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Wênd Kûuni - Das Geschenk Gottes
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Spielfilm von Gaston J. M. Kaboré
Burkina Faso 1982, Spielfilm, 71 Minuten, OmU

Inhalt

In einer Zeit, in der im westafrikanischen Mossi-Reich vor der Ankunft der Weißen "niemand hungerte" und alle Menschen "friedlich zusammen lebten", entdeckt ein durchreisender Händler in der Savanne einen völlig entkräfteten und offenbar stummen Jungen. Er nimmt ihn mit ins nächste Dorf und übergibt ihn dem Weber Tinga. Mit seiner Frau Lale hat er eine Tochter namens Pognèré, die im gleichen Alter des Jungen ist. Die Dorfgemeinschaft sendet zunächst Boten aus, um die Herkunft des Jungen zu ermitteln. Als sich niemand meldet, der Auskunft über den Jungen geben könnte, entscheidet sich Tinga, ihn zu adoptieren und gibt ihm den Namen Wênd Kûuni. Denn er betrachtet den Jungen als ein Geschenk Gottes, nicht zuletzt, weil er damit einen männlichen Nachkommen hat, der ihm beim Hüten der Ziegen und auf dem Dorfmarkt eine Menge Arbeit abnimmt.
Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Während sich Pognèré zum Verdruss ihrer Mutter sehr zu ihrem neuen Stiefbruder hingezogen fühlt, kommt es im Dorf zu tumultartigen Szenen, als eine mit einem alten Mann verheiratete junge Frau ihren Mann verlassen möchte. Sie beschuldigt ihn der Impotenz und er hält sie für eine
Hexe. Dieser erhängt sich kurze Zeit später an einem Baum, wo ihn Wênd Kûuni findet. Durch diesen Schock kann er plötzlich wieder sprechen und ist nun in der Lage, sich endlich mitzuteilen und Pognèré von seinem Schicksal und seiner wahren Herkunft zu erzählen.
Der erste jemals in Burkina Faso herge stellte Film wurde 1985 mit einem César für den besten französischsprachigen Film ausgezeichnet und fand internationale Beachtung. Er zählt heute zu den großen
Filmklassikern des afrikanischen Kinos.

Die Hauptfiguten des Films

Wênd Kûuni
In der Familie von Tinga und seiner Frau Lale findet der stumme Junge, der seine Eltern verloren hat, ein
neues Zuhause. Dennoch leidet er sehr darunter, dass er sich den anderen in seinem Kummer nicht mittteilen kann, bis er nach einem Schock plötzlich wieder sprechen kann.

Koudbila
Die leibliche Mutter von Wênd Kûuni versucht alles, um sich und ihren Sohn durchzubringen, nachdem der Vater schon seit Monaten auf der Jagd verschollen ist. Als Hexe beschimpft, wird sie schließlich verstoßen. Sie stirbt an Entkräftung auf der Flucht mit ihrem kranken Jungen.

Pognèré
Die Tochter von Tinga und Lale ist im gleichen Alter wie Wênd Kûuni. Gleich bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Die Mutter sieht das eher mit Skepsis. Pognèré träumt sogar davon, dass er bald wieder sprechen kann und genießt sein volles Vertrauen.

Tinga
Der im Dorf angesehene Vater von Pognèré arbeitet als Ziegenhirte und Weber. Er freut sich sehr darüber, mit Wênd Kûuni einen Adoptivsohn zu bekommen, der ihm bei der Arbeit hilft. Er hat klare Vorstellungen vom Leben, ist aber auch aufgeschlossen für die Sorgen der anderen.

Lale
Pognèrés Mutter kümmert sich auf opferungsvoll um den gesamten Haushalt der Familie, wird von Tinga aber
nicht in familiäre Entscheidungsprozesse einbezogen. Sie ist besonders streng zu ihrer Tochter, die nicht immer gerne das tut, was die Mutter von ihr verlangt.

Timpoko
Die junge Frau aus dem Dorf spielt im Film zwar nur eine kleine Rolle, doch ihr Verhalten hat großen Einfluss auf die Dorfgemeinschaft. Verheiratet mit einem alten Mann, der ihr keine Nachkommen mehr zeugen kann, rebelliert sie gegen ihn und ihre Rolle als willfährige Frau.

Bila
Der um viele Jahre ältere Ehemann von Timpoko hat sicherlich schon bessere Zeiten erlebt, ist im Dorf
aber hoch angesehen. Als seine junge Frau gegen ihn rebelliert und ihn öffentlich bloßstellt, löst sie eine Kettenreaktion aus, die für Bila tödlich endet.

Würdigung und Kritik

Die schwarzen Balken links und rechts des Filmbildes verweisen unübersehbar darauf, dass Wênd Kûuni nicht etwa im auch 1982 schon üblichen Kinobreitwandformat (1:1,66), sondern im klassischen Spielfilmformat 1:1,31 mit einem Seitenverhältnis von 4 zu 3 gedreht worden ist. Dieses ursprüngliche Bildformat, das heute bei einigen unabhängigen Produktionen eine ungeahnte Wiederbelebung erfährt, wird auch als „akademisches Format“ bezeichnet. Während die Breitwandformate, zu denen auch das Cinemascope-Format und das heute mit den digitalen Bildschirmen bevorzugte 16:9 Seitenverhältnis gehören, die Umgebung und insbesondere die Landschaft in den Bildaufbau stärker einzubeziehen, konzentriert sich der Blick des Publikums beim akademischen Format ganz auf die Figuren und ihre Handlungen.
Es gibt mindestens noch einen zweiten formal-ästhetischen Grund für das seinerzeit gewählte Kinoformat. Denn "Wênd Kûuni" spielt nicht in der nahen Gegenwart, sondern in der alten afrikanischen Traditionen verbundenen Vergangenheit, zu einer Zeit also, in der das Volk der Mossi seine Blütezeit erlebte. Das war lange „bevor der weiße Mann kam“ wie es im Film heißt, also zumindest noch vor der Kolonisierung Westafrikas im 19. Jahrhundert. Gleichwohl ist äußerste Vorsicht geboten, den Film bloß als rückwärtsgewandte Erinnerung an „bessere“ Zeiten zu interpretieren, wie später bei der thematischen Auseinandersetzung noch beschrieben wird. In seiner traditionellen Erzählstruktur folgt der Film den mündlichen Überlieferungen sogenannter Griots/Griottes, das sind afrikanische GeschichtenerzählerInnen. Deutlich wird das bereits durch die eingestreuten Off-Kommentare, die aus der Perspektive eines wissenden Erzählers nicht allein durch die Bilder nachvollziehbare Hintergrundinformationen geben und das Verständnis erleichtern – wie der oben genannte Hinweis über die zeitliche Verortung der Geschichte. Eine solche Geschichte in dem damals noch sehr jungen Filmland Obervolta (dem heutigen Burkina Faso) in einem modernen Filmformat zu erzählen, wäre eher abträglich gewesen – zumal man damals nur auf das gängige 35mm-Normalformat und der 16mm-Film zurückgreifen konnte.

Die Wahl des Filmformats und die in der Vergangenheit spielende Geschichte korrespondiert mit minimalen filmsprachlichen Mitteln, insbesondere bei den ruhigen Kameraeinstellungen. Fast alle Szenen sind wie in der Frühzeit des Kinos mit starrer Kamera gedreht. Manchmal folgt sie den Figuren mit einem leichten, kaum wahrnehmbaren Schwenk, nicht selten verharrt sie jedoch in einer Position bis die Figuren aus dem Bild gelaufen sind. Es dominieren Einstellungen von der Totale und Halbtotale gerade bei den Landschaftsbildern der Savanne sowie Halbnah- und Nahaufnahmen bei der Interaktion zwischen den Personen. Es gibt aber nur eine Großaufnahme, als der Junge zu schreien anfängt, nachdem er den erhängten Bila gesehen hat. Solche dramatischen Szenen rücken – wenn überhaupt – nur kurz ins Bild oder werden häufiger nur angedeutet, etwa der aufgebrachte Mob, der die Hütte der Mutter in Brand steckt. Selbst die Rettung des Jungen ist unspektakulär inszeniert und wird durch kreisende Geier visuell vorbereitet. Sein Weglaufen nach dem Tod der Mutter unter einem Baobab-Baum, der in Afrika als Sinnbild des Lebens gilt, weil er selbst lange Trockenperioden gut überstehen kann, wird nicht gezeigt.
Großen Wert legt der Film auf die Ausgestaltung der Tonebene. Viele Tier- und Vogelstimmen vermitteln den Eindruck eines Lebens im harmonischen Einklang mit der Natur. Viele Szenen sind darüber hinaus mit traditioneller afrikanischer Musik unterlegt, die zwar den jeweiligen Stimmungen angepasst ist, aber nie effekthascherisch eingesetzt wird, sondern für Ruhe und Ausgeglichenheit sorgt. Es sind vorzugsweise Streich- und Holzblasinstrumente zu hören, wie etwa eine Flöte, die auf der Bildebene mit der Flöte korrespondiert, die Wênd Kûuni aus einem Bambusrohr herstellt. Einzige Ausnahme sind kurze schrille Töne, die den Schock des Jungen unterstreichen, als er die Leiche von Bila findet.

Über den Regisseur

Gaston Kaboré, der diesen Film 1982 nach einer eigenen Drehbuchvorlage drehte, wurde 1951 in Bobo Dioulasso, Burkina Faso, geboren und wuchs in der Hauptstadt Ouagadougou auf. Er begann dort ein Geschichtsstudium, das er an der Sorbonne in Paris beendete. Inspiriert von den Filmen des afrikanischen Regisseurs Ousmane Sembene, beschloss Kaboré, Regisseur zu werden. Er besuchte die École Supérieure d’Études Cinématographiques in Paris und kehrte nach Beendigung des Studiums 1976 nach Burkina Faso zurück. Ende der 1970er-Jahre realisierte er einige dokumentarische Kurzfilme und war gleichzeitig als Lehrer am Institut Africain d’Éducation Cinématographique und als Direktor des Centre National du Cinéma de Burkina Faso tätig. 1982 konnte Kaboré seinen ersten Spielfilm "Wênd Kûuni – Das Geschenk Gottes" realisieren, den ersten Langspielfilm überhaupt, der in Burkina Faso gedreht wurde. 1988 folgte "Zan Boko", der in den 1980er-Jahren spielt und mit komödiantischen Elementen von DorfbewohnerInnen erzählt, deren Frieden durch den Zuzug von Städtern gestört wird. Im Mittelpunkt von "Rabi" (1992), einer in unbestimmter präkolonialer Zeit angesiedelten Parabel, steht ein Junge, der so fasziniert von einer Schildkröte ist, dass er darüber seine familiären Pflichten vergisst. Nach weiteren Dokumentar- und Spielfilmen entstand 1997 der im Breitwandformat gedrehte "Buud Yam", eine Fortsetzung der Lebensgeschichte von Wênd Kûuni. Darin begibt sich der inzwischen zum jungen Mann Herangewachsene mit dem Pferd auf eine weite Reise, die auch zu seiner Ursprungsfamilie zurückführt, um mit Hilfe eines Heilers seine erkrankte Stiefschwester Pognérè zu retten. Am Ende ist er endgültig mit sich und seinem Schicksal als Waisenkind versöhnt.
Gaston Kaboré ist weiterhin in Sachen Film aktiv, insbesondere in der Lehrtätigkeit. Er war 2009 u. a. auch Mitglied der Internationalen Jury bei der Berlinale, hat aber nach "Buud Yam" keinen weiteren Spielfilm gedreht.

Themen und Hintergrundinformationen

Als Filmklassiker des originär afrikanischen Kinos gehört Wênd Kûuni zweifelsohne zum filmkulturellen Erbe Westafrikas beziehungsweise von Burkina Faso. Er erinnert darüber hinaus an das kulturelle Erbe des Mossi-Reichs und an eine Zeit, die noch nicht vom „weißen Mann“ beeinflusst und beherrscht war. Unabhängig davon erfüllt der Film auch die wesentlichen Kriterien eines Coming-of-Age-Films mit den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, der Suche nach der eigenen Identität, der Auseinandersetzung mit den Erwachsenen, insbesondere deren Regeln und Traditionen, sowie das Bemühen, einen eigenen Platz im Leben zu finden. Es ist eine Entwicklungsgeschichte, die ihren Abschluss später mit dem Film „Buud Yam“ ihren gelungenen Abschluss finden wird. Damit bekommt der Film auch eine universelle Gültigkeit und Bedeutung, die über den lokalen und historischen Bezug weit hinausweist.

Rückbesinnung auf die Wurzeln
Diese Rückbesinnung erhält ihre ganz individuelle Bedeutung für die Hauptfigur Wênd Kûuni, hat aber auch eine gesellschaftliche Dimension. Denn der Film beschreibt ein insgesamt gut funktionierendes früheres Leben in einer Dorfgemeinschaft anhand alltäglicher Verrichtungen und Arbeiten, das jedoch nicht einfach idealisiert wird, sondern auch Konflikte und Entwicklungen aufgreift, die zumindest ansatzweise auch Gegenwartsbezüge enthalten. Die Sachbuchautorin Marie-Hélène Gutberlet hat das im Jahr 2001 in Bezug auf eine ganze Reihe von in Afrika gedrehten Filmen, die damals nach der Unabhängigkeitserklärung in den betreffenden Ländern entstanden sind, folgendermaßen beschrieben: „Der Rückgriff auf vorkoloniale Traditionen, die als Zeichen kultureller Authentizität gelten, dient dazu, einerseits die lange verschwiegenen und missverstandenen Aspekte afrikanischer Geschichte hervorzuheben und andererseits, zeitgenössischen Tendenzen zur Akkulturation entgegenzuwirken. Historische bzw. traditionalistische Rekonstruktionen werden aber auch mit zeitgenössischen politischen und sozialen Lebensumständen in Verbindung gebracht, deren symbolische und allegorische Gehalte politische Zensur und didaktisch orientierte Narrationsstrukturen zu umgehen ermöglichen. Der Versuch, traditionelle Kenntnisse wie Griotismus, Musik, Weisheitsphilosophie, Oralliteratur etc. in filmische Narrationsformen zu integrieren, hat am deutlichsten zur Entwicklung einer afrikanischen Filmästhetik beigetragen. Zudem vermitteln solche filmisch verarbeiteten oralen Überlieferungen auch außerhalb Afrikas die Kulturen des Kontinents und verhelfen ihnen zur internationalen Anerkennung.“

So wichtig "Wênd Kûuni" seinerzeit für das kulturelle Selbstverständnis Gaston Kaborés und anderer afrikanischer Filmschaffender sowie für die Herausbildung einer eigenen Filmindustrie in einem weltweit längst abgesteckten Markt gewesen ist: Man muss ihn in seiner filmhistorischen Bedeutung verorten, nicht zuletzt auch, um ihn von heutigen Produktionen aus Schwarzafrika deutlich unterscheiden zu können, die es sich wie beispielsweise "Rafiki" von Wanuri Kahiu aus Kenia zur Aufgabe gemacht haben, eine andere, bessere Zukunft für Afrika mitzugestalten und die auch eine völlig andere Filmästhetik als Kaboré nutzen.

Eine Gefahr in der heutigen Beurteilung von "Wênd Kûuni" besteht darin, ihn zu sehr mit einer eurozentrischen Brille zu sehen. In seinem 2018 veröffentlichtem Buch „In Afrika – Reise in die Zukunft“ schreibt der Afrika-Experte Alex Perry: „Das Afrika, das man von Europa, Amerika, Asien oder Ozeanien her sieht – falls man es denn überhaupt sieht –, ist ein monolithischer Kontinent des Leids: der Armut, des Krieges, des Hungers und vor allem der Hilflosigkeit. Das Afrika, das man von innen her sieht, weist all das gleichfalls auf, aber häufiger noch Wachstum, Frieden, Gesundheit, Innovation, Demokratie und vor allem Hoffnung. Für viele Außenstehende ist es eine überraschende Erkenntnis, dass es zunehmend Afrikaner selbst sind, die Afrikas Probleme lösen, und oft Nichtafrikaner, die zur Entstehung solcher Probleme beitragen. Diese Kluft zwischen Afrika und der übrigen Welt zeigt sich in vielfältigen Formen, die sich noch vermehren werden, je mehr Afrika gegen jene zurückschlägt, die es herumstoßen. Im Kern wird die Kluft jedoch eine der Wahrnehmung bleiben. Außenstehende glauben meist, Afrika sei am Ende. Afrikaner wissen, dass dies auf den meisten Gebieten nicht zutrifft, und sie bezweifeln, dass sie von denen, die dies anders sehen, viel lernen könnten.“

Alte Traditionen und alte Rollenbilder
Bei genauerer Betrachtung ist dieser zukunftsorientierte Blick, der sich unweigerlich mit der Vergangenheit reiben muss, bereits in Kaborés Film erkennbar. In der Dorfgemeinschaft herrschen zwar klare Strukturen und Aufgabenverteilungen, nach außen hin gegenseitige Achtung und Respekt. Zum Zeichen ihrer Hochachtung knien die jungen Männer bei der Begrüßung vor den Frauen nieder und natürlich auch Wênd Kûuni vor seiner Ziehmutter. Und dennoch haben die Mädchen und die Frauen oft das Nachsehen. Pongèré wird von der eigenen Mutter gegängelt und als Faulpelz bezeichnet, hat nur wenig Zeit für sich selbst und soll sich von Wênd Kûuni fernhalten, der im Unterschied zu ihr gehen kann, wann er will und beim Hüten der Ziegen ein gehöriges Stück Freiraum genießt. Bei der Mutter fällt es zudem schwer, sie als zufrieden und rundum glücklich zu sehen. Wênd Kûunis leiblicher Mutter wiederum wurde das Leben extrem schwer gemacht, nachdem ihr Mann spurlos verschwand, und am Ende gar als Hexe bezeichnet und vertrieben. Gegen solche letztlich patriarchischen und noch von traditionellen Glaubensvorstellungen geprägten Strukturen beginnt sich die junge Timpoko im Dorf als erste zu wehren, denn sie möchte nicht weiter mit dem impotenten alten Bila zusammenleben und zieht mit ihrem Widerstand den Zorn vor allem der anderen Frauen auf sich. Tinga wiederum sucht Bila zu beruhigen und den Streit zu schlichten. Er ist der Meinung, dass es den Mädchen „heute an Erziehung“ mangele, worauf ihn eine alte Frau auf dem Rückweg freundlich darauf hinweist: „Die Zeiten haben sich geändert, mein Sohn!“

Neue Generationen, andere Rollenbilder?
Mit Pognèré und Wênd Kûuni, die bereits als Kinder wie füreinander geschaffen wirken, drückt der Film seine Hoffnung aus, dass sich mit dieser jungen Generation – und offenbar durch weibliche Initiative – auch die alten Rollenbilder verändern. Und das zu einer filmischen Zeit im Rückblick, in der in Deutschland die Frauen noch nicht einmal ein Wahlrecht hatten. Die beiden Kinder begegnen sich in einer zentralen Szene des Films (fast) auf Augenhöhe und ohne Vorbehalte, wobei sie beide die „Insignien“ ihrer traditionellen Rollen bei sich tragen und die Bambusflöte, die sie ihm überreicht, zum Austausch und „künstlerischen“ Bindeglied zwischen ihnen wird. Sie erwähnt zugleich, wenn sie ein Junge wäre, würden beide die Schafe hüten. Es soll sogar Geister geben, die ein Mädchen in einen Jungen verwandeln könnten. Er bestätigt ihr das sogleich und ohne Widerspruch und kann sich umgekehrt vorstellen, ein Mädchen zu sein, wobei der Film bewusst offen lässt, ob er ihr damit nur ein Kompliment machen wollte.
Schon vor dieser Szene war Pognèré fest davon überzeugt, dass er einmal wieder sprechen kann. Sie bemerkte diesen Umstand als erste und musste die anderen erst darauf aufmerksam machen. Kein Wunder daher, dass Wênd Kûuni sie nun ins Vertrauen zieht, ihr seine Geschichte erzählt und ihr seinen Kummer anvertraut. Ein hoffnungsvolles und zukunftsweisendes Ende, das einiges von dem vorbereitet und vorwegnimmt, was viele Jahre später erst Realität werden soll - davon wird "Buud Yam" erzählen.

GLOSSAR

Burkina Faso (Obervolta)
„Burkina Faso, übersetzt Land des aufrichtigen Menschen, ist ein westafrikanischer Staat, der südlich des Nigerbogens liegt und an Mali, Niger, Benin, Togo, Ghana sowie an die Elfenbeinküste grenzt. Seine Unabhängigkeit erlangte das Land am 5. August 1960. Bis zum 4. August 1984 wurde der Name Obervolta (französisch Haute-Volta), den es in seiner Zeit als französische Kolonie erhielt, verwendet. Die Umbenennung erfolgte durch den panafrikanistisch-sozialistisch orientierten Präsidenten Thomas Sankara (Anm. der Red.: ein großer Filmenthusiast!), der nach einer Phase politischer Instabilität 1983 in einer Revolution die Macht erlangte.
Administrative und kulturelle Hauptstadt des rund 20,1 Millionen Einwohner zählenden Landes (2017) ist die zentral gelegene Millionenstadt Ouagadougou. Der vorwiegend flache Binnenstaat mit Anteilen an der Großlandschaft Sudan und der Sahelzone ist durch tropisches Klima und verschiedenartige Savannenlandschaften geprägt. Etwa die Hälfte der Burkiner (Burkinabe) zählt zur politisch dominierenden Ethnie der Mossi, die bis zur Kolonisierung durch Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts in mehreren streng hierarchisch organisierten Reichen lebten. In Burkina Faso werden etwa 60 einheimische Sprachen gesprochen. Der Islam ist neben den traditionellen Glaubensvorstellungen die meistpraktizierte Religion. Burkina Faso gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, zeichnet sich heute aber durch eine gewisse Stabilität und die kulturelle Vielfalt der friedlich zusammenlebenden Ethnien aus. Regelmäßig wiederkehrende Dürreperioden sorgen oft für große Not der hauptsächlich als Bauern lebenden Bevölkerung.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Burkina_Faso

Kaurigeld

„Kaurigeld ist eine historische Form von einfachem Geld (Primitivgeld), die in Afrika, Ost- und Südasien und der Südsee als vormünzliches Zahlungsmittel oder Naturalgeld (Warengeld aus Naturgegenständen) weit verbreitet war und stellenweise noch heute traditionell und rituell verwendet wird. Bestehend oder hergestellt aus den Gehäusen von Kaurischnecken, war Kaurigeld das nach Raum und Zeit am weitesten verbreitete Muschel- oder Schneckenhausgeld (in der Münzkunde auch als Molluskengeld bezeichnet). (…) Genaugenommen war Kaurigeld kein Geld im Sinn von Währung, denn es gab keine staatliche Aufsicht und kein Bankensystem dafür; Kaurigeld diente jedoch als Wertaufbewahrungsmittel. Zunächst fand das Kaurigeld Verbreitung in Südasien und Südostasien, China und Indien, später auch in Ostafrika, in Zentralafrika und im tropischen Westafrika, sowie in der Südsee. In vielen Regionen Asiens und Afrikas war die Kaurischnecke sowohl Handelsgut, als auch Zahlungsmittel. (…) Die Verwendung von Kaurigeld in einigen Gebieten Westafrikas reicht bis mindestens in das 11. Jahrhundert zurück. Als die Araber als Sklavenhändler in Afrika eindrangen, brachten sie die Kauri von Ostafrika mit. Im 19. Jahrhundert nahm die die Verwendung von Kaurigeld im Sklavenhandel wieder stark ab, stattdessen wurde das Kaurigeld immer stärker im Handel mit Palmöl verwendet. (…) Bis zum endgültigen Kollaps der Zahlungen mit Kaurigeld in Westafrika Ende des 19. Jahrhunderts, gab es zwischenzeitlich Perioden in denen das Kaurigeld abgelehnt wurde.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaurigeld

Film in Burkina Faso
„Seine filmpolitische Führungsrolle in ganz Schwarzafrika verdankt das Land seinem ehemaligen Staatspräsidenten Thomas Sankara, der 1987 ermordet wurde und das Kino zur nationalen Aufgabe ausrief: ‘Wir sind uns bewusst, dass die Leinwand, die Kamera, der Film und die Botschaft, die sie vermitteln, ein kulturelles Universum, einen kulturellen Raum darstellen, den wir in Besitz nehmen müssen, wenn wir nicht wollen, dass er von anderen besetzt wird.’ (...) Ouagadougou, die Metropole Burkina Fasos, wurde sozusagen zur Hauptstadt des afrikanischen Kinos. Seit 1969 findet alle zwei Jahre das „Festival Panafricain du Cinéma de Ouagadougou“ (FESPACO) statt, der wichtigste Treffpunkt afrikanischer Filmemacher auf dem Kontinent, und hier konzentrieren sich auch die wichtigsten panafrikanischen Filmorganisationen wie CINAFRIC, CIPRO­FILM oder die Fédération Panafricaine des Cinéastes (FEPACI) und, seit 1995, die Cinémathèque Africaine. Das CNC (Centre National du Cinéma), 1977 gegründet, ist eines der produktivsten nationalen Filmzentren, und ihr Leiter bis 1987, Gaston Kaboré, einer der wichtigsten Vertreter und Fürsprecher des schwarzafrikanischen Films schlechthin.“
Quelle: Fernand Jung: Südlich der Sahara. Filme aus Schwarzafrika, in: Institut Jugend Film Fernsehen (Hrsg.), Filme zur Diskussion 43, München 1997

Didaktische Hinweise

Mit seiner ruhigen Bildsprache und dem Rückblick in frühere Zeiten auf einem anderen Kontinent mit eigenen kulturellen Wurzeln läuft Wênd Kûuni heutigen Sehgewohnheiten stark zuwider. Das lässt sich allerdings auch produktiv nutzen, um mit dem Reiz des Unbekannten die Neugier zu wecken, zumal wenn das Publikum vor dem Film auf diese Besonderheit aufmerksam gemacht und informiert wird. Ältere Jugendliche könnten damit dennoch mehr Probleme haben als ältere Kinder, die sich meistens noch leichter für etwas begeistern lassen. Das junge Alter der beiden kindlichen Hauptfiguren, ihre Perspektive, die der Film weitgehend einnimmt und die universell angelegte Coming-of-Age-Geschichte machen den Film bereits für ein Alter ab 10 Jahren geeignet und sehenswert, zumal allzu dramatische Szenen konsequent vermieden werden und auch der Tod der Mutter nur angedeutet wird. Um auszuschließen, dass die wirklich kurze Einstellung mit dem am Baum hängenden Bila zusammen mit den schrillen Tönen und dem Schrei des Jungen dennoch zum Trigger wird, ist ein knapper Hinweis vor dem Film bei einem jungen Publikum sinnvoll, selbst wenn dadurch das Spannungsmoment wegfällt. Wie bei jedem Film, der zunächst einmal für sich selbst wirken soll, sind allzu ausführliche Vorinformationen und Aufgabenstellungen zur Aufmerksamkeitslenkung wenig produktiv. Schließlich werden auch viele Erwachsene nicht auf Anhieb alles verstehen und richtig einordnen können. Warum sollte man es dann von Kindern verlangen?

Zahlreiche Anknüpfungspunkte des Films für den Unterricht bieten sich im Rahmen der Fächer Deutsch, Sozialkunde, Geografie, Geschichte und Ethik/Religion, aber auch für Kunst und Medienerziehung.

Für ein erwachsenes Publikum, das sich für Rollenbilder im Wandel der Zeiten und insbesondere für Afrika, seine (Film-)Geschichte und Kultur interessiert, ist der Film uneingeschränkt empfehlenswert. Auch hier ist es sinnvoll, nicht zu viele Vorinformationen zu geben, sondern bei Bedarf geschickt in das anschließende Gespräch einfließen zu lassen. Die Auseinandersetzung mit dem Film sollte nicht nur auf inhaltlicher Ebene erfolgen, sondern die besondere formale Gestaltung einbeziehen und sie mit dem kulturellen Filmerbe Westafrikas beziehungsweise mit den besonderen Produktionsbedingungen jener Zeit in Verbindung bringen.

Mögliche (erste) Impulsfragen:

  • Woran insgesamt ließ sich gut erkennen, dass der Film nicht in der Gegenwart sondern in einer unbestimmten Vergangenheit spielt?
  • Warum siedelt der Film seine Geschichte überhaupt in der Vergangenheit an? Was war für den Filmemacher so spannend daran?
  • Welche Funktion hat der mehrfach eingestreute Off-Kommentar?
  • Welche Kameraeinstellungen bevorzugt der Film und welchen Zweck verfolgen sie?
  • Was ist beim Ton besonders aufgefallen und warum ist er hier besonders wichtig?
  • Wirkte das Verhalten der Figuren eher befremdlich oder konnte man sich gut in sie hineinversetzen? Gilt das für Erwachsene wie etwa Bila und Kinder gleichermaßen?
  • Lässt sich unser eurozentrischer Blick auf den Film überhaupt vermeiden?
  • Ist die Geschichte auf europäische Verhältnisse übertragbar?
  • Was sagt der Film über Rollenbilder und die damalige Stellung der Frau in Westafrika aus? Sind Frauen der Schlüssel zur Veränderung der Gesellschaft?
  • Ist der Filme eher vergangenheits- oder zukunftsorientiert?

Literatur- und Links (Auswahl)

  • Olivier Barlet: Afrikanische Kinowelten. Die Dekolonisierung des Blicks, Bad Honnef 2001
  • Ute Fendler: Serielles Erzählen im westafrikanischen Film. WEND KÛUNI und BUUD YAM von Gaston Kaboré, in: Sprachwelten – Bilderwelten. Filmschaffen in West- und Nordafrika; Fendler, Ute/Walter, Klaus-Peter, Mainz 2001
  • Marie-Hélène Gutberlet: Auf Reisen: Afrikanisches Kino, Frankfurt/Main, Basel 2004
  • Marie-Hélène Gutberlet: Kino, in: E. Mabe, Jacob E. (Hrsg.), Das Afrika-Lexikon. Ein Kontinent in 1000 Stichwörtern, Wuppertal, Stuttgart 2001
  • Fernand Jung: Südlich der Sahara. Filme aus Schwarzafrika, in: Institut Jugend Film Fernsehen (Hrsg.), Filme zur Diskussion 43, München 1997
  • Alex Perry: In Afrika – Reise in die Zukunft, Fischer Taschenbuchverlag Frankfurt, Juni 2018
  • Johannes Rosenstein: Die schwarze Leinwand, Stuttgart 2003

Links:

  • https://www.trigon-film.org/de/movies/Wendkuuni
  • Flyer des Schweizer Verleihs Trigon zum Film
    http://press.moma.org/wp-content/files_mf/tsap_pressrelease_final71.pdf
  • MoMa-Presseveröffentlichung 2018 zur Bewahrung des filmkünstlerischen Erbes und zum Film Wênd Kûuni
  • Drei ausgewählte Beispiele aus dem umfangreichen Publikationsangebot der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb zu Afrika:
    http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/postkolonialismus-und-globalgeschichte/
    http://www.bpb.de/izpb/7969/afrika-laender-und-regionen
    http://www.bpb.de/izpb/7926/afrika-schwerpunktthemen
  • Website des Panafrikanischen Filmfestivals von Ouagadougou https://fespaco.bf/
  • Links zu den bereits im Glossar genannten Hintergrundinformationen auf Wikipedia
    https://de.wikipedia.org/wiki/Burkina_Faso
    https://de.wikipedia.org/wiki/Kaurigeld

Filmhinweise:

  • BUUD YAM
    Regie: Gaston Kaboré. Burkina Faso 1997, 97 Min., OmU
  • DIE KLEINE VERKÄUFERIN DER SONNE
    Regie: Djibril Diop Mambéty, Senegal, Schweiz, Frankreich 1999, 45 Min., OmU
  • YAABA
    Regie: Idrissa Ouedraoga. Burkina Faso, Frankreich, Schweiz 1989, 85 Min., OmU

Autor: Holger Twele
Redaktion: Bernd Wolpert
Mai 2019

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