf der Straße und mit jungen Arbeitern, die Allende sicher nicht mehr als Erwachsene erlebt haben, sich seiner Bedeutung aber durchaus bewusst sind. An mehreren Stellen benennt Guzmán seine Enttäuschung darüber, dass sich die demokratischen Regierungen Chiles seit dem Ende der Diktatur 1989 ihrer Verantwortung nicht gestellt haben, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Erst wenn man sich der Vergangenheit stellt, kann man die Zukunft gestalten.
Ein Gedicht des chilenischen Künstlers Gonzalo Millan, das Guzmán ans Ende setzt, unterstreicht den Appell, den der Filmemacher an sein Publikum richtet: Verdrängen macht Verbrechen nicht ungeschehen.

Würdigung und Kritik

Guzmáns Annäherung an Salvador Allende beginnt mit einer Art Prolog. In der ersten Einstellung richtet sich die Kamera auf eine hölzerne Tischplatte, auf dem ein Orden am Band in den Farben der chilenischen Nationalflagge liegt , ein Parteibuch, ein Personalausweis, eine Uhr und ein Geldbeutel. Zwei Hände greifen nach einem Geldbeutel und nehmen uneingelöste Schecks der kubanischen Nationalbank heraus. Derweil kommentiert die Stimme Patricio Guzmáns aus dem Off:
„Das ist fast alles, was von Salvador Allende übrig bleibt, Präsident von Chile 1970. Am 11. September 1973 wurde er von einem Militärputsch gestürzt. Als er tot war, fand man diese Gegenstände bei ihm: Geschichtssplitter. Pinochets Diktatur erstickte die Demokratie, die sich über zwei Jahrhunderte entwickelt hat. Die Diktatur zerstörte Tag für Tag, 18 Jahre lang, das Land, das ich kannte. Tausende von Chilenen wurden umgebracht und gefoltert. Hunderttausende mussten ins Exil.“
In der zweiten Einstellung sieht man eine zerbrochene Brille in einem Glaskasten, das Einzige, was damals in einem Museum in Santiago an Salvador Allende erinnerte. Davor ein kleines Schildchen: „Brille von Salvador Allende, gefunden im Präsidentenpalast La Moneda in Santiago nach der Bombardierung“. Erst dann rollen die nüchternen Filmtitel.
Mit der dritten Einstellung beginnt der eigentliche Film. Die Kamera nimmt eine lange, aus Steinbrocken und Zement gemauerte, weiß getünchte Mauer an einer viel befahrenen mehrspurigen Straße ins Visier. Sie nähert sich wie mit einer Lupe und entdeckt unter der weißen Oberfläche Spuren von darunterliegenden Farbschichten. Wieder eine Hand, die die weiße Farbe langsam abkratzt und darunter blaue zutage fördert. Dazu erläutert Guzmán: „Die Erinnerung ist weder angenehm noch kontrollierbar, sie wühlt immer auf.“
Schon diese ersten drei Minuten verraten, worum es Guzmán in den nächsten 100 Minuten geht. Das Thema des Films ist kollektive Erinnerung gegen das Verdrängen, das Mittel ein subjektiver, stellenweise poetischer Dokumentarfilm. Sein Anliegen ist nicht das eines Chronisten, dem es auf historische Genauigkeit ankommt. Er möchte die Gefühle und Gedanken nachvollziehbar machen, die Salvador Allende in ihm hervorgerufen haben.
Die Mauern mit ihren Wandparolen, so erfährt man später, waren während der Zeit der „Unidad Popular“ das wichtigste Kommunikationsmittel der Massen, denn die Presse befand sich fest in den Händen der Bourgeoisie. Mit dem Bild des bröckelnden Putzes verdeutlicht Guzmán, dass man nur wenig suchen muss, um unter der adretten, weiß gestrichenen Fassade des modernen Chiles auf Spuren der Vergangenheit zu treffen oder anders formuliert, dass ein Anstrich die Vergangenheit nicht zu überdecken mag – und wie wichtig Vergangenheitsbewältigung ist.
Schritt für Schritt nähert sich Guzmán den ereignisreichen Jahren des sozialistisch-kommunistischen Regierungsbündnisses der „Unidad Popular“. Gegen Schluss lässt er prominente und namenlose Mitstreiter nach den Gründen für das Scheitern suchen und der Frage nachgehen: „Was hätten wir damals machen können, um den Putsch und den Tod Allendes zu verhindern?“ Virtuos verbindet er Gestern mit Heute, indem er Sequenzen in Farbe und Schwarzweiß gegeneinander schneidet und miteinander in Beziehung setzt. Guzmán konstruiert sein Porträt mit einer metaphorisch-subjektiven und zugleich exakten Bildsprache. Nichts ist zufällig, weder Tempo noch Perspektive oder Bildfluss. Das Filmmaterial hat Patricio Guzmán sorgfältig ausgewählt aus vielen Stunden Filmmaterial, die er bereits für frühere Filmprojekte gedreht und teilweise dort schon verwendet hat. Chiles politischer Frühling und die nachfolgenden bleiernen Jahre der Militärdiktatur stehen im Mittelpunkt von Guzmáns gesamtem Filmschaffen.
Auffällig ist Guzmáns Umgang mit Musik, die er eher spärlich und dadurch umso effektvoller einsetzt. Bei Archivszenen wie Demonstrationen oder Volksaufläufen während der Zeit der Unidad Popular hört man Lieder der musikethnologisch inspirierten Violetta Parra oder des politisch engagierten Liedermachers Victor Jara, dem auf militärischen Befehl direkt nach dem Putsch die Hände gebrochen wurden, bevor er schließlich im Nationalstadion ermordet wurde. Die Hoffnung, die Gesellschaft zu verändern und die Euphorie des Volkes, Teil einer Revolution mit demokratischen Mitteln zu sein, wird dem Publikum emotional durch die Suggestivkraft der männerchorgetragenen Panflötenmusik der Gruppen Inti Illimani und Quilapayún näher gebracht. Bei der Führung durch den renovierten Regierungspalast hört man dezente Kammermusik, die das „business as usual“ symbolisch untermalt - als ob in dem altehrwürdigen Gebäude nie etwas passiert wäre. Am effektvollsten wirkt aber die Stille: die knisternden Originaltöne der Wochenschauen blendet Guzmán an manchen Stellen effektvoll aus. So schafft er es, die ohnmächtige Verzweiflung aufgrund der aussichtslosen Situation der Regierung spürbar zu machen, die von der ultrakonservativen Oberschicht, Teilen des Militärs und der US-amerikanischen Politik unter massivem Druck gesetzt wurde.
Ganz selten nähert sich der Film dem Menschen Salvador Allende, etwa wenn er seine langjährige Geliebte Miria Contreras, genannt „La Payaita“, zur privaten Beziehung mit Allende befragt oder wenn die achtzigjährige Tochter der Haushälterin der Allendes bestätigt, dass er für sein Leben gerne „Empanadas“ gegessen habe, gefüllte Teigtaschen (die im Übrigen das Engagement von ExilchilenInnen für Demokratie und Sozialismus in Europa bekannt gemacht haben).

Zur Rezeption

„Wie Salvador Allende hat auch Patricio Guzmán sein Leben Chile gewidmet, seinem Heimatland. So scheint es vollkommen normal, dass er seinem politischen Helden, Märtyrer des 11. September 1973, einen Dokumentarfilm widmet. Mehr als ein einfaches Porträt ist es ein inspirierter Film, mit dem Guzmán eine gehörige Distanz zum Thema gewinnt. Ausgehend von Archivmaterial, den Zeugnissen von Überlebenden und einer bisher unveröffentlichten Analyse zeigt er den Enthusiasmus, den der Sieg Allendes 1970 in einem ganzen Volk auslöste. Er verschweigt nicht die Fehler in der politischen Analyse aber zeigt auch, unter welchem politischen und ökonomischen Druck Allende gefangen war. Ein sehr reicher, teilweise emotionaler Film, der das Tabu des Schweigens bricht, das diese herausragende Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts bisher umgibt.“
EL PAIS, Madrid, Mai 2004

Allende und die DDR

„In der DDR hatte Präsident Allende und seine Regierungskoalition Unidad Popular, ein Zusammenschluss bürgerlicher und linker Parteien einschließlich der Kommunisten, toleriert von den Christdemokraten, eine besondere Bedeutung. Dies war schon während seiner Amtszeit so und verstärkte sich noch nach dem Militärputsch und seinem Tod. Dieser bürgerliche demokratische Sozialist war für viele Menschen in unserem Land eine große Hoffnung. Wenn dieses Experiment in Chile gelingen würde, der Aufbau eines demokratischen Sozialismus unter Einbeziehung aller demokratischen politischen Kräfte, ohne die Restriktionen einer Diktatur des Proletariats, mit offenen Diskussionen in der Gesellschaft, dann würde dies auch in den Gesellschaften der Länder des sozialistischen Lagers seine Wirkung haben. Darüber hinaus und viel wichtiger war für meine Freunde und mich, dass es in Chile ein politisches, ein gesellschaftliches Modell von sozialer Gerechtigkeit entstehen könnte für die Länder der südlichen Hemisphäre. Anfang der 1970er Jahre begaben sich Angola, Mosambik, die beiden Vietnams nach langen harten und blutigen Kämpfen gerade auf ihren eigenen Weg der Unabhängigkeit.
Uns war zwar klar, dass die Verstaatlichung der wichtigsten Industriezweige Chiles den Widerstand der Besitzenden im Land und den der ausländischen Konzerne auf den Plan rufen würde. Und ebenso groß war deren Furcht vor der ansteckenden Wirkung des chilenischen Experimentes auf andere Völker im Süden. Wie mächtig und brutal diese Kräfte im Verbund mit der Regierung der USA dann durch die chilenischen Generäle handeln würden, das hätten wir nicht für möglich gehalten.
Zahlreiche Emigranten aus Chile fanden in der DDR sehr schnell Aufnahme und wurden vorrangig mit Wohnung und anderen zum Leben nötigen Dingen versorgt. Einige Neubauviertel in den größeren Städten, die damals entstanden, erhielten den Namen Allendes oder anderer führender Politiker der Unidad Popular, den sie bis auf den heutigen Tag tragen. Viele Schulen wurden nach Allende benannt, das hieß, dass die Schüler auch über das Leben des Präsidenten und die Geschichte Chiles während der Amtszeit Allendes und nach dem Sturz sehr gut Bescheid wussten. Spontane Solidaritätsaktionen, die auf Zeugnissen der chilenischen Kultur (z.B. Texte von Pablo Neruda), der Volksmusik und des politischen Liedes (Victor Jara, Isabel Parra) zurückgriffen, erzielten nachhaltige Wirkung. Als die Exil- Chilenen allerdings versuchten eigene Vorstellungen für die Solidaritätsbewegung und deren internationale Beziehungen und sogar für die Außenpolitik zu entwickeln, wurden sie behandelt wie Störenfriede. Erwähnt sei, dass die Exil- Chilenen, anders als die Flüchtlinge aus Afrika und Asien, von sich aus den Kontakt zu den DDR- Bürgern suchten, oft mit Mitteln der bildenden Kunst, des Theaters und der Musik. Das klingt bis heute nach und „Venceremos“ ist Manchem unvergessen.“
Gertrud Tschäpe

Zum Filmemacher

Patricio Guzmán, geboren 1941 in Chile, studierte Film an der Universidad Católica de Chile und später an der Filmhochschule in Madrid, wo er 1970 sein Diplom als Regisseur erhielt. 1971 realisierte er seinen ersten langen Dokumentarfilm, „El primer año“ über das erste Jahr der Regierung von Allende. Der französische Filmemacher Chris Marker verhalf dem Film zum Sprung nach Europa, wo der Film in Frankreich und Belgien lief. Zwei Jahre später reichte Chris Marker dem jungen Filmemacher noch einmal die Hand: Er schenkte ihm die Filmrollen zu seinem frühen Meisterwerk, „La batalla de Chile“(Die Schlacht um Chile) (1973-1979), einer vierstündigen Trilogie über das letzte Amtsjahr von Allende.
Die letzten Einstellungen dieses Films wurden am Tag des Militärputsches gedreht. Danach wurde Guzmán verhaftet und ins Nationalstadion gebracht, zwei Wochen später gelang es ihm, auszureisen und das Filmmaterial auf abenteuerliche Weise aus Chile herauszuschmuggeln. Es sollte noch weitere fünf Jahre dauern, bis Guzmán die Trilogie „Die Schlacht um Chile“ fertig gestellt hatte, unter anderem mit Unterstützung des kubanischen Filminstituts. Der Film erhielt zahlreiche Hauptpreise auf Festivals und wurde in mehr als 35 Ländern gezeigt. Die nordamerikanische Filmzeitschrift CINEASTE nominierte den Film als einen der zehn besten politischen Filme der Welt.
Fast alle weiteren Filme von Guzmán thematisieren Abschnitte der jüngsten Geschichte Chiles, so etwa „En nombre de Dios“ (Im Namen Gottes) über das Engagement der katholischen Kirche in Chile für die Menschenrechte, „La memoria obstinada „ (Die verstopfte Erinnerung) über den politischen Gedächtnisverlust in Chile oder „El caso Pinochet“ (Der Fall Pinochet) über das Gerichtsverfahren über den Ex-Diktator in London.
Heute lebt Patricio Guzmán als Filmemacher und Universitätsdozent in Paris.

Auszug aus der Filmografie:
Salvador Allende, 2004
Madrid, 2002
El caso Pinochet, 2001
La isla de Robinson Crusoe, 1999
Chile, la memoria obstinada" (1997)
Pueblo en vilo, 1995
La cruz del sur 1992
En nombre de Dios, 1986-1987
La batalla de Chile I, II y III, 1973-1979
El primer año, 1971

Zum geschichtlichen, wirtschaftlichen und politischen Hintergrund

Die Republik Chile, die 2010 ihren 200. Unabhängigkeitstag feierte, ist – trotz mehrerer Unterbrechungen – eine der ältesten Demokratien des Kontinents und war zunächst Pionier des Wohlfahrtsstaates in Lateinamerika, später, unter der neoliberal ausgerichteten Militärdiktatur, ein Flaggschiff der Liberalisierung: durch den Rückzug des Staates aus dem Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich und durch die rigorose wirtschaftliche Öffnung nach außen.
Noch während der Kolonialzeit hatte das damals überwiegend agrarische Chile zu den ärmsten Gebieten Südamerikas gehört. Parallel zur systematischen Erschließung seiner Rohstoffe, insbesondere Salpeter, Kupfer und Silber, setzte Ende des 19. Jahrhunderts eine Industrialisierung ein, die Chile zu einem der für die Industrieländer wirtschaftlich interessantesten Länder Südamerikas machte. Im Zuge dessen entstand eine aktive Arbeiterschaft in den Städten, die enge Verbindung zur internationalen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung hielt.

Wirtschaftliche und politische Ausgangslage bei Regierungsantritt

Die Unidad Popular wurde 1969 als Wahlbündnis gegründet, dem neben der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei noch mehrere kleine marxistische und christliche Parteien angehörten. Ausschlaggebend für Salvador Allendes knappen Wahlsieg zum Präsidenten waren die Stimmen der Christdemokraten, denen er im Gegenzug die Erhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung versprach. Kritik an der Entscheidung der chilenischen Christdemokraten kam damals unter anderem auch von der bundesdeutschen CDU.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Allendes Projekt des demokratischen Sozialismus waren freilich schwierig. Als Allende sein Amt antrat, durchlief Chile eine tiefe Wirtschaftskrise. Wichtigster Devisenbringer für Chile war Kupfer. Chile beherbergt 40% der weltweiten Kupfervorkommen. Bis in die 1950er Jahre waren die Eigentümer der Kupferminen vor allem US-amerikanische Firmen, die zwar un-glaubliche Gewinne erzielten, jedoch kaum investierten. So erlöste beispielsweise der relative kleine Auslandsstandort von Anacondo, in dem nur 16 % des Kapitals des Konzerns gebunden war, 80 % seines Auslandsgewinns. In der Folge sank der Weltmarktanteil Chiles am Kupfer stetig. Schon der christdemokratische Vorgänger Allendes, Eduardo Frei Montalva, handelte deshalb mit den Firmen 1965 eine 51%ige Beteiligung des Staates und die Option auf eine komplette Übernahme aus. Da nun die Investitionen mehrheitlich von der Regierung getragen wurden, aber ein Großteil der Gewinne weiterhin den Konzernen zu Gute kam, forderten die Christdemokraten schon 1969 eine komplette Verstaatlichung.
Auch in den anderen Wirtschaftssektoren war die Lage seit den späten 1960er Jahren kritisch. War das Land Anfang des 20. Jahrhunderts noch Agrarexporteur, mussten seit den 1960er Jahren Nahrungsmittel im großen Maßstab importiert werden. Einer der Gründe dafür war die ungleiche Landverteilung. 80 % des land-wirtschaftlichen Nutzlandes befanden sich in der Hand einer kleinen agrarischen Oberschicht von 4,2 % der Bevölkerung. Schon vorhergehende Regierungen hatten zaghafte Versuche gestartet, um die Produktivität in der Landwirtschaft durch Agrarreformen zu erhöhen.

Politik und Wirtschaft unter der Unidad Popular

Die Unidad Popular leitete eine tiefgreifende Agrarreform ein und versprach, die Situation der Arbeiter zu verbessern. In den kurzen Regierungsjahren der Unidad Popular wurden die Löhne um mehr als 35 % erhöht, während die Preise für die Miete und für wichtige Grundbedarfsmittel eingefroren wurden. Schulbildung und Gesundheitsversorgung wurden kostenfrei angeboten. Jedes Kind bekam Schuhe sowie täglich einen Liter Gratismilch.
Der Schwerpunkt von Allendes Wirtschaftspolitik war die entschädigungslose Verstaatlichung der Bodenschätze, die Enteignung von ausländischen Großunternehmen, der Banken und die Agrarreform, bei der 20.000 km2 nicht genutzten Agrarlandes enteignet und an Kleinbauern übergeben werden sollten. Bereits 1970 wurden der Kohlebergbau und die Textilindustrie verstaatlicht, ein Jahr später – mit Zustimmung aller Parlamentsparteien – die noch in (vor allem US-amerikanischem) Privatbesitz befindlichen Anteile am Kupferbergbau. Im gleichen Jahr wurden auch die Banken verstaatlicht. Im Jahr 1971 wuchs die Wirtschaft um 11% und die Arbeitslosigkeit sank auf 3%. Allerdings begann die Inflationsrate deutlich zu steigen.
Unter dem Eindruck der Verstaatlichungen begannen einflussreiche US-amerikanische Unternehmen in Chile, insbesondere die International Telephone and Telegraph Company (ITT) und die Minengesellschaft Anaconda Copper Company, sich mit der Bitte um Hilfe an die US-Regierung zu wenden. Die Motivation der „Realpolitiker“ Henry Kissinger und Richard Nixon, Allendes Regierung zu stürzen, war freilich nicht nur, die Interessen der US-Unternehmen zu sichern. Nordamerika wendete sich auch gegen eine Stärkung der Sowjetunion auf Kosten der USA. Dabei beriefen sich die USA ideologisch auf die 1954 von Präsident Eisenhower postulierte Domino-Theorie, nach der nach Kuba und Chile eine sozialistische Revolutionswelle in Lateinamerika zu erwarten sei.
Bereits im Wahlkampf hatten die amerikanischen Unternehmen in Chile, die CIA und die U.S.-Regierung den Gegenkandidaten Allendes, den konservativen Jorge Alessandri, finanziell mit etwa zwei Mio US-$ unterstützt. Unmittelbar nach der Wahl gab Nixon der CIA die Anweisung, den Amtsantritt Allendes zu verhindern. Wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, kam der Plan, den verfassungstreuen Oberbefehlshaber der chilenischen Armee, General René Schneider zu entführen, um linke Gruppierungen zu diskreditieren und das Land zu destabilisieren, direkt aus den USA. Am 22. Oktober 1970 wurde der General von der von der CIA finanzierten rechten Terrorgruppe Patria y Liberdad entführt und erschossen.
Bereits im ersten Regierungsjahr von Allende strichen die USA sämtliche Hilfen für Chile. Ausländische Direktinvestitionen gingen stark zurück, die nationalen wirtschaftlichen Eliten betrieben offen oder verdeckten Boykott, Kapitalflucht ins Ausland setzte ein. Schon 1971 wies Chile eine Zahlungsbilanz von minus
26 Milliarden US-Dollar auf. Die Regierung deckte die Schulden, indem sie Geld druckte. Dadurch verfünffachte sich der Geldumlauf und die Inflationsrate überstieg die 300%-Marke. Trotzdem fehlten Devisen für den Import von Rohstoffen, Maschinen und Ersatzteilen, verschärft durch einen Kupferboykott, den die USA und 14 Gläubigerstaaten aus Protest gegen die Enteignung ausländischer Investoren verhängt hatten.

Allendes letztes Regierungsjahr

Politische Destabilisierung und Wirtschaftsboykott zeigten direkte Auswirkungen auf das politische Klima im Land. Die Proteste, die die wirtschaftlichen Eliten im Land schürten, wurden stärker: Großgrundbesitzer protestierten gegen die Durchführung der Landumverteilung. Es kam zu Nahrungsmittelengpässen. 1972 mussten Lebensmittel rationiert werden, und die Regierung war gezwungen, Devisen für die Einfuhr von Nahrungsmitteln aufzuwenden. Im Herbst 1972 streikten etliche Berufsgruppen, darunter Transportunternehmen und Bankangestellte, um eine Wende in der Wirtschaftspolitik zu erzwingen. Es kam zu Straßenschlachten. Allende rief den Notstand aus. Radikale rechte Gruppen antworteten mit Terroranschlägen und Sabotage. Es gab während Allendes Amtszeit insgesamt sechshundert Sabotageakte auf Eisenbahnen, Brücken, Hochspannungsleitungen und Pipelines.

Der Putsch vom 11. September 1973

Der Putsch war gut vorbereitet. Sämtliche staatlichen Institutionen in ganz Chile waren binnen Stunden vom Militär besetzt. General Pinochet setzte die Verfassung sofort außer Kraft, löste den Kongress auf, ordnete eine strenge Zensur an und verbot alle politischen Parteien. Die Armee und die kasernierten Carabineros gingen sofort rücksichtslos gegen alle vermeintlichen Gegner vor, Terror und Menschenrechtsverletzungen regierten. Im Nationalstadion von Santiago wurden die Opfer interniert, viele von ihnen gefoltert und getötet. Die Schätzungen über die Opferzahlen gehen weit auseinander: zwischen 2.500 und 80.000 Menschen wurden während dieser ersten Wochen der Diktatur umgebracht. Etliche Menschen verschwanden spurlos und auf bis heute ungeklärte Weise. Hunderte Menschen wurden entführt, gefoltert oder „auf der Flucht erschossen“. Tausende wurden zwangsweise des Landes verwiesen oder in abgelegene Landesteile im Norden oder Süden verbannt. In den dünn besiedelten Wüstengebieten im Norden Chiles und in Patagonien errichtete das Militär Konzentrationslager, wo Oppositionelle und deren Sympathisanten nicht selten zu Tode gefoltert und unter anderem mit Flugzeugen hinaus aufs Meer geflogen und dort hinausgeworfen wurden. Einige Offiziere eröffneten einen makabren Wettstreit um die größten Grausamkeiten. Hunderttausende flohen in den ersten Jahren der Diktatur ins Ausland.
Der chilenische Geheimdienst CNI verfolgte die Gegner des Regimes auch im Ausland. 1974 starb Pinochets Vorgänger als Oberbefehlshaber des Heeres, General Prats, durch eine Autobombe in Buenos Aires; 1975 entging ein christdemokratischer Politiker nur knapp einem Attentat in Rom und 1976 tötete eine weitere Autobombe den Außenminister der Regierung Allende, Orlando Letelier, in Washington. Diese Anschläge werden allgemein dem chilenischen Geheimdienst im Zusammenspiel mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA zugeschrieben.

Politik und Wirtschaft unter Pinochet

Nach den bürgerkriegsähnlichen, von unglaublicher, massiver Gewalt seitens der Militärs geprägten Wochen nach dem Putsch ging das Regime in den nächsten Jahren dazu über, die politische Opposition systematisch auszuschalten. Nach diesen „Säuberungsaktionen“ nahm das Ausmaß der Repression etwas ab – freilich war nach 1977 praktisch jeder Widerstand ausgeschaltet, die wichtigsten Gegner ermordet, im Ausland oder eingeschüchtert. Seinen Machtanspruch ließ sich Augusto Pinochet 1980 durch eine Verfassungsänderung legitimieren.
Schon wenige Tage nach dem Staatsstreich war in der Frankfurter Allgemeine Zeitung zu lesen: "Chile: jetzt investieren!". Auch die USA nahmen ihre Wirtschaftsbeziehungen wieder auf, ebenso wie die internationalen Organisationen (u.a. IWF, Weltbank) jetzt wieder bereit waren, Chile Kredite zu gewähren.
Pinochet holte sich Wirtschaftsberater aus den USA, die eine marktliberale Linie des Monetarismus im Stil Milton Friedmans vertraten. Die Regierung setzte ein umfassendes Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramm durch, mit dem sich der Staat weitgehend aus dem Gesundheitswesen und Bildungssektor zurückzog und von der Politik der binnenorientierten wirtschaftlichen Entwicklung verabschiedete. Die Verstaatlichung der Kupferindustrie hielt Pinochet allerdings aufrecht. Aus den Einnahmen der Kupfergesellschaften wird bis heute das chilenische Militärbudget finanziert.
Der Schlüssel zum chilenischen Wirtschaftswachstum in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts waren insbesondere Rohstoffexporte – sowohl klassische Exporte, überwiegend Kupfer, als auch neue Rohstoffexporte, in erster Linie landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und Fischereiprodukte. So gelang es, enorme Steigerungen des Bruttoinlandsprodukts zu erzielen und zugleich die chronische Inflation weitgehend zu zähmen. Die zuvor erdrückende Abhängigkeit vom Hauptexportprodukt Kupfer konnte durch die Diversifizierung der Ausfuhrprodukte erheblich verringert werden. Gleichzeitig kam es in Chile zu einer Reihe von spektakulären Großinvestitionen durch ausländische Konzerne. Ein hoher Anteil der chilenischen Schlüsselunternehmen (Holzunternehmen, Weingüter, Obstplantagen, Fischereiprodukte) befindet sich heute in ausländischem Besitz. Aus diesem Grund sprechen Kritiker des exportorientierten neoliberalen Wirtschaftsmodells auch von einem Ausverkauf Chiles.
Die Kehrseiten dieses außenorientierten Wirtschaftsbooms waren u.a. der Bankrott vieler binnenwirtschaftlich ausgerichteter Unternehmen sowie ein herber Kaufkraftverlust für die Unter- und Mittelschichten. Einmal, weil sie in besonderem Maße unter dem Rückzug des Staates aus sozialen Basisdienstleistungen betroffen waren und dann, weil sie durch die Repression gegenüber organisierten Interessensvertretungen den von den Unternehmen diktierten Arbeitsbedingungen ausgeliefert waren. Hand in Hand mit der Erhöhung des statistischen Pro-Kopf-Einkommens stieg auch die soziale Ungleichheit. Derzeit hat Chile das höchste Pro-Kopf-Einkommen Lateinamerikas, ist zugleich aber weltweit eines der Länder mit der höchsten Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen.

Demokratisierung

Die Volksabstimmung von 1988 leitete den Demokratisierungsprozess ein. General Pinochet ließ zunächst darüber abstimmen, ob er bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen der einzige Kandidat sein durfte. Nach einem eindeutigen NEIN fanden 1989 nach 19 Jahren die ersten Präsidentschaftswahlen in Chile statt. Erster demokratisch gewählter Präsident wurde der Christdemokrat Patricio Aylwin, der Kandidat der „Concertación“, einem breiten Mitte-Links-Bündnis aus Christdemokraten, Liberalen, Sozialdemokraten und Sozialisten, das bis 2010 die Präsidenten stellte, mit Michelle Bachelet von 2006-2010 auch die erste Präsidentin. Durch eine Verfassungsänderung hatte sich Pinochet freilich zuvor zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Senator auf Lebenszeit bestimmen lassen, eine Klausel, die erst mit einer Verfassungsänderung von 2004 beseitigt wurde. Mit den Wahlen 2010 verlor das Mitte-Links-Bündnis „Concertación“ erstmalig nach dem Ende der Diktatur die Wahlen. Mit Sebastian Piñera regiert derzeit ein wirtschaftsliberaler Konservativer.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Seit der Fertigstellung des Films sind einige Jahre vergangen, in denen die Vergangenheitsbewältigung in verschiedenster Hinsicht fortgeschritten ist.
1978: Erlassung eines Amnestiegesetzes, mit dem sich die Militärangehörigen Straffreiheit für jene Verbrechen garantieren lassen, welche bis zum 10.3.1978 begangen wurden.
1990 gründete der erste demokratisch gewählte Präsident Patricio Aylwin per Dekret die Kommission für Wahrheit und Versöhnung unter dem Vorsitz von Raul Rettig (Rettig-Kommission), die mit acht Mitgliedern der unterschiedlichsten politischen Couleur besetzt war, d.h. sowohl mit ehemaligen Mitarbeitern der Militärdiktatur als auch mit erklärten Gegnern der Junta sowie Menschenrechtlern. Die Verfassung trägt immer noch autoritäre Züge, so ist Augusto Pinochet weiterhin Generalbefehlshaber der Streitkräfte und Senator auf Lebenszeit.
1991: Erscheinen des mehr als tausendseitigen Berichts des Informe Rettig (benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission Raúl Rettig). Der Bericht zeigt 2025 Fälle der schwersten Menschenrechtsverbrechen durch staatliche Akteure auf, aber auch 90 durch oppositionelle Gruppen und 164 Fälle, die keiner Seite zugeordnet werden konnten. Die Kommission hatte große Kompetenzen in der direkten Opferbefragung und bei der Informationsbeschaffung bei der Regierung, aber nur sehr eingeschränkten Rechten, um an Militärunterlagen heranzukommen. Der Bericht erweckt daher stellenweise den Eindruck, als ob es sich um Fehlverhalten einzelner Individuen und nicht um Staatsterrorismus gehandelt habe.
1993: Verhaftung der ehemaligen Geheimdienstchefs Manuel Contreras und seines Stellvertreters Pedro Espinoza, verantwortlich u.a. für den Mord am ehemaligen Außenminister Letelier in Washington. Contreras wird zunächst zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.
Januar 1998: Der chilenische Richter Juan Guzmán Tapia ließ erstmals eine Anzeige gegen Pinochet zu, die die Kommunistische Partei Chiles bei einem Appellationsgericht in Santiago eingereicht hatte. Sie beinhaltete den Vorwurf des Völkermordes, Entführung, Gründung einer illegalen Vereinigung und illegale Beisetzung. Ein tatsächlicher Prozess gegen Pinochet war nach wie vor undenkbar, denn er bestand auf seiner Immunität als Senator auf Lebenszeit und war dadurch unantastbar.
Oktober 1998: Diktator Pinochet reist aus privaten Gründen nach London. Kurz nach seiner Ankunft wird er von Beamten des Scotland Yard verhaftet und aufgrund eines in Spanien ausgestellten internationalen Haftbefehls unter Hausarrest gestellt. Die Anklage lautete auf Völkermord, Folter und Staatsterrorismus.
1999: Die Lordrichter des britischen Oberhauses erkannten Pinochet in zweiter Instanz die Immunität vor Strafverfolgung ab und machten damit ein Verfahren zur Auslieferung an Spanien möglich.
2000: Der britische Innenminister Jack Straw entscheidet, dass Pinochet aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig sei und deshalb nicht an Spanien ausgeliefert werden könnte. Der Hausarrest wird noch am selben Tag aufgehoben, und Pinochet kehrt in einer chilenischen Militärmaschine nach 18 Monaten in sein Heimatland zurück.
November 2000: Bill Clinton ordnet aufgrund des „Freedom of Information Act“ die Freigabe von CIA-Archiven an, die die Verwicklung des CIA in den Putsch in Chile deutlich machen. Allerdings werden Dokumente, die die Rolle von Pinochet betreffen, nach wie vor unter Verschluss gehalten.
2001: Verfahren in Chile gegen Pinochet werden wegen fortschreitender unheilbarer Demenz eingestellt. Pinochet wird in seiner Villa in Chile unter Hausarrest gestellt.
2004: Veröffentlichung des Berichts der staatlichen chilenischen „Comisión Nacional sobre Prisión Politíca y Tortura“ (Nationale Kommission zu Gefängnis, Politik und Folter) unter Vorsitz von Weihbischof Sergio Valech über die Gräueltaten des Pinochet-Regimes, die nicht von der Rettig-Kommission untersucht worden waren.
2005: Umfassende Verfassungsreform, mit der zahlreiche Vorrechte des Militärs und andere undemokratische Elemente (u.a. Ernennung von Senatoren auf Lebenszeit durch den Militärchef) beseitigt wurden. Als Reaktion auf den Bericht hat erstmals ein hoher Militär – der Oberbefehlshaber der Luftwaffe – eine systematische Schuld des Militärs eingestanden.
2006: Pinochet stirbt während seines Hausarrests an einem Herzinfarkt.
Juni 2010: Ex-Geheimdienstchef Manuel Contreras wird zu weiteren 15 Jahren Haft verurteilt als Urheber eines Befehls, drei Personen verschwinden zu lassen und später zu ermorden. Insgesamt beläuft sich das Strafmaß für den ehemaligen Geheimdienstchef der Militärjunta auf 200 Jahre Gefängnis.
2010: Die sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet weiht das „Museum der Erinnerung und der Menschenrechte“ ein. Zur Geschichte heißt es am Eingang: „Das Museum der Erinnerung und der Menschenrechte“ wird als ein Ort geboren, das die Menschenrechtsverletzungen des chilenischen Staates zwischen 1973 und 1990 sichtbar macht. Es soll den Opfern und ihren Familien ihre Würde zurückgeben und die Reflexion und Diskussion über die Bedeutung von Respekt und Toleranz anstoßen, damit sich diese Taten nie wiederholen.
Es ist gedacht als ein Ort, an dem man die Vergangenheit Revue passieren lässt und den Menschenrechten einen Raum in der Gegenwart einräumt mit Perspektive in die Zukunft, in dem auch Themen wie häusliche Gewalt, die Situation von Flüchtlingen in aller Welt und die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung Platz finden.“

Hinweise zur Diskussion

„Salvador Allende“ ist der persönlichste und zugleich letzte Film, den Patricio Guzmán zu seinem Lebensthema gedreht hat: dem brutalen Ende des sozialistischen Experiments in Chile und seiner Protagonisten. Insofern bietet der Film Anknüpfungspunkte dafür, anhand des Films über dieses wichtige Kapitel des 20. Jahrhunderts zu sprechen.
Die junge, chilenische Filmkritikerin Pamela Biénzobas weist in der australischen Filmzeitschrift „Senses of Cinema“ 2004 darauf hin, dass der Film vor allem von denjenigen gefeiert wird, die sich mit diesem Kapitel der chilenischen Geschichte schon vorher beschäftigt haben: „Dem Film gelingt es, die ehrfürchtige Bewunderung nachzuvollziehen, die dieser Mann hervorgerufen hat. Doch kann ich nur raten, wie viel dieser Film einem uninformierten Zuschauer bringt. Vorinformationen und der persönliche Bezug zum Thema sind ausschlaggebend dafür, inwieweit der Film die Zuschauer erreicht“.
Daher ist es sinnvoll, den Film in seinen zeitgeschichtlichen und politischen Kontext einzubetten. Dann liefert der Film Anstoß zu einer Reihe von interessanten Diskussionen, z.B.

  • Salvador Allende stammte, ebenso wie Fidel Castro oder Lenin, aus dem wohlhabenden Bildungsbürgertum. Alle drei ließen sich an der Universität von einem sozialistischen Gesellschaftsmodell inspirieren. Während Wladimir Lenin und Fidel Castro die Revolution mit militärischen Mitteln verteidigten, hielt Allende an demokratischen Mechanismen zur Erlangung und Verteidigung der Macht fest. Dies führte zur Frage: Ist „Sozialismus mit demokratischen Mitteln und in einem Land“ möglich? Was bedeutete das Scheitern des chilenischen Modells für linke Intellektuelle rund um den Globus?
  • Warum konnten die USA in Chile erfolgreich intervenieren, während ihnen das in Kuba nicht gelang? Welche weltpolitischen Ereignisse und innenpolitischen Konstellationen machten den Unterschied aus?
  • Welche Rolle spielen charismatische Führungspersönlichkeiten heute noch in der Politik? Woher nehmen sie ihre Ideale, die sie inspirieren. Welche Kraft haben umfassende Gesellschaftsmodelle im 21. Jahrhundert?
  • Warum hat der CIA seine Archive bezüglich der Verwicklung in den Putsch gegen Allende erst 2000 und auch nur teilweise geöffnet? Was sagt das über die Rolle der USA in Lateinamerika aus?
  • Ist Vergangenheitsbewältigung erst möglich, wenn die maßgeblichen Protagonisten gestorben oder senil geworden sind? Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten zeigen sich bei der Vergangenheitsbewältigung in Chile und Deutschland?
  • Inwieweit ist ein autoritärer Führungsstil, Repression und das Ausschalten organisierter Interessensvertretungen von Arbeitnehmern eine Bedingung für den derzeitigen wirtschaftlichen Erfolg Chiles als „lateinamerikanischer Tigerstaat“?

Ein weiterer möglicher Zugang zum Film ist Guzmáns metaphorische Bildsprache. Sie und der subjektive Kommentar verleiteten einige Filmkritiker (z.B. L´Humanité, Paris) dazu, in Guzmán den Vertreter eines neuen Dokumentarkinos zu sehen, der, analog zu Michael Moore (in „Fahrenheit 9/11“ oder „Bowling for Columbine“), die dem Genre gemeinhin zugewiesene Objektivität in Frage stellt. Anhand der Analyse einiger Sequenzen kann dies gemeinsam mit dem Publikum diskutiert werden. Inwieweit verkörpern Guzmán und der eher polemische Michael Moore eine ähnliche Tradition des Dokumentarfilms? Inwieweit setzt sich Guzmán vom Genre des „Dokudrama“ ab?
Es sollte unbedingt darauf hingewiesen werden, dass einige Informationen des Films, manche unbedeutend, manche wichtiger, inzwischen überholt sind: So ist die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte in Chile seit der Fertigstellung des Films einen großen Schritt weiter gekommen, u.a. durch einen umfassenden Bericht der Kommission von 2004, die die Verbrechen der Diktatur aufrollte und durch die Verfassungsänderung von 2005, die die Relikte der Militärdiktatur im politischen System weitgehend tilgte und durch Gesetze zur Entschädigung und Rehabilitierung von Folteropfern. Nicht zuletzt hat die Einweihung des „Museum der Erinnerung und der Menschenrechte“ die kollektive Aufarbeitung der Schreckensherrschaft von Pinochet weiter in die Öffentlichkeit befördert.

Literaturhinweise

  • Materialmappe Weltgebetstag der Frauen 2011 Chile, www.weltgebetstag.de
  • Antonio Skármeta; Der Dieb und die Tänzerin: Roman (Deutsch 2005). Mit viel Herz beschreibt Antonio Skármeta die Geschichte zweier sympathischer Anti-Helden vor dem Hintergrund der chilenischen Militärdiktatur, deren Spuren auch im heutigen Chile noch überall vorhanden sind. Antonio Skármeta lebte nach dem Putsch viele Jahre im Berliner Exil.
  • Isabel Allende; Das Geisterhaus (1982); der stark autobiographische Debütroman der chilenischen Schriftstellerin Isabel Allende – eine Nichte Salvador Allendes – erzählt die Geschichte einer Großfamilie im Chile der 1920er Jahre bis zu den Jahren der Militärdiktatur in den 1970ern.

Kinofilme aus Chile

  • Das Geisterhaus (Originaltitel: The House of the Spirits), Bille August, Deutschland/Dänemark 1993, 141 Min.
  • La Nana – die Perle. Sebastián Silva, Drama, Chile/Mexiko 2009, 96 Min.

 

Auszüge aus “La Ciudad” – Die Stadt, von Gonzalo Millán (1947-2006)

El río invierte el curso de su corriente.
El agua de las cascadas sube.
La gente empieza a caminar retrocediendo.
Los caballos caminan hacia atrás.
Los militares deshacen lo desfilado.
Las balas salen de las carnes.
Las balas entran en los cañones.
Los oficiales enfundan sus pistolas.

...

La corriente penetra por los enchufes.
Los torturados dejan de agitarse.
Los torturados cierran sus bocas.
Los campos de concentración se vacían.
Aparecen los desaparecidos.
Los muertos salen de sus tumbas.
Los aviones vuelan hacia atrás
Los "rockets" suben hacia los aviones.
Allende dispara.
Las llamas se apagan.
Se saca el casco.
La Moneda se reconstituye íntegra.
Su cráneo se recompone.
Sale a un balcón.(….)
Los detenidos salen de espalda de los estadios.
11 de Septiembre. …
Regresan aviones con refugiados.
Chile es un país democrático…
Las fuerzas armadas respetan la constitución.
Los militares vuelven a sus cuarteles.
Renace Neruda....
Víctor Jara toca la guitarra. Canta.
¡Los obreros desfilan cantando!
¡Venceremos!

Der Fluss kehrt seinen Lauf um.
Das Wasser fließt die Stromschnellen hinauf.
Die Menschen beginnen rückwärts zu gehen.
Die Pferde gehen zurück.
Die Soldaten lösen sich aus der Formation.
Die Kugeln verlassen das Fleisch.
Die Kugeln treten in die Kanonen ein.
Die Offiziere stecken ihre Pistolen ins Futteral

...

Der Strom kehrt in die Steckdosen zurück.
Die Gefolterten hören auf sich zu winden.
Die Gefolterten schließen ihre Münder.
Die Konzentrationslager leeren sich.
Die Verschwundenen tauchen auf.
Die Toten verlassen ihre Gräber.
Die Flugzeuge fliegen rückwärts.
Die Raketen steigen zu den Flugzeugen auf.
Allende schießt.
Die Flammen verlöschen.
Er nimmt den Helm ab.
Die Moneda [chilenischer Präsidentenpalast] repariert sich.
Sein Schädel setzt sich wieder instand.
Er kehrt auf den Balkon zurück.(…)
Die Verhafteten verlassen den Rücken voran die Stadien.
11. September
Es kehren Flugzeuge mit Flüchtlingen zurück.
Chile ist ein demokratisches Land
Die Streitkräfte respektieren die Verfassung.
Die Soldaten kehren in ihre Kasernen zurück.
Neruda wird wiedergeboren…
Víctor Jara spielt Gitarre. Er singt.
Die Arbeiter ziehen singend vorbei.
Venceremos - Wir werden siegen!

Autorin: Bettina Lutterbeck
Oktober 2010

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